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Zimmer frei

 

Jason mit seinen Eltern an der Rezeption und beim Toben und Spielen in seinem Zimmer/ © Michael Herdlein
Jason mit seinen Eltern an der Rezeption und beim Toben und Spielen in seinem Zimmer/ © Michael Herdlein

Der achtjährige Jason wohnt da, wo andere Urlaub machen – im Hotel

Von Claudia Knieß

Wenn seine Freunde Jason besuchen wollen, müssen sie zunächst durch eine gläserne Schiebetür in eine große Eingangshalle treten und sich an der Rezeption anmelden. Denn Jason wohnt im Hotel. Nicht nur in den Sommerferien, sondern immer. Seine Eltern leiten das Haus in der bayerischen Stadt Augsburg. Es hat 100 Zimmer und beherbergt 250 Gäste, wenn es ausgebucht ist.

Jason ist acht Jahre alt, seit seiner Geburt lebt er da, wo andere ausspannen oder auf der Geschäftsreise Halt machen. Bedeutet das, dass die Zimmermädchen auch sein Zimmer sauber machen? Und kann er Limonade einfach beim Zimmerservice bestellen? »Nein«, lacht er.

Hinter der Rezeption führt eine Tür in die Büroräume und von da aus geht es weiter in eine ganz normale Wohnung. Hier kommen die Gäste nicht hin – und hier lebt Jason: drei Zimmer, eine gemütliche Wohnküche und eine Terrasse, die an den großen Hotelparkplatz grenzt. »Aufräumen und mein Bett machen muss ich selber«, sagt er. »Und nur wenn es schnell gehen muss, frühstücken wir mal bei den Hotelgästen mit. Abends kochen wir in unserer Küche.« So weit, so normal.

Nur dass der Arbeitsplatz der Eltern eben direkt hinter der nächsten Tür liegt. Das hat viele Vorteile – und ein paar Nachteile. »Es ist toll, dass immer jemand für mich da ist, also Mama und Papa in der Nähe sind«, erzählt Jason. Anders als Väter und Mütter, die den ganzen Tag in einem Büro weit weg von der Familie sind, arbeiten seine Eltern da, wo die Familie wohnt. Das heißt, die drei können sich eigentlich immer sehen, wenn Jason nicht gerade in der Schule ist. Oder wenn mal wieder ein Gast eine dringende Frage hat.

Denn das ist natürlich der Nachteil: Jasons Eltern müssen sich rund um die Uhr um ihr Hotel kümmern. Neulich hatte mal wieder ein Gast seinen Schlüssel vergessen und klingelte die Familie mitten in der Nacht aus dem Bett. Bei einem Haus mit so vielen Zimmern wie ihrem ist immer viel zu tun, damit alles läuft und sich alle Gäste wohlfühlen. Ein Abendessen zu dritt oder ein gemeinsamer Ausflug sind deshalb etwas Besonderes.

Am Wochenende oder in den Ferien hilft Jason seinen Eltern manchmal. Dann geht er pünktlich um halb acht morgens mit seinem Vater an die Rezeption und schaut, wie viele Gäste heute ankommen oder wann der nächste Reisebus erwartet wird. Wenn der ankommt, verteilt Jason Buntstifte und Malblöcke an die Kinder.

Das Hotel liegt genau zwischen der Augsburger Innenstadt, dem Messezentrum und einem großen Wald mit vielen Badeseen. Deswegen kommen sehr unterschiedliche Gäste hierher: Geschäftsleute, die auf der Messe zu tun haben, und Familien mit Kindern, die hier wandern und Fahrrad fahren. Doch zu den Hotelgästen hält Jason eher Abstand: Die Besucher bleiben nie lange, da lohnt sich das Anfreunden kaum. Deshalb muss Jason sich mit Kindern aus der Schule verabreden, wenn er mit jemandem spielen möchte.

»Wenn jemand zum ersten Mal zu mir kommt, findet der das natürlich schon spannend, dass er in ein Hotel muss«, erzählt Jason. Mit Kumpels auf den Fluren toben oder in einem der Zimmer spielen ist aber nicht erlaubt, obwohl die Hotelbetten zum Rumhüpfen klasse geeignet wären. Auch in die große Waschküche und die Hotelküche dürfen Jason und sein Besuch nur, wenn Jasons Eltern dabei sind. Also spielen die Freunde im Kinderzimmer oder machen Ausflüge zur Augsburger Puppenkiste oder in den Zoo. Manchmal dürfen sie auch in der Stadt ein Eis essen gehen.

Und dann sind da noch die 20 Hotelangestellten. »Die sind nett, und die mögen mich auch gerne«, sagt Jason. Sie schenken ihm etwas, wenn er Geburtstag hat, und mit einer der Auszubildenden versteht Jason sich sogar so gut, dass sie sich manchmal abends um ihn kümmert, wenn seine Eltern keine Zeit haben.

Er selber möchte später nicht in einem Hotel arbeiten. Seit er vier Jahre alt ist, will er Spiele-Erfinder werden und sich neue Sachen ausdenken, die man zusammenbauen kann wie Lego, aber auch Brettspiele und Computerspiele: »Ich hab sehr viele Einfälle.«

Und wo und wie verbringt man denn selbst seine Ferien, wenn man im Hotel wohnt? »Gerade waren wir in Italien in einem Ferienclub«, erzählt Jason. Da lässt er sich dann verwöhnen mit leckerem Essen im Restaurant und Kinderanimation. Aber das Schönste ist, dass seine Eltern hier richtig abschalten können und eben auch mal einfach Hotelgäste sind.