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Obama im Kongo

Das Obama-Fieber hat auch die Kongolesen gepackt. Ein Sammeltaxi in Kinshasa – mit dem „homme du jour“, dem „Mann des Tages“ in der Heckscheibe.

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Hotel Moukasha

Das Moukasha hat bessere Tage gesehen. Es liegt im Zentrum von Mbuji Mayi in der Avenue Luputa, an einer Straße mit Schlaglöchern von der Größe einer Badewanne. Im Moukasha kostet ein Zimmer pro Nacht 25 Dollar – inklusive zwei Eimer Wasser und zwei Stunden Strom am abend, wenn Nikko, der Manager mit Babyface und Bartflaum, den Generator anwirft. Das Dach weist Löcher auf. An den Wänden kleben die sterblichen Überreste von Nachtfaltern und Mücken, die über die Jahre den Badeschlappen der Gäste zum Opfer gefallen sind. Nikko ist eigentlich Diamantenhändler, was er jeden seiner Gäste wissen lässt. Ich sage, dass ich nicht nach Mbuji Mayi gekommen sei, um Diamanten zu kaufen, sondern um über sie zu schreiben. Im übrigen fehle in meinem Zimmer ein Moskitonetz. Man benutze in seinem Hotel keine Moskitonetze, sagt Nikko, als hätte ich eine hoffnungslos altmodische Forderung gestellt. Man arbeite hier mit Mückenspray. Im übrigen seien Mücken nun mal ein Teil des Lebens.
„Gut, dann hätte ich gern Mückenspray.“
„Das ist alle.“

In den 25 Dollar ist im Moukasha auch Personenschutz enthalten, bestehend aus Cardozo Mukendi, Polizist, 1,85 groß, Besitzer einer klappernden Kalaschnikow, und einer Sonnenbrille, die Karl Lagerfeld alle Ehre machen würde. Eigentlich ist es nicht wirklich gefährlich in Mbuji Mayi. Es sei denn, man lebt in den Slums oder gehört zu den illegalen Schürfern, die sich nachts auf den Diamantenfeldern Schießereien mit der Polizei liefern. Aber der Staat bezahlt seine Polizisten nur sehr selten, also sorgt er dafür, dass sie Leute beschützen, die eigentlich keinen Schutz brauchen und dafür die die Polizisten bezahlen. Alle paar Tage steckt also einer der Gäste Cardozo zweihundert kongolesische Francs zu, oder eine Schachtel Zigaretten oder eine Flasche Bier.

Mbuji Mayi liegt in der östlichen Kasai-Provinz und ist Kongos Hauptstadt der Diamanten. Sie hat, wie das Hotel Moukasha, bessere Zeiten gesehen. Unter ihrer Erde liegt ein Schatz von unermeßlichen Ausmaßen. Die drei Millionen Einwohner aber leben in einer Stadt, die jeden Tag ein Stück mehr verfällt. Es gibt keinen Strom, kein Wasser und nach meiner unqualifizierten Schätzung etwa fünf Kilometer geteerte Straße. Außerdem einen fast bankrotten halbstaatlichen Bergbaubetrieb, zwei jeglicher Lehrmittel beraubte Universitäten, viereinhalb marode Krankenhäuser, geschätzte drei-bis vierhundert Erweckungskichen und etwas doppelt soviele Diamantenhändler.
Man stelle sich eine sowjetische Industriestadt vor, die vor zwanzig Jahren stillgelegt wurde. Dazu tropische Temperaturen, einen Krieg sowie mehrere Randgürtel mit brasilianischen Favelas. Das alles zusammen ergibt Mbuyi Mayi. Ungefähr jedenfalls.

Das Moukasha kann trotzdem auf seine Stammgäste zählen. Da ist in Zimmer neun Professor Mongo, Jurist aus Lubumbashi, der hier regelmäßig drei Monate als Gastdozent verbringt. Professor Mongo tritt jeden Morgen ausgeschlafen und im knitterfreien Schlafanzug vor die Tür, nimmt mit einem fröhlichen „Bonjour, mes enfants“ seine zwei Eimer Waschwasser entgegen und verläßt eine halbe Stunde später in tadellos gebügeltem Anzug und Safari-Hut das Hotel Richtung Universität.

Da ist in Zimmer 11 Madame Justine Kalumba, angehende katholische Krankenschwester aus Kananga, die hier ein Praktikum absolviert. Madame Kananga steigt jeden Abend aus ihren Sandalen mit Plateausohlen in bequeme Babuschen, wirft im Hof ein Feuer an und kocht Fisch in scharfer Sauce.

Und dann ist da in Zimmer sechs mein direkter Nachbar, Blaise Bienvenue Mubake aus Kinshasa, Funktionär der UDPS, einer Oppositionspartei, deren Hochburg die Kasai-Provinzen sind. Monsieur Mubake hat Augen wie Bette Davis und verrichtet seine Geschäfte, über deren genauen Inhalt er mich im Dunkeln lässt, in einem Nadelstreifenanzug mit Stecktuch, Golfschuhen und Hut. Mit seinem imposanten Backenbart und den goldberingten Fingern würde er gut ins Harlem der 50er Jahre passen.

An meinem dritten Abend im Moukasha kommen wir bei einigen Flaschen Bier ins Gespräch. Nach einem leidenschaftlichen Vortrag über den schlechten Charakter der herrschenden Politiker hält Mubake ein Loblied auf die kongolesische Familie.
Er habe 49 Kinder, sagt er. Natürlich von mehreren Frauen.
Das sei allerdings beeindruckend, sage ich.
„Kinder sind der Reichtum Afrikas“, erklärt er.
Ich erlaube mit einen skeptischen Blick. In Mbuji Mayi hausen über mehrere tausend Straßenkinder, in den Diamantenminen rund um die Stadt schuften über 10.000 Kinder in den Schächten und Gruben.
Natürlich gebe es Probleme, räumt Monsieur Mubake ein.
„Wieviele Kinder haben Sie?“
„Keine“, sage ich, und weiß schon, was jetzt kommt. Eine Frau über vierzig ohne Kinder ist in Afrika von Gott und allen Geistern verlassen.
„Aber Madame,“ sagt Mubake kopf schüttelnd, „dafür gibt es doch heute Ärzte.“
Was denn mein Mann dazu sage, dass ich so lange allein unterwegs sei.
Gar nichts, antworte ich, „mein Mann ist selbst manchmal Monate unterwegs.“
Monsieur Mubakes Gesichtsausdruck wird jetzt ernstlich besorgt. „Sie wissen, dass Frauen, die länger als zwei Monate ohne Mann sind, krank werden?“
Nein, sage ich, dieses Phänomen sei mir völlig neu.
„In unseren Krankenhäusern“, sagt Mubake, „liegen unzählige Frauen, die deswegen operiert werden müssen.“ Mir wird klar, dass Monsieur Mubake seine 49 Kinder – oder wieviele es auch immer sein mögen – als Resultat seines Einsatzes für die Gesundheit der kongolesischen Frauen sieht.

