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Im Protokoll verfangen

Gestern war ich zum Datenschutzdialog beim Innenminister Thomas de Maizière geladen. Und noch einige Menschen mehr: zwei Professoren, Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club, Patrick Breyer vom AK Vorrat, der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar und dann noch diverse Institutionen- und Verbandsvertreter.

De Maizière hatte gleich zu Beginn der Veranstaltung gesagt, man würde nun vom Netz lernen wollen und daher auch solch ein „für das BMI“ neues Format ausprobieren. Nehmen wir einmal an, der Bundesinnenminister wollte das wirklich. Und er wollte ernsthaft über Datenschutz im Internet diskutieren. Dann lief das weitgehend schief. Wenn ein Minister lädt, kommen nämlich nicht die Fachleute. Sondern die Vorstände. Das nennt man Protokoll – Minister reden in der Regel nicht auf Fachebene, und Vorstände wollen gerne mit Ministern reden.

Bitkom hatte statt seines Präsidenten (der stand ursprünglich auf der Liste), immerhin seinen Geschäftsführer geschickt, eine ganz gute Wahl aus fachlicher Sicht. Ein tolles Beispiel für dieses Problem aber war das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik: dessen Präsident redete von organisierter Internetkriminalität. Die soll zwar auch noch Thema in einem der nächsten Dialoge des BMI sein. Aber dieses mal ging es um Datenschutz und Datensicherheit, über die Michael Hange kein Wort verlor.

Gerd Billen von der Verbraucherzentrale Bundesverband redete von Virenscannern, Autos, Datenladendiebstahlsmentalität und Nutzern, die es mit dem Urheberrecht ja auch nicht so genau nehmen. Und Michael Rotert vom Internetverband Eco sprach eigentlich auch nie von Datenschutz. Dafür von Netzneutralität – die Provider hätten kein Interesse daran, diese abzuschaffen. Abgesehen von Ausnahmen. Da kann man die Stirn gar so viel in Falten legen, wie man möchte. Sie würde eine Hexentreppe.

Thomas de Maizière kann einem leid tun. Wenn er wirklich in einen Dialog eintreten will, muss er vom Internet nämlich noch etwas lernen: formaler Status ist irrelevant. Wenn er als Minister ernsthaft in die Diskussion um Datenschutz im Internet und andere Fragen einsteigen will, muss er seinen Ministerposten vergessen. Und sich mit denen unterhalten, die Verstand statt Vorstand mitbringen.

 

Aus fünf Dollar wurden fünf Millionen

Es scheint, als beweise die digitale Welt im Angesicht der Katastrophe in Haiti gerade ihren Kritikern, dass gleich zwei Grundannahmen über sie falsch sind. Die Vorurteile nämlich, dass erstens in Netzwerken wie Facebook oder Twitter eh nur gequatscht aber nichts getan wird – bekannt unter dem Kunstwort Slacktivismus. Und dass zweitens die vielen kleinen Nischenlösungen keine große Wirkung entfalten könnten.

Small is the new big, schrieb Seth Godin 2005 erst in einem Blog und dann in einem Buch. Belege für diese These gibt es inzwischen einige, einen weiteren liefert gerade das Erdbeben in der Karibik.

In Netzwerken wurde schon kurz nach den ersten Meldungen darüber massiv zu Spenden aufgerufen, nichts Großes, lediglich kleine Beträge sollten es sein, fünf oder zehn Dollar meist. Inzwischen meldete das Rote Kreuz, dass man durch diese Kampagne mehr als fünf Millionen Dollar eingenommen habefast genauso viel also wie das, was die gesamte Europäische Union an Hilfsgeldern zur Verfügung stellt.

Offensichtlich finden sich auch im Netz viele Menschen, die etwas tun wollen – wenn die Hürden dazu nur niedrig genug sind. Klassische Spendenkampagnen, für die per Hand Überweisungsträger ausgefüllt und zur Bank getragen werden müssen, erreichen hierzulande nur noch Über-60-Jährige. Wohl vor allem, weil das Verfahren aufwändig ist.

