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Auslachen, beschimpfen oder sogar schlagen: Wenn eine Gruppe gegen einen Einzelnen hetzt, wird die Schule zur Qual
Von Monika Klutzny
Gänse können richtig fies sein. Sie beißen eine schwächere Mitgans und kreischen sie so lange an, bis sie auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Dafür rotten sich die Tiere in Gruppen zusammen. Sogar Füchse, die ihnen ihr Essen vor der Nase wegfressen wollen, verjagen sie auf diese Art. So eine Horde Gänse fühlt sich eben sehr stark.Auch Menschen verhalten sich gelegentlich wie Gänse. Zum Beispiel Paula gegenüber. Sie ist Schülerin einer sechsten Klasse. Paula ist nicht ihr richtiger Name, aber sie will nicht, dass dieser in der Zeitung steht. Deshalb haben wir sie hier umbenannt. Paula passierte vor ein paar Monaten an jedem Schultag etwas, das sie ärgerlich, wütend oder traurig machte: Eines ihrer Schulbücher verschwand und tauchte im Papierkorb wieder auf, ihr Tintenstift lag zerbrochen auf dem Boden, oder ihr Radiergummi war staubfein zerbröselt. Einmal war ihre neue Jacke mit Textmarkern beschmiert, und auf dem Tisch stand: »Paula ist scheiße!« Sie beschwerte sich bei ihrem Lehrer. Dem gelang es nicht, die Täter ausfindig zu machen. »Petze!«, höhnte es am gleichen Tag auf dem Nachhauseweg hinter Paula her. Ihre Peiniger begannen, sie zu schubsen und zu hauen. Von da an wollte Paula nicht mehr in die Schule gehen.
Was Paula erlebt hat, nennt man Mobbing. Erfunden hat das Wort der Forscher Konrad Lorenz vor mehr als 40 Jahren. Er hatte Gänse beobachtet und gesehen, wie sie sich gegen Feinde oder Schwächere zusammentun. Später wurde das Wort Mobbing auf das Verhalten von Menschen übertragen (der Begriff kommt übrigens vom englischen Wort mob, auf Deutsch Pöbel). Inzwischen wird der Begriff häufig gebraucht. Viele Leute kennen seine Bedeutung aber gar nicht richtig. Fachleute erklären es so: Mobbing ist eine Form von Gewalt gegen eine Person über eine längere Zeit. Ziel ist es, die Person auszugrenzen. Gewalt kann bedeuten, dass jemand geschlagen oder geschubst wird. Aber auch Beschimpfungen zählen zu Gewalt oder wenn einfach niemand mehr mit der Person redet. Wenn man also über einen längeren Zeitraum gequält, gehänselt, beschimpft, bedroht, herabgesetzt, bloßgestellt oder gedemütigt wird, wird man gemobbt.
So wie Paula. Als ihre Mitschüler sie einfach nicht in Ruhe ließen, fragte sie sich irgendwann sogar, ob sie selbst schuld sei: Vielleicht war sie nicht hübsch, nicht witzig, nicht nett genug? Weil Mobbingopfer sich nicht erklären können, warum andere Kinder sie gemein behandeln, denken sie oft, es liege an ihnen selbst. Sie reagieren dann manchmal psychosomatisch. Das bedeutet, dass die schwere Last, die auf ihrer Seele liegt, sie körperlich krank macht. Sie können zum Beispiel nicht mehr gut schlafen und haben Albträume, mögen nicht mehr essen und haben Bauchschmerzen. So fehlen sie häufig in der Schule, und dadurch werden auch ihre Noten schlechter. Manche Kinder bekommen so viel Angst, dass sie sich ganz verkriechen. In sehr schlimmen Fällen wollen sie nur noch sterben.
Paula hatte Glück. Ihre Mutter bemerkte, dass ihre Tochter plötzlich sehr ungern zur Schule ging. Sie wollte nicht mehr mit dem Bus fahren, sondern mit dem Auto gebracht werden. Dauernd fehlte ihr Geld oder irgendwelche Sachen, und sie konnte dafür keine Erklärung abgeben. »Ich konnte das nicht zu Hause erzählen! Ich dachte, dann würde alles noch schlimmer«, erinnert sich Paula. Als ihre Mutter ahnte, was los war, ließ sie keine Ausreden mehr gelten. Sie erkundigte sich bei Fachleuten und erfuhr, dass man eine ganz Menge tun kann, um sich zu wehren: Verbündete unter Mitschülern suchen, ein Mobbing-Tagebuch führen, die Täter direkt ansprechen, sie schriftlich auffordern, ihr Verhalten zu unterlassen, Lehrer, Vertrauenslehrer und auch die Schulleitung einschalten. Und vor allem sich nicht beruhigen lassen, bevor nicht klar ist, was wirklich los ist.
Das alles kann man als Kind nicht alleine schaffen. Und selbst wenn Erwachsene eingeschaltet sind, kann es einige Zeit dauern, bis Licht in so eine Sache kommt. Die Täter greifen ihre Opfer nicht vor den Augen der Lehrer an. Sie wissen meist sehr gut, dass sie etwas Unrechtes tun. Schikanen finden daher oft in den Pausen oder auf dem Schulweg statt. Und es kommt auch vor, dass Lehrer und Mitschüler sagen, das Opfer sei doch selbst schuld. »Total uncool!«, sagten zum Beispiel Paulas Mitschüler über sie. »Ein schwieriges Kind«, sagte der Lehrer.
Paula dachte oft daran, die Schule zu wechseln. Doch das ist keine Lösung, man sollte vor solchen Problemen nicht weglaufen. Das rät zumindest Werner Ebner. Er ist selbst Lehrer und betreibt im Internet eine Seite, auf der Mobbingopfer Hilfe finden und sich austauschen können (www.schueler-mobbing.de). Werner Ebner weiß aus vielen Gesprächen, dass ein Schulwechsel in vielen Fällen nichts bringt.
Und die Täter? Wenn man sie nach den Gründen für ihr gemeines Verhalten fragt, kommt sehr oft eine Antwort: »Weiß ich nicht.« Das darf man ihnen sogar glauben, denn die Frage ist wirklich schwierig zu beantworten. Oft müssen Psychologen helfen. Sie finden nicht selten heraus, dass die Mobber selbst große Probleme haben. Das kann ihre Taten sicher nicht entschuldigen. Dem Opfer kann es aber helfen, die Ursache nicht in sich selbst zu sehen – und nicht vor dem Problem davonzulaufen. Denn Menschen sind schließlich keine Gänse, oder?