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KinderZEIT Lesesommer 2010: Ich, Gorilla und der Affenstern – Teil 6

 

Ich, Gorilla und der Affenstern - Teil 5

Von Frida Nilsson

Jonna genießt das Leben bei ihrer Adoptivmutter Gorilla: Zusammen mit der Affendame lebt sie auf deren Schrottplatz, kämmt sich nicht mehr, lässt das Zähneputzen ausfallen und übt stattdessen Rad fahren. Dann steht eines Morgens nicht nur ein wunderbarer alter Campingwagen vor dem Hof, das Kind lernt auch noch Auto fahren…

Im Oktober musste ich einen Schal und Handschuhe anziehen, wenn ich über den Hof kurven wollte. Gorilla hatte aus altem Schrott einen Hindernisparcours gebaut. An einer liegenden Spülmaschine lehnte ein Brett, auf dem man hochfahren konnte, dann kam ein zweites Brett, das wieder nach unten führte. Danach musste man sich in einer engen Acht um zwei große Fässer herumschlängeln und um sieben Besenstiele, die im Matsch steckten, Slalom fahren. Das Schwierigste war ein einzelnes Brett, das über einem Holzbock lag. Erst musste man darauf hochfahren, dann kippte das Brett wie eine Wippe, und man rollte wieder nach unten. Eigentlich bestand Gorilla darauf, immer danebenzustehen und aufzupassen, wenn ich über das Wippbrett fuhr, aber an diesem Morgen war ich schon dreimal rauf und runter gefahren, als Gorilla aus dem Haus kam.

Ihr Kleid war noch ganz schlafknittrig, und ihre Leggins hatten sich bis über die Knie hochgerollt. Sie knurrte wie ein echter Löwe, als sie sich streckte. »Was für ein herrlicher Morgen!«, sagte sie und kratzte sich den Bauch. »Eine Luft, so klar wie Kloßbrühe.« Ich machte eine Schlitterbremsung vor ihren Füßen und drückte auf die Fahrradhupe. Tuut! »Schau mal, was wir bekommen haben«, sagte ich mit rauchendem Atem und roten Wangen. Auf den Grasbüscheln im Hinterhof lag Raureif. Gorilla drehte sich um. Vor dem Zaun stand ein bulliger grauweißer Campinganhänger, der nur noch ein Rad hatte. »Verflixt und zugenäht!«, schimpfte sie. »Dieses Ungetüm blockiert uns die ganze Einfahrt. Irgendjemand muss ihn heute Nacht da abgestellt haben.« – »Klasse, oder?«, sagte ich. »Können wir ihn behalten?« Gorilla rümpfte die Nase. »Neee!« – »Doch!« Ich stürzte mich von meinem Fahrrad und warf mich mit gefalteten Händen an ihren Bauch. »Biitteeeee! Komm, wir gehen hin und schauen ihn uns mal an, ja?« – »Ja, ja«, sagte Gorilla und versuchte, streng zu klingen. Aber lächeln musste sie doch.

Der Anhänger war ziemlich heruntergekommen. Aber im Innenraum waren orangefarbene Sitzbänke und eine kleine Küche mit Gasherd eingebaut. »Weißt du, was wir im Sommer hier drin haben könnten?«, fragte ich und zog eine kleine blaue Rollgardine im Heck hoch. »Ein Antiquariat! Man könnte das Heckfenster öffnen und die Bücher einfach rausreichen.« Gorilla kratzte sich am Kinn, und ihr Blick wurde träumerisch. »Das wäre was. Was anderes als der alte Schrott… Stell dir vor, was…?« Aber dann schüttelte sie den Kopf. »Nee. Jetzt müssen wir ihn erst mal aus der Einfahrt wegschaffen. Ich muss das Auto herholen.« Sie zwängte sich durch den schmalen Spalt, den das Tor sich noch öffnen ließ. »Bin gleich wieder da.«

Oh, wie sehr ich hoffte, dass niemand den Campingwagen kaufen wollte. Man konnte die Sitze zu Schlafplätzen ausklappen, und in einem Schrank standen sogar Becher und Teller aus rostfreiem Stahl. Ich hakte die Heckscheibe ein und schaute hinaus. »Gorillas und Jonnas Antiquariat«. Oder vielleicht »Gorillas und Jonnas Bücherkiosk«. Wir könnten damit in die Stadt fahren. Ihn mitten auf dem Marktplatz abstellen und dort übernachten. Morgens aufwachen und das Fenster aufklappen, vor dem sich schon die Leute drängelten, um Bücher zu kaufen.

