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ZEIT-Leser spenden für Frauenkrankenhaus im Kongo

 

Es hat die ganze Nacht über geregnet in Bukavu, die Straße hoch zum Panzi-Hospital ist eine Schlammfurche. Immer wieder bleiben Autos stecken, Motorräder schliddern in den Dreck. Was soll’s – man fällt ja weich.
Es ist mein zweiter Besuch in dem Hospital, das für abertausende vergewaltigter Frauen zur letzten Hoffnung und zum Zufluchtsort geworden ist. Der erste fand im Oktober 2006 statt. Damals lernte ich Mama Zawadi kennen, siebenfache Mutter aus Bunyiakiri in der Provinz Süd-Kivu, Anfang 2006 von Hutu-Rebellen entführt, monatelang vergewaltigt, bis ihr schließlich, schwer verletzt, die Flucht gelang. Im Panzi-Hospital operierten Ärzte ihren verstümmelten Unterleib, so dass sie ihren Urin und Stuhlgang wieder kontrollieren kann.
Im Oktober 2006, am Tag meines ersten Besuchs, war Mama Zawadi aus dem Panzi Hospital entlassen worden in eine ungewisse Zukunft, nicht wissend, ob ihre Kinder noch am Leben waren, ob die Dorfgemeinschaft sie, eine vergewaltigte und „beschmutzte“ Frau, wieder aufnehmen würde.

Die Geschichte von Mama Zawadi veranlasste ZEIT-Online-Leser zu einer Spendenaktion. Studierende des Abendgymnasiums Frankfurt, einer UNESCO-Projektschule, trugen über 1000 Dollar zusammen. Und weil Überweisungen in den Kongo immer noch eine höchst komplizierte Sache sind, spiele ich den Geldboten. Doktor Denis Mukwege, Leiter des Krankenhauses, und an diesem Tag hörbar vergrippt, quittiert mit Stempel, Unterschrift und einem „Merci beaucoup“ den Empfang. Er fände es doch erstaunlich, sagt er schneuzend und schniefend, dass sich Menschen ein paar tausend Kilometer entfernt, „über den Wahnsinn hier in unserem Land“ Gedanken machten.

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Dr. Denis Mukwege, Leiter des Panzi-Hospital, und die Buchhalterin des Krankenhauses nehmen die Spende der ZEIT-Leser entgegen. Foto: Andrea Böhm

„Wie geht es Mama Zawadi?“ frage ich.
„Mama wer?“ Mukwege kramt in der Horrorkartei seines Gedächtnisses nach Namen, Gesichtern und den dazugehörigen Verletzungen. Aber die Behandlung von Mama Zawadi ist jetzt anderthalb Jahre her, er hat seitdem über hunderte neue Patientinnen operiert. „Es sind so viele, ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern.“

Das Panzi-Hospital ist immer noch die einzige medizinische Anlaufstelle für vergewaltigte Frauen (und Männer) in der Provinz Süd-Kivu. Ein zweites Krankenhaus gibt es in Goma, der Hauptstadt der Nachbarprovinz Nord-Kivu. Die Kivu-Provinzen sind und bleiben die Krisenherde im Kongo. Weil sie im Grenzgebiet zu Uganda, Ruanda und Burundi liegen, sind sie beliebtes Rückzugsgebiet für Rebellen aus diesen Ländern. Weil sie zu den rohstoffreichsten Regionen zählen, sind sie beliebtes Beutegebiet für alle möglichen bewaffneten Gruppen, inklusive Teile der kongolesischen Armee.

Eine gigantische Konferenz, abgehalten in Goma im Januar diesen Jahres, mitgetragen von UN, EU, den USA und der kongolesischen Regierung, versprach wieder einmal Aussicht auf Frieden. Seither lässt sich eine vorläufige Befriedung konstatieren. Doch es kommt es immer wieder zu Verletzungen des Waffenstillstandes, und das größte Problem in der Region ist noch nicht ansatzweise gelöst: die Auflösung und Entwaffnung der FDLR-Milizen. Hinter diesem Kürzel stecken die „Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas“, besser bekannt unter dem Namen „Interahamwe“. Jene Truppen also, die 1994 rund 800.000 Tutsi und moderate Hutu in Ruanda ermordeten, dann über die Grenze in den Ost-Kongo flohen und dort seither in wechselnden Allianzen die Bevölkerung terrorisieren. Zur FDLR gehören längst nicht mehr nur genocidaires aus Ruanda. Ihre Zahl wird heute auf 6000 Mann geschätzt, darunter zwangsrekrutierte kongolesische Jugendliche, aber auch Freiwillige, die den Lebensstil des plündernden Banditentums mit rassistischer Ausrottungsideologie („Tötet alle Tutsi“) dem des unbewaffneten, bedeutungslosen Dörflers vorziehen. Auch im Ost-Kongo gibt es lange und tief sitzende Ressentiments gegen die dortige Tutsi-Minderheit.
Der FDLR werden nach wie vor die Mehrzahl der Vergewaltigungen in den Kivu-Provinzen zugeschrieben. Ihre Milizionäre gelten als besonders brutal. Immer wieder entführen sie Frauen und Mädchen, weil sie in ihren Stützpunkten Haussklavinnen brauchen. Die Ärzte und Psychologinnen im Panzi-Hospital haben Fälle dokumentiert, bei denen FDLR-Mitglieder Frauen Holzscheite, heiß geschmolzenes Plastik oder Gewehrläufe in die Vagina gestoßen haben. Andere wurden zum Kannibalismus an Mitgefangenen gezwungen. Allein die Einzelheiten dieser Verbrechen aufzuschreiben, fällt schwer – vor allem, wenn man weiss, dass wahrscheinlich keiner dieser Männer für seine Taten je zur Verantwortung gezogen wird.

