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Die Gewalt erreicht die „Blumenstadt“

Nichts ist so alt wie der Blogeintrag von gestern. Nakuru ist mitnichten ruhig geblieben. Ich sitze inzwischen wieder in Nairobi, also beruht dieser Nachtrag auf Telefonaten mit Nothelfern in Nakuru und lokalen Presseberichten: In der Nacht von Samstag auf Sonntag eskalierten trotz Ausgangssperre die Kämpfe zwischen ethnischen Gangs und Bürgerwehren. Am Sonntag Morgen zählte man in den Leichenschauhäusern von Kenias viertgrößter Stadt über 50 Tote. Darunter befand sich, so heißt es in der kenianischen Tageszeitung „Daily Nation“ ein katholischer Priester, der von Jugendlichen gesteinigt worden ist.

In der Nacht war es offenbar zu einer Kette von Rachemorden gekommen. Kaum wurden irgendwo Leichen von Angehörigen der Kikuyu entdeckt (oder ein entsprechendes Gerücht in Umlauf gebracht), gingen Kikuyu-Gangs mit Buschmessern und Benzin auf die Häuser von Angehörigen der Kalenjin los – und umgekehrt. Die Polizei war völlig überfordert, und konnte sich nachts auch nicht auf die Armee-Hubschrauber verlassen, die am Tag über Nakuru kreisen und Brandherde melden.

Am Sonntag morgen beruhigte sich die Lage in Nakuru. Dafür gingen laut BBC und kenianischen Medien 60 Kilometer weiter südlich in Naivasha jugendliche Kikuyu auf Angehörige der Luo los, jener Ethnie, der auch Oppositionsführer Raila Odinga angehört. Vorläufig ist von neun Toten die Rede – einige der Opfer sollen in ihren Häusern verbrannt worden sein. Naivasha ist ein Tourismus-Ort und Kenias „Blumenhauptstadt“, hier werden Schnittblumen für den europäischen Markt produziert. Bis auf weiteres dürfte der Export zum Erliegen kommen: In den Gärtnereien haben nun Vertriebene Zuflucht gesucht.

Wie Nakuru liegt auch Naivasha an der Hauptverkehrsstraße zwischen Nairobi und dem Nordenwesten Kenias. Die ethnischen Kämpfe, die einen anderen Charakter und Hintergrund haben als die Gewalt in Nairobis Slums, sind damit bis auf 90 Kilometer an die Hauptstadt herangerückt. Die politischen Kontrahenten Mwai Kibaki und Raila Odinga scheint das nicht weiter zu beeindrucken. Nachdem beide Seiten im Wahlkampf die ethnischen Ressentiments massiv geschürt hatten, macht nun keiner Anstalten, die eigenen Anhänger zur Besinnung zu bringen.

Ob und wieviel Einfluss sie noch auf die Mobs haben, ist eine andere Frage. Aber sie versuchen es nicht einmal. Was nur zwei spekulative Schlüsse zulässt: Entweder diktieren auf beiden Seiten nurmehr die Hardliner das Geschehen. Oder Kenias politische Elite hat schlicht nicht begriffen, in welch dramatischer Lage sich ihr Land befindet.

 

Krieg für eine Nacht – ein Bericht aus Nakuru, Kenia

Die Gerüchteküche hat es ahnen lassen: schon am Vortag machen Textmessages die Runde, dass Ausschreitungen in Nakuru bevorstünden. Im „Bubbles“, einer der freundlicheren Kneipendiskos der Stadt, interessiert das am Donnerstag Abend noch niemanden. Das Fernsehen überträgt live vom Afrika-Cup in Ghana, das kleine Guinea schlägt das große Marokko. Darauf noch ein Bier.
Hier im Rift Valley hat es in den vergangenen Wochen die meisten Toten, die schlimmste Zerstörung gegeben, seit nach den Wahlen am 27. Dezember der Amtsinhaber Mwai Kibaki in einem ebenso dreisten wie stümperhaften Betrugsmanöver seinem Kontrahenten Raila Odinga den Wahlsieg weggeschnappt hat. Seitdem ist eine Vertreibungskampagne gegen Angehörige von Kibakis Ethnie, die Kikuyu, im Gang – angeheizt durch Wahlkampfreden der Opposition, angetrieben und ausgeführt vor allem von Angehörigen der Kalenjin, die im Rift Valley seit Jahrzehnten im Landstreit mit den Kikuyus liegen.

Aber in Nakuru fühlte man sich bis zum Donnerstag abend noch relativ sicher. Hier ist viel Polizei konzentriert, die Geschäfte und Märkte sind geöffnet, hier haben aus entlegeneren Dörfern und Städten vertriebene Kikuyus Zuflucht gefunden. Hier haben viele Hilfsorganisationen einen Stützpunkt aufgebaut.
Kurz nach Mitternacht hört man die ersten Schüsse – und mit der Sicherheit ist es vorbei. Bis zum Morgengrauen wiederholt sich dieses Spiel in unregelmäßigen Abständen: wütendes Gebrüll, Schüsse, Triumpfgeheul, dann wieder Stille. Selber auf der Straße nachzusehen, ist keine gute Idee. Also bleiben wir – ein kenianisch-deutsch-burundisches Team der GTZ, mein Fahrer Sammy und ich – auf dem Hotelgelände. Kurz nach Sonnenaufgang können wir die Bescherung mit eigenen Augen sehen: Mehrere Rauchsäulen im Umkreis von hundert Metern, Schüsse, die jetzt hörbar in unmittelbarer Nachbarschaft abgefeuert werden. „Bis vor unsere Tür sind sie gekommen“, berichten erregte Nachbarn. „Sie“ – das sind Trupps von jungen Kalenjin mit Pfeil und Bogen, großen Panga-Messern und Handys – die Standard-Ausrüstung in diesem kenianischen Nachwahl-Krieg. Wer die Gewehrschüsse abfeuert, bleibt unklar, von der Polizei ist nämlich erst einmal nichts zu sehen. Neue Rauchsäulen steigen auf, erst brennen Häuser, dann ein Löschwagen der Feuerwehr. Die ist immerhin gekommen.

Inzwischen versammeln sich auf der Straße immer mehr Kikuyu-Männer aufgetaucht – zum Teil aus den Flüchtlingslagern in der Stadt – in den Händen alles, womit ein Mensch zuschlagen kann: Zaunlatten, Wagenheber, Stemmeisen, Panga-Messer, Krückstöcke. Einige grüßen höflich-betreten, als wäre ihnen dieser Auftritt irgendwie peinlich. Dann schlendern sie auf die gegenüberliegende Straßenseite, schleppen Holzbretter, Ölfässer, Steine und einen halben Gaum auf die Straße. Ein paar Spritzer Benzin, ein Streichholz, fertig ist die brennende Barrikade. Weiter passiert zunächst gar nichts. Herumlungernde Schaulust macht sich breit. Das kennt man auch von Kreuzberger Demos.

