Das Moukasha hat bessere Tage gesehen. Es liegt im Zentrum von Mbuji Mayi in der Avenue Luputa, an einer Straße mit Schlaglöchern von der Größe einer Badewanne. Im Moukasha kostet ein Zimmer pro Nacht 25 Dollar – inklusive zwei Eimer Wasser und zwei Stunden Strom am abend, wenn Nikko, der Manager mit Babyface und Bartflaum, den Generator anwirft. Das Dach weist Löcher auf. An den Wänden kleben die sterblichen Überreste von Nachtfaltern und Mücken, die über die Jahre den Badeschlappen der Gäste zum Opfer gefallen sind. Nikko ist eigentlich Diamantenhändler, was er jeden seiner Gäste wissen lässt. Ich sage, dass ich nicht nach Mbuji Mayi gekommen sei, um Diamanten zu kaufen, sondern um über sie zu schreiben. Im übrigen fehle in meinem Zimmer ein Moskitonetz. Man benutze in seinem Hotel keine Moskitonetze, sagt Nikko, als hätte ich eine hoffnungslos altmodische Forderung gestellt. Man arbeite hier mit Mückenspray. Im übrigen seien Mücken nun mal ein Teil des Lebens.
„Gut, dann hätte ich gern Mückenspray.“
„Das ist alle.“
In den 25 Dollar ist im Moukasha auch Personenschutz enthalten, bestehend aus Cardozo Mukendi, Polizist, 1,85 groß, Besitzer einer klappernden Kalaschnikow, und einer Sonnenbrille, die Karl Lagerfeld alle Ehre machen würde. Eigentlich ist es nicht wirklich gefährlich in Mbuji Mayi. Es sei denn, man lebt in den Slums oder gehört zu den illegalen Schürfern, die sich nachts auf den Diamantenfeldern Schießereien mit der Polizei liefern. Aber der Staat bezahlt seine Polizisten nur sehr selten, also sorgt er dafür, dass sie Leute beschützen, die eigentlich keinen Schutz brauchen und dafür die die Polizisten bezahlen. Alle paar Tage steckt also einer der Gäste Cardozo zweihundert kongolesische Francs zu, oder eine Schachtel Zigaretten oder eine Flasche Bier.
Mbuji Mayi liegt in der östlichen Kasai-Provinz und ist Kongos Hauptstadt der Diamanten. Sie hat, wie das Hotel Moukasha, bessere Zeiten gesehen. Unter ihrer Erde liegt ein Schatz von unermeßlichen Ausmaßen. Die drei Millionen Einwohner aber leben in einer Stadt, die jeden Tag ein Stück mehr verfällt. Es gibt keinen Strom, kein Wasser und nach meiner unqualifizierten Schätzung etwa fünf Kilometer geteerte Straße. Außerdem einen fast bankrotten halbstaatlichen Bergbaubetrieb, zwei jeglicher Lehrmittel beraubte Universitäten, viereinhalb marode Krankenhäuser, geschätzte drei-bis vierhundert Erweckungskichen und etwas doppelt soviele Diamantenhändler.
Man stelle sich eine sowjetische Industriestadt vor, die vor zwanzig Jahren stillgelegt wurde. Dazu tropische Temperaturen, einen Krieg sowie mehrere Randgürtel mit brasilianischen Favelas. Das alles zusammen ergibt Mbuyi Mayi. Ungefähr jedenfalls.
Das Moukasha kann trotzdem auf seine Stammgäste zählen. Da ist in Zimmer neun Professor Mongo, Jurist aus Lubumbashi, der hier regelmäßig drei Monate als Gastdozent verbringt. Professor Mongo tritt jeden Morgen ausgeschlafen und im knitterfreien Schlafanzug vor die Tür, nimmt mit einem fröhlichen „Bonjour, mes enfants“ seine zwei Eimer Waschwasser entgegen und verläßt eine halbe Stunde später in tadellos gebügeltem Anzug und Safari-Hut das Hotel Richtung Universität.