Zwanzig Minuten dauert das Gespräch mit Doktor Mukwege, dann muss er zurück in die Sprechstunde. Vor seinem Behandlungszimmer hat sich eine Warteschlange von zwanzig Frauen gebildet. Ihnen geht es schon wieder so gut, dass sie aus eigener Kraft laufen können.
Ich will dieses Mal keine Gespräche, keine Interviews. Die Patientinnen werden oft genug besucht und ausgefragt. Kaum eine Woche vergeht ohne die Visite einer ausländischen Delegation von Parlamentariern, UN-Funktionären oder Kirchenoberen. Einerseits zeugt das von einer zunehmend alarmierten internationalen Öffentlichkeit, was zu begrüßen ist. Andererseits stört es die Behandlung dieser schwer traumatisierten Frauen.

Und sonst? Hat sich sonst nichts verändert in den vergangenen anderthalb Jahren? Die Zahlen der Neuzugänge im Panzi-Hospital sind unverändert hoch, bis zu zehn pro Tag. Darunter befinden sich viele Frauen, deren Vergewaltigung schon länger zurück liegt, die erst jetzt vom Panzi-Hospital erfahren haben oder erst jetzt, in diesen etwas ruhigeren Zeiten, die Reise nach Bukavu wagen können. Dort erwartet sie ein für zentralafrikanische Verhältnisse gut ausgestattetes Krankenhaus. Gelder fließen – nicht nur in Form privater Spenden wie der des Abendgymnasiums Frankfurt, sondern auch in Form von Finanzhilfen europäischer Regierungen.

Die Erfolgsgeschichte des Panzi-Hospitals hat allerdings eine Schattenseite. Fast die gesamte medizinische Behandlung vergewaltigter Frauen konzentriert sich nun aus Bukavu. Viele der Patientinnen bleiben nach der Behandlung hier „hängen“. Nur wenige schaffen einen so unglaublichen Neuanfang wie Marie Louise Lunda, die nach einer Vergewaltigung vor über einem halben Jahr mit schweren Unterleibsverletzungen hier ankam und Monate lang behandelt werden musste. Nach ihrer Genesung eröffnete sie mit einem Kleinkredit einen Gebäckhandel auf dem Marktplatz gleich gegenüber dem Hospital. Inzwischen lernt sie andere Frauen an, hilft der einen mit einem kleinen Überbrückungskredit, der anderen mit einer Schnellausbildung. „Und demonstriert“ sagt sie, „habe ich auch schon.“ Im November vergangenen Jahres zogen 8000 Frauen und auch einige Männer durch die Straßen von Bukavu, forderten ein Ende der sexuellen Gewalt, mehr Hilfe für die Opfer und endlich Strafen für die Täter. Nicht mehr als ein symbolischer Akt, könnte man sagen. Aber für Bukavu war es eine Sensation.

(„Ein echter Kerl zwingt keine Frau zum Sex“ – Plakat gegen sexuelle Gewalt in Bukavu. Foto: Andrea Böhm)

Langsam, ganz langsam kommt Hilfe auch im Hinterland an, wo die Gewalt am schlimmsten ist. Oft sind es die lokalen Bäuerinnen, die sich zu einer kleinen Selbshilfegruppe zusammenschließen. Nur wenige internationale Organisationen, darunter medica mondiale, Médecins sans Frontières und Malteser International, dringen mit ihren mobilen Kliniken und Beratungsteams in die Dörfer vor. Krankenhäuser in größeren Städten wie Kamituga, die dem Panzi-Hospital einige Arbeit abnehmen könnten und für viele der betroffenen Frauen sehr viel leichter zu erreichen wären, liegen völlig danieder. Dezentralisierung der Hilfe – das ist die nächste große Aufgabe.