Dann prescht ein Laster der Polizei heran. Auf der Ladefläche drängen sich Polizisten – einige in der auch aus Deutschland vertrauten Schutzausrüstung mit Brustpanzer, Helm und Schulterpolster, andere in Tarnanzügen und mit halbautomatischen Gewehren. Die feuern ihre ersten Salven in die Luft ab – und jetzt heisst es: rennen. Nur eine alte abgemagerte Frau bleibt einfach stehen, scheinbar ohne eine Spur von Panik, als ginge sie das alles nichts mehr an. Ein kleiner Kerl, der auf einem chinesischen Fahrrad das Weite suchen will, dreht um. Irgendwoher hat er plötzlich eine Decke, legt sie auf den Gepäckträger. Die Alte steigt seelenruhig auf, der Mann schiebt das Fahrrad aus der Gefahrenzone. Er ist einer der wenigen, die keine Waffe in der Hand halten. Schon allein dafür möchte man ihn küssen.

Dann wieder warten, telefonieren, Gerüchte austauschen. Die Hauptstraße sei in alle Richtungen blockiert. Mungiki-Mitglieder seien in der Stadt (das sind Angehörige einer kriminellen, religiös verbrämten Kikuyu-Gang, die sich nun als Schutzmacht ihrer Ethnie gerieren). Unser ursprünglicher Plan, Flüchtlingslager in der Umgebung zu besuchen, hat sich offenbar erledigt. Ebenso mein Vorhaben, von Nakuru weiter nach Norden in das schwer zerstörte Eldoret zu fahren.

Ein Geländewagen von „Medecins sans Frontieres“ rollt langsam Richtung Shabab und Kaptembe, den Vierteln, aus denen die meisten Rauchsäulen aufsteigen. Nach fünf Minuten kommt er wieder zurück. Kein Durchkommen. Dasselbe widerfährt einem Konvoi vom Kenianischen Roten Kreuz. Die ersten Flüchtlinge, Kikuyus aus den Randbezirken, kommen stadteinwärts, auf dem Rücken, auf Handkarren oder Autodächern zusammengeschnürt, was zu retten war. Bei manchen sind das Möbel, Matratzen, Töpfe, Fernseher und Computer, bei andern nicht mehr als ein Deckenbündel. Gleichzeitig schlendern immer mehr bewaffnete Kikuyus Richtung Shabab – gefolgt von Polizei und zwei Lastwagen mit Soldaten. Bislang hat die Regierung es tunlichst vermieden, die Armee einzusetzen – aus der durchaus begründeten Angst, auch das Militär könnte sich entlang ethnischer Linien spalten.

Dann ist es still in Shabab, die Brände sind offenbar gelöscht. Wir warten, telefonieren, horchen die Leute aus. Ein Lehrer, der sich extra seinen Sonntagsanzug angelegt hat, sucht in der Menge nach Zeugen der Polizeieinsätze. „Die Polizei ist gegen die Kikuyus. Ich will beim Polizeichef Beschwerde einlegen.“ Die Umstehenden winken verächtlich ab. Ihnen ist nicht nach Beschwerde zumute, sondern nach Rache. „Wir bringen jeden Kalenjin um, den wir sehen.“
Es ist inzwischen zehn Uhr morgens, nichts rührt sich. Ich beschließe, nach Nairobi zurückzufahren, um von dort vielleicht mit dem Flugzeug nach Eldoret zu kommen. Die Innenstadt ist ruhig, ein paar Barrikadenreste, Menschen stehen unschlüssig herum, LKW-Fahrer fluchen, weil sie seit Stunden festsitzen. „Das hat sich ja offenbar wieder beruhigt“, sage ich.
„Beruhigt?“ ruft Sammy. „Ich sage Dir, das wird noch schlimm hier. Ganz schlimm.“
Er behält recht. Am Abend meldet das Rote Kreuz mindestens ein Dutzend Tote, einige verbrannt, andere zu Tode gehackt. Plünderungen in der Stadt, Kirchen, die mit Flüchtlingen überfüllt sind, Mobs von Kalenjin und Kikuyus, die sich bekämpfen. Das GTZ-Team hat sich an den anderen Stadtrand in das nächste Hotel geflüchtet.
Wieder in Nairobi reicht mir der erste Zeitungsverkäufer die Ausgabe der „Daily Nation“ durchs Autofenster. Auf dem Titelblatt Raila Odinga und Mwai Kibaki, wie sich unter den strahlenden Augen von Vermittler Kofi Annan erstmals seit den Wahlen wieder die Hand geben. Beide lachen, als hätten sie einen alten Kumpel wiedergetroffen. Was ja auch stimmt. Sie kennen sich seit Jahrzehnten, waren einst politische Verbündete. „Endlich Hoffnung“, lautet die Schlagzeile. 160 Kilometer entfernt, in Nakuru, herrscht zu diesem Zeitpunkt schon Ausgangsperre.
Am Samstag Morgen kommt die Stadt einigermaßen zur Ruhe. Gemeldet werden vereinzelte Schießereien. Die Polizei liefert neun verkohlte Leichen im Leichenschauhaus ab. Gegen Mittag läßt sich Kofi Annan mit dem Hubschrauber ins Rift Valley bringen, spricht mit Flüchtlingen und fordert die Bestrafung der Täter und Anstifter.

Was in Nakuru passiert ist, weiß in zwischen das ganze Rift Valley. Weiter südlich, Richtung Nairobi, rücken nun Kikuyu-Mobs zu Strafaktionen gegen andere Ethnien aus. Ein Teufelskreis – und noch weiss niemand, wie man ihn durchbricht.

 

Das bittere Wunder von Goma – Regierung und Rebellen schließen Frieden im Ost-Kongo

Friedensabkommen im Ost-Kongo! Bei dieser Nachricht muss man sich erst einmal die Augen reiben. Und sich daran erinnern, dass solche Abkommen in dieser Region sehr kurzlebig sein können.
Und trotzdem: Was da vor über zwei Wochen in Goma als scheinbar aussichtslose Mammut-Konferenz begann und noch am Dienstag zu scheitern drohte, endete am Mittwoch mit einem Hoffnungsschimmer, einer neuen Chance – vor allem für die Menschen in Nord-Kivu, die in den vergangenen Jahren so geschunden wurden wie wohl keine andere Bevölkerungsgruppe auf der Welt.

In Nord-Kivu war schon bald nach den Präsidentschaftswahlen 2006 der Krieg wieder ausgebrochen zwischen der regulären kongolesischen Armee, an der bekanntermaßen wenig reguläres ist, den Rebellen um den kongolesischen Tutsi-Kommandanten Laurent Nkunda sowie diversen Mai-Mai-Milizen und Banden. Diese immer unübersichtlicher werdende Schar von bewaffneten Männertrupps erklärt zum Teil die gewaltige Anzahl von 1600 Konferenzteilnehmern. Dazu kamen Beobachter und Vermittler der EU, der USA, der UN, der Afrikanischen Union sowie von Hilfsorganisationen. Schon allein unter logistischen Gesichtspunkten ist die Unterzeichung des Abkommens ein kleines Wunder.