Es dauerte nicht lange, da kam Gorilla um die Ecke geschleudert. Es bereitete ihr einige Schwierigkeiten, das Auto so zu rangieren, dass die Anhängerkupplung genau da landete, wo sie hinsollte. Gorilla gab Gas und bremste, der Volvo schaukelte vor und zurück, wie ein Schiff in Seenot, und der Motor jaulte verzweifelt auf. »Stehe ich so richtig?«, rief sie durch die heruntergekurbelte Scheibe. »Du musst nach rechts!« – »Was?« – »Du muss nach reeeeeechts!« Gorilla hob die Hand hoch. »Okay!« Einige Anstrengungen später stand der Volvo an Ort und Stelle. Gorilla schälte sich aus dem Vordersitz und hängte den Campingwagen an. »Das wär’s«, sagte sie und stemmte beide Fäuste energisch in die Seiten. »Dann fahren wir ihn mal rein.«

Wir stiegen in den Volvo, und Gorilla gab Gas. Wruuumm! Das Auto rührte sich nicht. »Was zum Kuckuck ist denn jetzt los?« Sie versuchte es noch einmal. Der Motor röhrte wie zwölf Sägewerke. »Irgendetwas stimmt da nicht«, schmollte sie. »Hrm.« Ich räusperte mich. »Immerhin fehlt ein Rad.« Gorilla machte den Motor aus, öffnete die Tür und schaute nach hinten zum Campingwagen. »Na, so was! Das hatte ich ganz vergessen.« Sie legte einen Finger ans Kinn und fing an, sich gedankenverloren zu kratzen. »So machen wir es«, erklärte sie nach einer Weile. »Ich gehe raus und schiebe, während du lenkst, was das Zeug hält.« Ich starrte sie an. »Ich soll was?«, rief ich. »Selbst lenken?« Tatsächlich hatte ich schon ein paarmal über das nachgedacht, was sie mich am allerersten Tag auf der Treppe des Rainfarn gefragt hatte. Ob ich fahren lernen wolle. Damals hatte ich gedacht, sie wäre wohl nicht ganz richtig im Kopf, aber jetzt kribbelte es vor Aufregung in meinem Magen.

Gorilla dachte noch ein Weilchen nach. »Ich sehe keine andere Lösung«, sagte sie. »Ich werde versuchen, die reifenlose Seite anzuheben und mit der Hüfte zu schieben. Ruf mich, wenn du irgendwo landest, wo wir nicht hinwollen.« Mit diesen Worten marschierte sie auf die Rückseite des Campingwagens. Ich rutschte rüber auf den Fahrersitz und setzte mich zurecht. Dann überlegte ich es mir anders und kniete mich stattdessen hin, sonst hätte ich nichts sehen können. Ich umfasste das große schwarze Lenkrad. »Fertig?«, rief Gorilla. »Ja!«, schrie ich zurück, und meine Mundwinkel schoben sich ganz weit die Wangen hoch. »Ja! Schieb los!« – »Hgn!!!«, tönte es aus Gorillas Richtung. »Arrgh-hrrr!« Sie brüllte und stöhnte. Langsam rollte das Auto vorwärts. Langsam, ganz langsam glitten wir durch den Matsch. »Das ist super!«, schrie ich. »Noch ein bisschen weiter!« – »Lenkst du?«, ächzte Gorilla. »Na klar!« Ich drehte das Lenkrad ein Stückchen nach rechts, um nicht im Zaun zu landen. »Noch ein bisschen!«, rief ich. Als Volvo und Campingwagen endlich an ihrem Platz waren, schrie ich »Stopp!« und sprang aus dem Auto. Ich rannte zur Rückseite des Gespanns. Dort saß Gorilla wie ein Wrack auf dem Boden und ließ die Zunge hängen. Ihr Blick war erschöpft und ihr Fell nass geschwitzt. »Oh, oh, oh«, keuchte sie. »Das mache ich heute kein zweites Mal.« Wackelig kam sie auf die Beine und schlug tapfer gegen den Campingwagen. »Aber anders wäre es nicht gegangen.« – »Nö«, sagte ich und machte ein paar Schlusssprünge. »Außer wir hätten einen der tausend Reifen drangeschraubt, die hier auf dem Schrott rumliegen, und wären dann ganz normal auf den Hof gefahren.«

