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Asiatische Weihnacht

 

Fotos: Joanna Nottebrock
Fotos: Joanna Nottebrock

Im Bikini am Strand sitzen statt mit Mütze unterm Baum: ZEIT-Redakteurin Angela Köckritz feierte ihr schönstes Weihnachtsfest in Taiwan – mit zerbröselten Keksen und Märchen erzählenden Ureinwohnern

Was für ein Advent! Jeden Morgen, wenn ich aufwachte und mir ein Sommerkleid überzog, musste ich daran denken, dass meine Freunde in Deutschland sich jetzt wohl in dicken Winterpullis vergruben. Am Wochenende gingen sie Snowboardfahren, während ich stundenlang im Meer badete.
Vor acht Jahren lebte ich eine Zeit lang in Taiwan, um Chinesisch zu studieren. Taiwan ist eine kleine Insel südöstlich von China mit hohen Bergen und vielen Palmen. Meist ist es warm, richtige Jahreszeiten gibt es hier nicht. Viel eigenartiger aber fand ich, dass alle Feste, die uns in Deutschland wichtig sind, wie Weihnachten, Geburtstage, Silvester oder Ostern, hier kaum gefeiert werden. Das liegt daran, dass die meisten Taiwanesen Buddhisten oder Taoisten sind. Sie haben andere Feste, etwa das Chinesische Neujahr (das immer im Januar oder Februar begangen wird) und das Mondfest.
So saß ich im Dezember in der heißen Sonne und wollte gar nicht in Weihnachtsstimmung kommen. Meine Mama hatte mir selbst gebackene Plätzchen geschickt. Das Porto war so teuer, dass ich mir von dem Geld einen ganzen Sack voller Kekse hätte kaufen können. Und als sie ankamen, waren die Plätzchen, hundertmal geschüttelt, zu Krümeln zerbröselt. Immerhin erging es mir besser als einer Freundin, der ihre Familie Weihnachtsschokolade geschickt hatte. Als die ankam, war sie halb weggegessen. Offensichtlich hatte jemand von der Post Hunger gehabt.
Zu Weihnachten wollten wir etwas Besonderes machen. Wir, das war eine Gruppe von Taiwanesen und Ausländern aus aller Welt. Die meisten Taiwanesen sind chinesischstämmig, doch gibt es auf der Insel auch zwölf Ureinwohnerstämme. Die Ureinwohner sehen ganz anders aus als die chinesischstämmigen Taiwanesen. Sie sind kräftiger und haben dunklere Haut. Viele dieser Ureinwohner wohnen heute in den Städten, einige leben aber auch noch sehr traditionell in den Bergen. Dorthin, zum Stamm der Lukai, wollte uns unser Freund Suhar zu Weihnachten mitnehmen.
Suhar stammt ebenfalls von den Ureinwohnern Taiwans ab, die oft christlich sind und deshalb auch Weihnachten kennen. Mit Suhar wanderten wir einen grünen Berg hinauf, mussten immer wieder über Wasserfälle klettern, bis wir ein kleines Dorf erreichten. Es war wunderschön: Überall hatten die Dorfbewohner Blumen gepflanzt, Schmetterlinge flogen umher, Bächlein kreuzten die Pfade. Die Häuser selbst sahen höchst ungewöhnlich aus: Sie waren aus Abertausenden kleinen grauen Schiefersteinen zusammengesetzt, selbst die Hunde lebten in solchen Hütten. Glasfenster gab es keine. Man erzählte uns, dass man früher trotzdem nicht einfach seinen Kopf aus dem Fenster strecken konnte. Die Lukai lieferten sich nämlich bis vor etwa 90 Jahren blutige Kämpfe mit verfeindeten Stämmen. Damals wartete durchaus mal ein Feind vor dem Fenster, um einem Lukai den Kopf abzuschlagen, wenn er herausschaute. Zum Glück waren diese Zeiten bei unserem Besuch lange vorbei!
Die Lukai, die wir hier trafen, waren in die Berge gezogen, weil sie genug vom modernen Leben hatten. Früher hatten sie auch mal in Städten gewohnt, Autos und Computer besessen. Taiwan ist eine sehr moderne Insel, doch die Lukai hatten irgendwann keine Lust mehr auf Moderne. Sie wollten wieder leben wie ihre Vorfahren: gingen auf die Jagd, pflanzten Gemüse und Obst an. Wenn sie Verwandte oder Freunde besuchen wollten, nahmen sie nicht den Zug, sondern wanderten, manchmal drei ganze Wochen lang.
Unser Gastgeber an Weihnachten war der Schriftsteller der Lukai. Er sammelte all ihre Geschichten. Am Weihnachtsabend kochte er uns Huhn in Reiswein und erzählte die Sagen seines Volkes. Etwa die von dem Mann, der sich in den Mond verliebte. Wir saßen im Schein des Feuers (Strom gab es nicht) und sangen Stille Nacht, heilige Nacht in sieben Sprachen, ein jeder von uns in seiner Muttersprache. Als ich am nächsten Morgen aufwachte und die Sonne über den grünen Bergen aufgehen sah, spürte ich, wie Glück in mir aufstieg. Es war das schönste Weihnachtsfest, das ich je erlebt hatte!
Zurück in der Stadt, erzählte mir ein taiwanesischer Freund, dass er Weihnachten in die Kirche gegangen war. »Aber du bist doch gar kein Christ«, sagte ich. Er schmunzelte: »Es kann nie schaden, sich mit jedem Gott gut zu stellen.« Dieser Freund war Taoist. Und im Taoismus gibt es einen Gott für jede Angelegenheit. Einen, der für die Liebe zuständig ist, ein anderer sorgt für Erfolg bei Prüfungen oder für Geld. Der christliche Gott war in den Augen meines Freundes wohl ein weiterer in der langen Reihe nützlicher Gottheiten.

Weihnachtsdekoration in China   Foto: Feng Li/Getty Images
Weihnachtsdekoration in China Foto: Feng Li/Getty Images

Später, bei anderen Reisen in asiatische Länder, stellte ich fest, dass Weihnachten auch dort eine große Sache sein kann. Manchmal, weil die Menschen Christen sind. Oft aber, weil sie es für neu, modern und aufregend halten – oder weil man damit Geld verdienen kann. In einem Kaufhaus in Singapur etwa schneit es Seifenschnee. Und als ich einmal nach Vietnam kam, hatten die Menschen in einem Park eine riesige Weihnachtslandschaft aufgebaut. Es gab einen gigantischen Christbaum, kleine Kutschen und unzählige Weihnachtsmänner, vor denen sich Kinder fotografieren ließen. Es war heiß und schwül, daher kam es mir umso merkwürdiger vor, als ich auch noch Rentiere entdeckte: Irgendwer hatte die Hecken fein säuberlich in Rentierform geschnitten und mit roten Lichtern umkränzt. Ein Motor im Inneren bewegte die Zweige, sodass die Rentiere mit den Köpfen nickten, während dazu Weihnachtsmusik erklang.