Lesezeichen
 

Die Macht eines einzigen Tweets

Keine Geschichte wie diese Twittermeldung  machte wohl in letzter Zeit so viel Aufheben wie die des Todes von Osama Bin Laden in diesem kleinen Tweet von Keith Urbahn, dem Büroleiter des ehemaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld. In binnen nur zwei Minuten gab es rund 300 Reaktionen auf diesen Tweet. Grund war wohl, dass Urbahn in seinem Followerkreis eine hohe Reputation genießt und die Nachricht für glaubhaft eingestuft wurde.

Die New Yorker Firma Social Flow hat 15 Mio. Tweets analysiert und die dabei entstandene Visualisierung zeigt, wie die Nachricht einschlug – und Brian Stelter, der Digitale-Medien-Reporter der New York Times, dabei keine unwesentliche Rolle spielte. Nicht unwesentlich dürfte die hohe Followerzahl von Stelter gewesen sein: Über 55.000. Die Protagonisten der klassischen Medien können also auch in den sozialen Medien eine wichtige Multiplikationsrolle spielen. (Bürgerjournalisten natürlich auch.)

Zuletzt sei aber auf die Beiträge in ProPublica verwiesen, in dem Marian Wang sich mit der Berichterstattung auseinanderstetzt: Bin Laden Reading Guide: How to Cut Through the Coverage gibt eine kritische Orientierungshilfe mit Links zu den aus Sicht der Autoren besten Beiträgen. Revisiting the Very First, Very Wrong Reports on Bin Laden’s Death hingegen spießt erste Falschberichte auf. Demnach soll Bin Laden in Afghanistan aufgegriffen worden sein bzw. das Ereignis soll bereits eine Woche zuvor stattgefunden haben bzw. eine Drohne soll ihn getötet haben. Gefunden habe ich die Beiträge über den lesenswerten Text von Krystian Woznicki in der Berliner Gazette, der sich mit der sensationslüsternen Art der Berichterstattung befasst.

 

Buzz over?

Schon länger habe ich mir keine Google-Buzz-Posts mehr angesehen. Ein Grund war wohl dieser stete Strom an duplizierten Twitter- und Google-Reader-Meldungen, die ich anderenorts ja auch schon registiert habe. Heute fasste ich mir ein Herz und guckte wieder rein – und siehe da: Google hat die Einstellung zu jedem Beitrag so erweitert, dass man den Twitter- oder Google-Reader oder Blog-Stream der Nutzer gezielt ausblenden kann.

Das habe ich nun bei all denjenigen gemacht, denen ich über meinen RSS-Reader oder per Twitter bereits folge. Und siehe da: Von rund 400 Posts, die übrigens bis auf einen einzigen nicht kommentiert worden waren, blieben nur noch vier Beiträge übrig, die nicht automatisch eingestellt worden waren. Und von diesen vier Beiträgen war auch nur einer für kommentierungswürdig befunden worden. Hier der automatisch generierte Beitrag, der kommentiert wurde:

Wahrscheinlich war es keine gute Idee, Google Buzz mit einem Hauruck-Verfahren bei Millionen Nutzern einzuführen – und dann nicht sehr zügig mit verschiedenen Kontroll-Optionen nachzubessern. Wahrscheinlich bestand der größte Fehler darin, das Einspeisen von Feeds monatelang ungefiltert zuzulassen. Google Buzz eignet sich einfach nicht als Feed-Aggregator. Wer über 100 Nutzern folgt wie ich, wird nur wenig kommentieren wollen. Doch gerade in den Kommentaren liegt der Mehrwert von Google Buzz.

Die nahe liegende Frage ist natürlich: Ist Buzz tot? Und wird Google auch diesen Dienst wie schon Google Wave bald entsorgen? Immerhin brachte Techcrunch anlässlich des 1. Geburtstags von Google Buzz ein als Gag gedachtes Zitat des Business Angels Jason Calacanis. Calacanis hatte kurz nach Einführung des Dienstes gejubelt, dass Google nun das um den Faktor zehn bessere Facebook an den Start gebracht habe. Und dass Facebook damit die Hälfte seines Werts eingebüßt habe. Was für eine Fehleinschätzung.