Das Bier ist alle, Nikko stellt in einigen Minuten den Generator ab. Ich wünsche Monsieru Mubake eine gute Nacht, verspreche dem schlaftrunkenen Cardozo eine Schachtel Zigaretten und lausche in der Dunkelheit den Chören der Erweckungskirchen rund um das Moukasha. In sicherer Entfernung, aus der Richtung der Diamantenminen, hört man ab und an Schüsse. Die Kirchenchöre halten bis drei Uhr morgens durch. Dann kehrt für wenige Stunden Stille ein. Um halb sieben schallt ein „Bonjour, mes enfants“ über den Hof. Cardozo ist auf einem Plastikstuhl über seiner Kalaschnikow zusammengesunken und schläft den Schlaf der Gerechten. Meine Zimmernachbarn verlassen wenig später wie aus dem Ei gepellt das Moukasha, um ihr Tagwerk zu beginnen.
Die Welt mag eine Ruine sein. Aber das entschuldigt nicht, unordentlich zur Arbeit zu gehen.

 

Die Tage der Penis-Panik

Erstaunlich widerspruchslos haben die Anhänger von Jean Pierre Bemba am Samstag in Kinshasa das Demonstrationsverbot hingenommen. Nicht einmal ein parlement de boue, eines der „Straßenparlamente“ konnte ich finden, auf denen die Leute sonst so gerne Dampf ablassen. Offenbar haben die meisten Kinois, ganz einfach die Vorteile des Verbots genutzt. Keine Demonstration bedeutet: die Märkte bleiben geöffnet, die Sammeltaxis fahren, die Telefonkartenhändler und Benzinverkäufer bleiben im Geschäft. Das lief in den vergangenen Wochen schon schlecht genug. Nicht nur wegen der steigenden Benzin –und Lebensmittelpreise.

Vor einigen Wochen hatte die „Penis-Panik“ die Umsätze von Bars, Märkten und den tausenden Kleinunternehmern offenbar drastisch gesenkt. Irgendwann Anfang Mai hatte sich in Windeseile die Nachricht verbreitet, die feticheurs, also die Meister, der Magie, des Wahrsagen, Heilens, aber auch des Verhexens, würden auf Kinshasas Straßen Organe klauen. Nicht irgendwelche, sondern Fortpflanzungsorgane. „Es waren nur Männer betroffen“, sagt Monsieur Vicky, mein Taxifahrer, und seine Stimme klingt immer noch fassungslos. „Sie haben den Männern den Sex gestohlen.“ Eine Berührung, ein Rempler, so meldete die Gerüchteküche und das Opfer sah sich angeblich seines kleinen Unterschieds beraubt. „Die Stadt“, sagt Monsieur Vicky, „war in Panik.“

Verständlich. In Kinshasa wird jeder Mann und jede Frau täglich unzählige Male angerempelt: im überfüllten Sammeltaxi, auf dem Markt, in den parlements de boue, in der Kirche. Es kam zu Mobaktionen. Aufgebrachte Menschenmengen verprügelten vermeintliche Hexer. Die Polizei musste einschreiten.

Nachdem die weniger seriöse Presse in Kinshasa immer wieder neue Geschichten über vermeintlich entmannte Opfer kolportierte, habe sich, behauptet Monsieur Vicky, das Straßenbild Kinshasas dramatisch verändert. „Die Männer haben sich nicht mehr aus dem Haus getraut. Ich hatte fast nur noch Frauen im Taxi.“ Die Straßenparlamente seien leer gewesen. Die Bars im Musikviertel Matonge hätten Umsatzeinbußen verzeichnet, in seiner protestantischen Kirche hätten sich die Männerchöre gelichtet. „Was hat Ihr Pastor zu dieser Angelegenheit gesagt?“ „Er hat gesagt, da hilft nur beten.“

Im Kongo gibt es keine Grabstätten christlicher Heiliger, deren Besuch Wunder verspricht. Also muss man im Kampf gegen böse feticheurs schon den direkten Draht zu Gott suchen.

Irgendwann war der Spuk dann so schnell vorbei wie er angefangen hatte: Radio Okapi, Kongos wichtigstes Massenmedium und eine Stimme der Vernunft in diesem Land, hatte seine Journalisten ausschwärmen lassen, um nach Opfern der feticheurs zu suchen. Einige Betroffene erklärten sich zum Interview bereit und räumten ein, dass sie durchaus noch im Besitz aller Organe seien, nur sei dieses eine offensichtlich durch Hexerei verdächtig „geschrumpft“. Da platzte dann Kinshasas Polizeichef der Kragen. Das ganze sei ja wohl ein schlechter Witz, ließ er über alle Kanäle verbreiten. Ihm sei noch kein angebliches Opfer präsentiert worden, dem der Penis abhanden gekommen sei. Um ganz sicher zu gehen, ließ er noch verlauten, die Polizei habe alle verdächtigen feticheurs festgenommen. Schade eigentlich. Für Kinshasas Frauen müssen die Tage der Penis-Panik eine schöne Zeit gewesen sein.

 

Kinshasa nach der Verhaftung von Jean Pierre Bemba

Man soll es nicht beschreien, aber es ist erstaunlich ruhig in Kinshasa. Viel Polizei auf den Straßen, die Märkte sind geöffnet – ein gutes Zeichen, denn die Markthänderlerinnen sind die ersten, die Unruhen riechen.

