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Schön wild!

 

Wie muss ein richtig guter Spielplatz sein?

Von Antje Scherer mit Illustrationen von Jan Kruse

Stück für Stück verschwindet Luca im Boden. Zuletzt sieht man noch ein paar ihrer braunen Haare – und dann, zack, ist sie ganz weg. Ihre kleine Schwester guckt ein bisschen ängstlich, aber nach ein paar Minuten taucht Luca wieder auf. Allerdings an einer ganz anderen Stelle. Sie sitzt plötzlich vier Meter hoch in einem Baumhaus. »Das ist so toll hier«, sagt Luca, als sie vom Baumhaus heruntergeklettert ist – und schon rennt sie wieder los. Kein Wunder, denn hier in Einsiedel kann man wahre Abenteuer erleben: meterhoch klettern, in Steinröhren unter der Erde herumkriechen oder ewig lange Rutschen hinabsausen.

Einsiedel ist ein ganz besonderer Freizeitpark, einer ohne elektrische Achterbahnen und Riesenräder. Der Park liegt in der Nähe von Görlitz, ganz im Osten Deutschlands. Mehr als fünf Hektar groß ist er (ungefähr so wie sieben Fußballfelder), rundherum leben nur wenige Menschen. Es ist eine Mischung aus riesigem Spielplatz und verwildertem Park. Eine Straße gibt es nicht, stattdessen laufen Besucher über Hängebrücken und Trampelpfade aus Holzstämmen oder Sand. Zwischen Bäumen stehen verrückte Gebäude, etwa ein buntes Haus aus Holz mit goldenen Türmen, in dem man herumklettern kann. Tiere gibt es auch in Einsiedel, auf den Steinen sonnen sich Eidechsen, und auf einem Haus mit Grasdach steht ein Yak – eine besondere Rinderart.

Einsiedel ist der Versuch, einen perfekten Spielplatz zu bauen. Seitdem er 1992 eröffnet wurde, kamen eine Million Besucher hierher, viele davon Kinder. Geplant und gebaut hat den Park Jürgen Bergmann. Er ist 55 Jahre alt und Fachmann für Orte zum Spielen: Fast 1000 Spielplätze oder Teile von Freizeitparks hat er mit seiner Firma schon gebaut. In ganz Europa spielen Kinder auf Bergmanns Bauten, zurzeit plant er einen Freizeitpark in Korea. Alles, was Bergmann baut, ist aus Holz und Metall, etwas krumm und bunt, das ist sein Markenzeichen. Und er baut nie zweimal das Gleiche.

Aber wie sieht ein perfekter Spielplatz eigentlich aus? Das kann Klaus Fischer beantworten. Er ist Professor für Bewegungserziehung und beschäftigt sich zum Beispiel damit, warum es für Kinder wichtig ist, zu spielen und zu toben. Ein Spielplatz dürfe ruhig uneben und etwas wild aussehen, sagt der Fachmann. Die Hauptsache sei, dass man Lust bekomme, ganz unterschiedliche Sachen zu machen. Denn wer spiele, der übe zum Beispiel planen und Probleme lösen.

»Spielen macht zwar nicht automatisch schlau«, sagt Klaus Fischer, »aber ohne genügend Spielzeit wird man garantiert nicht klug oder kreativ.« Außerdem lernt man beim Spielen, mit Gefahr umzugehen, auch das sei wichtig. Deshalb findet der Experte es auch nicht schlimm, wenn man sich beim Toben ein paar Schrammen holt.

Lucas Knie sind von der wilden Kletterei in Einsiedel inzwischen ziemlich zerkratzt. Trotzdem ist sie wieder in dem Labyrinth aus Steinröhren verschwunden, das sich unter dem ganzen Park ausbreitet. Weil es darin stockfinster ist, tastet sie sich mit einer Hand an der Wand entlang. In der anderen hat sie das Handy von ihrem Papa, das einen kleinen Lichtschein wirft. »Ich finde hier am tollsten, dass es immer Neues zu entdecken gibt«, sagt Luca. Sie ist zum ersten Mal in Einsiedel und schon den ganzen Tag auf Erkundungstour. »Immer wenn ich denke, jetzt kenn ich alles, entdecke ich wieder einen neuen Winkel.«

Könnte der Einsiedel-Erfinder Jürgen Bergmann dem Mädchen zuhören, wäre er sehr zufrieden. Denn als er den Park entworfen hat, war das sein Plan. Ähnlich wie bei einem Computerspiel hat er verschiedene »Level« mit Rätseln und Verstecken entworfen. Normale Spielplätze, wie man sie oft in Städten sieht, findet Bergmann öde. »Da gibt es meist einen Turm und eine Hängebrücke mit Rutsche«, sagt er, »nach fünf Minuten ist das langweilig.«

Der Spielexperte Professor Fischer glaubt, dass man erst vor relativ kurzer Zeit auf die Idee kam, nach den Spielbedürfnissen von Kindern zu fragen. In den letzten zehn Jahren seien aber zum Glück immer mehr solche »guten Spielplätze« gebaut worden. »Oft kann man auf einem großen Stein viel besser spielen als mit einem Gerät aus der Fabrik.«

Als es in Einsiedel langsam dunkel wird, steht Lucas kleine Schwester Amaya noch kichernd unter einer Fontäne auf dem Wasserspielplatz. Luca selbst sitzt etwas müde am Lagerfeuer und trinkt Himbeerbrause. »Für heute hab ich genug«, sagt sie, »aber wir müssen unbedingt wiederkommen.«

Bis dahin will sie sich eine Stirnlampe für die Unterwelt besorgen.