Was wurde nun eigentlich unterschrieben? Alle Kriegsparteien verpflichten sich zu einem Ende der Kampfhandlungen (noch während der Friedensgespräche war es zu Massakern an Zivilisten gekommen); zur Demobilisierung und zur der Einrichtung einer Pufferzone, in der UN-Blauhelme dann mit der Rückführung von über 400.000 Binnenflüchtlingen beginnen sollen.

Allen Konfliktparteien wird außerdem Amnestie gewährt. Das ist in Anbetracht der Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung, vor allem der beispiellosen Vergewaltigungskampagnen der vergangenen Monate, ein Skandal – frei nach dem Motto: No Peace With Justice. Andererseits hätte keine Rebellengruppe ohne garantierte Straffreiheit das Abkommen unterzeichnet. Unklar bleibt, ob diese Amnestie auch für Laurent Nkunda gilt. Für’s erste gingen diese „Details“ im Beifall der Konferenzteilnehmer unter.
Wobei die Straffreiheit so sicher auch nicht ist: An solche Amnestie-Abkommen muss sich der Internationale Strafgerichtshof nicht halten, dessen Ermittler sich seit einiger Zeit für die Verbrechen in Nord-Kivu interessieren. Ob und wieviele Täter sich am Ende tatsächlich in Den Haag verantworten müssen, ist natürlich eine andere Frage.

Innenpolitisch ist dieses Abkommen weniger ein Erfolg für Präsident Joseph Kabila, dessen Ansehen nach katastrophalen Schlappen der Armee gegen Nkundas gut ausgerüstete Rebellen arg gelitten hat. Vielmehr ist es ein Punktsieg für Kabilas Parteigenossen und potenziellen Konkurrenten Vital Kamerhe. Kamerhe ist Parlamentspräsident und war einer Organisatoren und Konferenzleiter.
Jetzt heißt es warten und beobachten: Wie wird der Friedensschluss von Kabila-treuen Hardlinern in Kinshasa aufgenommen, die immer wieder für eine „militärische Lösung des Nkunda-Problems“ forderten? Und wie schnell und erfolgreich können die Truppen tatsächlich entflochten und demobilisiert werden? Es ist bekanntermaßen eine Sisyphus-Arbeit, Milizen zu entwaffnen und in einer ökonomisch und sozial völlig zerstörte Gesellschaft wiedereinzugliedern.

Wie dramatisch die Lage ist, dokumentiert eine aktuelle Studie der Hilfsorganisation „International Rescue Committee“. Fünf Jahre nach dem offiziellen Kriegsende ist die Sterblichkeitsrate im Kongo unverändert hoch: Ungefähr 45.000 sterben jeden Monat an den Folgen von Hunger, Malaria und anderen Krankheiten, weil in der zerstörten Infrastruktur keine Versorgung möglich ist. Fast die Hälfte der Toten sind Kinder unter fünf Jahren. Und besonders erschreckend: die Sterberate ist auch in solchen Regionen unverändert hoch, in denen es in den vergangenen Jahren keine Kampfhandlungen mehr gegeben hat.
Nun ist es im Kongo bekanntermaßen extrem schwierig, zuverlässige Zahlen zu bekommen. Aber die neue Studie basiert auf zuverlässigeren Erhebungen als frühere Untersuchungen. Erstens können sich Helfer und Rechercheure in weiten Teilen des Landes nun sicherer bewegen, zweitens haben inzwischen mehr Kongolesen Handys. Soll heißen: sie können jetzt wenigstens telefonisch über die Lage in ihren Dörfern berichten. Und die ist auch nach Einschätzung von Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ desaströs. Im Gesundheitsbereich hat sich so gut wie nichts verbessert – ein Armutszeugnis für die gewählte Regierung in Kinshasa. Aber auch ein Indiz dafür, in welchen zeitlichen Dimensionen sich hier internationales Engagement abspielen wird: zwanzig, dreißig, vierzig Jahre.

Das Friedensabkommen von Goma ist übrigens mit zahlreichen Empfehlungen für den Wiederaufbau der Kivu-Provinzen geschmückt. Am besten, man nimmt sie mit skeptischem Optimismus zur Kenntnis.

 

Nächste Ausfahrt Brüssel oder Moskau? Serbien wählt einen neuen Präsidenten

Da standen sie nun, mitten in New York, und gaben sich immerhin die Hand. Boris Tadic, Präsident Serbiens, dessen Staatsterritorium demnächst um 10.000 Quadratkilometer schrumpfen wird. Und Hasim Thaçi, Premierminister jener noch provisorischen Regierung des Kosovo, dessen Parlament in wenigen Wochen die Unabhängigkeit verkünden wird.

Thaçi hatte gerade dem Sicherheitsrat im New Yorker UN-Hauptquartier erklärt, nur die Unabhängigkeit des Kosovo könne Ruhe in die Region bringen. Tadic hatte beschworen, dass Serbien die Sezession der Provinz nie und nimmer akzeptieren wird. Als Hintergrundmusik war das übliche russische Grummeln zu hören. Russland werde dafür sorgen, so UN-Botschafter Witali Tschurkin, dass das Kosovo weder „Mitglied der UN noch anderer internationaler Institutionen werden“ könne. Mit anderen Worten: das Kosovo soll wie Taiwan am Katzentisch der Staatengemeinschaft sitzen. Die Drohung ist nicht neu. Aber was würde sie eigentlich bedeuten?

Nun, der Vergleich mit Taiwan hinkt schon insofern, als sich das Kosovo der Anerkennung mächtiger Nationen sicher sein kann: darunter die USA und die Mehrheit der EU-Mitgliedsländer. Einen Sitz bei den Vereinten Nationen, den die Kosovaren natürlich wollen, kann Russland trotzdem blockieren. Die UN heißen jedes „friedliebende Land“ willkommen, das den Verpflichtungen der Charta nachkommen kann. Friedliebend ist das Kosovo inzwischen schon, aber wer Mitglied in diesem Club der Nationen werden will, braucht eine Empfehlung des Sicherheitsrats. Dort sitzt Herr Tschurkin und wird bis auf weiteres mit dem Daumen nach unten zeigen.