Seit sieben Tagen befindet sich Jean-Paul Bemba, Kongos exilierter Oppositionsführer, in einem belgischen Gefängnis, festgenommen am vergangenen Samstag aufgrund eines Haftbefehls des internationalen Strafgerichtshofs (IStGh) in Den Haag. Die Nachricht traf seine Anhänger in Kinshasa wie ein Hammerschlag. Tage zuvor war in der Hauptstadt noch über Bembas Rückkehr in den Kongo spekuliert worden.

Im Stadtteil Gombe sieht man an den Hauswänden immer noch die Einschusslöcher des Mini-Krieges, den sich Bembas Miliz mit der Armee und der Präsidentengarde seines Erzfeindes, Staatspräsident Joseph Kabila, vor über einem Jahr geliefert hatte. Die Kämpfe hatten sich mitten im Diplomatenviertel der Hauptstadt abgespielt. Opfer in der Zivilbevölkerung waren den Kontrahenten immer schon egal, mögliche Tote und Verletzte beim ausländischen Botschaftspersonal offenbar auch. Zeitweise setzte Kabila sogar frisch aus der Ukraine importierte Panzer ein, deren mit schwerem Gerät völlig unvertraute Besatzungen in alle Himmelsrichtungen ballerten.

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2006, die Bemba trotz erstaunlich guten Abschneidens verloren hatte, sah sich Kinshasa in einem andauernden Zustand der Belauerung gefangen – bis Bemba schließlich nach seiner zweiten, dieses Mal blutigen Niederlage im März 2007 nach Portugal ins Exil ging. Das MLC, größte Oppositionspartei im Parlament, blieb ohne seinen charismatischen (und steinreichen) Führer weitgehend wirkungslos. Für den 27. Mai hatten Zeitungen in Kinshasa nun Bembas triumphale Heimkehr angekündigt. Doch drei Tage vorher zerstörte der Strafgerichtshof diese Träume.

Amtshilfe leisteten die belgischen Behörden, die Bemba in Brüssel festnahmen, wo er nun auf seine Auslieferung nach Den Haag wartet. Dort wird er eine Zelle im Scheveninger Gefängnis beziehen, der Haftanstalt mit der weltweit größten Dichte mutmaßlicher Kriegsverbrecher: hier sitzen die Untersuchungshäftlinge des UN-Jugoslawientribunals; der von einem internationalen Sondergericht angeklagte Ex-Präsident Liberias, Charles Taylor; sowie die drei kongolesischen Häftlinge des Internationalen Strafgerichtshofs, Thomas Lubanga, Germaine Katange und Mathieu Ngujolo. Bei letzteren handelt es sich um kleinere Kriegsherren aus dem ostkongolesischen Bezirk Ituri, gegen die unter anderem wegen Rekrutierung von Kindersoldaten und ethnischen Massakern ermittelt wird.

„Zu wenige und zu keine Fische“. So lautete lange die Kritik von Menschenrechtsorganisationen am IStGh. Mit Bemba hat sich das Gericht nun zweifellos einen „großen Fisch“ vorgenommen: Der 45-jährige Multi-Millionär, Sohn eines mächtigen Vaters aus der Machtclique Mobutus, mischte während der verheerenden Plünderkriegs im Kongo mit seiner eigenen Miliz mit, war Vize-Präsident der Übergangsregierung, und nach den Wahlen 2006 Senator des Parlaments. Allerdings bezieht sich der Haftbefehl nicht auf Kriegsverbrechen seiner Miliz im Kongo. Die wurden vor dem 1.Juli 2002 begangen und damit vor dem Inkrafttreten des Statuts des Gerichtshofs. Doch zwischen Oktober 2002 und März 2003 schickte Bemba seine Rebellenarmee über die Grenze nach Zentralafrika, um dem dortigen Präsidenten Ange-Felixe Patasse gegen einen Putschversuch zur Seite zu stehen. Es handelte sich dabei um einen grenzüberschreitenden Freundschaftsdienst eines Kriegsherren für einen Despoten. In dessen Verlauf verübten Bembas Truppen Massaker an Zivilisten, plünderten und vergewaltigten. Die Ankläger beim IStGh wollen sich vor allem auf die Vorwürfe sexueller Kriegsgewalt konzentrieren. Bembas Kämpfer sollen auf öffentlichen Plätzen Mädchen und Frauen vergewaltigt haben – zwecks Demonstration der eigenen Allmacht.

Patasse wurde wenig später trotz Bembas Militärhilfe gestürzt. Es war denn auch die neue Regierung Zentralafrikas, die 2004 den IStGh bat, Ermittlungen aufzunehmen. Dass Bemba irgendwann in einer Den Haager Zelle landen könnte, war in-und außerhalb Kinshasas seit langem Gegenstand von Spekulationen. Doch Bemba selbst muss sich zunehmend sicher gefühlt haben, als er 2006 seinen Wahlkampf führen konnte, von Ministern der EU und der USA empfangen wurde und sich im europäischen Exil ungehindert bewegen durfte.
Und nun?
Nun hat der IStGh zweifellos seinen ersten wirklich großen Fall, der Kongo deswegen aber noch kein Problem weniger. Nicht, dass es mit Bemba den Falschen getroffen hätte. Aber nach Lesart der Kongolesen war seine Verhaftung natürlich ein politischer Akt. Für Bembas Anhänger handelt es sich dabei um einen Deal zwischen internationaler Gemeinschaft und Präsident Kabila, um dessen Hauptrivalen endgültig aus dem Weg zu räumen. Kabila-Fans, von denen es in der Hauptstadt nicht allzu viele gibt, sehen darin einen Versuch Belgiens, seine zerrütteten Beziehungen zur einstigen Kolonie wieder zu reparieren. Denn der belgische Außenminister Karel de Gucht hat in den vergangenen Wochen durch öffentliche Kritik an korrupten kongolesischen Politikern eine diplomatische Eiszeit heraufbeschworen. Seiner Strafpredigt gegen Parlamentarier, die sich Dienstautos zum Stückpreis von 40.000 Dollar leisten, anstatt endlich für eine menschenwürdige Bezahlung streikender Lehrer zu sorgen, mag man wirklich nicht widersprechen. Aber erstens war die Tonlage war nicht besonders klug gewählt. Zweitens hat Belgien hat aufgrund seiner horrenden Kolonialgeschichte wenig Grund, den moralischen Zeigefinger zu erheben. Und drittens glauben die kongolesischen Medien, dass de Gucht einfach nur seinem Ärger über die blühenden Geschäfte zwischen dem Kongo und China Luft machen wollte.

