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Ihr seid Europa

 

KinderZEIT© Caroline Ronnefeldt

Am vergangenen Wochenende wurde das Europaparlament neu gewählt. Seine Abgeordneten vertreten rund 500 Millionen Menschen aus 27 Ländern. Sie regeln viele Dinge, die gerade für Kinder wichtig sind

Von Christine Schulz-Reiss

Isst du zum Frühstück gern Baguette oder Croissant? Schmeckt dir mittags Gyros mit Tsatsiki? Und wie wär’s abends mit einer Pizza? Dann hättest du den Tag begonnen wie ein Franzose, mittaggegessen wie ein Grieche und abends geschlemmt wie ein Italiener: Du hättest dich durch eine eu­ro­pä­ische Speisekarte gefuttert.Europa? Das war in den letzten Tagen bei dir zu Hause vermutlich eher wegen der Europawahlen als wegen des Essens Thema beim Abendbrot. Deine Eltern haben bei dieser Wahl wahrscheinlich ihre Stimme für eine der Parteien abgegeben, die Kandidaten für das Eu­ro­pä­ische Parlament aufgestellt haben. Vielleicht haben sie aber auch (wie Erwachsene häufig) über die Europäische Union geschimpft. Leider machen sich sogar Politiker (die es besser wissen müssten) manchmal lustig über die EU: Sie würde zu viele Regelungen erfinden, sagen sie, und haben dann häufig die Lacher auf ihrer Seite. Besonders beliebt sind in diesem Zusammenhang Witze über den »Krümmungsgrad der Gurke« – das klingt, als wolle das EU-Parlament krumme Gurken verbieten. Was gar nicht stimmt. Tatsächlich beschäftigen sich die Abgeordneten mit vielen Fragen, die sehr wichtig sind für das gute und friedliche Zusammenleben von 27 Nachbarn, die alle unterschiedlich sind, die aber trotzdem Handel miteinander treiben und sich gegenseitig besuchen wollen.
Im Alltag leben und fühlen wir längst europäisch, begegnen wir »Europa« außer beim Essen auch beim Lernen oder Lesen. Das fängt im Kinderzimmer an. Schau mal ins Bücherregal: Stehen dort die Abenteuer von Tim und Struppi? Der junge Mann und sein Hund, der Whisky liebt, kommen aus Belgien. Die superstarke Pippi Langstrumpf aus Schweden kennt bei uns jedes Kind. Hat dir schon mal Graf Dracula Furcht eingeflößt? Dann ging es dir wie den Leuten in seiner rumänischen Heimat. Mit dem traurigen Ritter Don Quichotte und seinem Klepper Rosinante bist du in Spanien unterwegs. Der märchenhafte Rübezahl ist ein Berggeist aus Polen, Harry Potter ein Zauberlehrling aus Großbritannien. Natürlich könnten wir englische oder dänische Geschichten auch lesen, wenn unsere Länder nicht in der EU verbunden wären. Aber gerade die Bücher (wie die Speisekarten!) zeigen uns, wie bunt und vielfältig ein europäisches Leben sein kann.
Und auch die europäische Politik betrifft jeden von uns. So sind zum Beispiel Reisen ohne Passkontrollen in der EU heute selbstverständlich – deine Eltern kannten noch lange Autoschlangen vor den Schlagbäumen an den Grenzen der Nachbarländer, vor denen sie darauf warten mussten, ihre Ausweise vorzuzeigen. Heute ist es in 16 EU-Ländern nicht einmal mehr nötig, Geld umtauschen, weil dort inzwischen alle mit dem Euro bezahlen.
Wenn deine Mutter oder dein Vater eine Arbeit im Ausland finden, können sie ohne Probleme die ganze Familie mitnehmen. Und wenn du selbst später anderswo in der EU leben willst, kannst du dort einen Job annehmen und sogar für das Bürgermeisteramt in deinem Wohnort kandidieren. Bürgermeister von London – wäre das nicht großartig? Dank der EU kannst du auch in jedem Land zur Schule gehen, Praktika machen oder in den Ferien jobben. Das alles ist europäische Politik.

Besonders kümmert sich die EU um gemeinsame Regeln für die Wirtschaft und das Arbeitsleben. Schließlich soll es den fast 500 Millionen Menschen in den 27 Ländern möglichst gleich gut gehen. Irgendwann sollen sie für die gleiche Arbeit auch das gleiche Geld bekommen (heute gibt es da noch große Unterschiede: In Rumänien etwa verdient eine Krankenschwester viel weniger als in Deutschland). Das Essen, das die Menschen im Supermarkt kaufen, soll die gleiche Qualität haben, egal ob die Kunden in Portugal oder in Finnland wohnen. Damit Produkte wie Joghurt oder Brathühnchen überall ähnlich wertvoll sind, erlässt die EU Normen (ein anderes Wort für Regeln oder Bestimmungen). Äpfel, Birnen, Kirschen, Tomaten und anderes Obst und Gemüse müssen zum Beispiel »gut geformt« sein, wenn sie die Handelsklasse 1 erhalten sollen, die nur die besten Früchte bekommen. Der Kunde kann an den Handelsklassen sehen, was für Obst sein Händler verkauft. Solche Kennzeichnungen können auch aus anderen Gründen wichtig sein: Manche Menschen dürfen beispielsweise keine Milch trinken oder keine Nüsse essen, weil sie sie nicht vertragen. Andere reagieren allergisch auf bestimmte Stoffe in Seife und Cremes. Deshalb muss auf allen Produkten stehen, was drin ist.

Gehst du gern mit deinen Eltern im Gasthaus essen? Dann bist du vielleicht froh, dass in vielen Restaurants nicht mehr geraucht werden darf. Dieses Verbot verdankst du der EU. Ebenso, dass die Luft in Europas Städten sauberer wird: Sie haben begonnen, schmutzige Autos auszusperren. So kommen weniger giftiger Feinstaub und Ruß in die Luft. Außerdem will die EU, dass Flüsse, Meere und Seen in Europa sauberer werden. Umwelt und Gesundheit sind ihr wichtig – gerade weil es dabei um die Zukunft von Kindern geht. Solche Vorschriften durchzusetzen dauert allerdings immer ziemlich lange: Schließlich haben 27 Staaten mitzureden. Die alle unter einen Hut zu bekommen ist gar nicht so einfach. Du kennst das aus deiner Familie oder Klasse, wenn es um eine gemeinsame Entscheidung geht.
Wenn die Menschen in den unterschiedlichen Ländern ähnlich gut leben können, gibt es zwischen ihnen keinen Grund für Neid, Streit oder Krieg. Für die Länder der Europäischen Union hat sich diese Idee bewährt: Hier geht es viel friedlicher zu als in vielen anderen Weltgegenden. Deshalb würden auch viele Menschen von außerhalb Europas gern hier leben. Manche Erwachsene vergessen das, wenn sie wieder einmal über Europa nörgeln. Du kannst sie jetzt daran erinnern.