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Schreibwettbewerb: Julias Traum

 

© Sabine Wilharm
© Sabine Wilharm

Von Pauline-Elisa Hagen (9 Jahre)

Es sind Ferien, Sommerferien. „Sechs lange Wochen nur Langeweile“, stöhnte Julia ihrer Freundin Pia zu. „Also ich finde Sommerferien phantastisch“, schwärmte Pia und legte dabei ihr Kinn auf ihre abgestützten Hände. Julia antwortete wütend: „Ja, ihr fahrt ja auch in den Wawald.“ „Schwarzwald“, verbesserte Pia. „Da gibt es ein…“ „Schwimmbad und all so ’nen Luxuskram! Das hast Du mir schon tausendmal vorgeschwärmt“, warf Julia genervt ein und nahm dabei ihre Jacke von ihrem Haken, wo dick und fett ein Schild aufgeklebt ist, wo „Julia“ darauf steht. Jedes Kind aus der Klasse hatte einen Haken. Pia und Julia sahen sich rivalinnenartig an und gingen zusammen nach Hause. Auf dem ganzen Weg wechselten sie kein einziges Wort. Pia freute sich einfach nur auf den Schwarzwald und Julia war neidisch. Julias Eltern waren geschieden und sie lebte allein mit ihrer Mutter in einer kleinen Wohnung. Ihre Mutter konnte sich keinen Urlaub leisten. Sie arbeitete rund um die Uhr und Julia wäre immer allein, wenn sie die Zeit nicht mit Pia verbringen würde.
„Typisch für Julia. Nie kann sie mir was gönnen“, dachte Pia. Aber eigentlich war Julia nur traurig, dass sie die ganzen Ferien alleine sein musste. Endlich kamen sie an der Lisicky Straße 4 an. Dort wohnte Julia in einem kleinen Block. Genau da trennte sich der Weg der beiden Mädchen. Es war, als ob die beiden stumm waren. Keine von ihnen sagte einen Ton und so gab es heute keine fröhliche Verabschiedung.
Als Pia zu Hause ankam fuhr sie mit ihren Eltern, ihren zwei nervigen Brüdern und ihrer großen Schwester gleich los. Ihre Geschwister waren das Einzige, worum Julia sie nicht beneidete. Bei Julia verlief alles so wie immer. Sie kam nach Hause, machte sich Pfannkuchen und setzte sich an den Tisch, um sie zu essen. Heute hatte sie keinen großen Hunger und deshalb stand sie sogleich wieder auf, um ihr Zeugnis anzugucken. Doch das machte ihre Laune noch schlechter. Dieses Jahr war ihr Notendurchschnitt 3,1 und Pias 1,8. Die beiden Mädchen verglichen sich immer und letztes Mal war Julia besser als Pia. „Das liegt nur an Mathe“, sagte Julia zu sich selbst. Ihre nette Mathelehrerin ist weggezogen, die mochte Julia sehr gerne. Jetzt haben sie eine ganz blöde. „Eine Vier in Mathe! O-hau-a-ha!“ Das war unter Julias Niveau. „So ein Mist! Letztes Mal hatte ich eine Eins!“ Aber Julia wollte ab jetzt auch schöne Ferien haben und beschloss deshalb, jetzt ihr Zeugnis wieder wegzulegen. Dann guckte Julia ein ganz schön langes Stück Fernsehen. Plötzlich machte es „Ding, Dang“ und Julia drückte auf den Knopf auf der Fernbedienung, so dass der Fernseher ausging. Julia wusste, dass es ihre Mutter war. Eigentlich durfte sie ja kein Fernsehen, aber manchmal machte sie es trotzdem. Julias Mutter war sehr kaputt, denn es war schon spät. „Zähneputzen und ab ins Bett“, sagte sie. Julia gehorchte sofort, weil sie auch müde und geschafft war. Als sie im Bett lag, wünschte die Mutter ihr eine gute Nacht und knipste das Licht aus. Julia träumte in dieser Nacht etwas sehr, sehr Aufregendes: Julia hatte noch viele Freunde außer Pia. Da war zum Beispiel Hing-Schu, er war Japaner und hatte einen Koffer voller Verkleidungssachen. Julia träumte, dass sie sich mit Hing-Schu verabredete. Ihre anderen Freunde, Jan und Peter, kamen auch dazu. Nur Pia war ja im Schwarzwald. Sie spielten wunderbar Mensch ärgere dich nicht. Plötzlich rief Jan: „Lasst uns doch mit Hing-Shus Verkleidungssachen pielen!