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Kopftuchtage

 

© Sehnaz Seker
© Sehnaz Seker

Viele muslimische Kinder gehen nicht nur während der Woche zur Schule: Am Wochenende haben sie Koranunterricht. Was lernt man da, fragte die KinderZEIT in einer Moschee in Hamburg

Von Özlem Topcu
In zwei Tagen in der Woche trägt Cennet ein Kopftuch, wenn sie zum Unterricht geht. Doch die Kopftuchtage sind keine normalen Schultage. Und Cennet besucht dann auch keine normale Schule: Am Wochenende nimmt die Achtjährige mit etwa 20 anderen Mädchen im gleichen Alter am Koranunterricht in der türkischen Centrumsmoschee in Hamburg teil.Auf den ersten Blick sieht in dem Klassenzimmer dort alles aus wie in jeder Grundschule – nur dass sie sich eben im dritten Stock einer Moschee befindet. Möbliert ist der Raum mit Holztischen, Stühlen, einer Tafel, zwei Regalen mit Büchern. Die Wände sind gelb-orange gestrichen. An einer Wand hängen Blumen aus Papier, die die Mädchen in Cennets Kurs gebastelt haben.
Auf den zweiten Blick ist vieles ganz anders als in einer normalen Schule. Beispielsweise stammen fast alle Schülerinnen und Schüler aus türkischen Familien; Mädchen und Jungen gehen in getrennte Klassen. Wenn sie die Moschee betreten, tragen alle Mädchen bunte Kopftücher und die meisten Jungs ein gehäkeltes Käppchen. Ihre Eltern schicken die Kinder hierher, weil sie möchten, dass sie etwas über ihre Religion lernen, den Islam. Allerdings tun das durchaus nicht alle türkischen Eltern.
Die Kinder haben ein dickes Buch zum Unterricht mitgebracht, den Koran. Das ist die heilige Schrift des Islams, man kann sagen: die Bibel der Muslime. »Jeder Muslim muss lernen, den Koran zu lesen«, sagt Rümeysa (8), während sie ihren eigenen Koran, ein Heft und eine Federtasche aus ihrem rosafarbenen Diddl-Rucksack herausholt. »Aber dafür muss man erst einmal die arabischen Buchstaben lernen.« Und das ist gar nicht so einfach.
Sonntag, kurz vor zehn Uhr: Immer mehr Mädchen aus dem »Vorbereitungskurs 1« trudeln ein. Sobald alle da sind, beginnt die Lehrerin Süheda Polat mit dem Unterricht, in deutscher und türkischer Sprache. Zunächst möchte Frau Polat von den Kindern etwas wissen: »Wer kann sich an das kurze Gebet erinnern, das wir vergangene Woche gelernt haben?«, fragt sie die Klasse. »Das eine, das man beim Haarebürsten vor dem Spiegel aufsagen kann?« Alle überlegen angestrengt. Plötzlich geht die Tür auf. Ein kleines Mädchen mit Sommersprossen, dafür ohne Kopftuch, betritt die Klasse. »Kommst du auch schon!«, sagt Frau Polat lächelnd und fragt: »Wo ist denn dein Kopftuch?« Das Mädchen hebt frech die Schultern. Sie hat heute keine Lust auf ihr Kopftuch. Und auf den Unterricht wohl auch nicht so sehr. Das macht sie deutlich, indem sie unter den Tisch krabbelt, ihrer Tischnachbarin den Radiergummi wegnimmt und ganz viel kichert. Aber Frau Polat ist nicht böse mit ihr. »Sie muss das Kopftuch schon freiwillig tragen. Wenn ich sie zwinge, kommt sie nicht wieder«, sagt sie.
Gekichert wird überhaupt viel. Das ist dann wieder wie in einer normalen Klasse. Mittlerweile kann sich ein Mädchen an das Gebet von vergangener Woche erinnern und darf es aufsagen. Das gibt gleich ein dickes Lob von Frau Polat!
Dann geht es aber ans Eingemachte. Rümeysa fängt als Erste an, einen Abschnitt aus dem Koran zu lesen. Alle werden plötzlich ganz still, sogar der freche Klassenclown. Jedes Mädchen ist unterschiedlich weit in den Suren – so heißen die einzelnen Textabschnitte auf Arabisch. Einige haben noch Mühe, andere, wie Rümeysa, sind schon fast bis zur Mitte des Buches gekommen. »Ein Jahr hat es gedauert, bis ich die arabischen Buchstaben konnte«, erzählt sie. Die sehen nämlich ganz anders aus und klingen auch ganz anders als die meisten Sprachen, die man so kennt, Türkisch, Deutsch oder Englisch zum Beispiel. Aber arabische Buchstaben sind nicht das Einzige, was man können muss. »Auch auf die Betonung kommt es an«, sagt Frau Polat. Und die ist oft noch etwas holprig. Viel erstaunlicher ist aber: Die Schülerinnen verstehen das, was sie lesen sollen, gar nicht. Sie kennen die Bedeutung der Wörter nicht. Das ist doch komisch – oder? »Auf den ersten Blick ja. Aber wir erklären den Kindern jeden Abschnitt so genau wie möglich, bis sie es vielleicht irgendwann selbst verstehen«, sagt die Lehrerin, die selbst viele Suren auswendig kann. »Auswendiglernen ist im Islam ein Wert an sich«, erklärt sie. Damit sammelten Muslime Pluspunkte bei ihrem Gott, bei Allah. Zum Glück gibt es auch eine deutsche Koranübersetzung.
Die Stunde ist fast vorbei, das nächste Fach auf dem Stundenplan heißt »Die Geschichte der Propheten«. Darin geht es um das Leben von Mohammed, dem Propheten des Islams, der als Abgesandter Gottes auf der Erde gesehen wird. Aber auch alle anderen wichtigen Propheten wie Jesus, Moses, Abraham oder Noah werden im Unterricht behandelt. Rümeysa mag am liebsten die Abenteuergeschichten: »Das ist so spannend! Mohammed war schlau und hat seine Feinde oft überlistet.« Er sei aber auch gütig gewesen: »Mohammed hat nie ›Nein‹ zu den Menschen gesagt und immer Gutes getan.«
Ganz schön anstrengend, diese viele Arbeit am Sonntagmorgen! Ist es nicht lästig, lernen zu müssen, wenn man eigentlich freihat und spielen könnte? Viele der Mädchen scheinen den Unterricht eher als eine Art Hobby zu betrachten. »Der Kurs geht bis halb zwei, danach ist ja noch genug Zeit zum Spielen«, sagt Cennet. »Doof finde ich es, wenn mein Schwimmunterricht auf das Wochenende fällt und ich nicht zum Kurs kann.« Aber das Kopftuch – das ist doch sicher lästig? Cennet: »Eigentlich nicht. Nur manchmal, wenn ich es schon auf dem Weg in die Moschee aufsetze, gucken die Leute immer so. Dann erst komme ich mir blöd vor.«