Acht Tage lang hatte ich im Juli den parteilosen Parlamentskandidaten Jean-Claude Kibala im kongolesischen Wahlkampf begleitet. Nun, da die unabhängige Wahlkommission endlich auch das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 30. Juli veröffentlich hat, steht fest: Kibala hat um rund 2000 Stimmen den Einzug in das Parlament in Kinshasa verfehlt. Über 40 Kandidaten hatten sich in seinem Wahlkreis Mwenga in der Provinz Süd-Kivu um drei Sitze beworben. Kibala ging am Ende auf Platz vier leer aus, was nicht zuletzt seinem Status als Parteiloser geschuldet war. Laut kongolesischem Wahlgesetz können politische Parteien die Wählerstimmen für all ihre Kandidaten auf einen Spitzenreiter vereinen, was Parteilose eindeutig benachteiligt.
Kibala hat die letzten 17 Jahre in Deutschland studiert und als Ingenieur gearbeitet und ist nach den Wahlen wieder nach Troisdorf bei Bonn zurückgekehrt, wo er mit seiner Frau und zwei Kindern lebt. Während seines Wahlkampfs musste er sich mit Hutu-Milizen, korrupten Polizisten, trinkfesten russischen Piloten und am Ende auch noch mit einem schießwütigen Soldaten herumschlagen. Das war, wie das folgende Interview zeigt, offenbar nicht genug, um ihm die Lust an der kongolesischen Politik zu nehmen.
Er resümiert seine Erfahrungen, kommentiert die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Privatmilizen von Joseph Kabila und Jean-Pierre Bemba und die Risiken des 29. Oktober, wenn Kabila und Bemba in einer Stichwahl um das Präsidentenamt gegeneinander antreten sollen.
Herr Kibala, am Ende fehlten ungefähr 2000 Stimmen, um einen der drei Parlamentssitze für Ihren Wahlkreis Mwenga zu gewinnen. Einfach nur Pech – oder hätten Sie einen anderen Wahlkampf führen müssen?
Kibala: Ich bereue die Kandidatur nicht, und für einen parteilosen Kandidaten, der wie ich auch noch von außen kommt, ist es ein gutes Ergebnis. Letztlich hatte ich einfach zu wenig Zeit. Meine Familie ist in Deutschland, und ich musste überhaupt erst das Geld verdienen, um Wahlkampf zu führen. Mein Wahlkampf hat nur zwei Wochen gedauert. Dort wo ich aufgetreten bin, Plakate geklebt, Hände geschüttelt und mit den Menschen geredet habe – also in den größeren Städten wie Kamituga, Mwenga und Kitutu – habe ich sehr gut abgeschnitten. Vergessen Sie nicht: Mein Wahlkreis ist etwa so groß wie das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Es gibt keine brauchbaren Straßen, für eine kurze Strecke von 30 Kilometern braucht man manchmal sechs Stunden mit dem Motorrad. Hätte ich die Zeit gehabt, auch mehrere Dörfer zu besuchen, hätte es vielleicht gereicht.
Wie sehr hat die Sicherheitslage Ihren Wahlkampf erschwert? Am letzten Tag des Wahlkampfs sind Sie ja noch beschossen worden – offenbar von einem betrunkenen Soldaten.
Die Sicherheitslage hat den Wahlkampf klar erschwert. Bei Reisen aus Kamituga in die umliegenden Städte mussten wir ständig aufpassen, um nicht in eine Patrouille der Hutu-Milizen zu geraten. So etwas kostet Zeit und Nerven. Ein Sicherheitsproblem ganz anderer Art waren einige meiner Konkurrenten im Wahlkampf. Die Kongolesen wollen zwar Demokratie, sie haben aber noch nicht akzeptiert, dass man einen Wahlkampf mit Argumenten und nicht mit Drohungen führt.
Sind Sie bedroht worden?
Nicht so, wie man sich das in Deutschland vorstellt. Aber einige meiner Konkurrenten haben traditionelle Dorfchefs aufgestachelt, mich zu verhexen …
Und was ist passiert?
(Lacht) Nichts, aber ich bekam Streit mit meinem Bruder, einem Arzt, der auch zu meinem Wahlkampfteam gehörte. Offensichtlich hatte ein Dorfchef von einem meiner Gegenkandidaten den Auftrag erhalten, mich zu verhexen. Ich hatte in Kitutu, einer Stadt in meinem Wahlkreis, den Bau einer Brücke vorgeschlagen, um den Verkehr über den Fluss zu erleichtern. Der läuft bislang über eine Fähre, an der einige Leute gut verdienen. Also hat ihnen die Idee mit der Brücke nicht gepasst. Beim Besuch in Kitutu warnte mich mein Bruder nun eindringlich, dem Dorfchef ja nicht als Erster die Hand zu schütteln, weil der mich sonst verhexen würde. Ich habe gesagt: „Was soll das? Du bist Arzt, du hast gelernt, wissenschaftlich zu denken. So was kannst du doch nicht glauben.“ Aber bei der Ankunft am Fluss hat er sich dann zwischen den Dorfchef und mich geworfen, um ihn als Erster zu begrüßen und jede mögliche Hexerei von mir abzulenken …
… was immerhin von großer Hingabe zeugt …
… Das schon. Und mein Bruder war auch ein paar Stunden ziemlich bedrückt, weil er meinte, es hätte nun ihn erwischt. Passiert ist gar nichts. Nur unsere Motorräder hatten am selben Tag noch zwei Pannen, womit für meine Begleiter natürlich klar war: Der Hexer hatte zugeschlagen, aber eben nur die Maschinen und nicht die Menschen erwischt.
