Regieren von unterwegs: Warum Angela Merkel mit einem ganz besonderen Flugzeug auf Reisen geht
Von Susanne Gaschke und Bernd Ulrich
Nicht viele Menschen fliegen zur Arbeit, aber die Bundeskanzlerin tut es ziemlich oft. Während sie in Berlin regiert, sitzt sie natürlich im Kanzleramt oder im Bundestag. Sehr oft muss sie sich aber im Ausland mit anderen Regierungschefs treffen und sich mit ihnen darüber unterhalten, ob die Länder politisch zusammenarbeiten wollen – beim Umweltschutz zum Beispiel. Und weil die Kanzlerin immer sehr in Eile ist, hat sie für solche Reisen ein eigenes Flugzeug. Oder eigentlich zwei: die Konrad Adenauer und die Theodor Heuss. Das erste heißt nach einem früheren Bundeskanzler von der CDU, das zweite nach einem ehemaligen Bundespräsidenten von der FDP. Diese Flugzeuge gehören der Kanzlerin nicht privat, sie gehören der Bundeswehr. Wenn Angela Merkel sie gerade nicht braucht, dann dürfen Minister damit fliegen, manchmal auch Bundestagsabgeordnete.
Die Kanzlerin fühlt sich ziemlich wohl in ihrem Flugzeug. Gleich am Eingang steht eine große Blumenvase, da steckt der »Chef der Kabine«, Oberstabsfeldwebel Friedhelm Wehrhoff, immer eine prachtvolle Blume hinein, eine Orchidee oder eine Lilie. Und dann hat die Kanzlerin – oder der Bundespräsident, wenn er unterwegs ist – ein eigenes Schlafzimmer an Bord. Bequemer als im Ferienflieger nach Mallorca! Aber die Kanzlerin darf ja auch nicht müde und zerknittert aussehen, wenn sie in Japan zum Staatsbesuch ankommt.
Das Schlafzimmer ist klein, kleiner als ein normales Kinderzimmer, und es hat zwei schmale Betten mit gesteppten Überdecken. Die Betten sind praktisch, besonders wenn man bedenkt, dass alle anderen Mitreisenden – Sekretäre, Journalistinnen, Bodyguards, Unternehmer – in ihren Sesseln schlafen müssen. 85 Personen kann die Kanzlerin auf ihre Reisen mitnehmen. Aber nur sie hat ein Badezimmer, mit einem großen Spiegel, mit eigener Toilette, Waschbecken und einer richtigen Dusche. Friedhelm Wehrhoff sorgt dafür, dass es den Passagieren an Bord gut geht. Alle Gäste bekommen sehr leckeres Essen, mit Vorspeisen und Nachtisch, und sie dürfen, wenn sie wollen, Wein aus echten Gläsern trinken. Keine Pappbecher!
Und was isst die Kanzlerin gern an Bord? »Gemüse und Dips, Salat und Obst mag sie sehr«, sagt Friedhelm Wehrhoff, »und sonst ganz normale Gerichte, Suppe, Braten und so weiter.« Da ist die Kanzlerin also pflegeleicht: Wehrhoff könnte auch von Ministern erzählen, die ihm und seiner Besatzung schon mit Sonderwünschen das Leben schwer gemacht haben. Oder von Passagieren, die hinten im Flugzeug ganz unordentlich ihre ausgelesenen Zeitungen auf den Boden schmeißen. Aber das tut er ebenso wenig wie der Kommandant des Flugzeugs, Oberstleutnant Ulrich Bartholme. Die Gäste sollen sich ja wohlfühlen unterwegs – und nicht befürchten, dass alles, was sie machen, weitererzählt wird. Im Übrigen hat der Kommandant sowieso alle Hände voll zu tun: Ulrich Bartholme muss manchmal auf so entlegenen Flugplätzen landen (neulich zum Beispiel in Bratsk, in der Nähe von Irkutsk in Sibirien), dass er sich nicht immer sicher ist, ob es dort eine ordentliche Landebahn gibt. Und er muss vor jeder Reise klären, ob die Kanzlermaschine fremde Länder überfliegen und ob sie am Ziel zügig landen darf.
Richtig erholen kann sich die Kanzlerin an Bord nicht. Sie muss die Weltlage besprechen, den Staatsbesuch vorbereiten – und mitbekommen, ob sich zu Hause ihre Minister streiten. Oder ob etwas Schreckliches passiert ist, ein Zugunglück oder eine Überschwemmung. In solchen Situationen wollen die Menschen sofort wissen, was die Regierungschefin sagt. SMS schreiben darf Angela Merkel aus dem Flugzeug nicht, obwohl sie das sonst gern tut. Aber das Handy könnte die Bordelektronik stören, deshalb muss sie auch zum Sprechen ein Satellitentelefon benutzen. Wenn sie arbeitet oder isst, sitzt die Kanzlerin meist im Besprechungszimmer, auf dicken Polstersesseln.
Manchmal veranstaltet sie an Bord eine Art Pressekonferenz. Dafür gibt es einen Extraraum, etwas größer als das Schlafzimmer. Darin befinden sich nur sechs Sessel, und darum müssen die mitreisenden Journalisten oft auf dem Boden sitzen oder knien. Das ist eigentlich nicht in Ordnung, denn die Presse sollte nicht vor der Macht knien. Allerdings ist die Kanzlerin meist sehr lustig, da ist es nicht so schlimm.
Weil die Kanzlerflugzeuge schon recht alt sind – fast 20 Jahre –, hat das Parlament im März beschlossen, zwei neue Flugzeuge zu kaufen, mit denen man weiter fliegen kann als mit der Konrad Adenauer und der Theodor Heuss und in die mehr Menschen hineinpassen. Um Geld zu sparen, werden auch diese »neuen« Maschinen gebraucht gekauft; mit allem Drum und Dran kosten sie allerdings immer noch 400 Millionen Euro. Das klingt sehr teuer, aber die Flugzeuge (der Flugzeugtyp heißt Airbus A340-300) werden dafür alles Mögliche können: Zum Beispiel sollen sie endlich E-Mail an Bord haben (und zwar so, dass niemand heimlich mitlesen kann), und sie bekommen eine Art Laserwaffe, mit der die Besatzung Raketen abwehren könnte, falls das Flugzeug angegriffen würde. (Das ist noch nicht passiert, aber man weiß ja nie.) Wahrscheinlich hofft die Kanzlerin, dass sie bei der Auswahl der neuen Tapeten ein Wörtchen mitreden darf: Die alten haben ein ziemlich scheußliches Muster.
Der Verlauf einer Reise wird sich freilich auch mit den neuen Flugzeugen nicht ändern: Die Landung muss pünktlich auf die Sekunde sein, besonders bei Gipfeltreffen, wo die Regierungsflugzeuge aus aller Welt vor dem roten Teppich für die Gäste Schlange stehen. Wenn die Tür sich öffnet, steigt die Kanzlerin als Erste aus und blinzelt in die Sonne. Davon gibt’s immer die Filmaufnahmen, die abends im Fernsehen zu sehen sind. Wenn uns diese Bilder erreichen, ist sie schon wieder unterwegs in ihrem fliegenden Kanzleramt.