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Unterstützt Cryptome und Wikileaks!

 

Cryptome und Wikileaks müssen von der deutschen Presse unterstützt werden. Nicht nur ideell, sondern auch finanziell. Denn sie sind im Moment die letzten Garanten einer Presse- und Meinungsfreiheit.

Zweierlei hat mir heute die enorme Bedeutung von Cryptome und Wikileaks buchstäblich vor Augen geführt: Zum einen eine Video-Reportage über die beiden Enthüllungsplattformen im Netz, die investigativen Journalisten das Leben erleichtern. Zum anderen die Erläuterungen des Vorschlags für eine „Isländische moderne Medieninitiative“, die seit kurzem online auf dem Server des isländischen Parlaments auf Englisch verfügbar ist. Diese könnte darauf hinauslaufen, dass Wikileaks dauerhaft auf einer sicheren legislativen Grundlage aufbauen kann.

Die Reportage erklärt, warum Wikileaks einzigartig ist. Zwar hat der New Yorker Architekt John Young mit Cryptome seit den neunziger Jahren wertvolle Pionierarbeit geleistet. Doch weil sein Server ausschließlich amerikanischer Jurisdiktion unterworfen ist, ist er auch angreifbar. Außerdem ist es immer nur John Young, der die Dokumente ins Netz stellt. Das allerdings äußerst zuverlässig, wie auch die jüngste, schnell überstandene Attacke vonMicrosoft auf Cryptome gezeigt hat.

Wikileaks hingegen ist nicht nur einfach eine Website, die von einem Engagierten geführt wird, sondern auch eine Technik, die es Whistleblowern beziehungsweise Informanten auf sehr effiziente und sichere Weise erlaubt, massenhaft Dokumente auf einen geschützten Server zu laden. Außerdem ist Wikileaks auf diversen Servern in der Welt verteilt und untersteht damit multipler Gesetzgebung.

Umso mutiger ist es von Julian Assange und Daniel Schmitt sich als Gesicht von Wikileaks zu zeigen – denn sie könnten in belieben Staaten der Welt wegen Geheimnisverrat vor Gericht gebracht werden. Dass sie dabei nicht nur von den üblichen Verdächtigen etwas zu befürchten haben, zeigte der jüngst veröffentlichte Bericht eines US-Militärgeheimdienstes (PDF), der analysiert hatte, wie angreifbar Wikileaks ist. Hier die Reportage, die übrigens auch John Young im Videointerview zeigt:

Der Bericht zeigt, wie wichtig diese beiden bislang einzigen einigermaßen sicheren alternativen Enthüllungsplattformen im Netz sind: Für viele Menschen sind sie die einzige Möglichkeit, ungefährdet auf einen Missstand hinzuweisen. Wie Journalisten mit Wikileaks zusammenarbeiten können, zeigten in jüngster Zeit die Enthüllungen zur Maut. Sie wären ohne die Kooperationsplattform Wikileaks in diesem gewaltigen Umfang nicht möglich gewesen. Aber auch die Enthüllungen von Cryptome über den Umgang von IT-Firmen mit Strafverfolgungsbehörden wären ohne Cryptome ungleich riskanter gewesen.

Gerade in Deutschland sind Whistleblower gesetzlich nicht ausreichend geschützt. Erst im letzten Jahr ist schon im Vorfeld der Beratungen eine Gesetzesvorlage zum Schutz von Whistleblowern in Deutschland gescheitert. Diese gelten hier gerade im Arbeitgeberlager immer noch als „Nestbeschmutzer“, als Menschen, die andere Menschen „verpfeifen“. Nicht jedoch, wie die internationale Whistleblowerforschung zeigt, als verantwortungsbewusste Menschen, die keinen anderen Ausweg aus einem Notstand sehen, als sich an die Öffentlichkeit zu wenden, weil eine anderweitige Klärung aus gewichtigen Gründen nicht funktioniert.

Hinzu kommt in Deutschland ein seit Jahrzehnten fehlender Arbeitnehmerdatenschutz. Das führt dazu, dass Informanten in Unternehmen und Behörden kaum noch in der Lage sind, sich vor Aufdeckung zu schützen. Denn es gibt nur noch wenige Arbeitsplätze, die nicht auf irgendeine Weise mit Kommunikations- und Informationstechnologien verbunden sind, die wiederum Daten generieren, die über ihre Arbeit Auskunft geben können.

Aber auch der Schutz von Journalisten ist in Deutschland unzureichend. Die Rechte von Journalisten und Redaktionen wurden in den letzten Jahren hinsichtlich des Zeugnisverweigerungsrechts sowie Redaktionsgeheimnisses zunehmend ausgehöhlt. Dazu zählt nach wie vor die Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten, da Journalisten vom Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Urteil zur Vorratsdatenspeicherung nicht als besonders schützenswerte Berufsgruppe dargestellt wurde und künftig weiterhin damit rechnen müssen, dass ihre zu Abrechnungszwecken gespeicherten Verbindungsdaten verwertbar bleiben. Zu den jüngsten Gesetzesinnovationen, die die Pressefreiheit aushöhlen zählt außerdem die Online-Durchsuchung.

Umso erstaunlicher ist es eigentlich, dass deutsche Verleger und Journalistenverbände nicht schon längst Wikileaks offiziell unterstützen – zumal eine gesetzgeberische Initiative wie in Island in den Sternen steht. Wie vergleichsweise kleinklein die politischen Visionen hier sind, ist in den letzten Monaten an der Debatte um ein ominöses Leistungsschutzrecht zu beobachten. Island jedenfalls hat als – relativ kleine Community – von der Wirtschaftskrise rasch gelernt und wagt den Angriff: Mehr Transparenz, mehr Offenheit sollen künftig Schutz bieten gegen allerlei Korruption und Manipulation.

Lernen will man von den Besten: Beispielsweise von den Schweden, deren Pressefreiheitsgesetz zahlreiche Nachrichtenagenturen und Bürgerrechtsorganisationen nach Stockholm lockt. Oder von den USA, deren strikte Auslegung der Meinungsfreiheit legendär ist. Das Besondere ist auch: Island stellt seinen Vorschlag auch auf Englisch vor – und lädt ausländische Nichtregierungsorganisationen ein, ihn zu kommentieren. Das ist ungewöhnlich, aber dem Anliegen, eine zensurresistente Presse auf internationalem Niveau zu ermöglichen, nur angemessen.

Diese Art von Weltläufigkeit wünsche ich auch Deutschland. Die Enquête-Kommission des Bundestags sollte sich auch damit befassen. So lange sich Verlage und Journalisten jedoch nicht für ein massives Lobbying für die Pressefreiheit einsetzen wollen, sollten sie zumindest Wikileaks wie auch Cryptome nicht nur ideell, sondern auch monetär unterstützen. Sie sind für journalistische Arbeit unerlässlich geworden. Weil sie letztlich die konsequentesten Garanten der Presse- und Meinungsfreiheit sind.