© Sebastian Arlt
Pfarrer Cambensy ist praktisch immer im Dienst. Jetzt im Mai hat er an den Wochenenden viele Erstkommunionsfeiern. Aber was tut er, wenn nicht Sonntag ist?
Von Angelika Dietrich
Eigentlich komisch: In der Schöpfungsgeschichte der Bibel steht, dass Gott am siebten Tag, als er Himmel und Erde erschaffen hatte, ruhte. Aber was macht sein Diener auf Erden, der Pfarrer? Arbeitet am siebten Tag! Geht in die Kirche und hält den Gottesdienst. Immer dann, wenn wir freihaben, weil Sonntag ist oder Ostern oder Weihnachten, hat der Priester besonders viel zu tun. Aber was macht er, wenn alle anderen arbeiten oder in die Schule gehen? Hat er dann wenigstens frei?»Nein«, sagt Pfarrer Martin Cambensy und lacht. »Eigentlich hat ein Pfarrer nie frei.« Martin Cambensy ist katholischer Priester in München-Moosach – in seiner Gemeinde leben 15 000 Katholiken, um die er sich alle kümmern muss, von der Geburt bis zum Tod. Cambensy, der lieber ein T-Shirt und eine ganz normale Hose trägt als die Soutane, das lange schwarze Gewand eines katholischen Priesters, spricht mit Eltern, die ihr Kind taufen lassen wollen, genauso wie mit Paaren, die heiraten möchten, oder mit Menschen, in deren Familie jemand gestorben ist. Er feiert Taufen, Erstkommunion, Firmung und Hochzeiten. Er tröstet Kranke, und er beerdigt die Toten. Am liebsten mag Pfarrer Martin Cambensy die Taufen. »Da besuche ich die Familien vorher zu Hause und lerne sie ein bisschen kennen.«
Jeden Tag klingelt bei Cambensy um sechs Uhr morgens der Radiowecker, dann hört er klassische Musik, macht sich seinen Kaffee mit einer italienischen Kaffeemaschine, liest Zeitung und löst Sudokus. Um acht Uhr kommt seine Haushälterin, die für ihn kocht, wäscht, putzt und bügelt. Pfarrer Cambensy geht derweil ins Büro, wo ein siebenarmiger Leuchter auf dem Boden steht und auf dem Schreibtisch ein rosa Osterhase hockt. Dort liest er seine E-Mails: Da kommt zum Beispiel eine vom Bauamt wegen der Renovierung des Kirchturms. Oder er muss sich um eine neue Erzieherin für den katholischen Kindergarten nebenan kümmern. »So eine Pfarrgemeinde«, sagt Cambensy, »ist heute fast schon ein mittelständischer Betrieb mit 20 Angestellten!« Und der Pfarrer ist ihr Chef. Schließlich sind 15 000 Katholiken eine Menge Menschen, für die er da sein, denen er von Gott erzählen und die Sakramente spenden muss (so nennt man Dinge wie die Taufe, die ein sichtbares Zeichen für Gottes unsichtbare Anwesenheit sein sollen). Deshalb hat der 49-jährige Cambensy seine Helfer: den Diakon und den Kaplan, eine Pastoralassistentin, eine Gemeindereferentin und eine Religionslehrerin.
In Cambensys Terminkalender stehen so ungewöhnliche Dinge wie »U-Bahn-Baustelle segnen« oder »Maibaum-Wache« – denn diese Stange wird (so will es das bayerische Brauchtum) vor der Maifeier gerne gestohlen. Im Kalender steht auch jeden zweiten Dienstagnachmittag: »Seniorenclub« – dann geht der Pfarrer zu den Alten der Gemeinde zum Kaffeetrinken. Montagabend und Donnerstagmittag geht er zum Stammtisch der Moosacher Vereine – unter anderem treffen sich da Feuerwehrleute und Schützen. Manchmal hält der Pfarrer einen Vortrag, oder er besucht in den Ferien die Moosacher Kinder im Zeltlager. »Das ist das Schöne am Pfarrersein – es gibt in jeder Altersgruppe etwas zu tun.« Und wenn der Pfarrer tagsüber zwei, drei Stunden Zeit hat, schreibt er die Predigt für die zwei Sonntagsgottesdienste. Cambensy ist außerdem auch noch Sportpfarrer für Bayern. Er hat Gottesdienste bei der Fußballweltmeisterschaft organisiert; manchmal weiht er Räume in Sportschulen ein oder nimmt Stellung zu Fragen wie Doping.
Weil der gute Hirte, wie ein Pfarrer auch genannt wird, für seine Schäfchen immer erreichbar sein soll, muss er sich in der Regel keine eigene Wohnung suchen: Er darf im Pfarrhaus wohnen, das meist ganz nahe bei der Kirche steht. Das Pfarrhaus von St. Martin, Cambensys Pfarrei, ist rosa mit graublauen Fensterläden und von einem großen Garten umgeben. Oben unter dem Dach wohnt der Kaplan, ein Stockwerk tiefer Martin Cambensy. Im Erdgeschoss sind die Büros, das Fernsehzimmer und die Küche. Wenn das Essen fertig ist, schlägt die Haushälterin auf den silbernen Gong, der im Flur hängt. »Sie kocht sehr gut, zum Beispiel Rinderrouladen mit Reis, und die Salate sind immer kleine Kunstwerke, die mit Nüssen oder Oliven dekoriert sind.« Gutes Essen mag der Pfarrer. Cambensys Bauch ist ziemlich rund.
Feiern muss ein Pfarrer auch recht viel. Tauferinnerungsfeier mit den Kommunionkindern. Osterfeier mit den Kindergartenkindern. Hochzeiten – und die Pfarrei St. Martin wird in diesem Jahr auch noch hundert Jahre alt. Pfarrer Cambensy sagt, wegen der Feste sei ein Pfarrer im »Dauerstress«. Aber er liebt die Feste. Jetzt im Mai zum Beispiel die Erstkommunion – doppelte Belastung für ihn, weil auch noch seine eigene Nichte Erstkommunion hatte und er eingeladen war.
Als Martin Cambensy zehn war, dachte er zum ersten Mal darüber nach, Pfarrer zu werden. Sein Vater war Kirchenmusiker, seine Mutter Chorleiterin – er war also immer schon viel in der Kirche. Dass ein katholischer Pfarrer nicht heiraten darf, hielt ihn davon nicht ab: »Man weiß das ja. Und der Beruf ist so ausfüllend – ein gescheites Familienleben könnte ich da nicht führen.« Ein evangelischer Pfarrer, der ja heiraten darf, muss versuchen, beides hinzubekommen – sein Leben für die Gemeinde und das für seine Familie.
Bei all den vielen Gesprächen und Festen findet Cambensy nur eine Sache an seinem Beruf lästig: dass er sich auch um eher langweilige Dinge kümmern muss wie Rechtsanwaltstermine oder Probleme bei den Renovierungen von Kirchturm oder Kindergarten. Aber die neue Glocke aussuchen, mit dem Glockenfachmann entscheiden, welchen Ton sie haben soll, welche Inschrift sie bekommt und wo sie gegossen wird – das entschädigt ihn dafür.
Nach einer anstrengenden Woche darf sich auch ein Pfarrer erholen. Das macht er meist am ersten Tag der Woche. Am Montag hat er Ruhetag.