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Unfaire Wahlen

 

Der rote Platz im Zentrum von Moskau/ © Getty Images

In Russland ist Demokratie schwieriger als bei uns

Von Johannes Voswinkel

Wahlen in Russland sind nicht leicht durchzuführen. Nicht nur weil knapp 50 Millionen mehr Menschen als in Deutschland daran teilnehmen können. Nein, Russland ist auch das größte Land der Erde, und der Weg zum Wahllokal ist für manchen weiter als hundert Kilometer. In solchen Fällen muss die Wahlurne zu den Wählern kommen. Zum Beispiel zu den Flottensoldaten in den Garnisonen am Rande des Eismeeres oder zu den Rentierhirten und Forschern in der fast menschenleeren Tundra des hohen Nordens, wo es im Augenblick nur gut sieben Stunden am Tag einigermaßen hell ist. Ein Hubschrauber, der vor dem Wahlsonntag bei ihnen einfliegt, ist für diese Wähler das Wahllokal. Ein auf dem Bordtisch aufgestellter Aktenordner soll, etwas wackelig, das Wahlgeheimnis wahren: Der Matrose oder Geologe kann dahinter unbeobachtet sein Kreuzchen machen. Die tragbare Wahlurne, ein Köfferchen mit Griff, steht gleich daneben.

Am 4. März wählen die Russen einen neuen Präsidenten. Früher, vor mehr als hundert Jahren, hieß das Oberhaupt Russlands noch Zar. Der Zar wurde nicht gewählt, sondern kam als Mitglied der Herrscherfamilie auf den Thron in Moskau. Meist war es der Sohn des vorigen Regenten.

1917 brachte eine Revolution die Kommunisten an die Macht – Menschen, die mit Gewalt durchsetzen wollten, dass alle gleich sind. Aber auch sie behielten das Modell des allmächtigen Landesherren bei. Noch heute, in Russlands erster Demokratie – in der jeder wählen darf –, führt der russische Präsident das Land fast wie ein Zar. Er bestimmt über vieles: von der Zusammenarbeit mit Amerika bis zur Verteilung der Feiertage im Jahr. Die Kräfte, die ihn als Gegengewicht kontrollieren sollen – das Parlament, die Regierung oder die Medien –, sind von ihm abhängig. Viele demokratische Rechte stehen deshalb nur auf dem Papier.

Wladimir Putin/ © Getty Images

Der aussichtsreichste Kandidat am 4. März, Regierungschef Wladimir Putin, war schon von 2000 bis 2008 Präsident und hat damals alle, die gegen ihn auftraten, an den Rand gedrückt. In den Wahlen wollte und will er beweisen, dass er unangefochten beliebt ist.

Dass andere Kandidaten oft gar nicht zur Wahl zugelassen werden, dass Busladungen von Putin-Wählern gleich in mehreren Wahllokalen ungestraft für ihn abstimmen und dass manche Wahlkommissionsleiter seine Stimmenzahl später im Hinterzimmer mit Radiergummi und Bleistift erhöhen, ist zwar bekannt. In manchen Wahllokalen gab es früher sogar Ergebnisse von mehr als 100 Prozent! Aber lange Zeit regte sich kaum jemand darüber auf, weil es mit der Wirtschaft aufwärtsging, weil die Gehälter stiegen und weil man es nicht anders kannte.

In Russland wird gegen Wladimir Putin demonstriert/ © Getty Images

Diese Zeit scheint vorbei zu sein. Nach der Parlamentswahl im Dezember (sie findet getrennt von der Präsidentenwahl statt) gingen Zehntausende auch bei minus 20 Grad auf die Straße, vor allem in Großstädten. Sie wollten gegen Wahlfälschungen und gegen Putin protestieren. Die Demonstranten fordern neue Politiker, die bei Wahlen nicht betrügen.

Die, die da protestieren, sind vorwiegend zwischen 20 und 40 Jahre alt. Wenn sie sich über Politik informieren oder diskutieren wollen, gehen sie ins Internet. Das Fernsehen, das vom Staat überwacht wird und Putin unterstützt, interessiert sie kaum. Sie werden nicht verhindern können, dass die Mehrheit der Russen, vor allem der Menschen auf dem Land, Putin wiederwählt. Aber sie werden ihm das Regieren schwerer machen.

Die Wahlen in Russland werden von Wahlbeobachtern begleitet. Hier könnt Ihr ein Interview mit Wahlbegleiterin Martina Oppermann lesen.