Zahlen – natürlich wollen die internationalen Geldgeber, die Journalisten immer wieder Zahlen. Wie viele Frauen und Männer sind Opfer sexueller Gewalt geworden? Wie viele kommen jeden Monat neu dazu?
Anderswo gibt die Polizei Statistiken über Gewaltverbrechen heraus. Im Kongo zählen Polizisten oft selbst zu den Tätern. Nur die wenigsten Frauen sind mutig oder waghalsig genug, ihre Vergewaltigung zur Anzeige zu bringen. Wer Zahlen will, bekommt sie im staubigen Büro der Organisation „Voix des sans voix ni liberté“, der „Stimme für die ohne Stimme und Freiheit“ – kurz VOVOLIB. Es liegt in einer Steinbaracke hinter einem Internet-Cafe in Bukavus Innenstadt. Hier arbeiten Catherine Masimika, Jean Paul Ngongo und ein halbes Dutzend weitere Anwälte, Ärzte und Studenten. Sie dokumentieren Polizeigewalt, willkürliche Verhaftungen, Morddrohungen gegen kritische Journalisten. Sie unterrichten das Einmaleins der Menschen-und Bürgerrechte in Schulen, an der Universität und in Kirchen, sie predigen, dass ein Bürger dieses Landes Rechte hat.
Und sie haben 32 Frauen und Männer in der ganzen Provinz darin geschult, Fälle von Vergewaltigung zu registrieren, die Opfer notfalls in Sicherheit zu bringen oder nach Bukavu ins Panzi-Hospital.

Jean-Paul Ngongo, ein kleiner dünner Jurist in viel zu großem Jackett, überschlägt die Zahlen für die vergangenen Jahre. 1999 wurde VOVOLIB gegründet, bis „2005 haben wir etwa 40.000 Fälle registriert. 2007 waren es 3216.“ Die Dunkelziffer liegt höher. Um wie viel? Ngongo zuckt die Schultern.
Sie könnten ihre Provinz-Teams verstärken, wenn sie ein wenig mehr Geld hätten. „Mit 60.000 Dollar müssen wir auskommen“, sagt Basimika, eine 25 jährige Betriebswirtin, die für VOVOLIB die Finanzen verwaltet. Das macht 5000 Dollar im Monat. Damit lassen sich gerade mal Büromiete, Benzin-und Telefonkosten abdecken.

Beide wirken, als hätten sie 48 Stunden nicht geschlafen, als halte sie ein Dauerschock im Zustand erschöpfter Wachsamkeit. Ngongo fingert die Statistiken über Gerichtsverfahren aus seinem Ordner. Vergewaltigung wird nach kongolesischem Strafrecht mit fünf bis 20 Jahren Haft bestraft. Das heißt nichts in einem Land mit einer notorisch korrupten Justiz. Für 2007 haben die Mitarbeiter von VOVOLIB 64 Vergewaltigungsprozesse gezählt – und der Klägerin mit Rat und Tat und auch Personenschutz zur Seite gestanden. In vierzehn Fällen, sagt Ngongo, seien Urteile ergangen. Neun Haftstrafen wurden verhängt. Vier Verurteilte seien im Gefängnis.
Und die anderen?
„Haben Richter, Polizisten oder Gefängniswärter bestochen.“ Er zieht sein Handy aus der Tasche, klickt Text-Nachrichten der vergangenen Wochen an. Es sind unverhohlene Morddrohungen von Männern, die wegen Vergewaltigung angezeigt worden sind. Die meisten auf Swahili, einige auf Französisch. „Klage? Das werdet Ihr mit Eurem Blut bezahlen.“ Oder: „Du kennst die Spielregeln. Jetzt gibt es keine Gnade mehr.“ Nach jeder Drohung gibt Ngongo die Nummer des Absenders an die Polizei weiter. Ein Ritual ohne Folgen. Dann sagt er so leise, dass ich ihn fast nicht verstehe: „Eine unserer Prozessbeobachterinnen ist letzte Woche ermordet worden. Sie müssen entschuldigen, wir sind etwas durcheinander.“ Wabiwa Kabisuba war 27 Jahre alt, Mutter von vier Kindern, seit Jahren bei VOVOLIB aktiv, wo sie vergewaltigte Frauen betreute und diejenigen, die ihre Täter anzeigen wollten, zu Polizei und Gericht begleitete. Am 18. Mai, so erzählt Ngongo, hätten acht Uniformierte Kabisuba gegen Mitternacht aus ihrem Haus gezerrt und erschossen.

Die anderen Mitarbeiter von VOVOLIB übernachten bis auf weiteres nicht mehr in ihren Häusern. Aber sie arbeiten weiter. Vor drei Tagen haben sie den Fall zweier Mädchen aufgenommen, die eine vier, die andere fünf Jahre alt, die von ihrem Nachbarn vergewaltigt worden seien. Auch hier, sagt Ngongo, verbreite sich wie in Südafrika der Wahn, wonach Männer meinen, sich durch Sex mit Jungfrauen von AIDS heilen zu können. Deswegen, glaubt Ngongo, steige die Anzahl kleiner Mädchen unter den Opfern.
Der Nachbar der beiden Mädchen wurde ausnahmsweise prompt verhaftet. Dann gab seine Familie offenbar einen Umschlag mit Geldscheinen bei der Polizei ab. Gestern hat Jean Paul Ngongo den Mann auf der Straße gesehen. Einen Prozess wird es vermutlich nie geben.