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Nachruf auf einen Furchtlosen: zum Mord an David Kato

Wahrscheinlich ist es vermessen, zu sagen, David Kato habe keine Angst gehabt. In den vergangenen Monaten fühlte er sich nicht mehr sicher, das hat er Freunden gesagt. Vielleicht fühlte er sich Zeit seines Lebens nicht sicher als schwuler Mann in Uganda.

Kato, einer der prominentesten Bürgerrechtler Ugandas, wurde in den frühen Morgenstunden des 26. Januar von einem Eindringling durch Hammerschläge auf den Kopf so schwer verletzt, dass er auf dem Weg ins Krankenhaus starb. Ein Tatverdächtiger soll inzwischen verhaftet worden sein. Das klingt nach einem Einbruch, doch Katos Lebensgeschichte legt den Verdacht nahe, dass dies ein hate crime war. Ein Mord aus Hass gegen Homosexuelle.

„Hängt sie auf!“ Mit dieser Schlagzeile überschrieb die ugandische Boulevardzeitung „Rolling Stone“ (die nichts, aber auch gar nichts mit dem gleichnamigen Magazin in den USA zu tun hat) vor wenigen Monaten die Fotos mehrerer Männer und Frauen aus der lesbisch-schwulen Community, die mit ihren Namen und Wohnadressen abgedruckt wurden. Es war der vorläufige Höhepunkt einer  Hetzjagd gegen Homosexuelle, die von Kirchen, Politikern und Medien angetrieben wird. Homosexualität ist in Uganda wie in vielen anderen afrikanischen Ländern mit drakonischen Haftstrafen belegt. Im Oktober 2009 löste eine Gesetzesvorlage, welche die Todesstrafe für homosexuelle „Wiederholungstäter“ vorsieht, einen internationalen Sturm der Empörung aus. Prominenteste Stimme des Protests in Uganda war David Kato.

Der ehemalige Grundschullehrer hatte sein politisches Coming-Out Ende der 90er, nachdem er sich während eines Aufenthalts in Südafrika dort in der lesbisch-schwulen Community engagiert hatte. Südafrika weist, was den Kampf gegen Diskriminierung von Homosexuellen betrifft, eine sehr fortschrittliche Gesetzgebung vor. Gleichzeitig ist gewalttätige Homophobie weit verbreitet. Von der Courage und dem Organisationsgrad der Lesben und Schwulen in Südafrika war Kato so beeindruckt, dass er in Uganda zu einem Vorkämpfer der Homosexuellen – und damit zur Zielscheibe der Schwulenhasser. Wobei in Uganda die evangelikalen Kirchen (mit tatkräftiger Unterstützung ihrer amerikanischen Glaubensgenossen) zu den schlimmsten Antreibern gehören.

Kato musste aufgrund von Drohungen seinen Job als Lehrer aufgeben und widmete sich von da an ganz seiner Arbeit bei der Organisation „Sexual Minorities Uganda“ (SMUG). Nachdem Rolling Stone Ende vergangenen Jahres die infame Foto-Kampagne gestartet hatte, wurden mehrere AktivistInnen auf offener Straße angegriffen, eine lesbische Bürgerrechtlerin fast gesteinigt. Kato, dessen Bild auf Titelseite abgedruckt worden war, erhielt Todesdrohungen.

Er tauchte nicht etwa ab, sondern zog vor Gericht, ein scheinbar aussichtsloses Unterfangen. Doch am 3. Januar entschied der zuständige Richter, dass Rolling Stone die Grundrechte Katos und der anderen Betroffenen verletzt habe und ordnete Schadensersatz an.  Vor dem Gericht warteten wie an fast allen Verhandlungstagen Demonstranten, die Kato verhöhnten und beleidigten. Es war ein bitter erkämpfter Sieg. David Kato hatte kaum mehr Zeit, ihn zu feiern.

 

Neues im Fall Chebeya: Ein Obduktionsbericht und ein aufgescheuchter Polizeiapparat

Ein Geständnis, ein vorläufiger Obduktionsbericht, eine mittlere Staatskrise und jede Menge Spekulationen. Das ist der Stand der Dinge im Fall Chebeya – elf Tage, nachdem die Leiche des Leiters der Menschenrechtsorganisation Voix des Sans-Voix (VSV) am Stadtrand von Kinshasa gefunden worden war.