Ob Präsident Joseph Kabila die belgischen Handschellen für Jean Pierre Bemba als Geste der Versöhnung interpretiert, ist bislang nicht bekannt. Kabila hat sich seit seiner Wahl ohnehin selten zu irgendetwas geäußert, geschweige denn, irgendein nennenswertes Projekt zum Aufbau seines Landes initiiert.
Womöglich wird ihn Bembas Festnahme noch teuer zu stehen kommen. In dessen regionaler Hochburg, der Provinz Equateur, ist die Lage gespannt. Dort kam es in den vergangenen Tagen immer wieder zu gewalttätigen Protesten.
In Kinshasa ist die Lage, wie gesagt, ruhig. Eine Demonstration von Bembas Partei MLC am vergangenen Dienstag verlief erstaunlich friedlich und diszipliniert. Ein weiterer Protest, angekündigt für diesen Samstag, wurde vom Gouverneur von Kinshasa verboten – und bislang halten sich Bembas Anhänger daran. Aber in der Hauptstadt stauen sich Frust und Wut auf die Regierung, die seit ihrem Amtsantritt so gut wie nichts zur Verbesserung der Lebenssituation beigetragen hat. Streikende Studenten haben vor kurzem erst Büros des Bildungsministeriums mit Steinen angegriffen. Lebensmittel sind teurer geworden. Die Preisexplosion für Reis und Getreide auf dem Weltmarkt merkt man natürlich auch hier. Die Inflationsrate steigt. Am härtesten trifft die Menschen der rasant steigende Benzinpreis. Was in Kinshasa gegessen wird, muss größtenteils aus dem Hinterland eingeflogen oder über den Kongo-Fluss per Boot herbeigeschafft werden. Ein Weltmarktpreis von 130 Dollar pro Barrel Rohöl zwingt die Bewohner der Slums von Massina, Ndjili oder Kimbanseke, ihre ohnehin schon kargen Maniok-, Mais- oder Gemüserationen zu verkleinern. Oder auf das morgendliche Sammeltaxi zu verzichten und die zehn, fünfzehn Kilometer vom Außenbezirk ins Zentrum zu den Märkten und Straßengeschäften zu Fuss zu laufen. Selbst die unendlich geduldigen Einwohner Kinshasas spüren irgendwann nur noch die Wut im Bauch – wenn sie nicht vorher die Erschöpfung übermannt.

 

Haushaltsplanung auf kenianisch

Kenia leistet sich, wie bereits berichtet, das teuerste Regierung seiner Geschichte. Anfangs war von 40 Ministerposten die Rede, jetzt sollen sich 42 Minister um den Kabinettstisch scharen, der wahrscheinlich erst noch gezimmert werden muss.
Dazu kommen noch Dutzende von Vizeministern. Von den 222 kenianischen Parlamentsabgeordneten sind jetzt rund 40 Prozent Mitglieder der Exekutive. So viel zum Prinzip der Gewaltenteilung.
Die neue Mega-Regierung soll den fragilen Frieden stabilisieren, der nach den Bürgerkriegsunruhen unter Vermittlung von Kofi Annan ausgehandelt worden war. Und dazu müssen die alten Erzfeinde und neuen Koalitionspartner, Präsident Mwai Kibaki und Ministerpräsident Raila Odinga, möglichst viele ihrer Bündnisgenossen und Regionalfürsten an der Macht beteiligen. Dass kenianische Minister im internationalen Vergleich Rekordgehälter einstreichen, hat sich inzwischen ja herumgesprochen. Über 15.000 Dollar monatlich. Steuerfrei. Spesen, Dienstwagen, Erschwerniszulagen und ähnliches nicht mit gerechnet.
Jetzt ist dem neuen Finanzminister aufgefallen, dass ihm für die Entlohnung des Kabinetts noch 300 Millionen Dollar im Jahreshaushalt fehlen. Woher nehmen? Ganz einfach: Sparen, sparen und noch mal sparen. Jedes Ressort muss Opfer bringen: Das Bildungsministerium kriegt weniger Geld für Schulen, das Verkehrsministerium weniger für die Reparatur zerstörter Straßen, das Gesundheitsministerium weniger für die Versorgung der Krankenhäuser. Und aus dem Nothilfefonds für die Umsiedlung der abertausenden von Vertriebenen lassen sich auch noch ein paar Millionen abzweigen. Wen wundert’s, dass die meisten Kenianer dem Frieden einfach nicht trauen mögen.

 

Frieden auf Bewährung – Kofi Annan vermittelt ein Koalitionsabkommen in Kenia

Skeptischer Optimismus und ein großes Kompliment. Damit lässt sich wohl am besten die gute Nachricht aus Kenia kommentieren: Präsident Mwai Kibaki und sein Erzrivale, der Oppositionsführer Raila Odinga, haben ein Koalitionsabkommen unterzeichnet. Kibaki, dessen dreiste Manipulation der Präsidentschaftswahlen im Dezember einen Ausbruch der Gewalt provoziert hatte, bleibt Präsident. Odinga, dessen Anhänger eine Kampagne der Vertreibung gegen vermeintliche oder tatsächliche Kibaki-Anhänger betrieben hatten, soll Premierminister werden. Als die beiden am Donnerstag vor laufenden Kameras ihre Unterschrift gaben und sich anschließend mit Haifischlächeln die Hand reichten, stürmten Menschen in Nairobi auf die Straße, um zu feiern. Was von der Polizei in üblicher Manier mit Tränengas gestoppt wurde.

