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Essen oder nicht essen?

 

Ali Güngörmüş ist Muslim – und er ist Koch. Deshalb kann er im Ramadan nicht fasten. Wer sollte sonst die Speisen abschmecken?

Diese Frage stellen sich seit dieser Woche viele Menschen muslimischen Glaubens. Denn es ist Ramadan – der Monat, in dem Gläubige fasten sollen

Von Özlem TopÇu

Knurrende und grummelde Mägen – vielleicht hört Ihr die in diesen Tagen auch in Eurer Klasse oder bei Freunden. Denn am Mittwoch (11. August) hat der »Ramadan« begonnen – die Fastenzeit der Muslime. Ramadan ist der neunte Monat des islamischen Mondkalenders. Dieser Kalender ist in einigen islamischen Ländern wie Iran oder Saudi-Arabien in Gebrauch, parallel zum sogenannten gregorianischen Kalender (wie bei uns). Das Interessante an diesem Monat ist, dass Muslime während der 30 Tage nichts essen und trinken.

Na ja, »nichts« ist übertrieben. Sie essen und trinken nur zu bestimmten Zeiten. Der Koran, das heilige Buch der Muslime, schreibt das Fasten als eine Pflicht der Gläubigen vor und sagt, dass sie in dieser Zeit nur so lange essen und trinken dürfen, »bis ihr in der Morgendämmerung einen weißen von einem schwarzen Faden unterscheiden könnt« (Sure 2, Vers 187). Der Koran ist schon etwa 1350 Jahre alt, so ist auch seine Sprache etwas angestaubt. Weniger geschwollen ausgedrückt heißt das: Essen im Ramadan ist nur erlaubt, wenn die Sonne nicht am Himmel steht – also abends, nachts oder ganz früh morgens. Jetzt im Sommer, wenn die Sonne lange zu sehen ist und die Tage auch noch heiß sind, kann es ganz schön anstrengend sein, nicht zu essen und zu trinken. Zum Glück beginnt der Ramadan aber nicht immer im August. Denn, und jetzt wird es richtig kompliziert, im islamischen Mondkalender haben die Monate weniger Tage als die in unserem Kalender. Somit wandert auch der Ramadan rückwärts durch die Jahreszeiten. Im vergangenen Jahr beispielsweise hat er am 21. August begonnen, also zehn Tage später als in diesem Jahr. 2011 geht es schon am 1. August los.

Im Ramadan ist eigentlich jeder Muslim zum Fasten verpflichtet, ob Mann oder Frau. Ausgenommen sind Schwangere, Kranke und Kinder, weil sie noch wachsen oder es für sie gefährlich wäre, nichts zu essen oder zu trinken. Doch es gibt heute auch viele andere Muslime, die nicht fasten. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die einen sagen: Die alten Regeln des Korans passen nicht mehr in unsere Zeit. Die anderen sagen: Das ist nicht gesund. Und dann gibt es welche, die sagen: Ich habe einen Beruf, bei dem ich mir nicht erlauben kann, den ganzen Tag nichts zu essen und zu trinken.

Das gilt besonders dann, wenn man Koch ist. So wie Ali Güngörmüș der in Hamburg ein bekanntes Restaurant hat (das Le Canard nouveau, das ist Französisch und bedeutet »Die neue Ente«). Güngörmüş ist das, was man einen Sternekoch nennt: Seine Gerichte haben Fachleute so begeistert, dass er dafür einen Stern bekam – eine Auszeichnung für besonders gute Köche. Ali Güngörmüş war der erste türkische Koch der Welt, der einen solchen Stern erhalten hat.

Klar, dass Essen in seinem Leben eine sehr große Rolle spielt – und Fasten eine eher kleine. »Ich muss die Gerichte, die wir zubereiten, den ganzen Tag über immer wieder probieren. Das könnte ich ja nicht, wenn ich fasten würde«, sagt der 34-Jährige. Das leuchtet ein. Nur nach Augenmaß Zutaten zu vermengen, hier eine Prise Salz, da ein bisschen Pfeffer, hier eine Handvoll Petersilie, da ein wenig Paprika hinzuzugeben, aber nicht zu kosten – das kann nicht einmal bei einem Sternekoch gut gehen! »Außerdem ist es in einer Profiküche immer sehr heiß, das würde ich gar nicht aushalten, wenn ich kein Wasser trinken dürfte.«

Ali Güngörmüş sagt über sich selbst, dass er ein »moderner Muslim« sei. Das bedeute für ihn, dass er zwar an Gott, also an Allah, glaube, aber nicht blind alle Regeln befolgen möchte, die vor langer Zeit aufgestellt wurden. »Ich habe großen Respekt vor den Menschen, die das machen, aber für mich ist das nichts«, sagt er.

Seine Eltern, erzählt Güngörmüş, seien sehr fromme Muslime, die immer gefastet hätten. Zuerst in Tunceli, einer kleinen Stadt im Osten der Türkei, wo Ali und seine Geschwister aufgewachsen sind. Später, als die Familie nach München kam, wo sein Vater Arbeit fand, hielten sie sich auch hier an den Fastenmonat.

Wie Ramadan zu Hause war, daran kann er sich noch gut erinnern. Und wie das Fasten an den Abenden »gebrochen« wurde. Das heißt nicht, dass allen vor lauter Hunger so schlecht wird, dass sie sich übergeben. Sondern dass die ganze Familie zusammenkommt, um gemeinsam zu essen. Für viele Muslime ist das abendliche Zusammensein, neben dem dreitägigen Fest am Ende des Fastenmonats, das Schönste am Ramadan. Es heißt nämlich auch, in dieser Zeit sollen sich die Menschen wieder auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben konzentrieren. Es soll der Monat der Versöhnung, der Barmherzigkeit, der Vergebung und der Geduld sein. Und Geduld ist auch besonders gefragt, wenn es ans Fastenbrechen geht: Die Familien sitzen oft stundenlang zusammen, weil alles auf den Tisch kommt, was der Kühlschrank und das Rezeptbuch hergeben.

Eröffnet wird das üppige Mahl aber zunächst nach altem Brauch mit einem Schluck Wasser und einer getrockneten Dattel oder Feige oder einer Olive. Dann erst darf richtig reingehauen werden. Ob es so gesund ist, wenn man den ganzen Tag schmachtet und dann kurz vorm Schlafengehen Berge an Essen verschlingt – das ist eine andere Frage. »Bei uns gab es oft nahrhafte Gerichte mit Hülsenfrüchten, aber auch Lahmacun, die türkische Pizza, oder Gemüse wie Rote Bete – die waren aber überhaupt nicht mein Fall«, erzählt Güngörmüş.

Sind seine Eltern denn enttäuscht, dass er nicht fastet? »Hin und wieder haben meine Eltern mich und meine sechs Geschwister gefragt, ob wir nicht auch fasten wollen. Einmal habe ich es auch probiert. Aber es ging einfach nicht, ich hatte zu großen Durst. Meine Eltern haben das hingenommen.« Wichtig sei es, ehrlich zu sein, sagt Güngörmüş. Blöd fand er es zum Beispiel, als sein Schulfreund Mustafa im Ramadan immer so getan hat, als würde er fasten, aber zwischendurch dann doch heimlich aß. »Er hat dann gesagt: ›Ich konnte nicht mehr – ich hatte einfach zu großen Hunger!‹«