Nach einer außergewöhnlichen Welle des internationalen Protestes hatten die kongolesischen Behörden innerhalb weniger Tage einen Tatverdächtigen präsentiert: Keinen geringeren als Daniel Mukalay, Chef des Polizeigeheimdienstes. Mukalay, als Folterer berüchtigt,  soll den Mord an Chebeya gestanden und dabei auch den obersten Polizeichef John Numbi belastet haben, einer der mächtigsten Männer des Landes und ein enger Berater von Präsident Joseph Kabila.  Chebeya war am späten Nachmittag des 2. Juni von Numbi zu einem Gespräch vorgeladen worden und danach verschwunden. Numbi steht seitdem unter Hausarrest. Inzwischen wurde auch der Polizeichef von Kinshasa, Jean de Dieu Oleko, unter Hausarrest gestellt. Oleko war das erste hochrangige Polizist gewesen, der nach dem Fund der Leiche von einem Verbrechen gesprochen hatte.

Mit Erlaubnis der kongolesischen Behörden haben inzwischen forensische Experten des renommierten niederländischen Labors Verilabs Chebeyas Leiche in Kinshasa obduziert. In einem ersten vorläufigen Bericht machten die Ermittler noch keine Aussage über die Todesursache, stellten aber Spuren der Gewalt an Chebeyas Körper fest. Ein endgültiger Obuktionsbericht sei, so ein Sprecher des Labors, erst in einigen Wochen zu erwarten.

In Kinshasa wird unterdessen heftig spekuliert: Ist Numbis vorläufiger Sturz eine politische Finte ? Oder war der Polizeichef dem Präsidenten zu mächtig geworden? War Chebeyas Tod ein eiskalter Auftragsmord? Oder ist irgendwann am Abend des 2. Juni eine Aktion der Einschüchterung „aus dem Ruder gelaufen“?

Chebeyas Mitstreiter wollen seinen Leichnam am 30. Juni beisetzen, dem Tag der großen Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit des Kongo. Ob das eine taktisch kluge Idee ist, darf man bezweifeln. Menschenrechtsaktivisten leisten im Kongo eine enorm mutige und wichtige Arbeit – aber sie genießen in der internationalen Öffentlichkeit oft mehr Aufmerksamkeit als unter ihren eigenen Landsleuten. Die sind meist viel mehr mit ihrem alltäglichen Überlebenskampf beschäftigt sind als mit den Berichten von VSV oder anderen Organisationen. Die Beisetzung dürfte also bestenfalls im großen Trubel der Paraden untergehen. Oder sie wird von der Polizei verboten. Oder mit Gewalt gestoppt. Keine der drei Optionen wäre den eigentlichen Zielen dienlich: nämlich den Mord an einem der mutigsten Aktivisten und das Schicksal seines immer noch verschwundenen Fahrers Fidele Bazana aufzuklären. Und den internationalen Druck auf die kongolesische Regierung in Sachen Menschenrechtsschutz aufrecht zu erhalten.

Wie viel Eindruck Chebeya Zeit seines Lebens auf jene gemacht hat, die ihn persönlich kannten und unterstützten, zeigt ein Nachruf, der auf der Website der US-amerikanischen National Endowment for Democracy (NED) veröffentlicht worden ist. Der Autor Dave Peterson ist Leiter des Afrika-Programms der NED:

Floribert was a realist.  He understood politics.  But he never sacrificed principles.  He was as unafraid to denounce American policies he saw as wrong as he was those of his own government.  When most other Congolese, including some human rights advocates, were denouncing the Tutsis and Banyamulenge after the Rwandan invasion, Floribert defended the rights of innocent civilians who were targets of human rights abuse no matter what their ethnicity.   He had enormous energy.    (…) Floribert undoubtedly inspired hundreds of activists throughout the country who still cite VSV for getting them off the ground, showing them how to do human rights work, and counseling them on strategy.  (…)  His impact on the human rights movement and the understanding and appreciation for democracy in Congo was profound.

