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Schreibwettbewerb: Die Suche nach Polly- Teil 1

 

© Sabine Wilharm
© Sabine Wilharm

Von Liz Lang (12 Jahre)

„Bertram, gib es auf, wir finden sie ja doch nicht!“, flüsterte Sherlock Ming. Sie hatte es sich angewöhnt zu flüstern. Es machte sie geheimnisvoller, fand sie. Das stimmte auch, obwohl sie auch ohne das Flüstern sehr geheimnisvoll war. Die schwarzen Haare, die sie stets mit einem roten Haarband zusammen hielt, die riesige Lupe, die sich ganz klein zusammenfalten ließ und der lange Mantel, wie ihn schon Mings großes Vorbild, Sherlock Holmes, getragen hatte. „Vergiss es!“, schnaubte Bertram. Er schnaubte oft, vor allem wenn es um seine Landkarten ging, die er seit dreihundert Jahren sammelte.Er selbst hatte stolze dreihundertzweiundfünfzig Jahre auf dem Buckel und sein Schnurrbart, der sich an den Enden zwirbelte, war immer noch strohblond, während der Rest seines Fells so wie eine alte Eiche aussah: braun und zerfurcht. „Das war meine Lieblingslandkarte!“, schnaubte er wütend. Jede Landkarte war seine Lieblingslandkarte, das wusste Ming. Sie wusste auch, dass es sinnlos war, mit Bertram zu diskutieren. „Südengland! Mit einem Stückchen von Wales darauf! Im 18. Jahrhundert erstellt; und zwar von …“ „Ich will es gar nicht wissen. Aber dafür hab ich etwas viel Interessanteres für dich.“ Sie deutete nach links, in eine Gasse, die scharf von der Strandpromenade des North East Hafens abzweigte. Ein kleines Tier, mit fast orangefarbenem Fell saß auf einem Stapel alter Pappkartons, die nach Fisch rochen und längst durchweicht waren. Es knabberte glücklich an einem vergilbten Stück Papier und quiekte dabei vor Freude, so gut schien es ihm zu schmecken. Während Bertram vor Wut nach Luft schnappte, blieb Sherlock Ming ganz cool. Sie hatte schon viel gesehen, angefangen von ihrem australischem Schnurrbart-Wombat, also Bertram, bis hin zu diesem seltsamen Tierchen, welches unter Bertrams Gezeter seelenruhig auch das letzte Stückchen von Wales aus dem 18. Jahrhundert verspeiste. Dann rollte es sich zusammen und schlief trotz des immer noch brüllenden Bertram ein. Sherlock Ming hob es vorsichtig auf. Es passte genau in ihre Handfläche, als sei es dafür gemacht. Es hatte einen hellblauen Rucksack auf, den Ming nun vorsichtig öffnete. Ein Zettel kam zum Vorschein: Little Chap, arktischer Drachenflughund. Besitzer: Julika Nimmer. Mehr stand nicht darauf. Bertram hatte sich inzwischen halbwegs beruhigt. „LITTLE CHAP!“, hallte plötzlich eine Mädchenstimme durch die Hafengassen. „LITTLE CHAP!“ Instinktiv schnappte sich Sherlock Ming Bertram, hielt ihm den Mund zu und versteckte sich hinter ein paar alten Kisten, die entsetzlich nach Oktopus stanken. Das kleine Wesen, welches offensichtlich Little Chap war, wachte mit einem Schlag auf und hoppelte hinter den beiden her. Nun waren Schritte in der Gasse zu hören. „Little Chap? Bist du hier?“ Die Stimme war nun ganz nah. Ming drückte Bertram an sich. Sie hasste es, entdeckt zu werden. Dann kam sie sich immer so unprofessionell vor. „Quiek!“, machte Little Chap plötzlich und zwar so laut, wie man es bei seiner Größe niemals für möglich gehalten hätte. Ming fasste  einen spontanen Plan. Wenn sie nicht überrascht werden wollte, musste sie das Mädchen überraschen. Sekunden bevor das Mädchen sie und Bertram sah, trat sie mit Little Chap auf der Handfläche hinter den Kisten hervor. „Hallo Julika. Nett dich kennen zu lernen. Ich bin Ming. Sherlock Ming, bitte. Hier hast du Little Chap wieder. So heißt er doch, nicht wahr?“ Mit diesen Worten hielt sie der sprachlosen Julika Little Chap hin. „Quiek!'