Freddy sagt, man könne nun wirklich nicht behaupten, in Kinshasa habe sich nichts geändert. Ob ich die neuen Automärkte nicht gesehen hätte. Habe ich. Entlang der Hauptstraßen der Stadt haben Händler die Mittelstreifen mit ihrer Ware zugeparkt: Landcruiser, Mercedes-Modelle, Chrysler-Geländewagen mit dunkel getönten Scheiben – alle gebraucht, aber in gutem Zustand. Die Preise: 30.000 Dollar aufwärts. Die Kunden: Kriegsgewinnler, die jetzt ihren Fuhrpark zusammenstellen. Natürlich mit Allrad-Antrieb bei den Straßenverhältnissen.
Und ob ich nicht die Baustellen in der Innenstadt gesehen hätte, angepriesen auf Werbetafeln als zukünftige Luxusapartements. Habe ich. In Kinshasa, sagt Freddy, gebe es aufgrund des Baubooms nämlich fast keinen Zement mehr. Er würde gerne den einen oder anderen Riss in seinem Atelier ausbessern. Aber der Zement ist zu teuer.
Freddy Tsimba arbeitet immer noch in dem Atelier im Stadtteil Matonge, wo ich ihn vor zwei Jahren das erste Mal besucht hatte. Die Bezeichnung „Atelier“ ist etwas übertrieben für die 20 Quadratmeter, auf denen sich seine Skulpturen wie wild wuchernde Pflanzen um Schweissbrenner, Meisseln und Schläuchen und Kabeln schlingen.
Freddy hat jahrelang Patronen-und Granathülsen zu Menschenkörpern zusammengeschweisst. Tausende von Patronen-und Granathülsen, die er aus den Kriegsgebieten im Osten des Kongo in sein Atelier geschleppt hatte. Seine Figuren aus Kriegsschrott krümmen sich trauernd übereinander, hocken wie Raubritter triumphierend auf Motorrädern, oder schreien still. Manche formen den aufgerissenen Bauch einer schwangeren Frau. Vor einigen Jahren hat er bei einer Konferenz eine der verstümmelten Frauen den versammelten Kriegsherren gezeigt, die in Schlips und Anzug höchst staatsmännisch angetreten waren. „Sehr interessant“, sagten sie und nickten mit den Köpfen.
Dann gingen Freddy die Patronenhülsen aus. Es war Zeit, fand er, für einen anderen Arbeitsstoff.
Seit gut einem Jahr lötet er das Straßenleben Kinshasas aus Messern, Gabeln und Löffeln zusammen, die er auf den Müllhaufen der Stadt findet. Vor allem Löffel. Aus irgendeinem Grund liegen in Kinshasa überall Löffel herum. Freddys Löffelmenschen sind über zwei Meter groß, sie drohen die Decke seines Ateliers zu durchstoßen. Männer die beladene Fahrräder schieben oder eine Ziege schleppen, Frauen, die hockend ihre Ware anbieten, Kinder, die Lasten auf dem Kopf balancieren. Ein gigantischen Labyrinth aus Besteck, ein blechernes Gewimmel, und doch sticht jeder einzelne heraus mit seinen Gabelhänden und Löffelknien. Der Löffel. Symbol für den ewig knurrenden Magen dieser Stadt.
Freddys Nachbarn, die sich mehr für Fussball, Bierpreise und die neusten Streitereien zwischen Kongos Musik-Stars interessieren, schauen manchmal herein und schütteln die Köpfe. „Freddy, all die schönen Löffel, was soll das denn werden…“ Er hasst solche Fragen. Künstlerschicksal.
Freddy Tsimba und seine Skulpturen aus Löffeln, Gabeln und Messern
Foto: Andrea Böhm
Er wird einige seiner Figuren demnächst auf der Biennale in Dakar ausstellen. „Freddy“, sage ich, „wie willst Du Deine Skulpturen je nach Dakar bekommen?“
„Oh, das geht. Ist ja nicht das erste Mal.“
Er stellt jetzt häufiger im Ausland aus. Ottawa, Béziers, Brüssel. Das Problem bestehe weniger darin, seine Arbeiten ins Ausland zu bringen, als vielmehr darin, sie wieder nach Hause zu holen. Der Zoll am Flughafen von Kinshasa hält seit Monaten einige seiner Plastiken fest und fordert atemberaubende Gebühren. Die übliche Methode der Einkommenssicherung kongolesischer Beamten. Im Moment ist das nicht so schlimm, denn Freddy hat ohnehin keinen Lagerraum mehr. Aber irgendwann hätte er seine Arbeiten doch gern zurück.
Wir verabschieden uns der Straße, dieser Buckelpiste aus Schlaglöchern, grünlichen Pfützen, kokelnden Müllbergen, eingerahmt von verschlammten Internet-Cafes, Bierkneipen und Musikläden, aus denen scheppernd kongolesischer Rumba dröhnt. Ich zweifle immer noch, dass ein Löffelmensch die Fahrt über solche Straßen übersteht. Freddy hatte vor einiger Zeit eine Initative gestartet, einige Straßenkinder angeheuert, und begonnen, die Schlaglöcher auszubessern. Die Nachbarn sahen zu, unschlüssig, ob das nun Kunst sein sollte oder Dienst an der Gemeindschaft. Ein paar Tage ging das gut, die Straßenkinder fanden es prima. Dann kam der Bürgermeister von Matonge und stellte Freddy zur Rede. Was das solle? Ob er sich wichtig machen wolle? Ob er ihm, dem bourgmestre von Matonge, etwas den Kampf ansage?
Seitdem sind Freddys Straße und alle Straßen – oder sagen wir besser: Schlammspuren – in Matonge von jeglicher Reparatur-Anstrengung unberührt geblieben. So sei das hier in Kinshasa, sagt Freddy. Am besten hielte man die Stadt für ein Phantom. Dann lebe es sich leichter.