 

Mordfall Chebeya: Polizeichef unter Hausarrest

Der Mord an dem kongolesischen Menschenrechtler Floribert Chebeya hat in Kinshasa ein politisches Erdbeben ausgelöst.Wie Radio Okapi und andere Medien melden, wurde John Numbi, Generalinspekteur der Polizei und einer der mächtigsten Männer im Land, am Samstag von seinem Posten suspendiert und unter Hausarrest gestellt. Die Entscheidung traf der Nationale Sicherheitsrat des Landes unter Vorsitz von Präsident Joseph Kabila. Angeblich soll der Leiter des polizeilichen Geheimdinestes eine Tatbeteiligung gestanden und dabei auch Numbi  belastet haben.

Damit reagiert Kabila offenbar auch auf den massiven internationalen Druck seitens der UN, der EU und zahlreicher Menschenrechtsorganisationen, die eine unabhängige Untersuchung des Falles gefordert hatten. In den vergangenen Jahren sind mehrere prominente Menschenrechtler und Journalisten im Kongo ermordet worden. Keiner der Fälle wurde bislang aufgeklärt. Allerdings hat es noch nie einen so lauten internationalen Aufschrei gegeben wie nach dem Tod von Chebeya.

Bereits am Freitag waren in Kinshasa mehrere Polizistcn festgenommen worden – just an dem Tag also, als auch das amerikanische Außenministerium  eine unabhängige Untersuchung unter Aufsicht der UN gefordert und angeboten hatte, forensische Experten aus den USA in den Kongo zu entsenden. Auch UN-Generalskretär Ban Ki Moon hatte sich bestürzt über Chebeyas Tod geäußert.

Chebeya, Direktor der Menschenrechtsorganisation Voix des Sans-Voix (VSV), war am Mittwoch morgen tot in seinem Auto am Stadtrand von Kinshasa aufgefunden worden. Sein Fahrer Fidele Bazana wird weiterhin vermisst. Am Dienstag nachmittag war Chebeya zu einem Treffen mit Numbi einbestellt worden, das aber offenbar nicht stattgefunden hat. Danach war der Telefonkontakt zu Chebeya abgebrochen. 

Numbi galt bislang als „bewaffneter Arm“ Kabilas. Ihm wird Organisationstalent bei der Reform des Polizeiapparats, absolute Loyalität zum Präsidenten und absolute Skrupellosigkeit bescheinigt. Numbi war bislang der Mann, der die Feinde seines Chefs entweder ausschaltete – oder mit ihnen verhandelte. (In seiner Eigenschaft als Generalinspekteur der Polizei war er übrigens auch der Mann, der mit der europäischen Polizeimission im Kongo EUPOL verhandelte.)

Als im Frühjahr 2008 eine religiöse Bewegung in der Provinz Bas Congo mit zum Teil gewalttätigen Demonstrationen mehr politische Autonomie forderte, wurden nach einem Treffen zwischen Kabila, Numbi und dem damaligen Innenminister Kalume schwer bewaffnete Polizeieinheiten entsandt, die die Bewegung zerschlugen und mehrere hundert Menschen töteten.

Es war wiederum Numbi, der Ende 2008 maßgeblich jenen historischen Deal mit dem Erzfeind Ruanda aushandelte: Kigali stellte damals seine Unterstützung für den kongolesischen Tutsi-Rebellen Laurent Nkunda ein, Kinshasa erlaubte dafür den Einzug ruandischer Truppen auf kongolesisches Gebiet, um gegen die Hutu-Rebellen der FDLR vorzugehen. Die daraus resultierenden Militäroperationen führten zu einer Schwächung der FDLR – allerdings um den Preis vieler Opfer in der Zivilbevölkerung.

Ob und wie Numbi für den Mord an Floribert Chebeya verantwortlich ist, ist noch nicht klar. Aber man darf wohl davon ausgehen, dass der Polizeichef den Menschenrechtler für einen „Feind des Präsidenten“ gehalten hat. Und „Kabilas Feinde“, so erklärte es ein internationaler Beobachter dem Magazin Jeune Afrique, „sind auch Numbis Feinde.“

Die Frage ist nun, ob Kabila seinen engen Vertrauten wirklich aus dem Verkehr ziehen oder nur kurzzeitig aus der Schusslinie nehmen will. Die internationale Empörung über Chebeyas Tod kommt dem Machtzirkel um Kabila so kurz vor den großen Feiern zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit am 30. Juni jedenfalls sehr ungelegen.