“ machte dieser. Das Mädchen hatte krisseliges, rotes Haar und eine blaugelbe Baseballmütze auf. Sie trug ziemlich bunte Klamotten und hatte mindestens tausend Sommersprossen auf der Nase. Ming war stolz auf sich, weil sie das so toll hinbekommen hatte. „Wie hast du … ? Woher weißt du .. ? Ich … äh … „, stotterte Julika. „Präzision, Scharfsinn und logisches Denken“, antwortete Ming, wobei sie vor Stolz sogar ihr typisches Flüstern vergaß. „In Wirklichkeit“, begann Bertram und Mings Freude begann zu schwinden, “hat sie nur den Zettel in dem Rucksack von diesem landkartenfressenden Ungetüm gefunden. Den Rest kann sich ja wirklich jedes Baby zusammenreimen.“ Bertram warf einen strengen Seitenblick auf Little Chap, welcher ihn aus schwarzen Knopfaugen anblickte und ihn stumm um Verzeihung bat. Diesem Blick konnte wirklich niemand widerstehen – außer Bertram. „Nenn mich Jule“, bat Jutika Sherlock Ming. ,,Danke, dass du Little Chap gefunden hast! Er ist letzte Nacht ausgerissen, sonst wäre ich ja schon längst mit Pelle und Atal weitergefahren, aber Little Chap musste ja unbedingt weglaufen. Aber wenn wir in einem neuen Hafen sind, kann er nie widerstehen, wegen der ganzen Gerüche und dem ganzen … „, Jule stockte in ihrem Redefluss, als sie die fragenden Gesichter von Sherlock Ming und Bertram sah. „Ihr habt keine Ahnung, wovon ich rede, stimmt’s?“ „So ziemlich“, antwortete Bertram. Er war es nicht gewöhnt, wenn Leute wie Jule so viel redeten. Sonst reiste er ja immer nm mit Ming um die Welt und klärte alle möglichen Fälle auf. Und bei Verbrecherjagden musste man nun mal leise sein, um sich nicht zu verraten. Auch sonst sprach Ming nicht viel. Das war auch gar nicht nötig, denn er und Ming, verstanden sich meistens auch ohne Worte gut. „Ich hab eine Idee!“, sagte Jule plötzlich. „Ihr kommt einfach mit zu unserem Schiff. Dann kann ich euch Pelle und Atal vorstellen! Die beiden werden euch gefallen!“ Sherlock Ming war einverstanden, doch Bertram blieb skeptisch. Da fügte Jule verschmitzt hinzu: ,,Auf unserem Schiff gibt es auch ganz viele Landkarten!“ Bertrams Gesicht hellte sich sofort um einiges auf, doch er wollte nicht offen zugeben, dass er sich so leicht herumkriegen ließ, darum sagte er: „Wir können es uns ja mal kurz anschauen.“ Sofort machten sich die vier auf den Weg zurück zum Anleger des North Bast Hafens. Schon von weitem hörten sie lautes Geschimpfe von der Stelle, wo Jule das Schiff Moonking angekündigt hatte. „Was ist denn da los?“, wunderte sich Jule. „Normalerweise ist Pelle relativ ruhig.“ „Vielleicht hat jemand seine Landkarten gefressen“, vermutete Bertram mit einem Seitenblick auf Little Chap. Der machte sich ganz klein in Jules Hand. Als sie an der Stelle ankamen, an der die Moonking noch vor weniger als einer Viertelstunde gestanden hatte, sahen sie was passiert war: Im Wasser des Hafenbeckens schwamm nicht etwa ein Schiff, sondern ein großer, brauner Koffer. Er war offen und man konnte darin Bücher, Landkarten, Spielkarten, ein dickes Schiffstau und noch allerhand Krimskrams sehen. Ein Mädchen, das wie ein Indianer gekleidet war und welches offensichtlich Atal war, stand betreten und mit gesenktem Kopf am Wasser, genau über der Stelle, an der der Koffer schwamm. Neben ihr stand ein Junge mit einem Piratenhut und einer richtigen Augenklappe. Er war anscheinend der Grund für das laute Geplärre und schimpfte pausenlos auf Atal ein. Sherlock Ming, die von den beiden genauso wenig wie Jule bemerkt wurde, beäugte die ganze Situation misstrauisch. Schließlich wurde es ihr zu bunt, und da Jule nicht gerade Anstalten machte, etwas zu sagen, flüsterte sie gerade laut genug um bemerkt zu werden: „Ich möchte die Herrschaften ja nun wirklich nicht stören aber erstens haben Sie Besuch und zweitens würde ich an Ihrer Stelle langsam mal den Koffer da unten aus dem Wasser holen, bevor er durchweicht.