Oder wird es ein Revival geben, wenn die Nutzer ihre Ausblend-Optionen entdecken? Ich glaube es eigentlich nicht. Denn das Social Web zerfleddert sich in zu viele Streams. Der RSS-Reader wird damit zur zentralen Plattform. Und der linkt nicht auf Google Buzz oder eine andere Aggregationsplattform, sondern auf den Originalbeitrag. Dass die Kommunikation damit an ihren Ursprung zurückkehrt, ist eigentlich nur richtig.

Google Buzz hätte damit nur noch als Konferenztool gute Chance. Entsprechend konfigurieren lässt es sich ja. Aber das wiederum ist etwas aufwändig. Wahrscheinlich ist es einfach so, dass Google seinen Fokus längst auf andere, auf dediziert lokale Dienste wie HotPot und Latitude gerichtet hat. Dort werden nämlich die lokalen Werbeeinnahmen sprudeln.

 

Korrumpiert Facebook mit seinem Like-Button das Netz?

Eigentlich eine auf den ersten Blick etwas unspektakuläre Nachricht: Facebook erweitert die Funktionalität des Like- bzw. „Mag ich“-Button: Alles was vorher auf irgendwelchen Websites mit „Mag ich“ angeklickt wurde, erscheint jetzt auch auf der eigenen Pinnwand. Der Like-Button wird damit zum Share-Button. Jeder Klick generiert automatisch auch  einen Beitrag mit Titel, Unterzeile und Bild. Bei mehreren möglichen Bildern lässt sich keines aussuchen. Der Nutzer kann lediglich im Nachhinein den Beitrag wieder per Hand löschen, aber nicht ändern.

Die Umstellung gilt nicht nur für künftige Klicks, sondern für alle vergangenen. Klar wird damit wieder einmal: Der Nutzer darf sich bei Facebook nie der Illusion hingeben, dass die Daten funktionell getrennt sind. Sie sind alle in der riesigen Facebook-Datenbank auf Vorrat gespeichert und ihr Verwendungszweck kann jederzeit umdefiniert werden. Was hinter dem Begriff „informationelle Selbstbestimmung“ steckt, scheint Facebook trotz monatelanger Datenschutz-Schlagzeilen immer noch nicht verstanden zu haben – oder verstehen zu wollen.

Ob sich der Button für Facebook auszahlt, ist unklar. Zwar macht Facebook die Einbettung des „Mag ich“-Button für Website-Betreiber noch attraktiver, da diese nun sicher gehen können, dass der Link über die Pinnwand der Nutzer weitere Aufmerksamkeit erfahren wird. Doch manchmal wird die Facebook-Funktionalität nur mit Verzögerung geladen, was den Seitenaufbau empfindlich verlangsamen kann. Je attraktiver der Button wird, desto mehr Probleme könnte es hier geben und Website-Betreiber könnten sich entscheiden, lieber auf den Button zu verzichten.

Viel gravierender dürfte jedoch sein, dass Facebook mit dem Button eine neue Bewertungswelt aufbaut, die für Link-basierte Suchmaschinen nicht zugänglich ist. Suchergebnisse könnten damit mangels Gewichtungs-Input durch die Nutzer schlechter werden. Der eigentliche Mehrwert des Internet, der vor allem auf seiner Offenheit basiert, würde über kurz oder lang beeinträchtigt – und es würden viele kleine, privatisierte Teilnetze entstehen, die jeweils gewinnbringend vermarktet werden.

Für die Informationsbeschaffung könnte sich der Like-Button damit als schlimmer erweisen als sämtliche Zensurversuche, da viele Informationen einfach hinter Zugangssperren verschwinden. Das eigentliche Teilen der Information würde exklusiv werden. Der Grundgedanke, der hinter dem World Wide Web steht, der offene Informationsaustausch, wäre damit korrumpiert.