Mitarbeiter von VSV sowie der UN durften den Leichnam Chebeyas inzwischen kurz sehen.  Nach ihren Aussagen fanden sich Blutspuren in Mund, Ohren und Nase, sowie eine Beule an der Stirn und Schwellungen am Hals. Das Leichentuch abzunehmen, um den ganzen Körper zu sehen, wurde ihnen verboten. Womöglich ist Chebeya erwürgt worden.

55 Menschenrechtsorganisationen, angeführt von amnesty international, Human Rights Watch und VSV haben in einem offenen Brief den kongolesischen Präsidenten aufgefordert, eine unabhängige Untersuchungskommission aus kongolesischen und internationalen Experten zusammenzustellen. Die Organisationen fordern außerdem nachdrücklich, den Familienangehörigen von Chebeya und Bazana sowie potenziellen Zeugen Schutz durch die UN-Mission zu gewähren.

 

Die Frauen von Conakry

Krankenhäuser gelten gemeinhin nicht als Schauplätze des Widerstands, doch der Eindruck trügt. Ärztinnen, Pfleger und Therapeuten können sehr wohl den Zorn politischer Machthaber auf sich ziehen – vor allem dann, wenn sie die Opfer von Menschenrechtsverletzungen behandeln.

Ende Januar veröffentlichte die französische Tageszeitung Le Monde unter dem Titel „La malédiction des femmes de Guinée“ einen ebenso erschütternden wie beeindruckenden Bericht über den „Fluch der Frauen von Guinea“. Gemeint sind jene Teilnehmerinnen einer Demonstration für Demokratie vergangenen Herbst, die mit einem Massaker und brutalen Vergewaltigungen durch Soldaten der Präsidentengarde endete.

Die Autoren des Artikels sind Ismael Baldé und Natalie Zajde. Zajde ist eine renommierte französische Trauma-Forscherin und Psychologin, die sich auf die Behandlung von Opfern schwerster Menschenrechtsverletzungen spezialisiert hat. Baldé ist Arzt und Gründer des Centre Mère et Enfants in Conakry, ein Hospital für Mütter und Kinder.

Nichts ist vergessen, nichts ist geahndet von dem, was sich am 28.September 2009 in der Hauptstadt des kleinen westafrikanischen Landes abgespielt hat. Tausende Demonstranten hatten sich zum Jahrestag der Unabhängigkeit im Sportstadion versammelt, um die Militärjunta des Hauptmannes Moussa Dadis Camara aufzufordern, den Weg für Wahlen frei zu machen.

Camara, der nach dem Tod des langjährigen Diktators Lansana Conte an die Macht gekommen war, hatte genau das versprochen: Freie Wahlen und den Rückzug der Armee aus der Politik. Stattdessen nahmen Repression gegen Opposition und Zivilgesellschaft zu. Als am 28. September die Menschenmenge im Stadion lauthals Demokratie forderte, eröffnete Camaras Präsidentengarde das Feuer.

Ermittler der Vereinten Nationen dokumentierten einige Wochen später ein Massaker mit mindestens 150 Toten, benannten den Präsidenten sowie zwei weitere Offiziere als Hauptverantwortliche und empfahlen, die drei wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung zu ziehen.

Wie viele Frauen an diesem September-Tag von Soldaten vergewaltigt worden sind, weiß niemand genau, weil zahlreiche Opfer bis heute nicht wagen, die Tat öffentlich zu machen. Frauen waren an diesem 28. September, so schreiben Baldé und Zajde, „wie Zombies durch die Straßen der Stadt geirrt: völlig nackt, verschmiert mit Blut, Sperma, Dreck… und kaum noch in der Lage, sich auf den Beinen zu halten.“ Bewohner der umliegenden Viertel versteckten mehrere tagelang vor den Soldaten, gaben ihnen anzuziehen, zu trinken, zu essen. Opfer, die zum Teil schwer verletzt in die Hospitäler geschleppt worden waren, mussten von Ärzten und Krankenschwestern durch die Hinterausgänge in Sicherheit geschmuggelt werden, weil die Soldaten  Krankensäle durchsuchten.