Sind damit auch die Türen zu anderen internationalen Institutionen verwehrt? Zum Beispiel zur Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds (IWF), auf dessen Kredite die kosovarische Regierung sehnlichst wartet?
Keineswegs. Weltbank und IWF sind zwar Sonderorganisationen der UN, doch es können auch Länder ohne UN-Sitz beitreten. Und Veto-Macht im Sicherheitsrat interessiert dort niemanden. Hier ist Russland nur eines von 185 Mitgliedern. Deren Macht und Stimmanteile richtet sich nach ihrem jeweiligen Kapitalanteil. Entscheidungen müssen im IWF mit einer Mehrheit von 85 Prozent getroffen werden. Die USA, Japan und die EU-Länder bringen allein schon über 50 Prozent auf. Russland kommt gerade mal auf 2.7 Prozent.
Bleibt noch jene Institution, die für Gedeih oder Verderb eines unabhängigen Kosovo am wichtigsten ist: die EU. Da hat Russland unmittelbar gar nichts mitzureden. Aber es kann Störmanöver durchführen.

Denn die EU will ja in den kommenden Jahren das Kunststück versuchen, das gesamte Ex-Jugoslawien zu integrieren, zu assoziieren, oder, wie im Fall des Kosovo, als „Aufpasser“ erst einmal „europa-tauglich“ zu machen. Sollte das gelingen, dann könnten sich in zehn oder fünfzehn Jahren kroatische, bosnische, serbische und kosovarische Europa-Abgeordnete in Straßburg begegenen. Sollte es scheitern, dann allerdings hätte es die EU in ihrem „Hinterhof“ mit einem latenten, russisch angeheizten Dauerkonflikt zu tun.

Der nächste Akt in diesem Stück spielt aber nicht in Brüssel, sondern an diesem Sonntag in Serbien. Dort findet die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt. Es gibt zwei aussichtsreiche Anwärter: Amtsinhaber Boris Tadic. Der lehnt die Sezession des Kosovo natürlich ab, will sein Land aber trotzdem auf einem pro-europäischen Kurs halten will. Kommt nicht in Frage, sagt Tomislav Nikolic, der Kandidat der Radikalen Partei. In seinen Augen ist die Unabhängigkeit des Kosovo der nächste Dolchstoß des Westens in den serbischen Rückern – und Tadic’s New Yorker Händedruck mit dem Kosovo-Albaner Thaçi eine Geste des Verrats. Eine „Europäisierung Serbiens“ lehnen die Radikalen ab. Ähnlich wie die Demokratische Partei Serbiens (DSS) des amtierenden Premierministers Kostunica setzen sie auf einen Schulterschluß zwischen Belgrad und Moskau.

Und so hofieren die EU und Russland derzeit nach Kräften die serbische Regierung. Derzeit ist das besonders eindrucksvoll in der Ölbranche zu beobachten. Gazprom, Russlands Staat im Staate, möchte den serbischen Ölkonzern NiS kaufen, eine neue Erdgaspipeline von Russland über Bulgarien und Serbien nach Westeuropa legen und damit Serbien in sein Energieimperium eingliedern. Das alles zu Dumping-Preisen, gewissermaßen als Belgrader Gegenleistung für Moskaus Unterstützung in der Kosovo-Frage.
Konkurrenz kommt nun aus dem Westen. Mehrere europäische Unternehmen wollen offenbar höher bieten als Gazprom. Und die EU winkt mit dem Stabilisierungs-und Assoziierungsabkommen (SAA) – und sieht derzeit gnädig darüber hinweg, dass Serbien immer noch nicht Ratko Mladic an das UN-Jugoslawien-Tribunal ausgeliefert hat.

Was bei den Bürgern in Serbien stärker zieht, wird sich spätestens nach dem zweiten Wahlgang Anfang Februar abzeichnen. Tadic oder Nikolic? Letzterer hat sich in diesem Wahlkampf angeblich die Dienste einer amerikanischen PR-Firma gesichert, die schon das Image von Bill Clinton und George W. Bush aufpoliert haben soll. Merke: Auch Ultra-Rechte schreien national und denken global.

 

Die Gelassenheit des Charles Taylor

Erst boykottierte der Angeklagte sein Verfahren, dann entließ er seine Anwälte und beschuldigte die Richter, einen „Schauprozess“ durchzuführen. Charles Taylor, ehemals liberianischer Staatspräsident und derzeit prominentester Häftling der internationalen Strafjustiz, hatte alle Register gezogen, um den Prozess gegen ihn aufzuhalten. Seit Montag sitzt er nun endlich auf der Anklagebank, ausgestattet mit neuen Strafverteidigern und demonstrativ zur Schau getragenem Vertrauen in einen Freispruch. Politisch erscheint das undenkbar, juristisch ausgeschlossen ist es nicht.  

Zur Erinnerung: Elf Punkte umfasst die Anklage gegen den 59-jährigen – darunter Massenmord, sexuelle Versklavung, Einsatz von Kindersoldaten, Plünderung. Taten, die im internationalen Völkerstrafrecht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen definiert werden. Allerdings geht es dabei nicht um Gräuel, die während des Bürgerkriegs in Taylors Heimat Liberia begangen worden sind, sondern im Nachbarland Sierra Leone. Dort kämpften zwischen 1991 und 2002 die von Taylor unterstützten Rebellen der „Revolutionären Einheitsfront“ (RUF) gegen die Regierungsarmee, wobei die Fronten im Verlauf dieses Krieges zunehmend verworrener wurden. Am härtesten umkämpft waren die Diamantengebiete des Landes, deren Ausbeutung der RUF jahrelang ungebremsten Waffennachschub garantierte – und Taylor, so die Anklage, Zugriff auf die Edelsteine.

 

Die Brutalität des Krieges mit Zehntausenden Toten machte weltweit Schlagzeilen – nicht zuletzt, weil RUF-Rebellen unzähligen Zivilisten in „Strafaktionen“ Arme und Beine abhackten. Hollywood ließ die Erinnerung an diesen Horror im vergangenen Jahr noch einmal mit dem Film „Blood Diamond“  aufleben. Zu diesem Zeitpunkt saßen führende Kriegsherren bereits auf der Anklagebank des internationalen Sondergerichts für Sierre Leone (SCSL), das mit Unterstützung der Vereinten Nationen in der Hauptstadt Freetown eingerichtet worden war. Taylor allerdings wurde nach seiner Festnahme im März 2006 nach Den Haag überstellt, wo das SCSL nun in den Räumen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen ihn verhandelt. Ein Prozess in Freetown schien dem Gericht zu gefährlich: zu groß das Risiko, dass Anhänger des immer noch einflußreichen Ex-Präsidenten in der Region Unruhe stiften könnten.

 

Seit dem 7. Januar ruft nun also die Anklage ihre Zeugen in Saal 2 des hermetisch gesicherten Den Haager Gerichtsgebäude auf: UN-Experten schildern den Zusammenhang zwischen Diamantenschmuggel und Krieg; Überlebende beschreiben horrende Massaker der RUF. Das Problem: diese Aussagen werden Taylor nicht gefährlich. Weder er noch seine Verteidiger leugnen, dass die RUF Diamanten gegen Waffen gehandelt und grausame Verbrechen begangen hat. Taylor bestreitet schlicht, die RUF unterstützt, angestiftet, ermutigt oder auch nur von ihren Gräueltaten gewusst zu haben. Überhaupt habe er nie einen Fuss nach Sierra Leone gesetzt. Ihm „über jeden Zweifel erhaben“ das Gegenteil zu beweisen, ist gar nicht so einfach.

