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Pleite – und dann?

 

Illustration: Judith Drews

Einem einzelnen Menschen kann schon mal das Geld ausgehen. Aber was geschieht eigentlich, wenn ein ganzer Staat in Not gerät – so wie gerade Griechenland?

Von Uwe Jean Heuser

In den Nachrichten ist jetzt oft von Griechenland die Rede, und es geht dabei nicht um Urlaub auf schönen Inseln. Auch nicht um olympische Götter, wie Ihr sie vielleicht aus dem Geschichtsunterricht kennt. Es geht um Geld und um die Frage, ob Griechenland zu viel davon ausgegeben hat. Ob die Griechen sich mehr Geld von anderen geliehen haben, als sie jemals zurückzahlen können. Es geht, kurz gesagt, darum, ob Griechenland pleite ist. Aber können Länder überhaupt pleitegehen? Und wenn ja: Was geschieht dann?
Dazu eine kleine Geschichte, die nicht heute in Griechenland spielt, sondern vor mehr als hundert Jahren in Übersee. Damals eroberten die Deutschen einige Kolonien in Afrika und Asien. In einem Inseldorf machten sie eine seltsame Erfahrung: Die Eroberer trafen auf die Einwohner und wollten diese Menschen dazu bringen, für sie zu arbeiten. Doch anders als in anderen Fällen weigerten sich die stolzen Einwohner beharrlich. Drohungen halfen ebenso wenig wie Prügel. (Heute ist man übrigens nicht mehr der Meinung, dass man fremde Völker einfach zu etwas zwingen darf. Aber vor mehr als hundert Jahren dachten noch viele Menschen so.)
Schließlich kam ein neuer Befehlshaber aus Deutschland. Er schaute sich die Gewohnheiten der Ureinwohner genauer an. Bei jedem Haus lag mindestens ein riesiger Stein. »Verkaufte« eine Familie einer anderen etwas, wurde dort im Stein etwas eingeritzt. Genau verstand der Befehlshaber nicht, was da geschah, aber er ließ alle für die Inselbewohner so wichtigen Steine entfernen – was die Menschen so verunsicherte, dass sie beinahe sofort anfingen, für die Deutschen zu arbeiten.
Warum nur? Aus Sicht der Eroberer ging es um wertlose Steine. Doch tatsächlich hatten die Menschen ihr »Geld« verloren. In der engen Gemeinschaft waren die Steine so gut wie Münzen und Scheine, wenn man etwas kaufen wollte. Als die Steine abtransportiert wurden, war die Aufregung groß. Die ganze kleine Gesellschaft brach zusammen, weil ihr Geldsystem nicht mehr funktionierte. Das Vermögen war weg.
Geht bei uns ein Unternehmen pleite, weil es zum Beispiel die Teile nicht mehr bezahlen kann, aus denen seine Mitarbeiter Möbel oder Handys zusammenbauen, oder weil die Banken ihm kein Geld mehr leihen, dann erklärt der Eigentümer seinen Bankrott. (Das ist ein anderes Wort für Pleite.) Dazu zwingt ihn das Gesetz. Oft wird das Unternehmen geschlossen, Mitarbeiter verlieren ihre Arbeit, Eigentümer ihr Geld, alles wird verkauft, und die Firma gibt es nicht länger.
Auf diese Weise kann ein Land nicht pleitegehen. Es ist ja weiter da, mit seinen Häusern, Straßen, Schulen und Bewohnern. Weder hört die Regierung auf zu arbeiten, noch müssen die Menschen ihr Land verlassen. Und doch erlebt es seine Pleite, wenn es anderen Ländern gegenüber seine Schulden nicht mehr begleichen kann. Dann werden viele Bürger ärmer, und oft erleidet das ganze Land einen Zusammenbruch des Wohlstands und des Selbstvertrauens – so ähnlich wie damals die Inselbewohner in Übersee.
Tatsächlich waren sogar ziemlich viele Länder in diesem Sinne schon einmal pleite. Meistens geschah das, nachdem sie sich hoch verschuldet hatten, um einen Krieg zu führen – und diesen dann verloren. Die Briten erlebten ihren ersten Bankrott schon vor mehr als 650 Jahren, nachdem sie mit einem Feldzug gegen Frankreich scheiterten. Sie schuldeten Italien enorm viel Geld und konnten es nicht zurückzahlen. Das kriegerische Spanien ging sogar mehr als zehnmal Bankrott.
Wenn heute von drohenden Staatspleiten die Rede ist, dann deswegen, weil sich viele Länder verschuldet haben, um gegen die große Wirtschafts- und Finanzkrise zu kämpfen, in der schon so mancher seine Ersparnisse oder seine Arbeit verloren hat. Nun ist Griechenland in Schwierigkeiten. Der griechische Staat hat sich bei seinen eigenen Bürgern und auch im Ausland viel Geld geliehen. Ein Teil dieser Schulden muss dieses Jahr zurückgezahlt werden, und um das tun zu können, muss sich Griechenland irgendwo wieder neues Geld leihen. Weil aber die Welt die griechischen Probleme kennt, ist niemand besonders begeistert davon, den Griechen noch mehr Geld zu geben: Man kann ja nicht wissen, ob man es wiederbekommt. Die Geldgeber aus anderen Ländern verlangen jetzt sehr hohe Zinsen von Griechenland – viel höhere »Leihgebühren« als zum Beispiel von Deutschland. Wenn die Griechen aber künftig noch höhere Zinsen bezahlen müssen als heute, wird ihre Geldnot immer schlimmer.
Früher hätte ein Land vielleicht einfach neues Geld gedruckt, um sein Problem zu lösen. Das wäre zwar keine gute Idee gewesen, weil alle Sachen – Lebensmittel, Benzin, auch Spielzeug – irgendwann wahnsinnig teuer werden, wenn es zwar reichlich Geldscheine gibt, aber nur wenig Waren. Doch kurzfristig hätte es vielleicht geholfen. Griechenland hat aber gar kein eigenes Geld, keine eigene Währung mehr. Es ist, wie Deutschland, eines der Länder, die sich den Euro teilen. Die Griechen können nicht einfach mit Geldscheinen um sich werfen, weil die anderen Länder nicht wollen, dass auch bei ihnen alles teurer wird.
Selbst helfen können sich die Griechen vor allem, indem sie kräftig sparen und die Steuern erhöhen (das Geld, das jeder Bürger dem Staat abgeben muss). Reicht das nicht, um die Banken und Bürger zu überzeugen, dem griechischen Staat erneut Geld zu leihen, dann ist Griechenland auf die Hilfe anderer Länder angewiesen. Doch die knüpfen ihre Hilfe an harte Bedingungen.
Man sieht am Beispiel Griechenland: Ob ein Land heute in die Pleite rutscht, hat viel mit Vertrauen in dieses Land zu tun. Kommt es wirklich so weit, dass ein Staat nicht mehr bezahlen kann, ist das eine schlimme Sache. Das ganze Land gerät dann in einen schlechten Ruf bei Geldgebern und Investoren in aller Welt. Man leiht ihm nichts mehr. Und den Menschen dort geht es schlechter. Deshalb ist Sparsamkeit, auch wenn sie erst einmal wehtut, jetzt das Beste für Griechenland.