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Ich schenk Dir was!

 

Bekommen auch Weihnachtsgeschenke: Meerkatzen im Zoo/ Foto: Getty Images

Als nette Geste, aus Berechnung oder weil man jemandem eine Freude machen will: Es gibt viele Gründe, warum Menschen (und auch Tiere) einander beschenken

Von Iris Mainka

Schon im Herbst ist in den Geschäften Weihnachten: Die Verkäuferinnen packen den Spekulatius und die Zimtsterne auf Extratische, daneben stapeln sich die Marzipankartoffeln. Von der Decke hängen Glitzersterne, Kugeln, bunte Päckchen. Und aus den Lautsprechern tönt Morgen, Kinder, wird’s was geben. Auch wer nicht auf den Kalender schaut, merkt schon Monate vorher: Jetzt geht es wieder ums Schenken.

»Weißt Du denn schon, was Du Dir zu Weihnachten wünschst?« Als ich ein Kind war, stellten meine Eltern diese Frage immer so um den Ersten Advent herum. Dann malte und schrieb ich einen Wunschzettel, den ich in einen Briefumschlag steckte und auf den ich »An das Christkind, Himmelspforte 7« schrieb. Ich legte den Brief abends feierlich auf die Fensterbank, und am nächsten Morgen hatte ihn dort jemand abgeholt. Vielleicht ein Engel? Oder der Weihnachtsmann auf seinem Rentierschlitten? Je älter ich wurde, desto mehr ahnte ich, dass es wohl doch meine Mutter war. Aber das machte nichts. Mit neun Jahren fand ich sowieso viel spannender, ob mein dringendster Wunsch diesmal endlich in Erfüllung gehen würde: ein Pony! Am liebsten hellbraun, mit beigefarbener Mähne.

Zwar hatten wir in unserer Wohnung im ersten Stock leider keine Weide. Aber ich stellte mir vor, dass ich dem Pony ein Eckchen in meinem Zimmer als Stall abteilen könnte. Nachts hätte ich es mit ins Bett genommen, zum Kuscheln, und ihm die kalten Hufe gewärmt. Ihr merkt schon: Ich war ein bisschen dumm damals.

Aber wie ist das überhaupt mit dem Wünschen und dem Schenken? Warum tun Menschen das überall auf der Welt – zu Geburtstagen, zu Festen wie Weihnachten oder auch einfach zwischendurch?

Sie tun es jedenfalls schon lange: Wenn vor Tausenden von Jahren irgendwo im Urwald zwei Stämme zusammentrafen, die nicht wussten, was sie voneinander zu halten hatten, legte die eine Gruppe an einem gut sichtbaren Ort ein Geschenk hin, zum Beispiel ein zartes Stück Fleisch oder ein warmes Fell. Die andere Gruppe holte diese Gabe ab und brachte ebenfalls etwas Kostbares mit – für die andere Gruppe. So wussten alle: Die Menschen vom anderen Stamm sind uns nicht feindlich gesinnt, sondern wünschen sich ein friedliches Zusammenleben. Durch das Schenken konnte man also gut Streit, Kämpfe und Kriege vermeiden.

So ist es eigentlich bis heute. Wenn man jemandem zeigen will: Ich kann Dich gut leiden!, dann schenkt man ihm etwas und macht ihm damit eine Freude. Es ist zum Beispiel ein alter Brauch, dass sich ein Mann und eine Frau gegenseitig Geschenke machen, um zu zeigen, dass sie sich ineinander verliebt haben und sich treu bleiben wollen. Wenn es ganz traditionell zugeht, kauft er ihr später einen wertvollen Ring, weil er sie bitten will, ihn zu heiraten. Auch Eltern schenken ihren Kindern Kuscheltiere, Spielzeug, Bücher zum Geburtstag und zu Weihnachten, um sie spüren zu lassen: Wir haben Euch sehr lieb und denken darüber nach, was Euch Freude machen könnte. Und die Kinder basteln im Kindergarten und in der Schule ihrerseits Geschenke »für die liebe Mama und den lieben Papa«, sie malen ihnen einen »Gutshein für zeenmahl Tischdäken« oder sägen aus Sperrholz ein neues Schlüsselbrett, das die Eltern stolz neben die Eingangstür hängen. Alle Geschenke werden hübsch verpackt und verschnürt, damit es spannend bleibt und vorher niemand sieht, was er bekommt.