“ Die Idee fanden alle gut, außer Peter. Er mochte es nicht so gern, sich zu verkleiden, aber die anderen überredeten ihn schnell. Also verkleideten sie sich mit den wunderbaren Verkleidungssachen. Es war wirklich alles dabei: ein Ritterkostüm, ein angsterregendes Drachenkostüm, eine Piratenverkleidung mit Augenklappe, ein Indianerhäuptlings-Kopfschmuck, ja, wirklich auch ein wunderbares Detektivkostüm und alles was man sich noch vorstellen konnte. Julia träumte, dass sie sich als Indianerhäuptling verkleidete, Jan als wilder Pirat, Hing-Schu zog das fabelhafte Detektivkostüm an, aber Peter, die olle Spaßbremse, war so ein richtiger Verkleidungsmuffel. Nach vielem Hin und Her ließ Peter sich mit Faschingsschminke einen großen Mund von einem Ohr zum anderen malen und setzte eine lustige Lockenkopfperücke auf. Es war ein wunderbares Spiel. Sie spielten, dass der Koffer mit den Verkleidungen fliegen konnte. Also räumten sie Bücher und Kartenspiele hinein. Sie spielten in Julias Traum, dass sie eine kleine Reise mit dem fliegenden Koffer machten. Wie albern! Jeder weiß doch, dass Koffer nicht fliegen können! Sie quetschten sich alle in den Koffer. Doch plötzlich machte es „Didilidipp“, und der Koffer vergrößerte sich um das Doppelte. Die Freunde sahen sich erstaunt an. Selbst in Julias Traum hätte keiner von ihnen jemals gedacht, dass ein Koffer, wenn er zu klein ist, sich vergrößert. „Das ist ein magischer Koffer“, sagte Peter geheimnisvoll. „Ja, kann sein. Aber lasst uns jetzt weiterspielen, “ Hing-Schu glaubte eher nicht, dass es magische Koffer gibt, obwohl er es selber gesehen hatte. Da machte es ein zweites Mal „Didilidipp“, und der Koffer fing an zu schweben. Das Fenster öffnete sich von selbst und sie flogen mit dem Koffer ins Freie. Vor Hing-Schus Haus auf der Terrasse, stand ein leerer Blumentopf. Aus ihm heraus kam ein rot-gelber Strudel. Wie von einem Staubsauger wurden die Freunde mitsamt Koffer in den Strudel gesogen. Alles drehte sich und Peter rief: „Ah, was soll das?“ Es rauschte so laut, dass man Peter kaum verstehen konnte. Nach einer Weile kamen sie, wie aus dem Nichts, wieder aus dem Strudel heraus. Ein paar Sekunden noch erschien der Strudel, aber dann erlöschte er. „Was war das denn?“, fragte Peter ängstlich. Doch keiner der anderen hatte darauf eine Antwort. Hing-Schu, der in Erdkunde echt gut war, stellte fest: “ Wir sind am anderen Ende der Welt, in Afrika.“ Die vier Freunde sahen sich verblüfft an und Julia antwortete: “ Stimmt, Hing-Schu hat recht. Seht euch die ganze Armut an!“ Überall liefen schwarze Frauen mit ihren Kindern herum, auch Männer, mit riesigen Krügen, gefüllt mit Dreckwasser und überall war alles voll mit Müll. Alle waren von diesem Anblick sehr mitgenommen. Erst jetzt bemerkten sie das komische, schnurbärtige kleine Wesen, das mit ihnen die afrikanische Welt beobachtete. Jan fragte neugierig: „Wer bist du denn?“ „Mist, jetzt habe ich schon wieder vergessen, mich vorzustellen. Wo sind bloß meine Manieren geblieben?“, sagte das komische kleine Ding. „Ich bin Luigi, ein Krokomeslofelunder!“ „Was ist denn ein Krokomes-dingsda?