Baldé und Zajda berichten von Frauen, denen die Flucht nicht gelang, die über Wochen von Soldaten als Zwangsprostituierte fest gehalten worden sind. Manche kamen schließlich frei, andere sind bis heute verschwunden.

Was sich da am 28. September abgespielt hat, war mitnichten ein „Gewaltausbruch“ undisziplinierter Soldaten, sondern eine Demonstration militärischer Allmacht. ‚Ihr seid ein Nichts!’ Das war die Botschaft der Präsidentengarde an die Protestierer, vor allem an die Frauen unter ihnen.

Wie aber geht eine Gesellschaft, seit Jahrzehnten durch Diktatur und Militär drangsaliert, mit einem solchen Schock um? Wie kann sie über Verbrechen reden, die die Militärjunta schlichtweg bestreitet, deren Opfer über Radio als „Nutten“, „Verrückte“ und „Lügnerinnen“ bezeichnet werden?

Unmittelbar nach dem 28. September richtete das Centre Mère et Enfants eine eigene Abteilung für Überlebende und Traumatisierte ein – ein mutiger Schritt, weil damit öffentlich die Existenz von Opfern benannt wurde, die es nach herrschender Propaganda gar nicht geben durfte. Zu der Abteilung, der ersten dieser Art in Guinea, gehören Chirurgen, Aids-Expertinnen, Gynäkologinnen, Psychotherapeuten, Hebammen.

Die ersten Patientinnen trafen nach einigen Wochen ein – und zwar just in dem Moment, schreiben Baldé und Zajde, da die Vereinten Nationen beschlossen hatten, Ermittler nach Guinea zu entsenden. Es kamen Mütter mit ihren 15 jährigen Töchtern, die seit der Vergewaltigung kein Wort mehr gesprochen hatten. Frauen, deren Becken gebrochen war, die an schweren Infektionen litten, schwanger geworden oder mit HIV infiziert worden waren.

Indem die  internationale Gemeinschaft bestätigte, was die eigenen Machthaber leugneten, schreiben Baldé und Zajde, habe sie die Frauen ermutigt, „aus dem Versteck zu kommen“. Trotz Todesdrohungen durch Soldaten, trotz Scham und Ächtung, die manche in der eigenen Familie erfuhren. Die weltweite Anerkennung des Erlittenen, so Baldé und Zajde, „trägt zum therapeutischen Prozess der Opfer bei.“ Und macht diesen somit eminent politisch. Die Berichte von UN, Human Rights Watch und anderer Menschenrechtsorganisationen gehören inzwischen zum Lesestoff der Patientinnen im Centre Mère et Enfants.

Das Militär ist in Guinea immer noch mächtig. Aber es ist angeschlagen. Sein Führer, Präsident Moussa Dadis Camara, wurde im Dezember von einem seiner Offiziere angeschossen und lässt sich seither im Ausland behandeln. Nach Erscheinen des UN-Berichts sah sich die Armee gezwungen, eine eigene Untersuchungskommission einzusetzen. Die hat ein  Massaker mit 63 Toten zugegeben. Die Schuld dafür trage allein eine abtrünnige Gruppe der Präsidentengarde. Camara wird von aller Verantwortung frei gesprochen.

Im nahe gelegenen Burkina Faso haben sich Vertreter der Militärs und der Opposition Ende Januar auf eine Übergangsregierung geeinigt. Als Premierminister wurde Jean Marie Doré, ein Oppositionspolitiker, eingesetzt. In sechs Monaten sollen Wahlen stattfinden. Allerdings hat die Armee für’s erste ein Drittel aller Posten in der Übergangsregierung besetzt, was Menschenrechtsaktivisten in Guinea alarmiert. Einige der am 28. September verhafteten Demonstranten sind bis heute verschwunden. Vergewaltigte Frauen erhalten weiterhin Drohanrufe.

Die Sanktionen von UN, EU und Afrikanischer Union gegen Junta-Mitglieder bleiben vorerst in Kraft. Mitte Februar wird Fatou Bensouda, stellvertretende Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGh), in Conakry erwartet. Die Haager Anklagebehörde will demnächst entscheiden, ob die Verbrechen vom 28. September 2009 unter die Jurisdiktion des IStGh fallen und Ermittlungen eingeleitet werden.