Ich hüpfte durch den Matsch weg. Gorilla guckte mir verdattert hinterher. Nach einer Weile runzelte sie die Stirn und schob die Unterlippe vor. »Hattest du diesen Genie-Einfall etwa schon die ganze Zeit im Kopf, ohne mir was davon zu verraten?«, fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern. »Nicht die ganze Zeit«, sagte ich. »Ungefähr seit du angefangen hast zu schieben, aber da war es gerade so lustig.« Gorilla verschränkte die Arme. »Na, hör mal«, sagte sie. »Ich habe mich fast halbtot geschuftet.« Ich hörte auf zu hopsen. »Entschuldige«, sagte ich. »Aber es war wirklich so lustig.« Gorilla kniff den Mund zusammen und musterte mich. »Tatsächlich?« – »Mmm«, sagte ich. »Und ich habe über etwas nachgedacht.« – »Aha?« Ich zögerte einen Moment. Ich hatte Angst, dass sie vielleicht Nein sagen würde. »Hast du das ernst gemeint, was du mir mal gesagt hast?«, fragte ich. »Dass du … du mir fahren beibringen könntest? Auto?« Gorilla dachte gründlich nach. Sie sah sehr streng aus. »Hmpf!«, sagte sie dann. »Eigentlich bin ich sehr verantwortungsbewusst. Aber selbstverständlich war es ernst gemeint.« Ich flog in ihren Arm. »Kann ich es jetzt sofort mal ausprobieren?«, fragte ich. »Gleich heute?« Gorilla lachte. »Na, also bitte«, sagte sie. »Das geht bestimmt. Aber wir fangen ganz von vorne an.«

Scharf links abbiegen, in drei Sekunden, zwei, eins, jetzt!« Ich bog scharf links ab, und Gorilla drehte den alten Friseurstuhl, auf dem ich saß. »Gniiii!«, quietschte sie, was klingen sollte wie ein schleudernder Autoreifen. Sie hatte das Lenkrad aus dem Volvo gerupft, damit ich etwas zum Üben hatte. Rechts vom Friseurstuhl steckte ein ramponierter Golfschläger im Dreck, das sollte der Schalthebel sein, und direkt dahinter ein Regenschirm, der die Handbremse darstellte. »Gut so!«, sagte Gorilla. »Jetzt eine leichte Rechtskurve.« Ich schwenkte nach rechts. »Brrrrmmmm!«, ahmte Gorilla das Motorengeräusch nach. »Und vergiss auf keinen Fall zu hupen, wenn du abbiegst, damit schützt du dich vor Leuten, die im Weg stehen. Und immer mit Vollgas aus der Kurve raus.« Ich drückte auf die Hupe und gab mit dem rechten Fuß Gas, indem ich die Scheuerbürste in den Matsch trat. »Tut-tuuut! Perfekt!«, lobte Gorilla. »Und denk daran: Nur auf Rot zufahren, wenn du ordentlich Tempo hast. Okay, Handbremsenwendung auf drei. Eins! Zwei! Drei! Jetzt!« Ich zog am Regenschirm. Gorilla wirbelte den Stuhl eine halbe Umdrehung weiter. »Haargenau«, sagte sie. »Du lernst schnell, nicht mehr lange, und du fährst den Volvo. Aber jetzt müssen wir essen.«

Es war Samstag. Seit einer Woche hatten wir fast jeden Tag Fahrstunden gehabt, und ich hatte schon ziemlich müde Arme, denn das Lenkrad war schwer. Ich wollte endlich richtig Auto fahren, aber Gorilla zögerte. Solange ich noch kein vollendeter Autofahrer war, sagte sie, war es sicherer, wenn sie den Volvo selbst fuhr. Wenig später war das Essen fertig, und Gorilla brachte die heiße Bratpfanne an den Tisch. »Madame«, sagte sie und legte mir meine Portion auf den Teller. Dann machte sie eine schnörkelige Drehung mit der Hand: »Es ist angerichtet.« Ich nahm mein Essen in Augenschein und schluckte. »Hrm«, sagte ich. »Ab und zu würde ich mir wünschen, es gäbe etwas anderes als Spiegelei-Brot, Gorilla. Wenn das möglich wäre.« Gorilla sah enttäuscht aus. »Also, ich meine nicht, dass es mir nicht schmeckt«, schob ich eilig hinterher. »Es ist nur, weil wir, seit ich hier wohne, jeden Tag Spiegelei-Brot gegessen haben. Es wird langsam ein bisschen langweilig.« – »Aber natürlich!«, rief Gorilla. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht. All die Jahre habe ich ja nur für mich alleine gekocht…«

Sie schüttelte den Kopf. Dann schnappte sie sich mein Spiegelei und schleuderte es in den Abfalleimer. »Kleines Spätzchen«, sagte sie. »Die Spiegeleier müssen dir ja schon zu den Ohren herauskommen, wenn du niest. Nie wieder Eier in diesem Haus!« Ihr Blick fiel auf das Ei, das noch auf ihrem eigenen Teller lag. Entschlossen packte sie es und warf es über ihre Schulter nach hinten. Klatsch!, landete es in einem Gummistiefel. Ich musste lachen. »So«, sagte Gorilla. »Mein aufrichtigstes Bedauern, Madame. Was wollen wir essen?« Ich zuckte die Schultern. »Worauf hast du denn Lust?« Gorillas Gesicht hellte sich auf. »Restaurant vielleicht? Ja! Wir fahren in die Stadt und mampfen Samstagsessen, jetzt. Zackbumm, auf der Stelle!«

