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Reiten wie ein Cowboy

 

KinderZEIT© Dennis Williamson

Im Wilden Westen wird wild geritten. Bei den Karl-May-Festspielen lernen Reiter und Pferd sich zu vertrauen und auch bei lauter Musik und bei Explosionen nicht die Kontrolle zu verlieren
Von Hauke Friederichs

„Jack ist heute mal wieder ein wenig lahmarschig“, seufzt Lina. Die Zehnjährige nimmt ihren Helm ab und setzt sich erschöpft auf einen Hocker. Hinter ihr, in der Reithalle, trabt Jack mit Noa im Sattel durch eine Reithalle. Beide Mädchen bekommen ein spezielles Reittraining. Denn sie treten bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg als Schauspielerinnen auf und dürfen im Sattel nie die Kontrolle verlieren.Lina schaut der zwölfjährigen Noa zu, die aus dem langsamen Trab in den Galopp wechselt. In der Mitte der Halle steht die Reittrainerin Sylvia Kassel. Sie achtet darauf, dass Noa gerade im Sattel sitzt, die Zügel straff hält und das Pferd richtig lenkt.

Jack ist ein Spanier – so heißt eine Pferderasse. Er hat schon viele Schauspieler getragen und ihn bringt so schnell nichts aus der Fassung – auch junge Reiterinnen nicht, die ihn zur Eile antreiben. „Heute galoppiert er nicht gern“, sagt Lina. Sie trägt eine Reithose, schwarze Stiefel und einen dicken Fleecepullover – richtige Reitklamotten. Lina reitet schon seit Jahren, ihre Familie beteiligt sich an den Kosten für ein Pferd.
KinderZEIT© Dennis Williamson
Sie kann schon sehr gut reiten, dennoch muss sie für die Karl-May-Spiele noch einiges lernen. „Vor 7500 Leuten zu reiten, das Pferd ruhig zu halten, wenn alle klatschen oder bei Regen gleichzeitig die Schirme aufklappen, ist gar nicht einfach“, sagt Reittrainerin Kassel. Vor allem wenn dann noch ein Feuerwerk knallt, grelles Licht angeht und laute Musik ertönt, können Pferde scheuen. „Pferde sind Fluchttiere, die haben es in den Genen, bei Gefahr wegzulaufen“, sagt Kassel.
Sie ist für die 25 Pferde der Karl-May-Spiele und die Reiterstatisten zuständig. Reiterstatisten, das sind junge Frauen, die als Indianer oder Gangster mit den Schauspielern reiten, aber keinen Text sprechen.
In der Reithalle findet das Anfangstraining statt, wichtiger ist das Training in der Arena des Freilichttheaters in Bad Segeberg. An einem Junitag lässt Lina Jack dort eine Acht traben.
KinderZEIT© Dennis Williamson
Dann reitet sie einen Hang hinauf und durch die Kulisse einer Westernstadt hindurch zum mittleren Ring des Theaters. Zwischen den Zuschauerblöcken galoppieren die Schauspieler während des Auftritts dicht an den Gästen vorbei. Da dürfen die Reiter keinen Fehler machen. Lina beugt sich vor, klopft Jack auf den Hals und presst sich in den Sattel. Jack versteht die Signale und beginnt schneller zu laufen.
Schritt, Trab und Galopp heißen die unterschiedlichen Reitgeschwindigkeiten. Im Schritt trottet das Pferd gemächlich vor sich hin, beim Galopp spritzen die Sägespäne in der Arena hoch und Jack nimmt richtig Fahrt auf.
Mit viel Schwung galoppiert Lina in die Arena hinein. Hier muss sie die Übersicht behalten, denn die anderen Schauspieler reiten ebenfalls ihre Tiere ein und es ist wenig Platz für Wendemanöver vorhanden. Nach einer weiteren Runde ist Lina fertig. Sie steigt aus dem Sattel und springt auf den sandigen Boden. Noa übernimmt die Zügel.
KinderZEIT© Dennis Williamson
„Galoppier mal über Eingang vier in die Arena hinein“, fordert Sylvia Kassel sie auf. Pferd und Reiterin müssen die Wege, die sie im Stück zurücklegen, genau kennen. „Beide Mädchen  haben das Pferd sehr gut unter Kontrolle“, lobt Kassel.
Das Training ist für Mensch und Tier wichtig, damit sich beide aneinander gewöhnen. „Es ist wichtig, dass Pferd und Reiter sich gut kennen und sich vertrauen“, sagt Sylvia Kassel. Ein Pferd hat einen eigenen Willen und kann auch mal keine Lust haben, durch die Arena zu preschen. Erfahrene Reiter erkennen, wie ihr Pferd sich fühlt, und wissen, wie sie darauf reagieren müssen. „Manchmal muss man Jack gut zureden, damit er zu laufen beginnt“, sagt Lina.
Nach dem Training ist die Zehnjährige erschöpft, doch die Arbeit ist noch nicht vorbei. Gemeinsam bringen die Mädchen Jack in den Stall hinter der Freilichtbühne. Dort nehmen sie ihm den Sattel ab, striegeln ihn gründlich, geben ihm Futter und kontrollieren, ob er genug zu Trinken hat. Und ab und zu geben Lina und Noa dem Hengst eine leckere Belohnung – vor allem, wenn Jack ganz freiwillig in den Galopp gegangen ist.