Dabei verleitet es eigentlich nicht zu freudigem Beifall, dass nun ausgerechnet die beiden Männer das Land regieren sollen, die es in den vergangenen Monaten beinahe zugrunde gerichtet hätten. Aber es ist unter den gegeben Umständen die einzig denkbare Option. Neuwahlen waren angesichts der angespannten Lage undenkbar. Der Versuch die Stimmen neu auszuzählen, hätte wohl ebenfalls die Gewalt wieder angefacht.

Dass der Kompromiss überhaupt zustande gekommen ist, verdanken die Kenianer vor allem einem Mann: Kofi Annan, Ex-Generalsekretär der Vereinten Nationen und neben Nelson Mandela wohl eine der größten Respektpersonen auf dem afrikanischen Kontinent. Annan hatte seine Vermittler-Mission Mitte Januar angetreten, als die blutigen Kämpfe noch anhielten. Als erstes verpflichtete er beide Seiten auf einen „Vier-Punkte“-Plan: sofortiges Ende der Gewalt; humanitäre Versorgung der Flüchtlinge, deren Zahl inzwischen auf über eine halbe Million geschätzt wird; politische Lösung des Streits um das umstrittene Wahlergebnis; Reform der Verfassung, staatlicher Institutionen und Aufarbeitung der jahrzehntelangen Landkonflikte.

Die Gewalt war Ende Januar langsam abgeebbt. Teils, weil lokale Dorfräte, Politiker und Medien zur Ruhe aufriefen. Teils, weil Odinga-Anhänger, die hauptsächlich den Ethnien der Luo, Kalenjin und Massai angehören, ihr Ziel erreicht hatten: die Vertreibung der Kikuyu aus dem Westen des Landes, dem fruchtbaren Rift Valley. Aus der Gruppe der Kikuyu rekrutiert sich seit der Unabhängigkeit Kenias die politische und wirtschaftliche Elite des Landes. Ihr gehört auch Kibaki an.

Was die humanitäre Hilfe betrifft, so profitiert Kenia von einem exzellent organisierten Roten Kreuz, einer sehr engagierten Zivilgesellschaft. Das ändert allerdings wenig daran, dass die Flüchtlingslager überfüllt sind und die meisten Vertriebenen eine Rückkehr in ihrer Heimatregionen ausschließen. Die ethnischen Säuberungen haben Fakten geschaffen, die das Land wohl auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte verändert haben.

Damit ist man bei Punkt drei, den Annan nun abhaken kann – allerdings nur mit Bleistift. Denn was Kibaki und Odinga da am Donnerstag in Nairobi unterzeichneten, ist eine Verpflichtung zur Koalition, deren Details nach wie vor umstritten sind. Den Posten eines Premierministers gibt es in Kenia bislang nicht, die Macht liegt laut Verfassung beim Präsidenten. Vor allem Kibakis „Partei der Nationalen Einheit“ (der Name ist hier alles andere als Programm) hatte bis zuletzt versucht, einen substanziellen Kompromiss zu sabotieren. Bereits erfolgte Zugeständnisse wurde am nächsten Tag zurückgezogen, Vertragsformulierungen eigenmächtig geändert. All das mit dem Ziel, dem neuen Amt eines Premierministers möglichst keine Exekutivmacht zu überlassen. Am Dienstag war die Stimmung zwischen beiden Delegationen dann so aggressiv geworden, dass Annan die Gespräche aussetzte und in der kenianischen Presse bereits ein Wiederaufflammen der Gewalt befürchtet wurde.

Offensichtlich mit massiven Druck seitens der Afrikanischen Union, der EU und vor allem der USA gelang es dem Ghanaer dann, Kibaki und Odinga persönlich an den Verhandlungstisch zu holen und vor allem ersteren zur Unterschrift zu bewegen.

Womit man bei Punkt vier des Annan-Plans angelangt wäre. Die Reform der kenianischen Verfassung und staatlicher Institutionen, vor allem des Justizsektors, ist überfällig. Denn Hauptursache des jüngsten Gewaltausbruchs ist nicht der inter-ethnische Hass. Der dient, wie so oft, als Brandbeschleuniger. Hauptursache sind jahrzehntelange Landkonflikte und eine Verfassung, die fast alle Macht der Zentralgewalt in Nairobi garantiert. Beide Probleme reichen bis in die britische Kolonialzeit und die ersten Jahre der Unabhängigkeit zurück. Und beide Probleme münden nun in einen klassischen Konflikt um die Frage: Wie viel Macht gebührt der Hauptstadt? Wie viel den Provinzen? Wer verteilt den Reichtum des Landes? Und wer kann ein Ende der schamlosen Klientelwirtschaft erzwingen, die politische Loyalität und ethnische Zugehörigkeit belohnt, nicht aber Eigeninitiative und rechtstaatliches Verhalten?

Diese Konflikte werden Kenia in den nächsten Jahren weiterbeschäftigen und immer wieder an den Rand einer Zerreißprobe bringen. Annans Vermittlung hat jetzt immerhin die Chance eröffnet, dass dieser Kampf mit friedlichen Mitteln weitergeführt wird. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Aus lauter Dankbarkeit beginnen jetzt Wildschützer in Nationalparks, neugeborene Tiere nach Annan, den Friedensstifter zu benennen. irgendwo in Kenia läuft jetzt ein kleines Rhinozeros namens Kofi durch die Savanne. Kein schlechtes Denkmal für sechs Wochen beinharte Arbeit zwischen zwei viel größeren Nashörnern.

