Politikvermittlung ist ein schwieriges Geschäft geworden. In einem aktuellen Interview mit der Bunten klagt Bundeskanzlerin Angela Merkel über die „Vielzahl der Informationskanäle“, insbesondere das Internet. Dadurch würde „es immer schwieriger, ein Gesamtmeinungsbild zu erkennen“. Durch den „sehr großen technischen Wandel“ sei es schwerer geworden, „alle Menschen, alle Generationen zu erreichen, denn diese nutzen die einzelnen Medien mittlerweile sehr unterschiedlich“. Und vor allem die jungen Menschen informierten sich ausschließlich über das Internet, „und das oft sehr punktuell“.
Ohne das dumpfe Unbehagen genauer benannt zu haben, wird die Kanzlerin damit all jenen aus der Seele sprechen, die das Internet insgeheim für die Übel der Welt verantwortlich machen. Aber ausgerechnet die Erreichbarkeit ist das Problem des Netzes eigentlich nicht. Und auch die Politiker versuchen in letzter Zeit ja nun permanent, sich in der Überwindung ihres Technikskeptizismus gegenseitig zu überbieten. Und junge Bürger mit Blogs, über Twitter und Video-Kolumnen anzusprechen.
Dass die Öffentlichkeit immer fragmentierter und kleinteiliger wird, ist als Diagnose indes so richtig wie banal. Spontan fielen einem da aber eher positive Attribute ein: Freiheit und Auswahl zum Beispiel. Sicher war es früher einfacher für Politiker, ihre Botschaften zu übermitteln, wenn ohnehin alle gezwungen waren, die gleichen drei Fernsehprogramme zu gucken. Natürlich gehen Gemeinsamkeiten verloren, wenn man nicht mehr davon ausgehen kann, dass der Kollege gestern die gleiche Sonntag-Abend-Unterhaltung im Fernsehen genossen hat. Aber was bringt es, über etwas zu klagen, von dem man genauso sicher weiß, dass man es keinesfalls zurückhaben möchte?
Sehnsucht schwingt mit, wenn sich die Kanzlerin an früher erinnert. „Es ging alles ruhiger zu. Die Menschen unterhielten sich morgens am Arbeitsplatz über die gleichen Themen.“ Auch das ist nicht die Schuld des Internets. Sondern liegt wohl eher daran, dass die Leute keine Zeit mehr haben, es ruhig angehen zu lassen. Weil sie sonst mit ihrer Arbeit nicht fertig würden. Aber wer weiß, vielleicht arbeitet ja ausgerechnet Merkels Koalition an einem Gesetz, dass die 30-Stunden-Woche zur Pflicht erhebt. An mangelndem Gesprächsstoff am Arbeitsplatz würde das ganz sicher nicht scheitern.
Für die Politik besteht die Beschleunigung ganz zweifellos darin, dass es die Kommentare zu ihren Taten und Worten eben nicht erst in den Abendnachrichten oder in der Presse am nächsten Morgen zu lesen gibt. Sondern dass die ersten Einschätzungen bereits kurz nach oder sogar noch während der Veranstaltung im Netz verbreitet werden. Wo sie auch noch bis in alle Ewigkeit festgehalten bleiben.
Zudem fallen die Kommentare im Netz oft noch viel unmittelbarer, auch emotionaler aus, wie Studien etwa zu den Unterschieden zwischen Blogs und traditionellen Medien belegen. Wer früher verärgert vor sich hin grummelnd die Zeitung zuschlagen musste, oder sich nur lauthals vom Fernsehsessel aus beklagen durfte, kann seinen Frust heute mit wenigen Klicks im Netz verarbeiten. Das ist nicht immer angenehm, weder für Politiker, noch für alle anderen Berufsgruppen, die im Netz bewertet und kommentiert werden können. Dadurch wird ja aber nur der Ärger offenbart, den es früher genauso gab, – nur eben nicht so transparent.
Und ein „Gesamtmeinungsbild“ gab es auch früher nicht. Was sollte das überhaupt sein? Waren früher etwa alle einer Meinung? Nein, divergierende Meinungen wurden früher höchstens weniger wahr genommen und sind jetzt eben sichtbarer.
Im Grunde muss das Internet hier also wieder dafür herhalten, dass ganz andere Dinge falsch laufen. Und dass die Welt sich weiterentwickelt und damit komplizierter wird, ist eine wiederkehrende Klage. Angeblich war früher ja sogar das Wetter besser. Und wie es heißt, viel weniger unberechenbar.