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Wie der Cybermob angeblich die Freiheit bedroht

 

Die Slate-Kolumnisten Ron Rosenbaum und Lee Siegel vom New York Observer haben einen Essayband herausgegeben, in dem sie sich den „New Threats for Freedom“ widmen, den modernen Bedrohungen für die Freiheit also. Dazu gehört ihrer Meinung nach – wie sollte es anders sein – auch das Internet. Das Problem sei der sogenannte „Cyber Mob“. Gemeint sind all die Menschen, die unter dem Schutzmantel der Anonymität ihren dunkelsten Instinkten freien Lauf ließen und herumpöbelten und zankten.

Die Verdienste des Internets hätten eben auch ihre Kosten, moderiert Michael Goodwin seine Gesprächsrunde mit den beiden Autoren auf Big Question Online an. Und die seien vor allem deshalb so gefährlich, weil man sie zunächst gar nicht wahrnehme, bei all dem vermeintlichen Nutzen des Netzes, wie auch Rosenbaum sofort beipflichtet.

Rosenbaum gesteht, das digitale Zeitalter anfangs abgelehnt zu haben. Damals habe er geglaubt, es würden lediglich drei Gruppen von Menschen vom Internet profitieren: Neonazis, Pädophile und Bill Gates. Zumindest mit Bill Gates lag er daneben, wie er inzwischen eingesteht. Doch würden Tarnnamen und falsche Identitäten Menschen Schutz bieten, die diesen Schutz nicht verdienten.

Lee Siegel pflichtet dem bei und warnt noch schärfer als Rosenbaum vor dem „interaktiven Mob“. Was er sagt, klingt kulturpessimistisch: Partizipation führe nur dazu, dass die breite Masse allen ihren Geschmack diktiere. Die Diktatur des Kommentariats, sozusagen.

Jedes kulturelle Zeitalter, so scheint es, führt die gleichen mahnenden Debatten.

Interessant ist vor allem der Versuch, die Positionen der beiden Skeptiker im politischen Umfeld zu verorten. Sie geben sich nämlich in dem Interview keinesfalls sofort als marktliberale Hardliner oder religiöse Hinterwäldler zu erkennen. So beschreibt Ron Rosenbaum, aus welchem Grund er das erste Mal unter den Attacken des Cybermobs zu leiden hatte: als er einen Blogpost gegen die konservative Tea-Party-Bewegung verfasste nämlich.

Und Lee Siegel klagt, der Motor des Internets sei in Wirklichkeit nicht der Wunsch nach mehr Partizipation und Demokratisierung – Werte, die offensichtlich auch er zu teilen wüsste. Nein, der Motor der weiteren Entwicklung des Internets sei vielmehr der Kommerz, die Geschäftsinteressen ganz bestimmter Firmen. Teilweise könnte man ihm in dieser Sorge sogar zustimmen.

Dennoch sind die anderen in ihrem Buch versammelten „Bedrohungen“ sehr aufschlussreich: „Die Regierung“, ist nämlich eine weitere. Es könne nicht ihre Aufgabe sein, für Gerechtigkeit im Leben zu sorgen. „Single Frauen“ sind freiheitsgefährdend, denn seit sie nicht mehr von ihren Männern abhängig seien, würden sie dem Staat auf der Tasche liegen. Weitere Feindbilder sind die Europäische Union, „Die Antireligös-Orthodoxen“, die „partizipative Kultur“ und die „Multikulturalisten“.

Und allein an den diesen Schlagworten zeigt sich der konservative Geist, der diese Anti-Internet-Mob-Positionen offensichtlich nährt.