“, stichelte Jan neugierig nach. ,,lofelunder! Das sind Tiere wie ich, wo man nicht genau weiß, was sie eigentlich sind. Aber jetzt zu den wirklich wichtigen Sachen. Ich habe euch hierher gerufen, weil ihr versuchen sollt, die Armut in diesem Land zu bekämpfen. Im Moment hat ein sehr gemeiner Mann die Macht. Vielleicht schafft ihr es, ihn zu besiegen. Der kleine Hund da, wird euch dabei helfen!“, sagte Luigi weise. Der kleine Hund, den er meinte, saß auf Peters Kopf. Jan wollte gerade noch etwas nachfragen, doch an dem Platz, wo der Krokomeslofelunder gesessen hatte, war es nun leer. Da tauchte wieder der Strudel auf und das gleiche Theater mit dem Herumwirbeln wiederholte sich. Als auch das geschafft war, standen sie vor einem riesigen Palast. Peter hielt den kleinen Hund fest im Arm. Vor dem Palast standen zwei Wachen. Die eine fragte: „Halt, wo wollt ihr denn hin?“ „Wir wollen zum König“, antwortete Hing-Schu mutig. „Folgt mir“, sagte die andere Wache. Er führte sie zum König. Der König fragte fies: „Was wollen denn die Zwerge hier?“ Die Wache sagte: „Das weiß ich nicht. Ich lasse Sie jetzt besser allein.“ Er ging mit diesen Worten wieder raus aus dem Palast und stellte sich wieder vor die Tür. „Na, was wollt ihr denn, ihr kleinen Zwerge?“, fragte der König ein zweites Mal mit seinem gemeinen Grinsen. „Ehem… Wir woll… wollten … „, stotterte Peter ängstlich. „Wir wollten fragen, ob sie nicht eine paar Spenden machen könnten, für Schulen und Essen für die Kinder in ihrem Land“, sagte Julia. „Spenden! Hab ich da richtig gehört? Spenden, pah! So ein Quatsch. Mein Land liebt es, wie ich regiere und … „, der König sagte es sehr angeberisch. Doch mitten im Satz unterbrach ihn Hing-Schu mutig: „Ihr Land ist nur noch ein Müllhaufen. Sehen sie nicht, wie viel Armut hier herrscht?“ „Pass auf, was du sagst. Sonst grill ich dich und deine Freunde noch dazu!“, polterte der König wütend.
„Aufstehen, Julia. Ich habe eine Überraschung für dich“, sagte Julias Mutter da liebevoll. „Mm, Mann, Mama, wieso hast du mich denn geweckt? Mein Traum war gerade so spannend“, murmelte Julia genervt. „Hey, was ist denn los? Was für eine Überraschung?“, sagte Julia nun doch etwas netter. „Mein Chef hat mich gerade angerufen, ich habe doch die ganzen Ferien frei bekommen“, sagte Julias Mutter lachend. „Wie cool! Dann habe ich auch noch schöne Ferien“, strahlte Julia.
Fröhlich frühstückten die beiden zusammen, als plötzlich das Telefon klingelte. „Hallo Pia“, rief Julia glücklich. „Wie geht es Dir? … Gut? … Oh, das freut mich! … Was, dein Bruder hat sich den Arm gebrochen? … Ihr kommt morgen schon zurück? … Das ist ja toll, dann können wir uns verabreden … Ja, grüß schön … Mach ich … Du auch … Tschüß“, telefonierte Julia aufgeregt. Sie erzählte danach alles ihrer Mutter: „Pias Bruder hat sich beim Baden den Arm gebrochen und sie fahren morgen schon zurück.“
Der schöne Tag verging sehr schnell und Pia kam wirklich am nächsten Tag zurück. Dass Julia nicht zu Ende träumen konnte, war für sie nicht so schlimm. Schließlich wusste sie so auch schon genau, wozu sie ihre Ferien nutzen wollte. Sie rief deshalb Hing-Schu an und
trommelte auch Peter und Jan dazu. Julia erzählte den Freunden von ihrem Traum und dass sie unbedingt etwas für die Kinder in Afrika tun wollte. Es sollte doch gelacht sein, wenn den
fünf Freunden nicht noch eine tolle Idee einfallen würde, was man gegen die Armut in Afrika tun könnte…