Der gut organisierte und ruhige Ablauf des Wahltags am 30. Juli wurde schnell überschattet von den blutigen Kämpfen zwischen der Präsidentengarde von Joseph Kabila und bewaffneten Anhängern seines Rivalen Jean Pierre Bemba. War das vorauszusehen?
Bemba hatte schon während des Wahlkampfs die Stimmung enorm aufgeheizt. Und Kabilas Fraktion war sich aufgrund ihrer unangefochtenen Popularität im Osten des Landes ihrer Sache offenbar zu sicher. Als die Wahlkommission dann am 20. August das vorläufige Ergebnis der Präsidentschaftswahlen verkündete, hatte Bemba nach meinen Informationen seine Trupps bereits in Stellung gebracht für den Fall, dass Kabila schon nach dem ersten Wahlgang als Sieger feststünde. Hätte Kabila im ersten Wahlgang tatsächlich die absolute Mehrheit bekommen, hätten wir jetzt womöglich wieder Krieg. Weil es aber eine Stichwahl geben wird, ist erst mal wieder Ruhe.
Haben auch die UN und EU die Lage falsch eingeschätzt?
Es war jedenfalls ein Fehler zuzulassen, dass die beiden größten Rivalen so viele bewaffnete Männer an ihrer Seite behalten durften. Man hätte noch vor Wahlkampfbeginn mit einer Demilitarisierung in Kinshasa beginnen und anbieten müssen, dass die Präsidentschaftskandidaten von der UN geschützt werden.
Droht also eine neue Eskalation nach dem zweiten Wahlgang am 29. Oktober, wenn der Verlierer endgültig feststeht?
Schwer zu sagen, denn ich weiß nicht, wie sehr und wie effektiv derzeit von der internationalen Gemeinschaft Druck auf Bemba und Kabila ausgeübt wird. Ich habe auch schon von Vorschlägen gelesen, den Kongo für die nächsten fünf Jahre unter UN-Protektorat zu stellen und in dieser Zeit erste demokratische Strukturen auf dezentraler Ebene, also in den Provinzen, aufzubauen. Angesichts des politischen Personals in Kinshasa glaube ich manchmal, das wäre das Beste, was den Kongolesen passieren könnte. Jedenfalls kommt jetzt auch eine enorme Verantwortung auf das Parlament zu, die bereits geplante Dezentralisierung und Reform der Provinzen voranzutreiben. Denn die Fixierung auf Kinshasa als Zentrum der politischen Macht und der Pfründe ist gefährlich.
Nach dem vorläufigen Ergebnis der Parlamentswahlen wird weder die Parteien-Allianz um Kabila noch jene um Bemba eine absolute Mehrheit haben. Ist das eine Chance oder eine Gefahr für die Entwicklung einer Demokratie im Kongo?
Einerseits ist es gut, weil damit klar ist, dass kein „starker Präsident“ die kongolesische Politik dominieren kann. Andererseits werden wir damit auch keine stabile Regierung haben, sondern wahrscheinlich eine Serie von Regierungsumbildungen.
Was das Risiko erneuter Gewalt nach dem zweiten Wahlgang betrifft, so liegt hier aber auch eine Chance: Sollte es einem der beiden Kandidaten noch vor dem 29. Oktober gelingen, unter den Parlamentariern eine Mehrheit für einen Premierminister zusammenzubringen, dann könnte man die Spannungen und das Gewaltpotenzial dieser Stichwahl womöglich deutlich reduzieren. Dann wäre vorab schon klar, wer zunächst einmal regieren wird – und die Stichwahl würde unter sehr viel weniger Druck stattfinden.
Langfristig hängt die politische Entwicklung im Kongo davon ab, ob sich die politische Klasse im Land ändert oder nicht. Wenn unter Politik weiterhin nur die Beteiligung an Pfründen, das Verschachern von Rohstoffen und die Nähe zur Macht verstanden wird, dann bleibt eh alles, wie es ist. Wenn sich langsam eine Politikergeneration heranbildet, die zum Beispiel begreift, wie wichtig die Rolle einer Opposition ist, dann kann sich etwas ändern.
Was sollte Ihrer Meinung nun die Internationale Staatengemeinschaft tun?
Ich sage Ihnen, was sie nicht tun soll: In der kongolesischen Presse werden angebliche Vorschläge westlicher Diplomaten kolportiert, wonach der Gewinner der Stichwahl dem Verlierer eine Regierungsbeteiligung zusichern soll. Gewissermaßen zur Befriedung. Was soll das? Wozu dann nochmal 46 Millionen Dollar für eine Stichwahl ausgeben? Ein solcher Kuhhandel würde bei den Kongolesen große Enttäuschung und Verbitterung auslösen.
Planen Sie einen neuen Anlauf in die Politik?
Ich möchte in den Kongo zurück. Und ich möchte politisch eingreifen. Wahrscheinlich werde ich mich in meiner Heimatprovinz Süd-Kivu um ein politisches Amt bewerben.
Was sagt Ihre Familie dazu?
Uhhhh … (längere Pause) Da ich ja nicht ins Parlament gewählt wurde, werde ich auch nicht gezwungen sein, zwischen Süd-Kivu und Kinshasa zu pendeln. Das macht die Aussicht auf einen Umzug leichter, weil wir uns als Familie dann gemeinsam in Süd-Kivu niederlassen würden.