Rettungsschwimmen können auch Kinder lernen. Sie sollten allerdings kaltes Wasser mögen
Von Hauke Friederichs
© Michael Urban/ddp
Im Herbst geht man in Norddeutschland eigentlich nicht mehr in einem See schwimmen, dafür ist das Wasser viel zu kalt. So fällt der Junge besonders auf, der im Ratzeburger See mit den Armen rudert, um nicht unterzugehen. Schon schießt ein rotes Boot über das Wasser, so schnell, dass es mit jeder Welle springt. An Bord sind drei Jugendliche: Nils steht am Ruder, Katharina kniet vorne am Bug, und Sarah wartet schon mit der Rettungsboje in der Hand.
Nils lenkt das Boot in einem Kreis um den Jungen, drosselt die Geschwindigkeit, und Sarah springt kopfüber in den See. Sie schwimmt zu dem Jungen, schiebt ihn auf ihre rote Boje und schleppt ihn zum Boot. Dort ziehen Nils und Katharina den Jungen hoch und legen ihn auf den Rücken. Und er – lacht laut auf! »War das kalt«, sagt er und schüttelt sich.
Christoph, so heißt der Junge, spielt heute das Opfer. Er wird an diesem Herbsttag noch oft in Not geraten und im kalten Wasser paddeln – zur Übung. Die Jugend der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG) in Ratzeburg trainiert so, wie man Menschen in Not hilft. Wenn ein Boot kentert, eine Schwimmerin vermisst wird oder ein Sturm über dem Wasser aufzieht und Segler oder Surfer in Gefahr sind, werden die Retter zum Einsatz gerufen. Die DLRG entstand 1913, um die Zahl der vielen tödlichen Unfälle im Wasser zu verringern. Mit rund einer Million Mitgliedern ist sie der größte Wasserrettungsverein der Welt. Die DLRG arbeitet mit der Polizei und der Feuerwehr zusammen. Auch Kinder und Jugendliche können mitmachen und sich zum Retter ausbilden lassen.
Genau das machen Sarah, Nils, Katharina und Christoph. Die vier kennen schon viele Rettungsarten: Sie werfen Rettungsbälle oder Wurfleinen, an denen sich Ertrinkende festhalten sollen. Sie können Menschen »abschleppen« – das bedeutet, sie nehmen sie in einen speziellen Griff und schwimmen ans Land oder zum Boot. Und auch mit der roten Rettungsboje, die ein wenig aussieht wie ein kleines Surfbrett, lassen sich Leute aus dem Wasser holen. Heute probieren die vier alle Arten aus.
Gegen die Kälte tragen sie Neoprenanzüge wie Taucher. Doch wer ins Wasser muss, friert trotzdem. Nachdem er mehrmals aus dem See gezogen wurde, tauscht Christoph die Rolle und wird selbst zum Retter. Er rennt über einen Steg, drückt sich mit den Beinen kräftig ab und springt. Als er kopfüber eintaucht, schäumt das Wasser auf. Was bei Christoph so leicht und elegant aussieht, hat ihn viele Übungsstunden gekostet. Mindestens zweimal in der Woche trifft er sich mit den anderen zum Training. Ihre Ausbildung findet nicht nur im Wasser statt. Wer in den Ferien und an Wochenenden Rettungsdienste übernehmen will, muss sich auch mit dem Funkgerät auskennen und Erste Hilfe leisten können. Wer an das Steuer des Rettungsbootes möchte, braucht außerdem einen Führerschein. Der ist besonders begehrt, allerdings muss man dafür 16 Jahre alt sein. »Am liebsten bin ich auf dem Boot«, erzählt Sarah. Sie ist 15 Jahre alt und ist im Sommer bisher immer nur mitgefahren zu den Badestränden. Dort machen die Jugendlichen vom Boot aus die Aufsicht.
Besonders beliebt ist der Wachdienst im Sommer. Für mehrere Tage ziehen die jungen Retter in die Wache ein. Das ist ein Haus am Ufer des Ratzeburger Sees. 13 Jahre muss man sein, dann darf man beim Wachdienst mitmachen und dort zwei ausgebildete Retter unterstützen. Vom Balkon der Wache kann man mit einem Fernglas einen großen Teil des Sees überblicken. Wenn die Aufpasser jemanden in Not entdecken, greifen sie zum Funkgerät und alarmieren eines der Rettungsboote.
Wo andere Häuser ihren Keller haben, hat das DLRG-Gebäude eine Bootshalle mit zwei Anlegestellen. Dort liegen zwei der vier Boote. Eines steht meist auf einem Anhänger, der von einem Kleinbus gezogen wird. Denn auch wenn auf kleineren Seen oder auf Flüssen in der Umgebung von Ratzeburg etwas passiert, wird die DLRG gerufen.
Abends grillen alle zusammen oder kochen Spaghetti. Geschlafen wird in großen Zimmern, in Doppelbetten und auf Matratzenlagern. In den vergangenen Sommerferien hat keiner so viel Dienst gemacht wie Nils. Fünf Wochen am Stück war er im Haus am See. Seitdem nennen die anderen ihn aus Spaß den »Wachkönig«.
In der Wache endet auch für die vier jungen Retter der Übungstag. Christoph geht erst einmal heiß duschen. Gut, dass jetzt im November ihre Dienste am See enden. Bei diesen Wassertemperaturen macht das Retten weniger Spaß als im Juli und August. In den nächsten Monaten werden Christoph und die anderen in der Schwimmhalle trainieren – dort ist nicht nur die Dusche warm.