 

Der Morgen danach – Europa hat einen neuen Staat

Auto-Konvois, ein Meer von Fahnen, Feuerwerk, Beethovens „Ode an die Freude“, reichlich albanische Volksmusik und Raki, der landesübliche Traubenschnaps. Allen Unkenrufen zum Trotz verlief die Geburt des neuen Staates Kosovo friedlich. Für rund 1.8 Millionen Kosovo-Albaner wurde ein Traum wahr – und zwar unter strikten Regiervorgaben der internationalen Staatengemeinschaft. Hashim Thaci, nunmehr Premierminister eines (eingeschränkt) souveränen Staates musste die Unabhängigkeitserklärung auf albanisch und serbisch verlesen, ausdrücklich den „multi-ethnischen“ Charakter der neuen Republik Kosovo betonen; die neue offizielle Fahne des Landes durfte keine nationalistischen Elemente enthalten – soll heißen: keine Ähnlichkeit mit dem Doppeladler auf rotem Hintergrund, dem Symbol der einstigen Rebellengruppe UÇK.Und nun?Nun wandert die Aufmerksamkeit von Prishtina nach Brüssel, wo heute im Lauf des Vormittags vermutlich die ersten EU-Mitgliedsländer den neuen Ministaat anerkennen werden – darunter wohl auch Deutschland. Von dort wird der mediale Scheinwerferkegel nach Belgrad schwenken, wo gestern nationalistische Hooligans die amerikanische Botschaft attackierten, sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten und wo die Regierung für diese Woche Massenproteste angekündigt hat. Was zu erwarten war und als Ventil für die Wut vieler Serben wohl auch notwendig ist. Die richtet sich vor allem gegen die Kosovo-Albaner, gegen die USA und die EU, unterschwellig aber auch gegen Russland. Denn die vermeintliche Schutzmacht hat trotz aller Treueschwüre an das slawische Bruderland die Sezession der Provinz, der „Wiege des Serbentums“, nicht verhindert. Sie konnte sie nicht verhindern.Schalten wir kurz nach Moskau: die russische Regierung hat gegen die einseitige Unabhängigkeitserklärung protestiert und eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen, hat ihren Ton in den vergangenen Wochen aber deutlich entschärft. Was wohl heißen soll: Der Konflikt mit dem Westen bleibt bestehen, doch der Kreml will ihn derzeit nicht eskalieren.Zurück ins Kosovo, nicht nach Prishtina, sondern nach Mitrovica, der geteilten Stadt im serbisch dominierten Norden des Landes. Dort explodierte gestern eine Handgranate, geworfen auf ein UN-Gebäude, in das Angehörige der neuen EU-Mission ziehen sollen. Keine Verletzen, nur Sachschaden und eine klare Botschaft: nördlich des Flusses Ibar wird die Unabhängigkeitserklärung als Kampfansage verstanden. Hier haben sich rund 60.000 Serben nie der UN-Verwaltung, geschweige denn der bis gestern provisorischen kosovarischen Regierung unterworfen. Sie werden sich auch jetzt keiner kosovarischen Regierung mitsamt ihren EU-Aufpassern unterwerfen. Da mag Hashim Thaci, der ehemalige UÇK-Funktionär, noch so oft vom Schutz der Minderheiten sprechen.Soll heißen: die Republik Kosovo wird bis auf weiteres nicht die Kontrolle über ihr gesamtes Territorium haben. Sie ist zweigeteilt, hat von der Stunde ihrer Geburt an ein „eingebautes Zypern-Problem“. Für das wird sich so schnell keine Lösung finden, allenfalls ein Modus Vivendi, bei dem der Norden de facto unter serbischer Verwaltung bleibt, de jure aber zur Republik Kosovo gehört. Ein verrücktes Deja Vu. Was das Kosovo für Serbien bedeutet, bedeutet Nord-Mitrovica jetzt für die Republik Kosovo: eine abtrünnige „Provinz“.Schön anzuschauen ist das also nicht: die Unabhängigkeit ist völkerrechtlich, gelinde gesagt, umstritten; die EU ist längst nicht so einig, wie sie sein sollte, der Konflikt mit Moskau keineswegs beigelegt; die Emotionen aus albanischer und serbischer Seite sind hochgeschaukelt, was sich bei ersteren vorläufig in rauschender Euphorie ausdrückt, bei letzteren in grenzenloser Verbitterung. Beide Varianten sind politisch potenziell gefährlich. Euphorie kann leicht in Enttäuschung umschlagen, wenn der heiss ersehnten Unabhängigkeit nicht schnell wirtschaftliche Verbesserungen folgen. Und Verbitterung kann schnell zum Boden für Militanz werden.Aber für den Morgen danach gilt erst einmal: die Geburt des neuen Staates ging weitgehend reibungslos über die Bühne – allen Unkenrufen zum Trotz.

 

…und da waren es schon drei – wieder ein Rebellenführer aus dem Kongo nach Den Haag überstellt

Langsam, ganz langsam füllt sich der Zellenblock des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGh) in Den Haag. Gestern traf der dritte Untersuchungshäftling ein: Mathieu Ngudjolo Chui, ein ehemaliger Kriegsherr aus dem Bezirk Ituri im Nordosten des Kongo. In der Anklageschrift, die vom Gericht noch bestätigt werden muss, werden Ngudjolo Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen – darunter Rekrutierung von Kindersoldaten, sexuelle Versklavung und Angriffe gegen die Zivilbevölkerung. Ngudjolo war  Stabschef  der „Front für Nationale Integration“ (FNI), einer überwiegend aus Angehörigen der Lendu bestehenden Miliz. Deren Krieg gegen bewaffnete Gruppen der Hema fielen zwischen 1999 und 2003 mindestens 50.000 Menschen zum Opfer.

Beim Hofgang im Den Haager Gefängnis kann sich Ngudjolo nun mit einem ehemaligen Erzfeind unterhalten. Thomas Lubanga, ehemals Chef der gegnerischen Hema-Milizen, sitzt seit März 2006 in Den Haag, angeklagt der Rekrutierung von Kindersoldaten. Sein Prozess, der erste des IStGh überhaupt, soll am 31. März beginnen. Beobachter rechnen allerdings mit weiteren Verzögerungen.

Im Fall Ngudjolo sind vor allem seine Biografie und die Umstände seiner Auslieferung ungewöhnlich. Im Oktober 2003, als der Krieg zwischen Hema und Lendu beendet war, wurde Ngudjolo von UN-Blauhelmen verhaftet, von der Regierung in Kinshasa der Kriegsverbrechen beschuldigt und ins berüchtigte Makala Gefängnis von Kinshasa verlegt. Dort brach er aus, tauchte 2005 wieder in Ituri auf, um prompt eine neue Rebellentruppe zu gründen – dieses Mal mit dem klangvollen Namen „Kongolesische Revolutionäre Bewegung“ (MRC).

