© Dennis Williamson
Man nehme rund drei Dutzend Holzteile, ein großes Stück Stoff, und fertig ist das Boot – das Faltboot.
Arthur, Piet und Julius gehen damit auf der Elbe paddeln
Von Hella Kemper
Heute soll es aufs Wasser gehen, auf die Elbe bei Hamburg. Doch ein Boot ist noch nicht zu sehen. Stattdessen stehen Arthur, Piet und Julius vor drei großen Leinentaschen. Keiner der drei Siebenjährigen kann so recht glauben, dass in diesen Taschen tatsächlich ein Boot steckt. Julius versucht den dicksten Sack hochzuheben. »Puh!«, sagt er. Die Bootshaut ist in einem Rucksack untergebracht, der so groß ist, dass man mindestens fünf Schulranzen darin verstauen könnte. Lange Stäbe stecken in der sogenannten Stabtasche, kleinere Teile wie Rückenlehnen, Sitze und Spanten in der Spantentasche (Spanten sind sozusagen die Rippen des Bootes). Fast 50 Teile müssen wie bei einem Puzzle zusammengesetzt werden, wenn man ein Faltboot aufbaut. Geübte bauen ein Faltboot in einer halben Stunde auf. Wer es zum ersten Mal versucht, sollte eher einen halben Tag einplanen.Arthur, Piet und Julius schauen noch etwas ratlos. »Womit fangen wir an?«, fragt Arthur. Zuerst setzen wir das Gerüst aus Mahagoniholz zusammen, quasi das Skelett unseres Bootes Pino. Dieses Gerüst besteht aus 30 Einzelstücken, aus Boden- und Seitenteilen, Spanten, runden Stäben. Sie werden immer in derselben Reihenfolge zusammengesetzt. Vereinfacht gesagt: erst der Boden, dann die Seiten, zum Schluss das Deck. Das fertige Gerüst schieben wir in die rot-graue wasserdichte Haut – und nun sieht es auch langsam nach Boot aus. Die Jungen greifen sich die noch fehlenden Spanten. »Das geht nicht«, ruft Arthur und versucht eine der hinteren festzuklemmen, »das passt nicht!« Das Gerüst ist jetzt schon so stramm gespannt, dass man etwas Kraft braucht. Wir ruckeln und drücken, und schließlich sitzt die Spante an ihrem Platz.
Piet und Julius haben derweil die Luftschläuche entdeckt. Sie verlaufen innen an den Längsseiten des Bootes und machen es unsinkbar – wie ein Rettungsring. Julius und Piet pusten und pusten und kriegen einen roten Kopf. Dann verschließen wir die gefüllten Schläuche mit Stöpseln. Jetzt noch die Innenausstattung: Piet klemmt den Hintersitz, Arthur den Vordersitz am Bootsboden fest, Julius hängt die Rückenlehnen ein. Schließlich kommt die Steueranlage, mit der man das Faltboot lenkt. Ich befestige achtern (also hinten) das Ruder, Arthur und Piet verlegen von dort Drähte bis zu den Pedalen, mit denen gesteuert wird. Fertig!
© Dennis Williamson
Die Jungen holen noch die beiden Paddel, und eigentlich könnten wir jetzt los – allerdings liegt Pino noch immer auf der Wiese und nicht im Wasser. Auf einem kleinen Wagen rollen wir unser Faltboot die Bootsrampe hinunter. Auf den feuchten Bohlen rutscht der fünf Meter lange Pino in die Elbe. Damit er nicht wegtreibt, hält Piet ihn an einem Seil gut fest.
Wer darf nun zuerst fahren? Alle passen nämlich nicht gleichzeitig ins Boot. »Wir machen Schnick, schnack, schnuck«, sagt Arthur, und schon legen die drei los. Spielergebnis: Arthur und Julius machen die erste Fahrt. Sie ziehen Schuhe und Strümpfe aus, krempeln die Hosenbeine hoch und legen die Schwimmwesten an. Julius steigt als Erster ein, Arthur setzt sich vor ihn, ich steige hinten ins Boot. Und los geht’s.
Ähnlich wie wir muss sich der Architekturstudent Alfred Heurich bei seiner ersten Fahrt gefühlt haben. Vor über 100 Jahren hat er faltbare Kajaks wie Pino erfunden. In einem Museum hatte Heurich die Boote der Inuit, der Eskimos, gesehen: Gerippe aus Treibholz und Tierknochen, bezogen mit Seehundleder. Das brachte ihn auf die Idee, ein faltbares Boot zu bauen. Eines, das man auf- und abbauen kann. Für 30 Mark kaufte der junge Tüftler damals Leinenstoff und Bambusstäbe und baute daraus sein Faltboot namens Luftikus. Die erste Fahrt unternahm er auf der Isar. Für die 50 Kilometer von Bad Tölz bis München brauchte er knapp fünf Stunden.
© Dennis Williamson
So lange sind wir heute nicht unterwegs. Wir lassen uns eine Weile treiben und paddeln dann im großen Bogen auf ein Binnenschiff zu. Es macht kräftige Wellen, die uns auf und nieder schaukeln. Aber Pino liegt sicher im Wasser. »Das sind ja riesige Wellen«, sagt Julius. Arthur schweigt und paddelt energischer. Er drückt das Paddel aber zu nah am Boot tief unter Wasser, sodass wir leicht zur Seite kippen. »Pass auf!«, ruft Julius. Dann geht es zurück zur Bootsrampe. Denn hier steht ja noch Piet und wartet schon ungeduldig darauf, mit Arthur zu tauschen.
Nach jeder Fahrt diskutieren die Jungen an der Bootsrampe, wer mit wem zu tauschen hat. Am liebsten würden sie immer weiter und weiter fahren. Aber irgendwann ist Schluss. Heute bauen wir das Boot nicht mehr auseinander, sondern legen Pino zum Trocknen ins Bootshaus.
Wenn es auf Reisen geht, zum Beispiel auf den Rhein, um von Köln nach Rotterdam zu paddeln, dann packen wir Pino zurück in seine drei Taschen und nehmen ihn so mit in den Zug. Mit einem Faltboot kann man nämlich auch zu richtig großen und langen Abenteuerfahrten aufbrechen.