 

Live aus Kairo

Immer wieder ist von der so genannten Facebook-Revolution in Tunesien und Ägypten zu lesen. Über das ägyptische Staatsfernsehen wurde jetzt die Pro-Mubarak-Fanseite „Egypt First“ promoted. Offenbar versucht das Regime nun eine Gegen-Kampagne über das bislang diffamierte Soziale Netzwerk zu starten. Rund 20.000 Fans haben sich bereits eingefunden. Etwa 30-mal so viele Fans haben sich hingegen für einen virtuellen Demonstrationszug angemeldet.

Wesentlich interessanter ist jedoch, wie sich verschiedene arabische Fernsehsender positionieren, die hier über Arabsat zu sehen sind. Und vermutlich hat das Fernsehen während der Tage des Netzausfalls eine wesentlich größere Rolle gespielt als das Netz.

Das ägyptische Staatsfernsehen ist dabei eine Art Temperaturfühler der aktuellen Politik Mubaraks. Am Wochenende etwa, als Al Jazeera den überfüllten Tahrir-Platz fast pausenlos im Visier hatte, zeigt der Sender menschenleere Straßen. Nachrichtensprecher zählten derweil die ökonomischen Einbußen auf, die die Demonstrationen verursacht hatten. An öffentlichen Orten wie Cafés darf übrigens nur das Staatsfernsehen gezeigt werden, aber das wird auch wenig nützen, wenn auf der Straße vor dem Café die Transparente und Fahnen geschwungen werden und zu Hause Al Jazeera läuft.

Heute kam der Staatssender nicht mehr umhin, auch Bilder vom Tahrir-Platz zu zeigen. Das Bild war dabei derart ausgesucht, dass es eine relativ ruhige, durch Gebäude eingerahmte Menschenmenge zeigte. Ganz anders Al Jazeera: Immer wieder Zooms auf möglicherweise interessante Bewegungen in der Menschenmasse sowie auf das Militär. Dabei verzichtet der Sender anders als die BBC meist darauf, die Gesichter der Kommentatoren einzublenden.

In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass ARD und ZDF sich heute nach tagelanger Unterberichterstattung dazu durchgerungen haben, Teile der Berichterstattung des Senders Al Arabia zu übernehmen. Dazu sollte man wissen, dass der Sender aus Dubai in der arabischen Welt als Konkurrenz zu Al Jazeera gesehen wird. Finanziert von saudischen Investoren gilt er als relativ konservativ: Allzu unverblümte Kritik hatten Arabiens Alleinherrscher von diesem Sender bislang nicht zu befürchten. Geschätzt wird er aber wohl auch von westlichen Staaten, da er den politischen Status-Quo stützt.

In der aktuellen Berichterstattung über die Proteste in Ägypten gibt es denn auch einen interessanten Unterschied zu Al Jazeera: Wie das ägyptische Staatsfernsehen verweisen die Kommentatoren von Al Arabia immer wieder auf die Position der Mubarak-Regierung. Die Kommentare übernehmen unsere öffentlich-rechtlichen Berichterstatter übrigens nicht, nur die Bilder.

Eine interessante Alternative zu Al Dschasira und BBC ist der britische Sender ANB (Arabic News Broadcast), der ebenfalls eine stundenlange Live-Schalte nach Kairo unterhält. Vielleicht ist es auch erwähnenswert, dass die revolutionären Ereignisse in anderen arabisch-sprachigen Staatssendern ähnlich wie bei ARD und ZDF eine eher untergeordnete Rolle spielen. Nur zufällig sind einzelne Berichterstattungen zu sehen. Im marokkanischen Staatsfernsehen war aber immerhin heute Nachmittag eine rege Live-Talkshow zum Thema zu sehen.

 

Rivva ist dann mal weg …

„Sabbatical. Brauche Abstand, vl. am 3.3. zurück. –Frank“.

Der kleine Aggregationsdienst Rivva stellt vorläufig seinen Betrieb ein. Eine dürre Nachricht von Rivva-Entwickler Frank Westphal, doch jammerschade für die deutsche Blog- und Newssphäre. Zeigt Rivva doch, wer wen aktuell verlinkt und damit das Nachrichtengeschehen in der deutschen Blogosphäre.