 

Die Argumentation der Anklage beruht auf dem juristischen Konstrukt eines „joint criminal enterprise“, einer „kriminellen Vereinigung“. Demnach hatten Taylor und die Führer der RUF einen „gemeinsamen Plan“, um in Sierra Leone eine Rebellion anzustiften und Zugriff auf die Diamantenfelder zu bekommen. In Folge dieses Plans seien dann zahlreiche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt worden. Das Konstrukt des „joint criminal enterprise“ wurde auch von den Anklägern des UN-Jugoslawien-Tribunals häufig angewandt, ist unter Völkerrechtlern aber umstritten.

 

Um im Prozess gegen Taylor eine solche „kriminelle Vereinigung“ zu beweisen, wollen die Ankläger mehrere ehemalige Weggefährten des Liberianers in den Zeugenstand rufen. Sie sollen bezeugen, dass Taylor von der liberianischen Hauptstadt Monrovia aus in regelmäßigem Telefonkontakt mit RUF-Kommandanten gestanden, ihnen Anweisungen gegeben, sie mit Waffen, Munition und Kämpfern versorgt haben soll. Ob die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen den Kreuzverhören der Verteidiger standhalten wird, bleibt abzuwarten.

 

Ein viel größeres Problem – und hier geht es jetzt in die juristischen Feinheiten des Völkerstrafrechts – haben ausgerechnet die Richter des SCSL den Vertretern der Anklage beschert. Im Verfahren des Sondergerichts gegen drei sierra leonische Rebellenführer erklärte das Gericht im Juni 2007 die Angeklagten zwar der Kriegsverbrechen schuldig. Schließlich hatten sie nachweislich Massaker und Plünderungen angeordnet. Die Kammer sprach sie aber vom Vorwurf der „kriminellen Vereinigung zur Anstiftung einer Rebellion“ frei. Begründung: eine Rebellion anzustiften, sei nach internationalem Recht nun mal nicht strafbar und falle somit nicht unter das Mandat des Sondergerichts. Dieser Richterspruch habe potenziell „verheerende Folgen für die Anklage im Taylor-Prozess“, sagt William Schabas, einer der führenden Experten des Völkerstrafrechts. Bei den Anklageschriften des UN-Jugoslawien-Tribunals stelle sich die Lage anders dar, sagt Schabas. Dort hätten die Ankläger Slobodan Milosevic und anderen führenden Kriegsplanern ein „joint criminal enterprise“ zur Durchführung ethnischer Säuberungen vorgeworfen. Letztere sind als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert und liegen somit klar innerhalb des juristischen Mandats des Tribunals.

 

Behält Schabas Recht, so steht das Anklägerteam im Fall Taylor – geführt von dem Amerikaner Stephen Rapp – unter erhöhtem Druck. Denn ein Schuldspruch hängt nun umso mehr davon ab, dem liberianischen Kriegsherrn und selbst ernannten Prediger nachzuweisen, dass er im sierraleonischen Bürgerkrieg konkrete Gräueltaten angeordnet, angestiftet oder dazu ermutigt hat.

 

18 Monate, so schätzen Beobachter, wird der Prozess in Den Haag dauern, über 140 Zeugen sollen gehört werden. Videobänder von den Verhandlungstagen werden täglich auch in Monrovia und Freetown gezeigt, wo in Straßenkneipen ehemalige Kindersoldaten neben Kriegsopfern am Fernseher beobachten, wie die internationale Staatengemeinschaft im fernen Den Haag Gerechtigkeit walten lassen möchte. Keinem von ihnen ist entgangen, dass der Untersuchungshäftling Charles Taylor in seiner niederländischen Zelle derzeit einen Lebensstandard weit über dem westafrikanischen Durchschnitt geniesst. Aber die Vorstellung vergleichsweise luxuriöser Haftbedingungen für den Diktator finden die meisten immer noch erträglicher als den Gedanken, er könnte in anderthalb Jahren als freier Mann nach Liberia zurückkehren. 

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Dort hat übrigens gerade die „Wahrheits-und Versöhnungskommission“ damit begonnen, Täter und Opfer des liberianischen Bürgerkriegs anzuhören. Der dauerte von 1989 bis 2003, forderte über 200.000 Tote und verwüstete die gesamte Infrastruktur des Landes. Die Kommission hat kein Mandat zur Strafverfolgung, und Liberias Justizsystem ist noch Jahre davon entfernt, rechtsstaatliche Verfahren durchzuführen. Soll heißen: den Tätern droht keine Verurteilung. Einige Menschenrechtsaktivisten in Liberia fordern deswegen ein internationales Sondergericht wie in Sierra Leone. Und wie in Sierra Leone würde auch in Liberia einer der Hauptangeklagten Charles Taylor heißen.

 

Doch Liberias demokratisch gewählte Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf fürchtet aus gutem Grund all die ehemaligen Kriegsherren und Weggefährten Taylors, die im Fall drohender Prozesse wieder Heerscharen von demobilisierten, arbeitslosen Kämpfern auf die Barrikaden bringen könnten. „No Peace Without Justice“ heisst die Parole der internationalen Strafjustiz – „kein Friede ohne Gerechtigkeit“. In Liberia gilt bis auf weiteres: Für Gerechtigkeit ist der Frieden noch zu fragil.

 

P.S.: Wer den Prozess gegen Charles Taylor en detail verfolgen möchte: das „Open Society Institute“ von George Soros dokumentiert die Zeugenvernehmungen in einem täglich Blog.  Weitere Informationen sind auch über die Website des Sondergerichts für Sierra Leone zu erhalten.

 

 

 

 

 

 

Happy Holidays

Schöne Feiertage und ein gutes neues Jahr. In Böhm’s Logbuch geht es nach dem 10. Januar weiter.

 

Abschied vom „Pulverfass“

Zum Jahresende ein kurzes Resümee vom Balkan, Europas vielbeschworenem Sorgenkind. Eine der beliebtesten Metaphern von uns Journalisten war im Jahr 2007 das „Pulverfass Kosovo“. Wann „explodiert“ es? Kommt der „nächste „Balkankrieg“? Platz zwei unter den Top-Klischees: das „zerstrittene Europa“, auch genannt „zaudernde EU“ oder „europäischer Hühnerhaufen“. Knapp abgeschlagen auf Platz drei: Das Kosovo als „Ministaat der Mafiaclans“.

