Jeden Morgen der gleiche melancholisch klagende Gesang. „Allahu Akbar!“ In Juba, Bor, Malakal, Yei – in fast jeder südsudanesischen Stadt erinnert der Muezzin fünf Mal am Tag, dass die klaren Fronten im Sudan zwischen Arabern und Afrikanern, zwischen Norden und Süden, Islam und Christentum so klar nicht ist. Den muslimischen Norden gibt es genauso wenig wie den christlichen Süden. Alle Grenzen sind fließend.
Die muslimische Minderheit im Südsudan ist klein, genaue Zahlen sind schwer zu bekommen. Jedenfalls gibt es in Juba einen „Südsudanesischen Rat der Muslime“. Und wer diesen auf der Seite Khartums vermutet, der irrt. „Abspaltung ist besser“, sagte Juma Said Ali, einer seiner Vertreter: „Der Norden hat auch uns wie Menschen dritter Klasse behandelt.“
Das war eine deutliche Absage an prominente islamische Kleriker aus Khartum und Kairo, die das Referendum zu einer Verschwörung des Westens und damit aus religiöser Sicht für „null und nichtig“ erklärt haben.
Bis 15. Januar sollen die Wahllokale noch geöffnet bleiben. Schon drei Tage nach Beginn des Referendums am vergangenen Sonntag hatten mehr als 60 Prozent der wahlberechtigten Südsudanesen ihre Stimme abgegeben – und damit eine wichtige Hürde genommen. Denn dieses Quorum ist Voraussetzung für die Anerkennung des Ergebnisses, das zweifellos auf Sezession hinauslaufen wird.
Nun werden Südsudans Muslime keineswegs geschlossen den neuen Staat bejubeln. Viele wollen, ebenso wie die Migranten, erst einmal vorsichtig abwarten, wie stabil der innere Frieden im neuen Südsudan sein wird.
Die Gesellschaft des zukünftigen Staates sieht etwas so aus: rund 200 ethnische Gruppen mit verschiedenen Sprachen, Dialekten, Glaubensformen, flexiblen Loyalitäten und vielen alten wie neuen Konflikten. In der Politik wie auch im Militär dominieren die Dinka, was immer wieder für Ressentiments in anderen Volksgruppen sorgt.
Dazu gesellen sich somalische Muslime, die seit vier Generationen hier leben. Arabische Händler, die seit Jahrzehnten zwischen Norden und Süden pendeln. Libanesische oder indische businessmen, die aus Wohncontainern ein florierendes Hotel zusammen gebaut haben, in denen junge Kenianerinnen mit Hochschuldiplom die Bücher führen, während Südsudanesinnen ohne jede Schulbildung den britischen, norwegischen, japanischen, deutschen oder dänischen Entwicklungshelfern die Zimmer putzen. Außerdem Äthiopier und Eritreer, die hier mit kleineren und größeren Geschäften ihr Glück versuchen. Und schließlich Migranten aus den Nachbarländern – vor allem aus Uganda und Kenia. Und wie läuft das so im Alltag?
Multikulti im Südsudan (I)
„Immer schön Augen und Ohren offen halten“, sagt Matthew Oguttu, Hotelfachmann aus Nairobi, dort arbeitslos, jetzt schleppt er Wasser und Zement auf einer Baustelle in Bor, rund 300 Kilometer nördlich von Juba. Abends besser im eigenen Quartier bleiben. Nach Feierabend sind kenianische oder ugandische Arbeiter in manchen Kneipen so gern gesehen wie türkische Immigranten in einer sächsischen Dorfgaststube.
Wir treffen Oguttu am Flusshafen neben der Wasserpumpe, um ihn herum ein Gewusel von Rückkehrern aus Khartum, die ihre alte Heimat nicht wieder erkennen, ugandischen Händlern, die Trainingsanzüge made in China anbieten, und Dorfchefs verschiedener Volksgruppen, die ihre Heimgekehrten einsammeln.
Einige von Oguttus Landsleuten sind vor dem Referendum aus Angst vor Unruhen nach Hause gefahren. Er ist geblieben.
„Wahlen und Abstimmungen sind nicht das Problem in Afrika“, sagt Oguttu, „das Ergebnis ist das Problem.“ Die Elfenbeinküste taumelt nach den jüngsten Wahlen am Rand eines neuen Bürgerkrieg entlang, in Oguttus Heimat, Kenia, löste der letzte Urnengang einen ethnischen Mini-Bürgerkrieg aus.
Und hier?
„…sieht es bislang gut aus “, sagt er und lächelt. Also bleibt er.
„Weil man mit sudanesischen Pfund mehr Geld verdient als mit kenianischen Schilling.“
Multikulti im Südsudan (II)
Bor am Abend, zehn Dollar kostet die Nacht im Dindit-Hotel, in dessen Wellblechverschläge sich leider nicht Fuchs und Hase, sondern Fledermaus und Ratte gute Nacht sagen. Der Besitzer ist Samuel, ein kleiner, charmanter Eritreer. Wie fast jeden Abend fallen einige bereits alkoholisierte Dinka auf ihren Pick-Up-Trucks bei ihm ein – Sicherheitsleute und ehemalige Soldaten, Krieger ohne Krieg, deren Gebaren keinen Zweifel daran lassen soll, wer hier Herr im Hause ist. Samuel spricht weder arabisch, noch juba-arabisch, noch einen der Dialekte der Dinka. Macht nichts. Zwei Stunden lang füllt er den Jungmännertrupp scherzend und schmeichelnd mit Bier ab, bis deren Glieder und Zungen zu schwer geworden sind für größere Aggressionsausbrüche. Derweil bekocht uns seine Schwester, die früher in Asmara bei einer italienischen Familie den Haushalt geführt hat, mit Spaghetti Bolognese. Zur Entspannung beschallt Samuel die gesamte Gästeschar mit Kampfliedern aus dem eritreischen Befreiungskrieg. Seine Art, Heimweh zu lindern. In Eritrea, 1993 nach einem langen Bürgerkrieg unabhängig geworden, mutierte die Befreiungsbewegung ziemlich schnell zu einem diktatorischen Staatsapparat.
Und hier?
Samuel zuckt mit den Schultern und dreht sich Spagetti auf die Gabel. Sie bleiben in Bor. Dort sieht die Zukunft besser aus als zuhause. Für’s erste.
Multikulti im Südsudan (III)
Der Informationsminister der südsudanesischen Regierung, Barnaba Marial Benjamin, hat vor einigen Tagen allen „somalischen und anderen afrikanischen Geschäftsleuten“ versichert, dass sie unabhängig vom Ausgang des Referendums nichts zu fürchten hätten. Die somalischen Händler in Juba sind sich inzwischen nicht mehr so sicher. Sie argwöhnen, dass nach dem großen Jubel über die Unabhängigkeit die große Ernüchterung folgt. Und das sind immer schlechte Zeiten für Ausländer. Aber vielleicht wendet sich auch alles zum Besseren. Allahu Akbar! Allah ist groß – und alle anderen Götter neben ihm auch.