Da ist in Zimmer 11 Madame Justine Kalumba, angehende katholische Krankenschwester aus Kananga, die hier ein Praktikum absolviert. Madame Kananga steigt jeden Abend aus ihren Sandalen mit Plateausohlen in bequeme Babuschen, wirft im Hof ein Feuer an und kocht Fisch in scharfer Sauce.
Und dann ist da in Zimmer sechs mein direkter Nachbar, Blaise Bienvenue Mubake aus Kinshasa, Funktionär der UDPS, einer Oppositionspartei, deren Hochburg die Kasai-Provinzen sind. Monsieur Mubake hat Augen wie Bette Davis und verrichtet seine Geschäfte, über deren genauen Inhalt er mich im Dunkeln lässt, in einem Nadelstreifenanzug mit Stecktuch, Golfschuhen und Hut. Mit seinem imposanten Backenbart und den goldberingten Fingern würde er gut ins Harlem der 50er Jahre passen.
An meinem dritten Abend im Moukasha kommen wir bei einigen Flaschen Bier ins Gespräch. Nach einem leidenschaftlichen Vortrag über den schlechten Charakter der herrschenden Politiker hält Mubake ein Loblied auf die kongolesische Familie.
Er habe 49 Kinder, sagt er. Natürlich von mehreren Frauen.
Das sei allerdings beeindruckend, sage ich.
„Kinder sind der Reichtum Afrikas“, erklärt er.
Ich erlaube mit einen skeptischen Blick. In Mbuji Mayi hausen über mehrere tausend Straßenkinder, in den Diamantenminen rund um die Stadt schuften über 10.000 Kinder in den Schächten und Gruben.
Natürlich gebe es Probleme, räumt Monsieur Mubake ein.
„Wieviele Kinder haben Sie?“
„Keine“, sage ich, und weiß schon, was jetzt kommt. Eine Frau über vierzig ohne Kinder ist in Afrika von Gott und allen Geistern verlassen.
„Aber Madame,“ sagt Mubake kopf schüttelnd, „dafür gibt es doch heute Ärzte.“
Was denn mein Mann dazu sage, dass ich so lange allein unterwegs sei.
Gar nichts, antworte ich, „mein Mann ist selbst manchmal Monate unterwegs.“
Monsieur Mubakes Gesichtsausdruck wird jetzt ernstlich besorgt. „Sie wissen, dass Frauen, die länger als zwei Monate ohne Mann sind, krank werden?“
Nein, sage ich, dieses Phänomen sei mir völlig neu.
„In unseren Krankenhäusern“, sagt Mubake, „liegen unzählige Frauen, die deswegen operiert werden müssen.“ Mir wird klar, dass Monsieur Mubake seine 49 Kinder – oder wieviele es auch immer sein mögen – als Resultat seines Einsatzes für die Gesundheit der kongolesischen Frauen sieht.
Das Bier ist alle, Nikko stellt in einigen Minuten den Generator ab. Ich wünsche Monsieru Mubake eine gute Nacht, verspreche dem schlaftrunkenen Cardozo eine Schachtel Zigaretten und lausche in der Dunkelheit den Chören der Erweckungskirchen rund um das Moukasha. In sicherer Entfernung, aus der Richtung der Diamantenminen, hört man ab und an Schüsse. Die Kirchenchöre halten bis drei Uhr morgens durch. Dann kehrt für wenige Stunden Stille ein. Um halb sieben schallt ein „Bonjour, mes enfants“ über den Hof. Cardozo ist auf einem Plastikstuhl über seiner Kalaschnikow zusammengesunken und schläft den Schlaf der Gerechten. Meine Zimmernachbarn verlassen wenig später wie aus dem Ei gepellt das Moukasha, um ihr Tagwerk zu beginnen.
Die Welt mag eine Ruine sein. Aber das entschuldigt nicht, unordentlich zur Arbeit zu gehen.