Fangen wir von hinten an: das ewige, Unheil kündende Geschrei vom Kosovo als Oase der kriminellen Großfamilie nervt, um es einmal salopp auszudrücken. Ja, es gibt im Kosovo organisierte Kriminalität und Korruption, und die Kosovaren selbst sind die Ersten, denen deswegen der Kragen platzt. Aber diese Probleme sind kein naturgesetzlicher Zustand, sondern klassisches Phänomen einer Nachkriegsgesellschaft. Soll heißen, man kann sie bekämpfen.

Was den „Familienclan“ betrifft, der unter der Fuchtel eines finster dreinblickenden Patriarchen steht: Clans und Patriarchen sind, wie so vieles in einer Nachkriegsgesellschaft, auch nicht mehr das, was sie mal waren. Sie sind konfrontiert mit einer städtischen jungen Generation, deren Frauen traditionelle Strukturen in Frage stellen; mit einer Diaspora, die aus dem europäischen Ausland andere Lebensvorstellungen nach Hause bringen.

Kommen wir zum Klischee vom zaudernden, unfähigen Europa, dass sich auf dem Balkan immer wieder blamiert habe: Die EU hat sich während des blutigen Zerfalls Jugoslawiens wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Aber inzwischen hat man in Brüssel gelernt. Die Taktik Russlands, durch seine Blockade-Haltung in der Kosovo-Frage die EU zu spalten, hat offenbar das Gegenteil bewirkt. Es gibt zwar nach wie vor erklärte Gegner einer einseitigen Unabhängigkeit des Kosovo – vor allem sind das die Slowakei, Rumänien und Zypern – doch werden diese Länder nicht die geplante Mission blockieren, mit der die EU das UN-Protektorat ablösen und den Weg des Kosovo in die volle Unabhängigkeit „überwachen“ wird. 1:0 für Brüssel lautet das Zwischenergebnis in diesem Dauerclinch mit Moskau.

Und weil wir gerade bei den guten Nachrichten sind: sechs Jahre nach Ende der Balkan-Kriege haben alle Nachfolgeländer des ehemaligen Jugoslawiens ein Stabilisierungs-und Assoziierungsabkommen mit der EU unterschrieben oder ausgehandelt. Mag ja sein, dass das nicht hübsch anzusehen ist: in Serbien drohen weiterhin nationalistische Rückfälle. Bosnien ist immer noch mehr multiethnischer Boxring denn funktionierender Staat. In Kroatien steht eine ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen Kriegsverbrechern noch aus (wie überhaupt in allen Ländern des ehemaligen Jugoslawien). Aber wer hätte Mitte der neunziger Jahre geglaubt, dass aus dem Trümmerhaufen der Jugoslawienkriege ein europäischer Erweiterungsprozess würde?

Womit man beim „Pulverfass Balkan“ angelangt wäre: das „Pulverfass“ gehört in den Papierkorb. Die Behauptung, auf die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo folge der nächste Krieg, war und ist Panikmache. Weder Pristina noch Belgrad haben das Interesse oder die Ressourcen für einen neuen militärischen Konflikt – nicht zuletzt, weil sowohl Kosovaren wie Serben auf die europäische Perspektive hoffen.

Die Rhetorik mancher serbischer Politiker hört sich zweifellos anders an. Der amtierende Premierminister Kostunica droht gern damit, sein Land an Moskau anzubinden, falls ihm Europa und die USA das Kosovo „rauben“. Aber die Drohung wirkt leer, wenn man sieht, was Russland bislang bietet: viel Beschwörung der slawischen Bruderschaft und ein paar Wirtschaftsdeals im Energiesektor. Da leuchtet Brüssel doch etwas heller.

Nicht, dass damit alle Sorgen in der Region beseitigt wären. Für das serbisch dominierte Nordkosovo, das sich einer Unabhängigkeit widersetzen wird, muss eine Lösung gefunden werden. Im Gespräch ist derzeit eine neue Mini-UN-Verwaltung. In Serbien ist es, wie gesagt, denkbar, dass aus radikaler Kränkung über den Verlust des Kosovo (genauer gesagt: des damit verbundenen Mythos) der Kandidat der „Radikalen Partei“ im Januar zum Präsidenten gewählt wird. Ganz zu schweigen von den unzähligen Alltagsproblemen des Balkan wie Arbeitslosigkeit und marode Infrastruktur.

Aber für den Moment sieht es sehr viel besser aus, als noch vor wenigen Jahren zu erwarten war. Mit den verbleibenden Problemen und Krisen beschäftigen wir uns dann im nächsten Jahr.

 

Kosovo – Europas Dauerkrise

Eigentlich ist es nicht mehr als eine Vollzugsmeldung: Die Verhandlungen zwischen der serbischen Regierung und der Delegation des Kosovo über den zukünftigen Status des Kosovo sind gescheitert. Die Kosovaren bestehen auf der Unabhängigkeit, Serbien bietet wiederum dem Kosovo größtmögliche Autonomie, verweigert aber die Abspaltung. Dieses Ergebnis, das alle Beteiligten erwartet hatten, werden die Vermittler der sogenannten Troika, bestehend aus dem deutschen Diplomaten Wolfgang Ischinger, seinem amerikanischen Kollegen Frank Wisner und dem Russen Alexander Bozan-Chartchenko am 10. Dezember dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon überbringen.

Nun kann man sich zweierlei fragen: Wenn das Scheitern absehbar war, warum wurden dann in den vergangenen drei Monaten überhaupt Reisespesen und Arbeitszeit vergeudet? Und wie geht es jetzt weiter?

Die erste Frage ist noch halbwegs einfach zu beantworten: Seit Kriegsende 1999 gehört das Kosovo nur noch nominell zum Territorium Serbiens, steht jedoch auf Grundlage der UN-Resolution 1244 unter UN-Verwaltung. Auf Dauer ist das kein guter Zustand. Das finden vor allem die Albaner, die unabhängig sein wollen und bereits an einer Nationalhymne und einer eigenen Fahne basteln. Das findet aber auch die internationale Staatengemeinschaft, deren Auftritt als fürsorglicher Kolonialherr auf dem Balkan nicht unbedingt glücklich verlaufen ist. Also sollte das Kosovo mit neuer UN-Resolution in eine „überwachte Unabhängigkeit“ entlassen werden. Soll heißen: Die UN ziehen ab, eine EU-Mission „überwacht“ den weiteren Aufbau von Polizei-und Justizwesen, die KFOR-Truppen bleiben, um serbische Enklaven und Kulturgüter zu beschützen.

Dieser Fahrplan wurde zur Makulatur, als Russland seine globalen Muskeln und seine Liebe zu den „serbischen Brüdern“ wiederentdeckte und eine entsprechende Resolution im UN-Sicherheitsrat zu blockieren gelobte. (Nicht, dass es keine ernst zu nehmenden Argumente gegen eine Sezession des Kosovo gäbe. Nur darf man Moskau hier eher machtpolitische, denn prinzipielle Motive unterstellen.)