Offiziell war der Krieg in Ituri zu diesem Zeitpunkt längst beendet, und die immer wieder auftauchenden neuen Milizen durfte man eher unter der Rubrik „Karrieresprung für Banditen“ verbuchen. Denn nur wer schießt, plündert und raubt, so die traurige Lehre aus den Kongo-Kriegen, hat Aussicht, sich in „Friedensverhandlungen“ einen hohen Regierungs- oder Armeeposten zu ergattern. Und tatsächlich ging die Regierung in Kinshasa mit diversen Anführern im Dezember 2006 einen Deal ein: Schluss mit den Raubzügen, als Gegenleistung sollte das Fußvolk der Rebellen entweder demobilisiert oder in die nationale Armee integriert, die Rebellenführer selbst mit hohen Offiziersrängen ausgestattet werden. So wurde aus dem Kriegsherrn und Gangster Mathieu Ngudjolo Choi ein Oberst der kongolesischen Armee. Es hatte, so schien es, genau das bekommen, was er wollte.

Im November 2007 rückte Ngudjolo zusammen mit zwei anderen ehemaligen Warlords, Cobra Matata und Peter Karim, in Kinshasa zur militärischen Fortbildung ein. Was er zu diesem Zeitung noch nicht wusste: Seit Juli 2007 lag in Den Haag ein versiegelter Haftbefehl gegen ihn. Man kann vermuten, dass der Ankläger beim IStGh, der Argentinier Luis Moreno-Ocampo, den Haftbefehl auf Wunsch der Regierung in Kinshasa und der UN-Mission im Kongo einige Monate ruhen ließ, um die Entwaffnung der Milizen nicht zu gefährden. Am 7. Februar machte der IStGh den Haftbefehl öffentlich. Wenige Stunden später saß Ngudjolo in Handschellen in einem Flugzeug nach Den Haag.

Seine Kollegen Matata und Karim dürften derzeit also ziemlich nervös in ihren Kasernen in Kinshasa sitzen – obwohl bislang nichts daraufhin deutet, dass auch gegen sie Haftbefehle vorliegen. Kongolesische Menschenrechtsaktivisten haben Ngudjolos Festnahme natürlich begrüßt. Und Human Rights Watch, deren Kongo-Berichte einiges zu den Gerichtsermittlungen beigetragen haben, fordert nun die kongolesische Regierung auf, Matata und Karim wegen Kriegsverbrechen vor ein nationales Gericht zu stellen. Da allerdings tauchen zwei Probleme auch: Kongos Strafjustiz ist nur punktuell funktionstüchtig. Und wenn Matata und Karim tatsächlich auf der Anklagebank landen sollten, könnte das auch Folgen für hohe Regierungsmitglieder im In-und Ausland haben. Einer der ehemaligen Unterstützer der FNI in Ituri, Mbusa Nyamwisi, ist heute Außenminister des Kongo. Und zu ihren wichtigsten militärischen Komplizen zählte seinerzeit die ugandische Armee, deren höchste Offiziere den Krieg nach Kräften nutzten, um Rohstoffe in Ituri zu plündern. Womit man dann schon nahe an der Familie des ugandischen Präsidenten Museveni ist.

Einen solchen Drang zur Aufklärung werden vermutlich kein kongolesischer Staatsanwalt und kein Gericht verspüren. Aber Moreno-Ocampo, der Chefankläger des IStGh, hat erneut versprochen, sich endlich den Hintermännern und Finanziers dieses Krieges zu widmen. Man darf gespannt sein, ob in seinen Kongo- Akten irgendwann auch ein Haftbefehl gegen einen amtierenden Minister auftaucht. Dann wird die Frage der Festnahme wirklich spannend.

 

 

 

 

 

 

 

Annans erster Erfolg – und Kenias verschwundene Aids-Kranke

Wenn eines der wichtigsten Länder einer Region in Gewalt und Chaos versinkt, dann – so möchte man meinen – setzen seine Nachbarn alles daran, dieses zu verhindern. Seit gestern, Donnerstag, tagen die Außenminister und Regierungschefs der Afrikanischen Union (AU) in Addis Abeba – und wer jetzt glaubt, dass sie sich vor Sorge um Kenias rasanten Kurs Richtung Bürgerkrieg den Appetit verderben ließen, der irrt. Am Ende des ersten Sitzungstages, so berichtet es der Korrespondent der BBC, forderte einer der versammelten Außenminister, endlich über die Lage in Kenia zu diskutieren, was mit der Begründung abgelehnt wurde, man sei von der äthiopischen Regierung zum Dinner eingeladen. Die dürfe man nicht warten lassen. Soviel zum Krisenmanagement der AU.

In Kenia selbst ist ein Ende der Gewalt nicht abzusehen. Am Donnerstag erschoss ein Polizist in Eldoret, einer der am schlimmsten betroffenen Städte im Rift Valley, einen Parlamentsabgeordneten des oppositionellen „Orange Democratic Movement“ (ODM). Prompt wurden in Nairobi die Verhandlungen zwischen ODM und Regierung unter Vermittlung von Kofi Annan ausgesetzt. Doch kurz darauf gelang es Annan, die Kontrahenten wieder an einen Tisch zu bringen, und am Samstag morgen konnte der Ghanaer tatsächlich einen ersten Hoffnungsschimmer aufzeigen: Die Regierung von Präsidenten Kibaki und das ODM unter der Führung von Raila Odinga haben sich auf einen „Verhandlungsplan“ geeinigt – darunter „18 Aktionspunkte“, um die anhaltende Gewalt zu beenden. Demnach sollen beide Seiten ab sofort aufrührerische Äußerungen in der Presse und aufhetzende Textnachrichten an die Handys ihrer Anhänger unterbinden.

Außerdem wollen beide Seiten über eine Lösung der humanitären und der politischen Krise verhandeln, sowie zuguterletzt sogar die seit Jahrzehnten schwelenden Landkonflikte thematisieren. Diese sind ein zentraler Grund für den Fast-Bürgerkrieg, der kurz nach dem offensichtlichen Betrugsmanöver Kibakis am Abend der Präsidentschaftswahlen am 27.Dezember ausgebrochen war.