Seit Jahren entwickelte Westphal den Dienst verlässlich weiter. Eines seiner neuere Features ist noch online: Social Rivva, das Nachrichten entsprechend dem Twitter-Account aggregiert. Es wurde schon früher von Lorenz Lorenz-Meyer angemerkt, dass Westphal mit Rivva einen „phantastischen Dienst“ aufgebaut hat. Und entsprechend „krass und unverständlich“ ist es auch, dass bislang kein Verlag oder Internetdiensteanbieter in das Projekt eingestiegen ist. Welche Möglichkeiten gäbe es hier, interessante Einbindungen für Websites zu entwickeln!

Müßig ist eigentlich der Hinweis auf die USA. Dort konnte beispielsweise der journalistische Bookmarkdienst Publish2 bereits mit einem relativ simplen Startausgabe 2,75 Mio. US-Dollar Startkapital einwerben. Dabei ist er technisch viel simpler gestrickt, da er keinen Algorithmus verwendet und damit nicht automatisch Nachrichten aggregiert, sondern lediglich einbettbare RSS-Streams einzelner Journalisten und Redaktionen erzeugt.

Im deutschsprachigen Raum hat sich im Aggregationsbereich auch nicht viel getan in den letzten Jahren. Das Schweizer Projekt Facts.ch, das Nachrichten aus Blogs und Zeitungen händisch aggregiert, ist jedoch immer noch hartnäckig am Ball. Die Macher hatten das Projekt einfach auf eigene Faust weiter betrieben, als sich der Tamedia-Verlag von ihm verabschiedete.

Das Burda-Projekt Nachrichten.de ist eine schöne Alternative zu Google News, hat jedoch in der Blogosphäre meinem Eindruck nach bis heute nicht Fuß fassen können – oder wollen.

Ein kleines, interessantes Projekt ist der vor wenigen Tagen gestartete Commentarist. Das Team aggregiert teils automatisch, teils händisch aus 16 deutschen Medien die Kommentare und Leitartikel. Das ist zumindest die Zielvorstellung. Etliche Beiträge finden sich auch darunter, die der klassischen Berichterstattung zuzuordnen sind. Schade, dass auch hier nur die klassischen Medien, nicht jedoch die meinungsstarken Blogs berücksichtigt werden. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Nachtrag wenige Stunden später:

Verlage haben die Commentarist-Betreiber gezwungen, den Dienst abzuschalten, berichtet Meedia. Sie selbst schreiben auf ihrer Website: „Zwei deutsche Verlage haben mit massiven rechtlichen Schritten gedroht. So massiv, dass wir uns gezwungen sehen, Commentarist in seiner jetzigen Form vom Netz zu nehmen. Wir halten weiter an der Idee einer Meinungsplattform fest und wir werden unsere Zelte wieder aufschlagen.“ Anders als bei Nachrichten.de oder Rivva.de wurde wohl keine Genehmigung für die Feed-Auswertung eingeholt. Schade.

 

Google durchsucht den menschlichen Körper

Google hat seine Suche auf den menschlichen Körper mit der ersten Version seines neuen „Body-Browser“ ausgeweitet. Die Idee dahinter könnte dem 80er Jahre Film „Die Reise ins Ich“ entstammen: Der Protagonist beziehungsweise der Nutzer reist mit einer Kamera durch die verschiedenen Organe und Schichten des menschlichen Körpers. Dabei lassen sich auch feine Details heranzoomen und die entsprechenden Fachtermini für die einzelnen Körperteile anzeigen. Nicht nur für Medizinstudenten, sondern auch für Patienten eine nützliche Einführung in die Anatomie.

Der Körper-Browser funktioniert allerdings nur mit den neuesten Beta-Versionen des Chrome- oder Firefox-Browsers, da nur diese die dafür notwendige 3D-Software implementiert haben.  Vorerst gibt es zudem auch nur eine Reise durch einen weiblichen Körper. Das Projekt selbst befindet sich auch noch in Weiterentwicklung.