In Brüssel schreckten die Mitgliedsländer nach dem russischen „Njet“ hoch. Spanien, Rumänien, Griechenland und Zypern, allesamt selbst mit Minderheitskonflikten und Spaltungen belastet, meldeten nun Bedenken gegen einen neuen Mini-Staat im Balkan an. Die EU-Mission drohte schon im Aufbau zu scheitern. Da half nur eines: Zeit gewinnen. Wie? Indem man die Kontrahenten in eine neue Verhandlungsrunde schleppt und gleichzeitig hinter den europäischen Kulissen versucht, die Reihen zu schließen. Allerdings genau für den Fall, der jetzt eingetreten ist: das endgültige Scheitern der Gespräche – und damit die baldige Erklärung der Unabhängigkeit der Kosovaren. Gegen den Willen Serbiens und ohne völkerrechtliche Absicherung durch eine UN-Resolution.

Womit wir bei der zweiten, sehr viel schwierigeren Frage sind: Wie geht es weiter? Der designierte kosovarische Premierminister Hashim Thaçi hat noch für den Dezember eine einseitige Unabhängigkeitserklärung in Aussicht gestellt. Das klingt recht forsch, doch dürften Thaçi und das kosovarische Parlament nichts derartiges unternehmen, bevor nicht Washington und eine große Anzahl der EU-Mitgliedsstaaten ihre Zustimmung und Anerkennung des neuen Staates signalisiert haben. Das wird – bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber solchen Prognosen – voraussichtlich erst Anfang des nächsten Jahres der Fall sein.

Und dann? Dann werden die Kosovaren auf den Straßen feiern, während die 15.000 KFOR-Soldaten in erhöhte Alarmbereitschaft treten und die serbische Regierung ihrerseits zurückschlägt: Belgrad wird die „Grenze“ zum Kosovo schließen, den Waren- und Personenverkehr blockieren und Stromlieferungen einstellen, was den Alltag der Kosovaren zumindest kurzfristig noch beschwerlicher machen wird, als er ohnehin schon ist. Außerdem gilt als sicher, dass sich der von Serben dominierte Nord-Kosovo seinerseits vom neuen kosovarischen Staat abspaltet (eine politische Variante der biologischen Zellteilung) und seine Zugehörigkeit zu Serbien erklärt. Es wird spannend für die KFOR-Truppen, die im Nord-Kosovo stationiert sind – darunter demnächst womöglich auch 500 Bundeswehr-Soldaten. Deren Präsenz soll für Ruhe, Ordnung und Einheit sorgen, doch aus Belgrader Sicht wären sie dann eigentlich Interventionstruppen auf serbischem Territorium.

Blieben noch die Auswirkungen auf die Nachbarländer zu erwähnen: aus Mazedonien, wo seinerzeit dank rechtzeitiger internationaler Vermittlung ein Bürgerkrieg verhindert werden konnte, werden neue Spannungen zwischen den albanischen und slawischen Bevölkerungsgruppen gemeldet. In Bosnien verkünden die Führer der Serben, dass sie sich im Fall einer Unabhängigkeit des Kosovo ihrerseits berechtigt fühlen, sich abzuspalten und Serbien anzuschließen. Womöglich nur eine leere Drohung, aber jedenfalls trägt sie nicht zur Entspannung der Lage bei. Das Kapitel Balkan ist acht Jahre nach Kriegsende für Europa noch lange nicht abgeschlossen. Der Marathon hat gerade erst begonnen.

 

Wie ein Israeli die Wahl im Kosovo gewann

Zur Feier des Wahltages hatte die KEK den Kosovaren am Samstag versprochen, 24 Stunden lang Strom zu liefern. Die KEK ist keine politische Partei, sondern der einzige Stromkonzern im Kosovo. Das Kürzel steht offiziell für „Korporata Energjetike e Kosoves“, die Kosovaren aber lesen: „Korruption, Energiemangel und kalte Füße“.

Denn in weiten Teilen des Kosovo gilt acht Jahre nach Kriegsende immer noch der „drei-drei-Rhythmus“. Oder der „vier-zwei-Rhythmus“. Soll heißen: Ein paar Stunden lang kommt Saft aus der Steckdose, ein paar Stunden lang kommt nichts. Das schlägt gewaltig auf die Stimmung. Vor allem an kalten Novemberabenden.

Wenn man also wissen will, warum die Beteilung an der Parlamentswahl am Samstag so erbärmlich niedrig war (vorläufigen Schätzungen zufolge lag sie bei 40 bis 45 Prozent), dann lautet die Antwort ganz einfach: KEK.

KEK ist in den Augen der Kosovaren das Synonym für alle Enttäuschungen seit Ende des Krieges: für unfähige Politiker, die anhaltend katastrophale Arbeitslosigkeit von 60 Prozent, waschbeckengroße Schlaglöcher in den Straßen; für ein Universitätskrankenhaus, in dem, „du dir nicht mal den Blinddarm entfernen lassen möchtest“, sagt mein Übersetzer Shpetim. Und die KEK ist auch Synonym für eine äußerst unbeliebte UN-Verwaltung der wir uns an anderer Stelle ausführlich widmen werden.

Also blieben die meisten Kosovo-Albaner bei Schneeregen und Saukälte zuhause. Zumal die KEK ihr Verprechen weitgehend hielt und von morgens bis abends Strom lieferte. Wohnungen und Kneipen waren durchgehend beheizt, es war viel angenehmer, das politische Personal vor dem Fernseher zu beschimpfen, als ihm seine Stimme zu geben.

Zum Sieger der Wahl hatte sich gegen ein Uhr morgens Hashim Thaci erklärt, einst ein Kommandant der paramilitärischen UCK, jetzt Chef der oppositionellen Demokratischen Partei (PDK). Nach meiner völlig unrepresentativen Volksbefragung in diversen Kneipen von Prishtina gilt die PDK derzeit als „nicht ganz so schlimm“ wie die bislang regierende Demokratische Liga (LDK). Die Partei Ibrahim Rugovas, der inzwischen verstorbenen Kultfigur des anfangs gewaltfreien Kampfes um Unabhängigkeit, verlor aufgrund massiver Korruptionsvorwürfe und interner Machtkämpfe deutlich.

Platz drei geht an die „Allianz Neues Kosovo“, eine Neugründung des Baulöwen Behget Pacolli, der nach dem Motto „Wo-ich-bin-sind-Arbeitsplätze“ ein Ende der Wirtschaftsmisere versprach. Der Mann ist eine Art Ross Perot des Kosovo und wäre wahrscheinlich mit deutlich mehr Stimmen bedacht worde, hätte er seine Millionen nicht mit Bauprojekten in Moskau verdient. Wer sein Glück in Russland, dem entschiedenen Gegner kosovarischer Unabhängigkeit, gemacht hat, kann im Kosovo keine Wahlen gewinnen.

