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„Pinguin“ im Pausenhof

 

KinderZEIT© Arne Mayntz
Auf andere zugehen, Fragen stellen und Artikel schreiben: Für die Hochfeld-Schüler ist das Zeitungmachen eine ganz besondere Herausforderung


Von Hauke Friederichs

Sebastian steht aufgeregt vor der Tür des Klassenzimmers. Der 17-Jährige hat eine wichtige Aufgabe für seine Schülerzeitung Pinguin. Er soll ein Interview führen, also einer Lehrerin Fragen stellen und das Gespräch mit einem Diktiergerät aufnehmen. Für Sebastian ist das eine große Herausforderung. Ihm fällt es schwer, auf Menschen zuzugehen, sich vorzustellen, wie sie sich fühlen. Sebastian leidet an einer Krankheit, die Autismus heißt.
Autisten nehmen ihre Umgebung anders war. Oft kann sich Sebastian schlecht konzentrieren, und manchmal ist er sehr unsicher. Dann braucht er Hilfe von Lehrern und Mitschülern – wie jetzt bei seinem Interview. Florian, der ein Jahr jünger ist, begleitet Sebastian, um ihn zu unterstützen – wenn er zum Beispiel nicht die richtigen Worte findet.
Die Jungen besuchen die Schule Hochfeld in Rendsburg in Schleswig-Holstein. Hier lernen Kinder, die geistig und körperlich behindert sind oder eine Lernschwäche haben. 105 Schüler werden von fast 40 Lehrern und Erziehern unterrichtet. Nur wenige Förderschulen haben eine Zeitung, die hauptsächlich von Schülern gemacht wird. Deshalb ist der Pinguin so besonders. Der Name steht übrigens für Post, Infos, Nachrichten, Grüße, Unterhaltung, Interviews und Neuigkeiten.
Auf dem Flur vor dem Klassenzimmer drückt Sebastian die Aufnahmetaste des silbernen Diktiergeräts. Eine kleine Kassette im Inneren beginnt zu laufen. Räder drehen sich, und ein winziges Zählwerk rattert. Es zeigt an, wie viele Minuten das Diktiergerät aufgenommen hat. Sebastian schaut den sich drehenden Ziffern zu – und lächelt. Wenn er mit Zahlen zu tun hat, kann Sebastian sich konzentrieren, dann fühlt er sich stark. Wie viele andere Autisten ist Sebastian sehr begabt beim Kopfrechnen. Solange es um Zahlen geht, kennt er keine Furcht. Jetzt kann das Interview losgehen. Er klopft an die Tür.
Sebastian und Florian gehen in das Klassenzimmer hinein. Dort unterrichtet gerade Karin Franz. Die Lehrerin nimmt sich Zeit für das Gespräch, und die ganze Klasse hört zu. »Was machst du in der Freizeit?«, fragt Sebastian und hält Frau Franz das Aufnahmegerät hin. Aus den Fragen und Antworten wird ein Artikel für die Schülerzeitung. »Lehrer sind auch Menschen«, wird als Überschrift darüber stehen. Die Lehrer sollen erzählen, was sie mit ihrer Familie am Wochenende unternehmen, was ihre Hobbys sind, und sie sollen zugeben, was sie nicht so gut können.
In der Redaktion des Pinguins arbeiten sechs Schüler. Sie haben alle unterschiedliche Aufgaben, je nachdem, was sie gut können. Florian, der Sebastian zum Interview begleitet, kann sehr gut schreiben und organisieren. Deswegen ist er der Chefredakteur und verfasst die meisten Artikel. »Es gibt Themen, die man einfach machen muss«, sagt er. So schrieb er in der letzten Ausgabe einen Artikel über Gewalt, auch wenn die an der Schule Hochfeld kein großes Problem ist. In der nächsten Ausgabe möchte Florian über Musik schreiben. Er spielt nämlich auch Elektrobass in einer Band. »Der Musikraum der Schule könnte viel besser eingerichtet sein. Das werde ich zum Thema machen«, sagt der Chefredakteur.
Sebastian ist in der Redaktion für Interviews und Zahlenrätsel zuständig. Marc-Fabian, mit elf Jahren der Jüngste im Team, tippt viele Texte ab. Er kann am besten mit dem Computer umgehen. Weil er aber so schlecht sieht, setzt er sich immer ganz dicht vor den Bildschirm.
KinderZEIT© Arne Mayntz
Aus dieser Arbeit wird einmal im Schuljahr eine Ausgabe der Schülerzeitung. Der Pinguin sieht nicht aus wie eine normale Zeitung, sondern ist so groß wie ein Din-A4-Schulheft. Das Titelblatt hat immer eine andere Farbe und zeigt einen Comic-Pinguin. Die Redaktion stellt die Zeitung auch selbst her. Das ist billiger, als wenn eine Druckerei das macht. Die Redakteure brauchen dafür viel Papier, einen Computer mit Drucker, eine Schere, einen Fotoapparat und ein Kopiergerät. Mit dem Computer schreiben sie die Artikel und drucken sie aus. Mit der Kamera fotografieren sie, schneiden die Fotos später zurecht und kleben sie auf die Seiten zu den passenden Artikeln.
Wenn alle Seiten fertig sind, kopieren die Schüler sie und heften sie zusammen. Dann ist ein Exemplar des Pinguins fertig. Allerdings machen die Jungen das Ganze 100 Mal – denn 100 Hefte stellt die Redaktion von jeder Ausgabe her.
In der Pause verkaufen die Redakteure ihre Zeitung auf dem Schulhof an Mitschüler, Eltern und Lehrer. 50 Cent kostet ein Heft. Mit den Einnahmen bezahlt die Redaktion ihr Material wie Papier und Kleber. Bleibt Geld übrig, gehen die Schüler später gemeinsam Eis essen oder machen einen Ausflug.
In diesem Monat ist es wieder so weit: Florian, Sebastian und Marc-Fabian werden eine neue Ausgabe des Pinguins verkaufen. Etliche Seiten der Zeitung sind schon fertig. Gerade die Stellen, an denen Lehrer über ihre Schwächen reden, werden die Schüler gerne lesen, glauben Florian und Sebastian. Und so wird der Pinguin wieder für viele Gespräche auf dem Pausenhof der Schule Hochfeld sorgen.