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Wo kommst Du denn her?

 

Ein Komodo Waran, der seinen Namen der indonesischen Insel Komodo verdankt/ Foto Steve Finn/ Getty Images

Es gibt Tierarten, die noch nie entdeckt worden sind. Um sie ausfindig zu machen, stellen Forscher im Dschungel Fallen auf – oder stöbern in Kellern von Museen

Von Magdalena Hamm

Es gibt einen Käfer, der nach dem Schauspieler Arnold Schwarzenegger benannt ist (Agra schwarzeneggeri), und eine Meeresschnecke, die nach Boris Becker heißt (Bufonaria borisbeckeri). Wenn ein Biologe nämlich eine neue Art entdeckt, darf er ihr einen Namen geben. Und manche nutzen das, um berühmte Persönlichkeiten zu ehren. Sicher könnte man auch seiner Mutter eine große Freude machen, wenn man eine hübsche Blume oder einen Schmetterling nach ihr benennt. Aber dazu müsste man erst einmal wissen, wie man eine neue Art entdeckt. Und auch, ob es heute überhaupt noch Tiere oder Pflanzen gibt, die man finden und benennen könnte. Die gibt es – reichlich sogar.

Bisher wurden auf der ganzen Welt etwa 1,8 Millionen verschiedene Lebewesen entdeckt, nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch Pilze (die keine Pflanzen sind) und Einzeller. Das ist zwar schon sehr viel, aber die Forscher glauben, es müsste mindestens zehnmal so viele Arten geben. Einige schätzen die Biodiversität, so nennt man die Gesamtzahl aller Lebewesenarten, sogar auf 100 Millionen. Es gibt also noch jede Menge aufzuspüren.

Die meisten noch unentdeckten Arten sind vermutlich winzig klein. Einzeller wie die Bakterien sind nur unter dem Mikroskop zu erkennen. Forscher finden jeden Tag neue Bakterienarten: im Boden, im Wasser und sogar auf der menschlichen Haut. Aber ob sich die Mutter darüber freute, wenn man ein kleines, unscheinbares Bakterium nach
ihr benennte?

Vielleicht wäre eine asiatische Riesenechse, ein Waran, besser. Das Tier kann es mit seiner Farbenpracht leicht mit einem
Schmetterling aufnehmen, findet André Koch. Der Biologe ist 33 Jahre alt, arbeitet für das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn und hat schon drei neue Waranarten entdeckt. Die Echsen leben in den Wäldern Indonesiens oder der Philippinen und können über zwei Meter lang werden.

Wie kann es da sein, dass sie so lange im Verborgenen geblieben sind? Sind sie nicht. André Koch ist zwar der erste Biologe, der die Tiere zu Gesicht bekommen hat, aber längst nicht der erste Mensch. Die Einheimischen kennen die Warane genau, sie wissen, wo sie leben, und haben meist auch eigene Namen für sie. Eine neue Art war also meist schon lange vorher da. Aber erst wenn ein Biologe sie beschreibt, von anderen Lebewesen unterscheidet und ihr einen wissenschaftlichen Namen gibt, wird sie in den Stammbaum des Lebens aufgenommen.

»Taxonomisch erfasst« nennt man das. Die Taxonomie ist die Wissenschaft, die versucht, Ordnung in die Vielfalt der Arten zu bringen. Sie teilt die Lebewesen in verschiedene Reiche ein, etwa Tiere und Pflanzen. Jedes Reich wird noch weiter unterteilt. Warane gehören zum Stamm der Wirbeltiere, weil sie, anders als zum Beispiel Schnecken oder Käfer, Knochen und Wirbel haben. Sie besitzen eine Haut aus Schuppen und legen Eier, weshalb man sie zu der Klasse der Reptilien und nicht zu den Säugetieren zählt.

Nun wird es etwas kompliziert: Alle Riesenechsen, die man auf den asiatischen Inseln findet, gehören zu der Gattung
der Warane, doch obwohl sie sich äußerlich ähneln und eine vergleichbare Lebensweise zeigen, zählt man sie zu unterschiedlichen Arten, so wie man auch Hase und Kaninchen voneinander unterscheidet. Diese beiden Tiere sehen sich
ebenfalls ähnlich, aber die Ohren und die Beine des Hasen sind viel länger als die des Kaninchens. Und sie können
miteinander keine Jungen bekommen.

Um diese feinen Unterschiede zwischen nah verwandten Arten zu erkennen, muss man viel wissen. André Koch ist Spezialist für südostasiatische Reptilien. Vor ein paar Jahren bereiste er zusammen mit einer Kollegin die indonesische Insel Sulawesi. Sie hatten gehört, dass hier Riesenechsen leben, und wollten untersuchen, ob es sich um eine eigene Art handelt. Wochenlang streiften die Forscher durch die Hitze des Dschungels und stellten Fallen auf – bis es ihnen schließlich mit der Hilfe der Inselbewohner gelang, die Warane zu fangen und zu untersuchen. Ihre Mühen wurden belohnt, denn sie konnten beweisen, dass ihre Warane eine Neuentdeckung sind.

Sie gaben ihnen den wissenschaftlichen Namen Varanus lirungenis. Varanus steht für die Gattung der Warane, der Artname lirungenis bezieht sich auf das Dorf Lirung, in dessen Nähe sie die Tiere gefunden haben.

Man muss aber nicht unbedingt in die Ferne reisen, um exotische Tiere zu erforschen. André Koch hat zwei philippinische Waranarten in den Kellern großer Naturkundemuseen Europas entdeckt. Die Ausstellungsstücke, die man sich in solchen Museen anschauen kann, bilden meist nur einen kleinen Teil der Sammlungen. In Kellern und Lagerräumen stapeln sich Tausende von Holzkästen mit aufgespießten Insekten und Glasflaschen, in denen Tiere in Alkohol konserviert sind. Sie sind teilweise Hunderte Jahre alt.

Naturforscher haben sie von Expeditionen mitgebracht. Im Zoologischen Museum in Kopenhagen in Dänemark schlummerte zum Beispiel der Körper eines Warans, den Forscher vor langer Zeit von den Philippinen mitgebracht hatten. André Koch untersuchte ihn – und entdeckte, dass diese Art noch nicht bekannt war. Er gab ihr den Namen Varanus rasmusseni, um damit den berühmten dänischen Forscher Jens Rasmussen zu ehren.

Nie würde André Koch übrigens eine Art nach sich selbst benennen. »Das wäre zu eitel«, sagt er. Und was ist mit Mutti? »Vielleicht benenne ich den nächsten Fund nach ihr«, sagt der Forscher. »Annelieses Waran « würde das Tier
dann heißen. André Koch will noch mehr neue Arten entdecken, so wie viele andere Wissenschaftler auf der ganzen Welt. Sie alle haben es sich zum Ziel gesetzt, sämtliche Arten zu erfassen.

Denn letztlich sind alle Lebewesen miteinander verbunden, weil sie sich zum Beispiel gegenseitig fressen. Stirbt eine Art aus, kann es passieren, dass eine andere Art ebenfalls ausstirbt, weil die beiden voneinander abhängen. Um die Natur zu verstehen und zu schützen, ist es also sehr wichtig, möglichst viele Glieder in der Kette des Lebens zu kennen.