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Hört auf mit der Gewalt!

 

In Lybien demonstrieren Männer mit ihren Kinder gegen einen amerikanischen Film, der den Propheten Mohammed lächerlich macht/ © Getty Images

Viele Menschen ärgern sich über einen Film, der den Islam beleidigt. Es gab schlimme Proteste. Unsere Autorin Lamya Kaddor erklärt, warum der Aufruhr nicht viel mit ihrer Religion zu tun hat

Von Lamya Kaddor

Die meisten Menschen in arabischen Ländern, aber auch viele in Afrika und Europa, sind Muslime. Dass heißt, sie gehören der Religion des Islams an. Für sie ist der Prophet Mohammed der Gesandte Gottes und ein Vorbild. Jetzt ist ein Film im Internet aufgetaucht, der den Propheten beleidigt, und Muslime in vielen Ländern protestieren dagegen.

Lamya Kaddor ist Muslimin und Islamexpertin. Sie hat zum Beispiel den Koran, also die heilige Schrift des Islams, für Kinder ins Deutsche übersetzt.

Der Film, über den sich viele Menschen aufregen, heißt Innocence of Muslims (Übersetzt bedeutet das »Unschuld der Muslime«). Darin wird so getan, als ob Mohammed dümmlich und einfältig war. Außerdem wird er als Verbrecher gezeigt. Die gesamte Religion des Islams wird als brutal und gefährlich dargestellt. Der Koran, der für Muslime etwa so ist wie die Bibel für Christen, wird in dem Film als Lüge dargestellt, er stamme gar nicht von Gott. Der Mensch, der den Film gemacht hat, kann den Islam nicht leiden. Er und seine Helfer haben eine verrückte Weltsicht, sie meinen, dass die verschiedenen Religionen nicht friedlich nebeneinander bestehen können.

In vielen Ländern, in denen viele Menschen Muslime sind, gehen Gläubige nun gegen den islamfeindlichen Film auf die Straße. Dazu suchen sie sich oft Botschaftsgebäude der USA und anderer westlicher Staaten aus. Das machen sie, weil der Film in den USA hergestellt wurde. Bei den Protesten wurden Menschen verletzt, es gab Tote.

Die Gewaltausbrüche haben wenig mit Religion zu tun. Im Koran steht nicht, dass man mit Gewalt reagieren darf, weil der Prophet beleidigt wurde. Im Gegenteil. Wenn man andere Menschen tötet und Gebäude in Brand steckt, hat man Mohammed mehr beleidigt als die Menschen, die diesen Film gedreht haben. Der Koran sagt zum Beispiel in Sure 5, Vers 2: »Und der Hass, den ihr gegen (gewisse) Leute hegt… soll euch ja nicht dazu bringen, dass ihr Übertretungen begeht (und in eurer Rachsucht maßlos seid).« Der Koran ruft also dazu auf, ruhig zu reagieren, wenn jemand einen beleidigt.

Warum gibt es dann diesen Aufruhr? In den Ländern, in denen es jetzt viele Proteste gibt, sind viele Menschen arm und haben keine Arbeit. Sie haben wenig, worauf sie sich freuen können, wenn sie in die Zukunft schauen. Das liegt auch daran, dass es im vergangenen Jahr einen großen Umbruch gab, den sogenannten Arabischen Frühling. Das waren Aufstände, bei denen die Menschen in Ägypten, Tunesien, Libyen und im Jemen ihre langjährigen Herrscher verjagt haben; in Syrien wird weiter gegen den Präsidenten gekämpft. In diesen Ländern konnte man nicht frei seine Meinung sagen, manche Bürger wurden sogar gefoltert. Die verantwortlichen Diktatoren, die jetzt vertrieben wurden, wurden lange Zeit von westlichen Regierungen wie den USA, Großbritannien und auch Deutschland unterstützt. Das nehmen uns viele Menschen dort übel.

Nun, nach dem Arabischen Frühling, ist in vielen Ländern noch nicht klar, wie es weitergeht. Das verunsichert die Menschen. Strenggläubige Gruppen nutzen das aus. Sie wollen nur nach religiösen Gesetzen leben und lehnen alles ab, was vom Staat kommt und was aus ihrer Sicht dem Koran widerspricht. Also auch, wie die Menschen in den USA oder in Europa leben.

Diese Gruppen berufen sich auf den Film, um Proteste zu organisieren und dadurch für sich Werbung zu machen. Sie hoffen auf neue Unterstützer. In Libyen gab es nach dem Film sogar einen Angriff, bei dem der US-Botschafter und mehrere seiner Mitarbeiter ums Leben kamen. Erst dachte man, das hätten wütende Demonstranten gemacht. Später stellte sich heraus, dass Terroristen das Attentat auf den Botschafter vermutlich schon lange geplant hatten. Sie haben die Proteste ausgenutzt, um jetzt zuzuschlagen und dafür viel Aufmerksamkeit zu bekommen.

Aber trotzdem folgen ihnen oft nur ein paar Hundert Menschen, die protestieren, obwohl in den Ländern mehrere Millionen Menschen leben. Dort, wo sie leben, prägt die Religion den Alltag viel mehr als bei uns. Den Menschen ist Gott sehr wichtig, weil sie so viele Probleme im Leben haben. So wie man anerkennen sollte, dass jemand keine Religion hat, muss man respektieren, dass anderen der Glaube viel wert ist. Man darf sich gegenseitig kritisieren, aber man sollte böse Beleidigungen sein lassen. Das führt nur zu Streit.

Muslime auf der ganzen Welt müssen sich nun mit diesem Video und den Protesten auseinandersetzen. Ich also auch. Ich bin gläubige Muslimin, und natürlich ärgert mich das Video. Andererseits weiß ich, dass der Film von Leuten gemacht wurde, die genau das bezwecken – mich wütend zu machen.

Streit, der immer schlimmer wird, kennst Du bestimmt von Deinem Schulhof. Dabei ist der Grund oft ein Missverständnis. So ist es in diesem Fall auch: Wenn alle glauben, in den islamischen Ländern seien die Menschen nur wegen des Films beleidigt und gingen nur deshalb massenweise auf die Straße, dann hält man schnell alle Muslime für engstirnig. Und das stimmt natürlich nicht.

In Libyen haben nach dem Anschlag auf den Botschafter Muslime gegen das Attentat und gegen die Gewalt der sehr Strenggläubigen protestiert – auch Kinder waren dabei. Sie wollen zeigen, dass es wenige auf beiden Seiten sind, die gegeneinander hetzen. Und dass diese Menschen das Zusammenleben auf der Welt nicht stören sollen.