 

Auge um Auge

Auseinandersetzung im Parlament Taiwans

Es gibt Demokratien, da erfolgt politische Auseinandersetzung nicht nur mit Worten. Dank des Netzes wird das auf den ersten Blick lustige, auf den zweiten aber vor allem albern wirkende Gehabe ordentlich gesammelt, archiviert und jedermann zugänglich. Und entfaltet so hoffentlich abschreckende Wirkung. Zum Beispiel dank Tagcloud, macht die doch auf den ersten Blick deutlich, wo es unzivilisierter zugeht: derzeit führt die Ukraine, auf dem zweiten Platz folgt Taiwan, den dritten teilen sich Russland und Indien.

via.

 

Hans Rosling über die lebenswichtige Statistiken

Der schwedische Mediziner und Statistiker Hans Rosling hat erneut einen fulminanten TED-Vortrag über Kindersterblichkeit gehalten. Er zeigt, dass die afrikanischen Länder a) nicht über einen Kamm zu scheren sind, b) sie durchaus brauchbare statistische Zahlen vorweisen können, c) anders als allgemein kolportiert auf dem besten Weg sind, die Milleniumziele der UN zu erfüllen und d) damit Kindern ein „anständiges Leben“ ermöglichen können. Die immer noch geltende, wohl aus den sechziger Jahren übernommene Unterscheidung der UN zwischen Industrie- und Entwicklungsländern hält Rosling dabei für „Müll“.

Wichtig ist die Senkung der Kindersterblichkeitsrate deshalb, weil nur so auch die Familiengröße kleiner und der Wohlstand größer wird – die wichtigste Voraussetzung dafür, mit den Herausforderungen der Zukunft wie den Klimawandel überhaupt umgehen zu können.

Rosling ist übrigens die maßgebliche Persönlichkeit hinter der Open-Data-Bewegung. Mit einem ähnlich inspirierenden TED-Vortrag über WHO-Statistiken vor fast drei Jahren zündete er einige gute Ideen. Unter anderem brachte er Google dazu, sich für das Thema offene Daten zu interessieren.

via

 

Wertvolle Infos für Lobbyisten – und Bürger

Die New York Times berichtet über einen bemerkenswerten Anlauf des Web-Politmagazins Politico, sich auf solide finanzielle Beine zu stellen: Politico Pro soll der kostenpflichtige Ableger heißen, für den 40 Journalisten rund um die Uhr über das Gesundheitswesen, Energie und Technologie berichten sollen.

Jedes Ressort wird separat vermarktet. So kostet das Jahresabo für ein Ressort zwischen 1495 und 2500 Dollar sowie weitere 1000 Dollar für zusätzliche Themenbereiche. Möglicherweise soll es auch Ressorts zur Militärindustrie, Finanzdienstleistungen und Verkehr geben.

Politico ist offenbar der Ansicht, dass trotz der hohen Journalistendichte in Washington D.C. noch erhebliche Informationslücken bestehen, die gerade für Lobbyisten wertvoll sind. Diese beziehen zu hohen Abopreisen Publikationen wie Congressional Quarterly oder das National Journal, die das gesetzgeberische Geschehen genau verfolgen.

Auch Bloomberg plant Ähnliches: Für seinen neuen Dienst Bloomberg Government sollen bis Ende des Jahres sogar 60 Journalisten und Analysten eingestellt werden. Für die Berichterstattung sowie eine Datenbank zum Regierungsgeschehen sollen Abonnenten gar 5600 Dollar jährlich zahlen.

Derartige Dienste wären wohl auch für Brüssel interessant. Die Europa-Berichterstattung ist seit Jahren defizitär, eine aktuelle Beobachtung erfordert große Detailkenntnis und auch hier gibt es teure Branchendienste für Lobbyisten, die bislang von Analysten, nicht aber von Journalisten erstellt werden. Umfassende Angebote ähnlich Bloomberg Government sind mir allerdings nicht bekannt.

