Die umstrittenste Neuerung des Urheberrechts ist das von den Verlegern ersonnene so genannte „Leistungsschutzrecht“. Nebulös forderten die Verleger „geistige Wertschöpfung von Urhebern und Werkmittlern besser zu schützen“. Nachdem Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in ihrer „Berliner Rede zum Urheberrecht“ grundsätzlich Zustimmung zu einem solchen neuen Recht signalisierte, präzisierten die Verlegerverbände VDZ und BDVZ in einem kürzlich dank netzpolitik.org veröffentlichten Eckpunktepapier ihre Vorstellungen:
Um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, sollten nicht nur Teile des Presseerzeugnisses wie einzelne Beiträge, Vorspänne, Bilder und Grafiken geschützt werden. Schutzwürdig sind beispielsweise auch Überschriften, Sätze, Satzteile etc., soweit sie einer systematischen Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentlichen Wiedergabe in Verbindung mit dem Titel des Presseerzeugnisses dienen.
Schutzwürdig sind also auch „Überschriften, Sätze, Satzteile, etc.“. Das „etc.“ steht wohl für noch mehr Spielraum in den laufenden Verhandlungen – nicht nur mit dem Ministerium, sondern auch mit den Verbänden, die die Urheber vertreten: die Journalistenverbände.
Eigentlich herrschte zwischen den Verleger- und den Journalistenverbänden DJV und dju/ver.di in Sachen Leistungsschutzrecht bereits eitel Sonnenschein. Hatten doch die Journalistenverbände nichts gegen ein solch neues Recht einzuwenden, wenn es denn nicht nur Verleger-, sondern auch die Urheberinteressen angemessen berücksichtigen würde.
Dieser Konsens ist nun akut bedroht: Denn dass nun auch Satzteile geschützt werden sollen, geht den Journalistenverbänden zu weit. Der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken sagt in einer jetzt veröffentlichten Erklärung:
„Nicht verhandelbar sind für uns die Zitierfreiheit oder sonstige Einschränkungen der Informationsfreiheit, die bereits heute als Schranken im Urheberrecht verankert sind.“
Wenn Verlage Satzteile aus Artikeln schützen lassen wollen, wollen sie verhindern, dass Nachrichteninhalte von anderen Medien übernommen werden. Das ominöse „etc.“ im Text des Eckpunktepapiers könnte daher vielleicht auch so etwas wie ein Schutz aktueller Nachrichten sein. In den USA gibt es den 1918 vom Supreme Court aufgestellten Rechtsgrundsatz der „Hot News“.
Die Hot-News-Doktrin soll einen Informationswert, der den Investitionen in eine Informationsbeschaffung entspricht, über ein zeitlich begrenztes Erstinformationsrecht schützen. Aufwändig recherchierte Geschichten sollen so zunächst nur über den Verlag zu beziehen sein, der sie zuerst veröffentlicht hat. Allerdings lässt die Hot-News-Doktrin offen, nach welchem Zeitraum eine Nachricht frei zitiert werden darf. Lange Zeit wurde der Rechtsgrundsatz daher nicht mehr vor Gericht bemüht. Erst in jüngster Zeit berief sich die Nachrichtenagentur „Dow Jones Newswires“ in einer Klage gegen den Online-Newsdienst Briefing.com wieder auf die Doktrin, der ganze Texte von Dow Jones kopiert hatte. Von Dow Jones ist auch bekannt, dass sie auch die im Kontext von „Fair Use“ legale Verwendung von Snippets abmahnt.
Eigentlich wäre es jetzt Zeit für die Journalistenverbände, den Konsens mit den Verlegerverbänden über ein Leistungsschutzrecht vollständig aufzukündigen, da diese offenbar absurde Forderungen aufstellen, um sich genügend Verhandlungsmasse zu verschaffen. Das Eckpunktepapier zeigt deutlich, dass die Stoßrichtung der Verleger das journalistische Arbeiten einschränken wird. Es kann nicht sein, dass das Schielen auf „gemeinsame Vergütungsregeln“ dazu führt, ein tendenziell innovationsfeindliches Recht einzuführen.
Das Urheberrecht braucht nämlich nicht noch mehr Schranken, sondern im Gegenteil mehr Lockerungen, damit die europäische nicht noch stärker gegenüber der amerikanischen Kreativwirtschaft benachteiligt wird. Diese profitiert seit langem von Fair-Use-Regelungen in Billionenhöhe. Vorschläge in die entgegengesetzte Richtung gibt es auch – nur wird über sie merkwürdigerweise nicht berichtet: So hat eine Gruppe europäischer Rechtswissenschaftler einen schlanken European Copyright Code entworfen. Er soll das angelsächsische Copyright mit dem kontinentaleuropäischen Urheberrecht versöhnen. Zentraler Baustein sind vier Gruppen von Schrankenbestimmungen sowie eine Art Öffnungsklausel mit Fair-Use-Charakter. Das wäre etwas, über das es sich lohnen würde nachzudenken – und zu verhandeln.