Sie haben einen tollen Beruf: Sie dürfen so neugierig sein, wie sie wollen. Sie dürfen jeden Menschen treffen, der sie interessiert. Und dafür werden sie sogar noch bezahlt
Von Bernd Ulrich
Also, ich möchte ja hier wirklich keine Werbung machen für den Beruf des Journalisten, aber: Die Gelegenheit, mit fast jedem Menschen auf der Erde reden zu können, den man interessant findet, die Möglichkeit, sich ganz lange in eine verzwickte Sache zu vertiefen, die Chance, einfach etwas aufschreiben zu können, das dann Tausende oder Hunderttausende Menschen lesen – das ist schon alles ganz große Klasse. Und das Erstaunlichste daran ist: Man wird für das, was man total gerne macht, auch noch bezahlt!
Aber, wie gesagt, ich will hier keine Werbung machen, die Sache hat auch Nachteile. Man arbeitet oft unter Zeitdruck, muss sich also furchtbar beeilen. Nicht alle Menschen, die man interessant findet, sind auch sympathisch, manche sind sogar richtige Kotzbrocken oder gar Verbrecher, mit denen muss man dann trotzdem reden und sich noch blöde anpöbeln lassen. Schließlich ist der Journalismus nicht für die Journalisten da, sondern für die Leser oder Radiohörer oder Fernsehzuschauer. Das heißt, wir Journalisten fahren nach Japan, wenn dort ein Atomkraftwerk explodiert, damit die Leser nicht selbst hinfahren müssen. Wir müssen mit dem schrecklichen Silvio Berlusconi (dem italienischen Ministerpräsidenten) reden, damit unsere Leser sich das Interview dann gemütlich bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Cola durchlesen können. Wir suchen und fotografieren die arme Kuh Yvonne, damit nicht Zehntausende Leser mit ihren Fotoapparaten durch die Wälder zu rennen brauchen. Journalisten sind deswegen keine Helden, sie sind eher wie Bäcker. Nur dass wir kein Brot backen, sondern Artikel schreiben.
Nun habe ich bisher bloß gesagt, was schön ist am Journalismus und was nicht so schön, aber nicht, was Journalismus eigentlich ist. Das habe ich ein bisschen vor mir hergeschoben, weil das nicht so leicht zu sagen ist, es ist sogar richtig kompliziert. Weil Journalisten so viel Verschiedenes machen. Einige filmen, einige fotografieren, einige schreiben gar nichts Eigenes, sondern machen nur die Texte anderer schön, verbessern die Sprache, beseitigen die Rechtschreibfehler (ja, auch Journalisten machen welche). Einige sind Journalistenchefs, und man erwischt sie nur selten dabei, wie sie schreiben oder Geschichten suchen (das nennt man recherchieren). Die Chefs sagen stattdessen den anderen, worüber sie schreiben oder recherchieren könnten.
Einige Journalisten schreiben über Politik, andere über Mode oder Kaninchen. Manche sitzen nur im Büro, andere reisen in die Kriegsgebiete oder dahin, wo die Erde bebt. Und doch nennt man sie alle Journalisten. Wenn nun aber Journalismus so vieles ist, was ist dann der Kern von dem Ganzen, das Wichtigste?
Ich würde sagen: hinfahren, gucken, aufschreiben. Und das ist dann doch wieder ganz einfach, oder?
Wie wird man einer von diesen Geschichtensuchern und Nachrichtenbäckern, einer von diesen Aufschreibern? Manche würden diese Frage so beantworten: Man geht brav zur Schule und macht Abitur. Dann studiert man Journalismus, dann macht man ein Praktikum, also eine Art Ausprobierzeit, in einer Zeitung oder beim Radio, und dann macht man noch ein Praktikum und noch eins und noch eins und noch eins (ja, ja, so leicht ist das heute nicht mehr, eine feste Stelle zu kriegen) und noch eins und noch eins, und dann kriegt man doch eine feste Stelle und ist, Rubbeldiekatz: Journalist.
Wie gesagt, das würden manche antworten. Ich nicht. Das Wichtigste für jemanden, der Journalist werden will, ist erst mal Neugier. Wer die nicht hat, der soll Bibliothekar werden oder Finanzbeamter, was auch sehr gute und wichtige Berufe sind, aber bitte nicht Journalist. Und dann braucht man dafür Leidenschaft. Leidenschaft? Sollen Journalisten nicht ganz nüchtern und objektiv sein? Gleich fair zu allen? Ja, das sollen sie, aber dafür brauchen sie gerade Leidenschaft. Man kann sagen: Journalismus ist gezügelte, kontrollierte Leidenschaft. Journalismus ohne Leidenschaft ist nicht objektiv, sondern langweilig. Und langweilig, das geht gar nicht. Wer also überlegt, Journalist zu werden, der sollte nicht zuerst schauen, wo man Journalismus studieren kann oder wie man an ein Praktikum kommt, der sollte vielmehr in sich hineinhören: Was regt mich richtig auf, was elektrisiert mich, wofür brenne ich, was bohrt sich wie ein Schmerz in meinen Kopf, bis ich es richtig verstanden habe? Wer das für sich beantworten kann, der kann Journalist werden und der lernt auch das Handwerk, das nun mal dazugehört.
Nun sagen manche, dass die Zeitungen aussterben, dass es in zehn oder zwanzig Jahren gar keine Zeitungsjournalisten mehr geben wird. Vor allem wegen des Internets, wo Fantastilliarden von Informationen und Nachrichten kostenlos umherschwirren. Wird das so kommen? Ich würde mich nicht trauen zu sagen, dass es für immer journalistische Arbeit geben wird, die auf Papier gedruckt und dann mit Lastwagen in die Häuser und Wohnungen und an die Kioske gefahren wird. Aber darauf kommt es auch nicht an. Entscheidend für unsere Zukunft als Journalisten (und für alle, die sich überlegen, später mal Journalisten zu werden) ist nicht das Papier. Entscheidend ist, ob es noch Menschen geben wird, die ein bisschen Geld dafür bezahlen wollen, dass andere, eben Journalisten, neue Informationen gewinnen. Dass sie Ordnung in die vielen Nachrichten bringen. Dass sie den Mächtigen auf die Finger gucken, Dinge bewerten, gut schreiben können und die Leser amüsieren.
Und da bin ich mir dann doch wieder sehr sicher: Diesen Journalismus wird es immer geben, so wie es Ärzte, Frisöre und Köche geben wird. Einfach weil den Menschen nicht nur immer Haare wachsen werden, sondern weil sie auch die schnelle, große Welt, in der sie leben, verstehen möchten. Der Kopf ist nicht nur für die Frisöre da.