Edle Speisen und teure Kleidung, Kunstwerke, die nach Jahrhunderten noch verzaubern, oder einfach freie Zeit: Was ist wertvoll?
Von Susanne Gaschke
Uff, Januar. Der Weihnachtsrummel ist vorbei, und inzwischen sind auch die allerletzten Päckchen ausgepackt. Sicher waren ein paar tolle Geschenke darunter: vielleicht ein Fahrrad, ein Snowboard oder das Armband, das Ihr Euch schon so lange gewünscht habt. Denn Weihnachten ist eine Zeit, in der die meisten Leute sich selbst und anderen, wenn sie können, ein wenig Luxus gönnen. Aber was ist das eigentlich, Luxus?
Die Menschen, die ihr Geld damit verdienen, sich Werbung auszudenken, haben schnell Antworten parat: Luxus, das sind exotische Lebensmittel wie Trüffel oder Kaviar oder Hummer oder Champagner. Luxus, das sind edle Taschen der Firmen Gucci oder Prada oder Versace. Oder Kleider von den Mode- Designern Chanel oder Dior (die gibt es auch in Kindergrößen). Oder Autos von Porsche. Oder glänzende Schmuckstücke. Oder Kreditkarten, die mit Diamanten besetzt sind (kein Witz!). Mit anderen Worten: Die Werbeleute versuchen gern, uns einzureden, dass Luxus etwas mit dem Preis einer Sache zu tun hat.
Und mit Marken. Wer die richtigen (also die teuren) Marken kauft, der hofft, auf diese Weise zu zeigen, dass er mehr Geld und einen besseren Geschmack hat als andere. Die Botschaft vieler glänzender Anzeigen für Luxusgüter lautet: Kauf mich, dann kannst Du Dich anderen überlegen fühlen.
So gesehen wäre Luxus also eine eher unschöne Sache: teures Zeug zum Angeben. Aber vielleicht ist das, was Werbefachleute uns sagen, ja noch nicht die ganze Wahrheit. Vielleicht hängt echter Luxus gar nicht von Marken ab? Vielleicht geht es dabei einfach um eine Sehnsucht der Menschen nach schönen Dingen?
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für Schönheit, Verschwendung und Überfluss (Letzteres nämlich bedeutet das lateinische Wort luxus) gibt es in einem Museum in Dresden zu bestaunen, im Grünen Gewölbe (wenn es irgend möglich ist, bittet Eure Eltern, mit Euch einmal diese großartige Schatzkammer zu besuchen). Im Grünen Gewölbe werden die wundersamen und schillernden Dinge ausgestellt, die August der Starke, der damalige Kurfürst von Sachsen, vor etwa 300 Jahren gesammelt hat. Es gibt zarte Figuren aus Elfenbein, diamantbesetzte Orden, Schmuck aus Bernstein, Bergkristall und Rubinen, Gold- und Silbergeschirr, reich verzierte Prunkwaffen.
August der Starke hatte einen außergewöhnlichen Goldschmiedemeister an seinem Hof, er hieß Johann Melchior Dinglinger. Dinglinger wusste genau, was seinem Fürsten gefiel, und erfreute diesen immer wieder mit irrwitzigen Einfällen. Eines seiner besten Kunstwerke könnte man als teuerstes Puppenhaus der Welt bezeichnen: Es stellt den Thron des Großmoguls Aureng-Zeb dar. Goldene Stufen führen zu diesem Thron hinauf, auf dem der indische Herrscher sitzt und huldvoll in die Menge blickt. Unzählige kleine Gestalten aus Gold, Perlmutt und Edelstein bringen dem Großmogul zum Geburtstag Geschenke: Vasen mit zarten Malereien, Pferde mit goldenem Zaumzeug, ja sogar Dromedare, Affen und Elefanten.
Alles funkelt und schimmert wie in einer Schatzhöhle. Man möchte sofort mit den Kostbarkeiten spielen, doch natürlich sind die Figuren viel zu empfindlich und wertvoll. So wertvoll, dass es nicht einmal eine Versicherung für sie gibt – weil sie, wenn sie gestohlen oder zerstört würden, sowieso unersetzlich wären. Aber sind die Schätze Augusts des Starken nicht auch nur teures Zeug zum Angeben – bloß aus einer anderen Zeit? Hätte der Kurfürst sein Geld nicht besser an die armen Menschen in Sachsen verteilt, die zur damaligen Zeit oft Not und Hunger litten?
Das kann man durchaus so sehen; und der Fürst wurde für seine Verschwendungssucht auch sehr angefeindet. Doch August der Starke wollte all den Prunk nicht nur für sich selbst: Er wollte den Menschen seinen Traum von königlicher Macht zeigen. Und er wollte der Nachwelt etwas hinterlassen. Die Begeisterung, mit der heute in jeder Woche Tausende von Menschen seine Schatzkammer besuchen, zeigt, dass ihm das gelungen ist. Seine Schätze sprechen zu uns, über die Jahrhunderte, und ein wenig verstehen wir sie und die Zeit, in der sie entstanden sind.
Vielleicht kann man es also so ausdrücken: Echter Luxus erschöpft sich nicht im hohen Preis. Luxusgegenstände dürfen vollkommen nutzlos sein, müssen aber etwas Einzigartiges, etwas Spielerisches, etwas Irres oder Mutiges haben – und sie sollten nicht nur einem einzelnen Menschen Freude bereiten. Womöglich gibt es aber auch noch eine dritte Form von Luxus, die weder mit Preis und Marke noch mit Einzigartigkeit zu tun hat: Besonders wertvoll ist etwas, das man gar nicht kaufen kann. In fast allen Interviews geben Politiker, Wirtschaftsbosse, Filmstars, Professoren oder Sportler die gleiche Antwort, wenn man sie nach ihrem größten Luxus fragt. »Zeit!«, sagen sie.
Freie Zeit und die Möglichkeit, einmal selbst zu bestimmen, was sie tun wollen, statt ihren Terminkalendern hinterherzuhetzen. Eure Eltern würden vermutlich genauso antworten, wenn Ihr sie fragtet. Aber kann man ein solches Luxusgut, das nichts kostet und keinen Markennamen trägt, verschenken? Sicher. Wünscht Euch in Zukunft von Euren Eltern, dass sie sich Zeit für Euch nehmen. Sie werden Euch sogar dankbar sein, weil diese Zeit plötzlich auch für sie da ist. Das ist dann Luxus pur, ohne jede Spur von Angeberei.