Die deutsche Meisterschaft im Wellenreiten beginnt an diesem Wochenende vor der französischen Atlantikküste. Die KinderZEIT hat zwei junge Teilnehmer beim Training vor Sylt begleitet
Von Katrin Hörnlein
Lucas erinnert sich gut an die Tage im März, als er sich wie ein Außerirdischer fühlte: ein Außerirdischer in Ecuador. Aus 28 Ländern waren junge Sportler dorthin gereist, um sich mit ihren Surfbrettern in den Pazifik vor der südamerikanischen Küste zu stürzen – bei der Weltmeisterschaft der Junioren im Wellenreiten. Aus Hawaii, Australien, Neuseeland, Frankreich oder Südafrika kamen die Surfer. Und aus Deutschland. „Wo könnt ihr denn surfen?“, schienen viele Blicke den Außerirdischen zu fragen – zu Recht. Denn Deutschland hat nur wenige Orte, wo man ordentliche Wellen findet.Trotzdem gibt es eine deutsche Mannschaft junger Wellenreiter, die zu Europa- und Weltmeisterschaften reist. Viele Jugendliche aus dem Team leben mit ihren Familien im Ausland, zum Beispiel in Spanien oder Portugal. Dort kann man gut surfen. Lucas ist einer der wenigen in der Mannschaft, die in Deutschland wohnen – auf der Insel Sylt.
Der 15-Jährige kann nur trainieren, wenn der Wind richtig steht. Auch an dem warmen Vormittag im August, an dem ich Lucas besuche, schwappt die Nordsee behäbig auf den Strand. Ein paar Kinder hüpfen quiekend über die weiße Gischt. Lucas kann darüber nur müde lächeln. Keine Spur von hohen Wellen, über die er gleiten könnte.
Mit sieben Jahren stand Lucas zum ersten Mal auf einem Surfbrett, seit etwa drei Jahren trainiert er intensiv. Neben ihm im Sand sitzt die 14-jährige Rachel. Vor zwei Jahren ist sie durch einen Wochenendkurs aufs Brett gekommen, im Frühjahr fuhr sie in Holland ihren ersten Wettkampf. Was Lucas schon erreicht hat, will Rachel in diesem Herbst schaffen: ins Juniorenteam des Deutschen Wellenreitverbands aufgenommen zu werden. „Jeder will in den Kader“, sagt sie. „Es ist toll, in andere Länder zu reisen und neue Strände zu sehen!“
Das wird sie am kommenden Wochenende. Ab Samstag finden die deutschen Meisterschaften an der französischen Atlantikküste statt. Wer hier gut fährt, hat alle Chancen, ins Team zu kommen. Zwölf junge Wellenreiter werden gesucht, die im nächsten Jahr bei den internationalen Wettkämpfen für Deutschland surfen.
Dafür müssen sie nicht nur gut mit dem Brett zurechtkommen, sondern auch gut in der Schule sein. Denn für die Wettkämpfe bekommen die Teammitglieder schulfrei. Als Lucas im März zur Weltmeisterschaft reiste, musste er vorlernen. „Zwei Wochen durfte ich jeden Nachmittag länger in der Schule bleiben“, sagt er: „Das war ganz schön blöd!“
Dabei ist schon das Trainieren eine komplizierte Sache. Das Meer bestimmt, wann Lucas und Rachel üben können. „Es ist nicht, wie auf den Tennisplatz zu gehen, der immer da ist“, sagt Rachel. „Wir müssen auf Wellen warten.“ Und die Surfsaison auf Sylt ist kurz. Das Wasser wird zwischen Oktober und März so kalt, dass man extrawarme Schutzkleidung braucht.
Junge Wellenreiter trainieren eigenständig. Regelmäßig schreiben Rachel und Lucas dem Trainer der Juniorenmannschaft, Arnd Wiener, wie viel sie surfen, auf welchen Brettern und was sie sonst für Sport treiben. Wiener wohnt in Berlin und hält über E-Mails Kontakt zum Kader. „Arnd möchte, dass wir fit sind“, sagt Rachel. „Wer ins Team will, soll nicht faul vorm Computer hängen.“
„Wellenreiten ist wahnsinnig anstrengend und schwierig“, sagt Gabi Twelkemeier, die das deutsche Juniorenteam zusammen mit Arnd Wiener betreut. Auf seinem Brett liegend, muss man erst gegen die Wellen anpaddeln. Dann gilt es, das Wasser genau zu beobachten. Baut sich eine Welle auf, muss man wieder paddeln (dieses Mal mit der Welle) und genau im richtigen Moment aufspringen, um dann, auf dem Brett stehend, auf der Welle zu surfen. „Man braucht viel Balance und das richtige Timing“, sagt Twelkemeier. Und es kann auch gefährlich sein. Es gibt Strömungen, die einen weit aufs Meer ziehen, außerdem Steine und Felsen im Wasser. Und wer ohne Erfahrung mit einem Brett gegen die Wellen anpaddelt, dem klatscht das Wasser schnell schmerzhaft ins Gesicht. Anfänger sollten deshalb niemals allein surfen gehen.
Auch Lucas und Rachel haben Respekt vor dem Meer, obwohl sie zu den guten Surfern zählen. „In Ecuador gab es Wellen, die waren dreieinhalb Meter hoch“, sagt Lucas. „Wenn es einen da falsch erwischt, hat man plötzlich das Brett überm Kopf und ist selbst unter Wasser.“ – „Wenn dunkle Wolken am Himmel hängen und man sitzt auf dem Meer auf seinem Brett, da sind auch kleine Wellen bedrohlich“, sagt Rachel. Richtig Angst hat oft ihre Mutter, wenn sie vom Strand aus zuschaut.
Anstrengend, bedrohlich, gefährlich – was zieht Lucas und Rachel immer wieder auf die Bretter? Lucas sagt: „Es ist ein Kribbeln im Bauch: Wie schnell werde ich? Wie steil wird die Welle? Erwische ich sie richtig?“ Für beide ist der Spaß das Wichtigste. Sie wollen keine Profis werden, auch wenn sie an Wettkämpfen teilnehmen. „Mit Surfern aus Hawaii oder Australien können wir uns nicht messen“, sagt Lucas. „Die surfen da jeden Tag und sind unfassbar gut!“
Deshalb denken Rachel und Lucas nicht so sehr an Titel, sondern an Orte, an denen sie gern ins Wasser wollen. Lucas möchte einmal in Mundaka in Spanien surfen. Die Wellen dort gehören zu den größten und längsten in Europa. „Wie Autobahnfahren mit Surfbrett“, sagt er. Rachel träumt von Kalifornien: „Da, wo so viele verschiedene Leute ins Wasser gehen und Hunderte auf einer Welle reiten.“ Dann schaut sie auf das Meer vor dem Sylter Strand, grinst und sagt: „Aber im Vergleich zu unseren Wellen hier find ich auch Holland super!“