Bleiben die Dardanische Demokratische Liga, eine Abspaltung der LDK; die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) von Ramush Haradinaj – der ehemalige UCK-Kommandant war im Wahlkampf verhindert, weil er wegen Kriegsverbrechen vor dem Den Haager UN-Jugoslawien-Tribunal auf der Anklagebank sitzt. Und es bleibt die ORA, die Partei der kosovarischen Kaffeehaus-Intelligentsia unter Führung des Verlegers Veton Surroi. ORA wurde gestern offenbar unter die Fünf-Prozent-Marke durchgereicht. So widerfährt es Intellektuellen in der Politik, wenn das Volk nicht mehr weiss, wie es Brot und Benzin bezahlen soll.

Wie geht es nun weiter? „Mit der Unabhängigkeit“, sagt Hashim Thaci. Gleich nach dem 10. Dezember will er ein souveränes Kosovo ausrufen – dann nämlich, wenn die Troika aus EU, USA und Russland dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon das absehbare Scheitern der letzten Verhandlungsrunde zwischen Prishtina und Belgrad über den zukünftigen Status des UN-Protektorats verkündet.

Wahrscheinlich wird es so schnell nicht gehen. Irgendwann Anfang 2008, sagen die Kaffeesatzleser, wird das Kosovo unter serbischem Geschrei und kalkuliertem russichen Grollen in die ersehnte Unabhängigkeit stolpern. Und bis dahin dürfte der Euphorie-Pegel noch weiter sinken. Der Preis für einen Laib Brot ist in den vergangenen zwei Monaten von 25 auf 50 Cent gestiegen, der Liter Benzin kostet inzwischen 1,10 Euro, Billig-Zigaretten (für viele Kosovaren ein Hauptnahrungsmittel) 80 Cent pro Packung. Das macht bei einer Schachtel pro Tag 24 Euro im Monat, ein Zehntel des durchschnittlichen Monatsgehalts von 240 Euro – wenn man denn Arbeit hat.

Nicht, dass die Kosovo-Albaner von ihrer Forderung nach einem eigenen Staat abrückten. Aber die Zumutungen des Alltags trüben zunehmend die Vorfreude. Und so war es nicht verwunderlich, dass der Wirt der durchräucherten Trattoria „Tirana“ in Prishtina gestern abend die Wahlberichterstattung im Fernsehen abwürgte – und auf Fußball umschaltete.

Gerade rechtzeitig zur Schlussphase des Länderspiels Israel gegen Russland, Spielstand 1:1. Als dem Fussballzwerg Israel in der 92.Minute der Siegtreffer gelingt, liegen sich im „Tirana“ alle in den Armen. „Russia, ass kick“, brüllt einer der Gäste, damit sich auch die Ausländer im Lokal der politischen Bedeutung dieses Tores bewusst werden. Omer Golan heißt der Torschütze. Im „Tirana“ war er an diesem Samstag der Wahlsieger.

 

Wie „sauber“ sind die Diamanten?

Wie sauber sind die Diamanten?

Willkommen im Klub: Die Republik Kongo – auch Kongo-Brazzaville genannt – will seine Rohdiamanten „säubern“. Soll heißen: Das Land ist dem Kimberly-Prozess wieder beigetreten. Die Regierung in Brazzaville verpflichtet sich, die Edelsteine ab sofort einem komplizierten Prüfverfahren zu unterziehen und so zu verhindern, dass Rebellengruppen am Export mitverdienen. „Blutdiamanten“ nennt man solche Steine, wenn Milizen und Rebellen, wie vor kurzem noch in Liberia und Sierra Leone, um die Kontrolle über Diamantenfelder kämpfen und mit dem Schmuggel ihre Waffen finanzieren.
Einer internationalen Kampagne von Menschenrechtsgruppen ist es zu verdanken, dass sich Regierung und Diamantenhändler 2002 ein Kontrollsystem, den Kimberly-Prozess, beschlossen. Dem gehören inzwischen 48 Staaten, sowie die großen Diamantenfirmen und mehrere NGOs an. Dieses Triumvirat aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft hat es tatsächlich geschafft, den Schmuggel mit „Konfliktdiamanten“ weitgehend lahm zu legen. Nur die Elfenbeinküste, die seit Jahren zwischen Bürgerkrieg und fragilem Frieden pendelt, gilt derzeit noch als größerer Lieferant von „Blutdiamanten“.
Also alles auf bestem Wege?
Ja und nein. Der Kimberly-Prozess ist zweifellos eine Erfolgsgeschichte: zum ersten Mal haben Aktivisten der internationalen Öffentlichkeit klar gemacht, dass die horrenden Kriege in Afrika keine „uralten Stammeskonflikte“ sind, sondern viel mit der Rohstoffgier der industrialisierten Welt zu tun haben – in diesem Fall mit unserer Sitte, uns mit glitzernden Steinen zu dekorieren.
Aber erstens ist das Verfahren des Kimberley-Prozesses nicht so wasserdicht, wie es die beteiligte Industrie gern behauptet. Zweitens berührt er nicht das nächste große Problem: In vielen Exportländern – in Sierra Leone, im Kongo, in Angola – arbeiten die Schürfer in den Diamantenfelder weiterhin unter menschenunwürdigen Bedingungen. Und die nunmehr „blutfreien“ Exportgewinne kommen einer kleinen Elite zugute, nicht aber dem Aufbau der kriegszerstörten Länder und deren Bevölkerung.
Einen schweren Fall von „Elendsdiamanten“ hat nun die Organisation Partnership Africa Canada (PAC) mit einer Studie über Angola dokumentiert, einem eifrigen Teilnehmer am Kimberly-Prozess. Angolas Diamanten-Einnahmen haben sich zwischen 2002 und 2006 mehr als verdreifacht – von 45 Millionen auf 165 Millionen Dollar jährlich. Der Staatskonzern Endiama, der das Monopol für die Vergabe von Schürflizenzen besitzt, bedient vor allem internationale Firmen, die ihrerseits gut geschmierte Kontakte zur politischen Elite pflegen. Von den Einnahmen fließt fast nichts in die vom Bürgerkrieg komplett zerstörte Infrastruktur in den angolanischen Diamantenregionen.
PAC wirft der angolanischen Regierung zudem vor, den Kimberly-Prozess als Waffe gegen die verarmte Bevölkerung einzusetzen: zehntausende von Angolanern – garimpeiros genannt – schuften auf eigene Rechnung in den Diamantenfeldern und sind den Großprojekten der Endiama im Weg. Also macht man es den garimpeiros so schwer wie möglich, ihre Steine mit einem Kimberly-Zertifikat zu legalisieren. Wie? Ganz einfach: Für den einfachen Angolaner ist der Besitz von Rohdiamanten strafbar.
Was lehrt uns das?
Ein Erfolg ist ein Erfolg – und meistens legt er gleich den Blick auf das nächste Problem frei.