“ Pelle und Atal starrten erst sie, dann Bertram, der durchgehend schnaubte, und dann Jule mit Little Chap auf dem Arm an. Sie nickte nur zu Mings Worten. Atal lächelte Sherlock Ming dankbar an. Dann hielt Pelle Atal plötzlich die Hand hin: „Du weißt, dass ich schmollen nicht lange durchhalte.“ Atal nahm dankend an. „Nachdem das nun geklärt wäre“, sagte Pelle, „bitte ich dich, nun diesen Koffer, alias Moonking, da raus zu holen.“ „Da – das ist die Moonking?!“, stotterte Jule entsetzt. Atal nickte zaghaft. ,,Pelle war zu faul sie zu putzen, da sollte ich für ihn ein bisschen … zaubern… „, antwortete Atal zögernd. Dann hob sie die Hand, machte eine seltsame Bewegung in der Luft, es machte „Sprong“ und vor Ju
le, Sherlock Ming und den anderen lag ein großer brauner Koffer, der blitzblank geschrubbt war. „Wenigstens ist die Moonking jetzt sauber“, meinte Jule und versuchte zu lächeln. Es sollte wohl lustig klingen. „Also, lasst mich einmal zusammenfassen“, begann Sherlock Ming flüsternd. „Ihr drei seid also auf einem Schiff namens Moonking unterwegs, dann macht ihr hier Zwischenstopp, Little Chap reißt aus, Jule geht los und sucht ihn, Pelle und Atal wollen das Schiff schrubben. Liege ich bis hier hin richtig?“ „Exakt richtig“, antwortete Pelle. „Und dann?“, fragte Sherlock Ming. „Was ist dann passiert?“ Atal räusperte sich. „Ich kann ein bisschen zaubern. Mein Opa hat mir das beigebracht. Er ist ein entfernter Nachfahre von Houdini. Aber es ist schwer etwas so Großes wie die Moonking mit einem Schlag sauber zu bekommen. Wahrscheinlich hab ich auch ein paar Sprüche verwechselt…“ Sie verstummte. „Und warum seid ihr unterwegs? Macht ihr nur so zum Spaß eine Seereise oder…“ Pelle unterbrach sie: „Daran ist Polly schuld. Sie ist mein Papagei.Sie ist weggeflogen und wir wollen sie jetzt finden.“ „Also dann: Alle hinein in den Koffer. Es ist euch sicher aufgefallen, dass der Koffer kein bisschen nass ist“, sagte Jule. Das muss an meinem Zauber liegen“, meinte Atal. Jule fuhr fort: ,,Außerdem ist er sehr groß und das wichtigste ist noch drin.“ Sie deutete auf den Kompass und die Seekarten. Little Chap stimmte ihr mit einem „Quiek!“ zu. Bertram der die ganze Zeit über nichts gesagt hatte, stieg als erster in den Koffer. „Ming, wir kommen auch mit!“, schnaufte er. „Diese Landkarten sind teilweise so wertvoll, dass ich sie unmöglich dem da überlassen kann!“ Dabei deutete er natürlich wieder auf Little Chap. „Dann muss ich wohl auch mit“, wisperte Sherlock Ming und stieg in den Koffer. Jule, Little Chap, Atal und Pelle folgten den beiden in die ehemalige Moonking. Pelle sagte: „Atal, würdest du so nett sein, und den Koffer ins Wasser zaubern?“ Atal nickte, verschränkte die Arme, murmelte etwas und der Koffer – was machte der Koffer? Nein, er landete nicht im Wasser wie vorgesehen. Er erhob sich mit der nächstbesten Windböe in die Luft, drehte noch eine ehrenrunde über den North East Hafen und segelte dann elegant mit seiner ungewöhnlichen Besatzung an Bord aufs offene Meer hinaus. „Ups“, rutschte es Atal heraus. Little Chap quiekte vor Freude über das ungewöhnliche Gefühl und schlug ein paar Saltos. Doch nach einer Weile hatte er sich beruhigt und auch von den anderen sagte keiner ein Wort. Alle waren einfach nur still und warteten, wohin sie der Koffer fliegen würde…