 

Helfen – aber wie? Spenden für den Kongo

Immer wieder fragen LeserInnen dieses Blogs nach Möglichkeiten, für die Opfer sexueller Kriegsgewalt im Ost-Kongo zu spenden. Die Antwort ist gar nicht so einfach. Erstens ist eine Auslandsüberweisung in den Kongo immer noch ein kompliziertes Unterfangen. Zweitens gibt es im internationalen Spendenwesen so einige Fußangeln und schwarze Löcher.

Wie man mit ganz einfachen Mitteln und langem Atem kleine Hilfen organisiseren kann, haben vier Schülerinnen aus Osnabrück gezeigt.

Schülerinnen sammeln für das Panzi Hospital

Nesrin, Dena, Sophia und Ana Pilar, alle zwölf Jahre alt, (auf dem Foto von rechts zusammen mit Lehrerin Tina Schick und deren Tochter Alyssa) engagieren sich seit der dritten Klasse für Projekte im Kongo. Beim letzten Anti-Kriegstag in ihrer Heimatsstadt sammelten sie umgerechnet 450 Dollar für das Panzi-Hospital in Bukavu, in dem vergewaltigte Frauen medizinisch behandelt werden. Das Geld konnte ich vergangene Woche im Hospital in Bukavu dem stellvertretretenden Leiter, Doktor Luhiriri, übergeben.

Panzi Team
Panzi-Mitarbeiter quittieren die Spende. Rechts Dr. Luhiriri

Da die Weihnachtszeit naht und die Leute – Wirtschaftskrise hin oder her – vielleicht ein paar Euro mehr für Hilfsorganisationen springen lassen, hier noch ein paar unverbindliche Tipps in Sachen Kongo:

Einrichtungen wie das Panzi-Hospital in Bukavu in Süd Kivu oder das Krankenhaus von HEAL AFRICA in Goma in der Provinz Nord Kivu leisten bewundernswerte Arbeit für die Opfer von Vergewaltigungen. Inzwischen sind sie international bekannt und dank ausländischer Hilfe relativ gut ausgestattet.

Dringend notwendig ist jetzt die Dezentralisierung der Versorgung. Wahrscheinlich schafft überhaupt nur eine Minderheit der Opfer den Weg in die großen Städte Bukavu oder Goma. Doch weder in den Dörfern noch in den kleineren Städten der beiden Kivu-Provinzen finden sie medizinische Behandlung. Eine erste Ausnahme: das Krankenhaus von Kamituga in Süd Kivu. Bis vor zwei Jahren war dieses nicht mehr als ein abgewracktes Siechenheim. Seit Sommer 2008 ist die deutsche Hilfsorganisation Cap Anamur zusammen mit den einheimischen ÄrztInnen und PflegerInnen dabei, daraus wieder ein funktionierendes Hospital zu machen – demnächst mit einer eigenen Abteilung für Opfer von Vergewaltigungen. Mehr dazu demnächst in diesem Blog. Wer jetzt schon spenden möchte, findet alle nötigen Informationen auf der Website von Cap Anamur.

Gleich eine Warnung hinterher: Erfolgreiche Arbeit lockt unverschämte Trittbrettfahrer. Eine Zeitlang behauptete ein „Deutsch-Afrikanisches Jugendwerk“, geleitet von der kongolesischen Honorarkonsulin in Frankfurt, Odette Maniema Krempin, den Wiederaufbau des Hospitals übernommen zu haben – und bat um Spenden. Nichts daran ist wahr, wie unter anderem jüngst das ZDF-Magazin Frontal 21 recherchiert hat.

Und noch eines: Wie alles andere hat auch das Elend seine Modethemen. Lange Zeit waren Kindersoldaten der Fokus internationaler Geldgeber und Spender. Jetzt sind es Opfer sexueller Kriegsgewalt. In beiden Fällen handelt es sich um horrende Probleme, die Aufmerksamkeit brauchen. Aber der Tunnelblick auf ein „Modethema“ führt oft dazu, dass man den Rest aus den Augen verliert. „Es wäre schön“, sagte mir unlängst eine kongolesische Aktivistin mit bitterem Sarkasmus, „wenn etwas mehr für die Frauen getan würde, die noch nicht vergewaltigt worden sind.“
Soll heißen: Viel fließt in die medizinische Nothilfe, einiges in die Reform der Justiz zwecks Bekämpfung der Straflosigkeit, aber immer noch herzlich wenig in die Prävention.