Es geht beim Schenken also um viel mehr als nur um den Austausch schöner Dinge. Geschenke drücken auch unsere Gefühle aus. Sie stehen für Freundschaft, für Anteilnahme und Liebe. Sie zeigen, wie wir zueinander stehen, wen wir mögen und gut kennen.

Weihnachten feiern wir in Deutschland erst seit knapp 200 Jahren als großes Familienfest, zu dem es Geschenke gibt. Adelige und besonders reiche Leute haben mit dieser Sitte angefangen. Nur sie konnten es sich leisten, etwas weiterzuschenken – zum Beispiel an ihre Diener, Köchinnen und Hausmädchen. Damals ging es vor allem um notwendige und nützliche Dinge wie Essen und Kleidung. Wenig später übernahmen auch mittelreiche Familien diesen Brauch. Und nach und nach wurde es üblich, die Söhne und Töchter nicht nur mit warmen Socken, sondern auch mit Spielsachen zu beschenken.

Vielleicht hofft einer beim Schenken aber im Geheimen auch manchmal auf eine Gegenleistung – das tun sogar Tiere. Bei den Eselspinguinen zum Beispiel bringen die Männchen dem Weibchen, mit dem sie sich gerne paaren würden, Kieselsteine fürs Nest. Einen Pinguinmann, der ihr nicht genügend Material für den Nestbau anschleppt, würde eine Pinguinfrau nicht nehmen. Da muss er sich schon ein bisschen anstrengen. Das Schenken ist manchmal also auch mit einem Zweck verbunden: Ich gebe Dir etwas, und Du bist mir dankbar und deshalb besonders nett zu mir oder schenkst mir etwas zurück.

Warum und mit welchen Hintergedanken auch immer man schenkt, es klappt besonders gut, wenn man weiß, was dem anderen gefällt. Dafür muss man ihn möglichst genau kennen. Die Oma, die ihrer Enkelin einen Puppenwagen schenkt und nicht weiß, dass die Zehnjährige schon längst nicht mehr mit Puppen spielt, wird nicht nur große Enttäuschung ernten. Das Mädchen wird auch denken: Oma weiß ja gar nicht, wie ich bin und was ich gern tue! Die Oma hätte ja wenigstens fragen können, oder? So können falsche Geschenke Schaden anrichten – einen Gefühlsschaden sozusagen.

Aber was tue ich, wenn mir ein Geschenk ganz und gar nicht gefällt? Zum Beispiel das große Wörterbuch vom Patenonkel, der mir damit zeigen will, dass ich mal dringend meine Rechtschreibung verbessern sollte? Muss ich so tun, als würde ich mich darüber freuen? Oder darf ich sagen, dass ich viel eher einen Tacho für mein Fahrrad gebraucht hätte? Leider gibt es auf diese Frage keine richtige Antwort. Es muss jeder für sich selbst herausfinden, wie höflich er schwindeln kann und will, um den Schenkenden nicht vor den Kopf zu stoßen. In Meinungsumfragen jedenfalls haben Fachleute herausgefunden, dass von hundert Menschen nur sieben immer ganz ehrlich zugaben, wenn sie ein Geschenk nicht leiden mochten.

Ach ja, wollt Ihr vielleicht noch wissen, ob das damals mit dem Wunschpony geklappt hat? An Heiligabend war alles wie immer. Mein Vater konnte den Tannenbaumständer nicht finden, die Oma kam von weit her zu Besuch und stellte fest, dass ich »aber groß geworden« sei, und in der Kirche dauerte alles sehr, sehr lange. Dann war Bescherung. Endlich! Ich bekam neue Schuhe, die ich schon kannte, weil ich sie im Laden hatte anprobieren müssen. Außerdem ein Buch mit Pferdegeschichten. Eine rote Handtasche. Ziemlich wenig, dachte ich – und fühlte deutlich, wie sich ein dicker Enttäuschungskloß in meinem Hals zusammenballte. Wo war denn diesmal das Hauptgeschenk?

Und dann kam der Moment, in dem ich mit tränenblinden Augen hinten in der Ecke noch etwas entdeckte. Es war groß. Es war vorne höher als hinten. Es stand ganz still und war mit einem riesigen Bettlaken bedeckt. Ich schrie: »Mein Pony! Mein Pony!«, stürzte zu dem Großen hin und befreite – mein erstes eigenes Fahrrad von seiner Satteldecke.

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