Annan – so hört man aus Nairoibi – hält nichts von einer Neuauszählung der Stimmen oder kurzfristig angesetzten Neuwahlen. Das ist auch gut so, denn die Wahlkommission ist seit dem Debakel Ende Dezember völlig diskreditiert. Und Neuwahlen sind angesichts der Sicherheitslage und der 300.000 Vertriebenen in absehbarer Zeit ohnehin nicht durchführbar. Also wird es womöglich auf eine „Große Koalition der Gangster“ hinauslaufen, auf eine Übergangsregierung unter Beteiligung Odingas mit festem Termin für Neuwahlen in ein oder zwei Jahren.

Innerhalb der nächsten „sieben bis fünfzehn Tage“ will Annan am Verhandlungstisch einen gemeinsamen Plan zur Entwaffnung von ethnischen Milizen und zur flächendeckenden Versorgung aller Vertriebenen entwickelt haben. Das ist angesichts der Borniertheit und Kaltblütigkeit der Kontrahenten wahrscheinlich ein realistischer Zeitrahmen. Aber angesichts der Ereignisse im Land fragt man sich erschrocken: Nichts als Reden? Zwei Wochen lang?

Denn die Vertreibungen weiten sich aus. Nachdem zehntausende von Angehörigen der Kikuyu von Milizen der Luo und Kalenjin aus dem Rift Valley in Flüchtlingslager gejagt worden sind, organisieren nun offenbar militante Kikuyu die Vertreibung von Luo und anderen ethnischen Gruppen aus der weiter östlich gelegenen Zentral-Provinz. Was vor über vier Wochen als gewaltsamer, ethnisch unterlegter Protest gegen einen offensichtlichen Wahlbetrug begann, ist nun zu ethnischen „Säuberungskampagnen“ eskaliert – nicht etwa organisiert von Staat und Armee, sondern von Dorfräten, Bürgerwehren und kriminellen Banden. Wahrscheinlich aber auch finanziert und angestiftet von Politikern beider Seiten.

In den Flüchtlingslagern, Hospitälern und Leichenschauhäusern ist die offensichtliche Verheerung zu sehen. Dann gibt es noch die „unsichtbaren Opfer“. Dazu gehören Kenias HIV/Aids-Patienten. Nach Schätzungen der UN sind 1.3 Millionen Menschen in Kenia mit dem Virus infiziert. Das Land hatte einst eine der höchsten Infektionsraten in Afrika. Ende der 90er Jahre berichteten Ärzte vom Massensterben in ihren Kliniken. Doch in den vergangenen Jahren ist es der Regierung, internationalen und nationalen Organisationen gelungen, die Infektionsrate zu senken und über 100.000 Patienten mit einer anti-retroviralen Therapie zu versorgen – also mit einer Kombination mehrerer Wirkstoffe zur Bekämpfung des Virus. Für die Patienten ist das eine Überlebensgarantie, vorausgesetzt, sie nehmen die Medikamente regelmäßig ein und ernähren sich ausreichend. Unterbrechen sie die ARV-Therapie, kann sich ihr Gesundheitszustand rapide verschlechtern und sie laufen sie Gefahr, gegen die Medikamente resistent zu werden. Das Gleiche gilt für Tuberkulose-Kranke.

Genau darin besteht eine der Langzeitfolgen der Kämpfe und Vertreibungen: Unter den über 250.000 Binnenflüchtlingen befinden sich Tausende HIV/Aids-Patienten, die seit Wochen keine Medikamente mehr erhalten haben. In Eldoret haben die Ärzte des örtlichen Universitätskrankenhauses ihre Studenten losgeschickt, um in den Flüchtlingslagern nach Infizierten zu suchen und sie mit Tabletten zu versorgen. Das Problem sei nur, sagt der zuständige Epidemologe Samson Ndege am Telefon, „dass die Situation immer wieder zu gefährlich ist für unsere Studenten.“ Im Klartext: Eldoret ist eine Hochburg der Ethnie der Kalenjin, die nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen systematisch Jagd auf Angehörige der Kikuyu gemacht haben. Die Kikuyu unter Ndeges Studenten riskieren also Kopf und Kragen, wenn sie sich auf die Straße wagen. Die Kalenjin unter ihnen wiederum stoßen auf das Misstrauen der Menschen in den Flüchtlingslagern. Schließlich gehören sie derselben Ethnie an, wie jene Männer, die ihre Häuser und Geschäfte niedergebrannt haben. Und Ndege selbst? Hat er Angst? „Nein“, sagt er. „Ich bin Kalenjin. Mir tun sie nichts.“

In der Hauptstadt Nairobi stehen Ärzte und Nothelfer vor einer ähnlichen Situation. Hunderte von HIV/Aids-Patienten in den Slums von Kibera und Mathare haben seit Wochen ihre ARV-Medikamente nicht mehr abgeholt. Einige sind bei den Gewaltausbrüchen womöglich ums Leben gekommen, andere sind vertrieben worden, wieder andere trauen sich nicht mehr zu den Ausgabestellen, weil die Umgebung von bewaffneten Gangs kontrolliert wird. Kibera, Nairobis größter Slum, gilt als Hochburg der Anhänger des Oppositionsführers Raila Odinga. Dort dominieren Angehörige der Luo, Odingas Ethnie, das Geschehen. In Mathare haben Kikuyu-Banden die Oberhand.

Auch die Infektionsrate dürfte wieder gestiegen sein. Durchschnittlich zehn Vergewaltigungsopfer melden sich derzeit täglich im Frauen-Krankenhaus von Nairobi zur Behandlung. „Normal“, sagen die Ärztinnen, „sind vier Fälle am Tag.“ Im Rift Valley ist die Situation noch sehr viel dramatischer: gut zwei Drittel der Menschen in den Flüchtlingslagern sind Frauen und Kinder. Viele sind von ethnischen Milizen bei den Überfällen auf ihre Häuser vergewaltigt worden. Die Camps sind nur unzureichend geschützt. Frauen, die Feuerholz oder Wasser holen wollen, riskieren, erneut überfallen zu werden. Betroffen von sexueller Gewalt sind – das berichten Flüchtlingshelfer – auch Männer und Jungen. Wieviele von ihnen in einigen Monaten in der Aids-Statistik des Landes auftauchen werden, vermag noch niemand zu sagen.