Und das taten wir. Aber erst machten wir uns hübsch. Ich kramte eine alte Bürste aus der Vorratskammer und stellte mich damit vor den Spiegel, der an dem gemauerten Kamin hing. Gorilla wanderte auf und ab und überlegte, was sie sich bestellen würde. »Filetsteaks sind lecker«, sagte sie. »Das ist gutes Essen. Oder Scholle mit Remouladensoße. Mmmm…« Ich hatte ernsthafte Probleme mit den verfilzten Knoten in meinen Haaren. »Es ist unmöglich, alle rauszubürsten«, sagte ich. »Aber so sieht es ganz okay aus.« Gorilla nickte. Sie angelte sich ein graues Herrensakko vom Haken neben der Tür, das noch fast alle Knöpfe hatte. Dann wischte sie den Matsch von meinen Gummistiefeln. »Jetzt kann sich niemand mehr beschweren«, sagte sie zufrieden. Ich schaute sie an. Schick sah sie aus. Groß und stark und schön, wie ein frisch gewaschener Traktor. Zu guter Letzt setzte ich mir noch die Hahnentrittmütze auf. »Fertig«, sagte ich und spürte das Kribbeln im Magen. »Fertig«, sagte Gorilla. »Jetzt fahren du und ich, wir beide, los und gehen vornehm essen.«

Das verlassene Industriegebiet lag menschenleer und still vor uns. Die Laternen warfen ihr gelbes Licht auf die Straßen, und die Schatten waren lang. Dieses Mal fuhr Gorilla nicht so schnell. Sie zeigte nach links und rechts und erzählte. »Pärsons Maschinenfix« stand auf einem prächtigen alten Neonschild, das nicht mehr leuchtete. »Das war früher mal eine Werkstatt«, sagte sie. »Da konnte man sich alles Mögliche aufpolieren oder flottmachen lassen. Pärson hatte einen Dackel, der jeden, der von der Stadtverwaltung kam, in die Waden gebissen hat. Pärson hat sich lange geweigert zu verkaufen.« Ihr Blick verdüsterte sich. »Aber dann haben sie ihn erpresst. Ich glaube, sie haben das Haus für baufällig erklärt. Er wäre gezwungen gewesen, für Hunderttausende zu sanieren, und das Geld hatte er nicht. Also hat er doch verkauft.« Sie seufzte, aber dann nahm sie wieder Fahrt auf und erzählte weiter. »Und hier war die Wurstfabrik. Als sie nicht verkaufen wollten, haben Tord Fjordmark und seine Männer einfach am anderen Ende der Stadt eine neue Wurstfabrik eröffnet. Es dauerte nicht lange, bis sie die Armen hier draußen ausgebootet hatten und, ja … es kam, wie es kommen musste. Sie verkauften.«

Schweigend fuhr sie weiter. Überall standen diese gelben runden Schilder herum und sahen gruselig aus. »Halt mal an«, sagte ich. Gorilla bremste. Ich presste die Nase gegen die Scheibe und las die rote Schrift. »Hier baut die Stadt das größte Schwimmbad Nordeuropas.« In der Mitte des Schildes war eine Hand zu sehen, die schwungvoll den Daumen hochhielt. Darunter stand: »Eine Stadt mit Fortschritt«. Gorilla schnaubte. »Na, schönen Dank auch. Feine Methoden sind das, mit einem Fortschritt zu prahlen, den man mit Erpressung erreicht hat.« Mit finsterer Miene fuhr sie weiter. »Aber mich werden sie nicht kleinkriegen. Ich bin nämlich kein Feigling. Ihr Schwimmbad können die sich in die Haare schmieren.« Ich spürte, wie sich ein leichtes Stechen in meinem Bauch breitmachte. Ich sah Tords gemeines Lächeln förmlich vor mir. Was würde passieren, wenn es ihm doch gelang, sich den Schrottplatz unter den Nagel zu reißen? Wo sollten wir dann leben?

Ich schüttelte den Gedanken ab. » No panic on Titanic«, dachte ich und lehnte mich im Sitz zurück. Solange wir uns hatten, war alles halb so schlimm. Wir rollten weiter durch die gelben Lichtkegel.

Den fünften Teil der KinderZEIT-(Vor)lesegeschichte findet Ihr hier


Frida Nilsson:
Ich, Gorilla und der Affenstern
Gerstenberg
Verlag, 12,95 €