Prävention – das kann der Bau einer Straße ins isolierte Hinterland sein. Davon würden viele profitieren: Händler, die wieder Waren transportieren könnten; Polizisten und Richter, die schneller an ihren Einsatzort kämen; Hilfsorganisationen, die bislang abgeschiedene Regionen erreichten; Frauen, die sich sicherer bewegen könnten; Kriegsverletzte – und zu diesen zählen die meisten Vergewaltigungsopfer – die schneller in ein Krankenhaus gebracht werden könnten.

Prävention – das wäre vor allem die Reform des Militärs, von der nach Jahren internationaler Hilfe (unter anderem aus den Kassen der EU) immer noch herzlich wenig zu sehen ist. Das ist kein Problem, das einzelne Spender lösen können. Aber Spender sind auch Steuerzahler. Und als solche können sie – wie im Fall Afghanistan – ihre Regierungen und Abgeordneten fragen, was aus den hunderten Millionen Euro Aufbau- und Budgethilfe für die Regierung in Kinshasa eigentlich geworden ist.

 

Die unausprechliche Tat: Vergewaltigung von Männern

Es war nie mehr als ein Flüstern. Als Frauengruppen nach dem Bosnien-Krieg forderten, Massenvergewaltigungen endlich als Kriegsverbrechen zu ahnden (statt sie wie bisher als „normale Kollateralschäden“ zu bedauern), da machten auch Gerüchte über vergewaltigte Männer die Runde. Aber niemand wagte, laut darüber zu reden.
„Um Himmels willen, seien Sie still“, bat flehentlich die Mitarbeiterin eines Frauenzentrums im Kosovo, als ich kurz nach Kriegsende 1999 nach männlichen Opfern sexueller Gewalt fragte. „Viele“, sagte sie schließlich, als wir wieder im Auto saßen, und uns niemand hören könnte. „Viele von denen, die in serbischen Gefängnissen waren.“ Aber niemand, absolut niemand könne darüber reden. Schon gar nicht die Betroffenen selbst.

Jetzt hat Jeffrey Gettleman, Afrika-Korrespondent der New York Times, im Ostkongo mehrere Männer getroffen, die mutig oder verzweifelt genug waren, über das zu sprechen, was ihnen angetan wurde: einer von ihnen, Kazungu Ziwa, ein 53 jähriger Tierpfleger wurde vor mehreren Wochen von Bewaffneten nachts in seiner Hütte überfallen und vergewaltigt. „Allein der Gedanke an das, was mir passiert ist“, sagt Ziwa, bringe ihn an den Rande der Erschöpfung. Ziwa und einige andere Männer waren nicht nur bereit, über ihr Schicksal zu reden, sondern ließen sich auch fotografieren.

Vergewaltigung ist das einzige Verbrechen, bei dem die Scham der Tat am Opfer, nicht am Täter hängen bleibt. Gerade deshalb funktioniert sexuelle Gewalt so gut als Waffe im Krieg. Frauen werden nach einer Vergewaltigung oftmals von ihren Männern verstoßen, womit nicht nur das Leben des Opfers, sondern das einer ganzen Familie, eines ganzen Dorfes zerstört werden kann. Mit dem sozialen Tod des Frau verschwindet immer auch eine Mutter, eine Bäuerin – und damit auch die Versorgerin einer ganzen Gruppe.

Auch Ziwa weiss, dass ihn seine Familie und Nachbarn nun ächten. In ihren Augen ist er zum „Buschweib“ geworden. Bei der Vergewaltigung von Frauen besteht die soziale Erniedrigung darin, sie – und damit die Ehre der Gemeinschaft – zu „beschmutzen“ und zu „schänden“. Bei vergewaltigten Männern besteht sie darin, dass sie zu Frauen „degradiert“ werden.

Sexuelle Kriegsgewalt gegen Männer ist inzwischen gerichtskundig. Das UN-Jugoslawien-Tribunal in Den Haag hat mehrere Fälle in Anklageschriften dokumentiert. Aber niemand hat je verläßliche Angaben oder Schätzungen über die Anzahl männlicher Opfer in Bosnien und im Kosovo liefern können. Zu groß ist das Tabu, zu groß die Angst der Betroffenen, darüber zu reden.