Einerseits wäre es wünschenswert, dass sich die Abopreise für solche Dienste in einem Rahmen halten, die auch für den interessierten Bürger bezahlbar ist. Andererseits ist die Aufbereitung solcher Informationen nicht nur arbeitsaufwändig, sondern erfordert auch Expertise. Die für Journalisten üblichen Honorare dürften für Experten jedoch uninteressant sein. Eine Mischung von Journalisten und Analysten ist daher auf jeden Fall der richtige Ansatz, um hochwertige Berichterstattung aufzubauen. Bei dem Blick auf die Zielgruppe ist außerdem nicht zu vernachlässigen, dass Berichte solcher Art erfahrungsgemäß wenig allgemeines Interesse erfahren. An eine Refinanzierung über Werbung wäre daher im Bereich des Illusorischen anzusiedeln.

Es ist unwahrscheinlich, dass sich die klassische Berichterstattung verschlechtert, wenn Verlage in „Pro“-Versionen investieren. Spannend wird sein, zu sehen, inwieweit die kostenlosen oder günstigen Angebote wie Politico von der Arbeit ihrer Spezialdienste profitieren werden – vielleicht mit Überblicksartikeln, die nicht zu sehr ins Detail gehen. Oder mit gut aufbereiteten Infografiken dank der sorgfältig gepflegten und aktualisierten Datenbanken. Für deutsche Verlage wäre das jedenfalls ein interessanter Ansatz, um lukrative Beiboote aufzubauen – ohne die bisherige Berichterstattung schmälern zu müssen.

Gleichwohl bleibt ein gewisses Unbehagen: Warum sollten solche Informationen nur für Lobbyisten interessant sein? Warum sollte nicht auch der aufgeklärte Bürger sich informieren dürfen? In Deutschland wären wohl allein die Öffentlich-Rechtlichen in der Lage, ein derartiges Angebot zu stemmen, das allgemein verfügbar wäre. Sie könnten damit die richtigen Impulse setzen.

 

Twitter voller Eintagsfliegen?

Die Social-Media-Experten des Unternehmens Sysomos haben in einer Studie untersucht, was einer durchschnittlichen Meldung auf Twitter so an Aufmerksamkeit widerfährt. Dafür haben sie 1200 Millionen Tweets aus einem Zeitraum von zwei Monaten ausgewertet. Resultat: 71 Prozent versendeten sich einfach so, sie wurden weder beantwortet noch weiter geleitet.

Das wertet Sysomos als fehlende Resonanz. Offensichtlich hätten die Meldungen nicht in ausreichendem Maß den Wunsch ausgelöst, in ein Gespräch einzusteigen oder den Inhalt mit anderen Followern zu teilen.

Es klingt, als hätten Tweets ein einsames, kurzes Leben. Hinzu kommt, dass von den Tweets, auf die irgend jemand antwortete, 85 Prozent nur ein einziges „reply“ erhalten hätten. Groß angelegte Kommunikation sähe anders aus, wie Networkworld dazu schreibt.

Dabei können wir eigentlich froh sein, dass Twitter nicht nur aus Antworten und Weiterleitungen besteht. Schon jetzt verlinken oft zahlreiche Leser auf die gleiche Quelle, ohne dass man das auf den ersten Klick erkennt. Und schon jetzt steigt man in manche Debatten nur schwer ein, wenn man den Anfang einmal verpasst hat. Zudem mischt sich auf Twitter so einiges: private Meldungen, persönliche Gedanken, Aufmacher großer Magazine, Wichtiges und Belangloses…

Die eigentliche Erungenschaft ist dabei nicht, dass alle miteinander reden. Es ist die Tatsache, dass alles die gleiche Chance hat, wahrgenommen zu werden.

Vielleicht lässt sich der durch die Studie implizierte Anspruch an „gute“ Twitter-Kommunikation mit der Erfahrung erwidern, dass auch zu große Tischrunden eher zu weniger guten Gesprächen führen. Wer über ein konkretes Thema reden will, tut das besser im kleinen Kreis. Was nicht heißt, dass es dabei keine Zuhörer geben darf.

Und im Unterschied zu Medien wie Fernsehen oder Zeitung macht Twitter es eben möglich, dass jeder sich jederzeit einmischen KANN. Von einem MÜSSEN war ja nie die Rede.