In China gibt es riesige Städte und viele Menschen. Wie ist das Leben in der Hauptstadt Peking? Die KinderZEIT hat einen Jungen zu Hause besucht
Von Angela Köckritz
Dongdong ist neun Jahre alt, er hat Ohren, die ein klein wenig abstehen, und große dunkle Augen. Er heißt eigentlich Cai Jinsheng, Dongdong ist nur sein Spitzname. Als er auf die Welt kam, war sein Kopf so rund, dass er seine Mutter an einen Kürbis erinnerte, auf Chinesisch heißt der Donggua. Deshalb heißt Jinsheng jetzt Dongdong, wobei man im Chinesischen das O mehr wie ein U ausspricht. Dann klingt Dongdong so, als würde man eine Glocke anschlagen.
Dongdong lebt im Norden Pekings, in einer Wohnanlage, die von außen aussieht wie eine Prinzenresidenz. Da gibt es ein Tor mit Säulen und einen Springbrunnen, dahinter aber liegen einfache Hochhäuser, in denen man nicht unbedingt einen Prinzen vermuten würde. Hier wohnt Dongdong mit seiner Mutter. Die Eltern sind geschieden, der Vater lebt anderswo. Die Wohnung ist groß und hell, anfangs will Dongdong sein Zimmer nicht zeigen, weil seine Mutter sagt, es sei »totaaaaaaaal unordentlich«, tatsächlich aber ist es ein ganz normales Kinderzimmer mit einem Hochbett, sagen wir mal: mittelmäßig aufgeräumt.
Manche Dinge in Dongdongs Leben sind ganz ähnlich wie im Leben deutscher Kinder. Etwa dass seine Mutter schimpft, wenn das Zimmer nicht aufgeräumt ist. Manche Dinge aber sind ganz anders.
Da ist zum Beispiel die Sache mit der Luft. Wenn sich eine Smogwolke über Peking legt wie so oft, darf Dongdong nicht raus zum Spielen. »Das ist total nervig.« Wo er doch unten im Hof seine Freunde treffen könnte. Die Städte in China sind riesig. In Peking leben etwa 23 Millionen Menschen, das sind mehr als siebenmal so viele Einwohner wie in Berlin! Es gibt viel Industrie, und die Menschen heizen mit Kohle. Vor allem aber haben sehr viele in den vergangenen Jahren ein Auto gekauft. Früher war China ein armes Land, fast alle fuhren mit dem Rad. Noch vor 30 Jahren gab es ganz wenige Autos in Peking. Dann aber wurde China immer reicher, und plötzlich wollen alle ein Auto haben. Deshalb ist die Luft so schmutzig.
Dongdong hat keine Geschwister, wie so viele Kinder in China. China ist das Land auf der Erde mit den meisten Einwohnern. 1,3 Milliarden Menschen leben hier, auf der ganzen Welt sind es ungefähr 7 Milliarden. Damit es nicht noch mehr Menschen in China werden, hat die Regierung schon vor vielen Jahren angeordnet, dass Eltern in den Städten nur ein Kind bekommen sollen. Kriegen sie noch ein zweites, müssen sie hohe Strafen zahlen. Dongdong fühlt sich trotzdem nicht allein. Seine Mama arbeitet nicht und kümmert sich um ihn. Unten im Haus wohnt sein Onkel, der hat zwei Söhne, er musste also Strafe zahlen. Dongdong nennt seine Cousins Brüder. Vor allem aber ist da Qiqi, das Mädchen, das gleich über ihm wohnt. »Wenn ich groß bin, will ich sie heiraten. Sie will auch.« Vor einem Jahr hat er Qiqi kennengelernt.
Seit einiger Zeit aber hat Dongdong wenig Zeit, mit seiner Freundin zu spielen. Seit er die Mittelschule besucht, ist die Schule richtig anstrengend geworden. Morgens geht es mit Frühsport los, um halb vier nachmittags endet der Unterricht. Danach muss Dongdong Hausaufgaben machen und zwei Stunden zur Nachhilfe. Dort bekommt er noch mal Hausaufgaben.
Dongdong muss nicht etwa zur Nachhilfe, weil er so schlecht in der Schule wäre – viele Kinder in Peking gehen hin, egal, wie gut sie sind. Weil viele chinesische Eltern eben nur ein Kind haben, verwöhnen sie es sehr. Einerseits. Andererseits haben sie an ihr Kind auch hohe Erwartungen und wollen unbedingt, dass es Erfolg hat. Am Ende des Gymnasiums steht die große Abschlussprüfung, sie entscheidet, wer wo was studieren darf. »Die Konkurrenz ist riesig«, sagt Dongdongs Mama. »Deshalb sind alle Eltern in China sehr nervös.« Sie fürchten, dass ihr Kind zurückbleiben könnte. Und weil alle seine Mitschüler zur Nachhilfe gehen, geht Dongdong eben auch.
Nicht alle Nachhilfestunden haben etwas mit der Schule zu tun. Samstags, wenn Kinder in Deutschland freihaben, ist Dongdongs Tag besonders voll. Erst hat er Mathe. »Den Kurs hasse ich. Aber was soll ich machen, in Mathe bin ich nicht gut.« Danach geht er in den Flugzeugmodellbaukurs. Anschließend in den Roboterbaukurs. Und schließlich zur Kalligrafie, dort lernt er, chinesische Schriftzeichen schön aufzuschreiben. An anderen Tagen lernt er Englisch, Tischtennis und Fußball.
Sind Dongdongs Eltern streng? Mit seiner Mutter scheint er sich sehr gut zu verstehen. Manchmal ist er ein bisschen frech zu ihr. Da sagt er etwa: »Uuuuuuu, mach nicht so einen Mund wie die alten Leute. So nach unten gezogen, wie sieht denn das aus?« Den Vater sieht er zweimal die Woche. Hin und wieder seien seine Eltern streng, sagt Dongdong, da schlage ihn der Vater, manchmal tue das auch die Mutter, »aber nicht so schlimm«.
In Deutschland ist es schon seit vielen Jahren nicht mehr erlaubt, dass Eltern ihre Kinder schlagen, in China ist das noch immer anders. »Mein Papa und ich haben jetzt aber etwas ausgemacht. Wenn ich Papa ärgere, dann ruft er die Polizei. Und wenn er mich schlagen will, dann ruf ich die 110 an.«
Wenn Dongdong nicht gerade bei der Nachhilfe ist, spielt er Fußball. Er spielt mit den Kindern in der Nachbarschaft oder mit dem iPad seiner Mutter. Manchmal bastelt Dongdong auch. Er hat ein Monopoly-Spiel gemacht, mit selbst gezeichnetem Geld. Nur dass da anstelle der Straßennamen Himmelsgestirne stehen. Sonne, Mond, Mars, die Milchstraße. Das Schwarze Loch ist am teuersten, kommt ein Spieler darauf, muss er den anderen Mitspielern sehr viel Geld zahlen. Wenn er groß ist, will Dongdong Wissenschaftler werden, chinesische Medizin studieren und etwas ganz Tolles erfinden: »Eine Gottesmedizin, die allen hilft, ganz alt zu werden und all ihre Wünsche zu erfüllen.«