Im Kongo sind Zahlenangaben noch schwerer zu verifizieren. Hilfsorganisationen berichten einhellig, dass im Zuge der Militäroperationen gegen die Hutu-Milizen der FDLR die Zahl der Vergewaltigungen durch alle Konfliktparteien dramatisch gestiegen ist. Etwa zehn Prozent der Fälle betreffe Männer, meldet die American Bar Association, die amerikanische Anwaltskammer, die in Goma, der Hauptstadt der Provinz Nordkivu, eine juristische Beratungsstelle aufgebaut hat. Doch gezielte Hilfsangebote für männliche Opfer gibt es bislang keine.

 

Obama, der Islam und Sudan

Wenn es noch Zweifel gab, sind sie nach der Rede von Kairo beseitigt: Zumindest als Rhetoriker ist Barack Obama ein Weltpräsident. Der Mann kann in jeder Ecke dieser Erde das Gefühl vermitteln, dort zuhause zu sein, ohne sich anzubiedern. Er kann sich mit den Opfern eines jeden Menschheitsverbrechens und jedweder Unterdrückung solidarisieren – zuletzt in der Türkei mit Armeniern, jetzt mit Juden und Palästinsern – ohne politisch beliebigen Mitleidskitsch zu betreiben wie sein Vorvorgänger Bill Clinton. Obama mag man nicht einmal übel nehmen, dass ganz Kairo unter Hausarrest gestellt schien, während er in der Universität von Freiheit und Demokratie redete. Im Gegenteil: das ist die hohe Kunst des politischen Jiu-Jitsu. Obama erwies Ägyptens Präsident Hosni Mubarak minimale diplomatische Höflichkeit – und demütigte den altersstarren Herrscher eines Polizeistaats dann mit einer Rede wider die Repression. Eine Rede, wohl gemerkt, in der er seinem eigenen Land, den USA, ausdrücklich den Anspruch der Unfehlbarkeit nahm.

Überhaupt – es war strategisch brilliant, ausgerechnet die Hauptsstadt eines arabischen Landes auszuwählen, um muslimische Holocaust-Leugner, jüdische Extremisten und amerikanische Rachefanatiker an den Pranger zu stellen. Was auch immer an realer Politik auf diese Rede folgen wird: für 55 Minuten hat Obama eine Internationale der Moderaten und Liberalen aller Religionen heraufbeschworen.

Gibt’s also irgendetwas zu kritisieren an diesem beeindruckenden Auftritt? Ja – und das nicht, weil Journalisten immer meckern müssen. Obama hat endringlich von allen Konfliktparteien im Nahen und Mittleren Osten Respekt für die historischen Traumata der jeweiligen Feinde eingefordert. Denn nur wer anerkennt, was der Andere in seiner Geschichte erlitten hat, kann irgendwann Frieden schließen.

Aber er hat es leider unterlassen, eine der größten, aktuellen Katastrophen ausführlich zu benennen: die Verbrechen in Darfur und die Gefahr eines neuen Krieges im Südsudan. Darfur erwähnte er zusammen mit Bosnien nur in einem Satz.

Nun geht es nicht darum, dass Obama in Kairo die komplette Liste aktueller Gräueltaten hätte verlesen sollen. Aber der Sudan ist Ägyptens Nachbar, und das Schweigen der arabischen Staaten zu diesem Menschheitsverbrechen in den eigenen Reihen ist der größte Skandal in dieser Region. Als der Internationale Strafgerichtshof Anfang März Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir erließ, wurde dieser wenige Tage später von Hosni Mubarak in Kairo in die Arme geschlossen – eine demonstrative Missachtung der internationalen Strafjustiz und des Leidens der Darfuris. Ein paar deutlichere Sätze von Barack Obama hätte ich mir dazu gewünscht in dieser Rede von Kairo: dass, wer wortreich das Leiden der Palästinenser beklagt, zum Leiden der Darfuris nicht schweigen kann. Ein passendes Zitat aus dem Koran hätte Obama sicher auch gefunden.