Für die Internet-Spende dagegen genügt – wenn die Hilfsorganisation es eingerichtet hat – eine SMS mit einem bestimmten Stichwort an eine bestimmte Nummer. Abgebucht wird von der Mobiltelefonrechnung.

Ähnliche Kampagnen von Stars wie Wyclef Jean brachten bereits mehrere hunderttausend Dollar. Er wirbt unter anderem mit dem Satz: „Every1 has $5 every1 got a phn! – Jeder hat ein Mobiltelefon und jeder hat fünf Dollar übrig.“ In Deutschland sammelt beispielsweise Johnny Häusler vom Blog Spreeblick.

Nebenbei: Suchten nicht Zeitungsverlage nach simplen Möglichkeiten, damit Online für Abos und Texte bezahlt werden kann?

 

Du sollst huldigen nur mir

Nach all dem Für und Wider zu Googles Chinameldung hier nun die einzig wahre Reaktion auf das Spektakel. Satire. Zitat:

„Du sollst keine andere Suchmaschine neben mir haben, nicht Bing noch Yahoo noch Ask. Du sollst huldigen nur mir, und nur Google nach der Antwort fragen.“

 

Privatsphäre 2.0 oder die Zuckerberg-Variante

Im ursprünglichen Wortsinn meint Privatheit jenen Zustand, in dem wir uns befinden, solange wir uns nicht öffentlich betätigen. Einen bewusst gewählten Rückzugsort von der Gesellschaft somit. Demnach schließen sich die Begriffe Privatsphäre und soziales Netzwerk per Definitionem aus. Immerhin werden durch solche Angebote Informationen öffentlich – meint, von Suchmaschinen auffindbar und damit Menschen zugänglich, für die sie ursprünglich nicht gedacht waren.

Eigentlich erstaunlich also, dass es jedes Mal Aufregung gibt, wenn beispielsweise Facebook die Instrumente ändert, mit denen die Nutzer bestimmen können, was Freunde sehen und was der Rest der Welt. Oder wenn Facebook-Gründer Mark Zuckerberg wie gerade in einer Diskussionsrunde sagt, würde er Facebook heute gründen, wären viel mehr Informationen per Voreinstellung öffentlich als sie es nun schon sind.

Vielleicht ändert sich unsere Einstellung zum Thema Privatsphäre ja langsamer, als Menschen wie Zuckerberg – der von dieser unserer Privatsphäre lebt –, uns glauben machen. Vielleicht wollen wir sie gar nicht so gern hergeben, auch wenn wir es täglich tun? Oder der Bauch, der sagt, ist doch lustig, raus mit der Info über die Party, ist schneller als der Kopf, der noch überlegt, was das wirklich bedeutet? Oder die soziale Norm, alles zu posten, ist so neu, dass wir noch üben müssen, mit ihr umzugehen und gerade erst lernen, wie weit wir gehen müssen/können?

Keine Ahnung.

Doch eines ist sicher: Zuckerbergs Behauptung, Facebook reagiere nur und tue nichts weiter, als sich ändernde soziale Normen widerzuspiegeln, ist eine Lüge gefährliche Untertreibung.

Gäbe es das Werkzeug nicht, würden auch keine Regeln für den Umgang damit entstehen. Mit bloßer Hand, ohne einen Hammer, um eine alte psychologische Metapher zu zitieren, würde niemand auf die Idee kommen, einen metallenen Nagel in eine Wand treiben zu wollen. Ja, der Hammer wurde erfunden, um genau diese Aufgabe zu erfüllen, also ein Bedürfnis zu befriedigen. Doch es ist eine direkte Beziehung der Weiterentwicklung (größere Hämmer, dickere Nägel) und den eigenen Anteil daran zu negieren, ist nicht ehrlich.

Facebook und andere Netzwerke wie YouTube erziehen ihre hunderten Millionen Nutzer dazu, immer mehr preiszugeben. Sie belohnen solches Verhalten mit einer verlockenden Währung: Aufmerksamkeit. Sie wurden erfunden, weil es das Bedürfnis dazu gab. Doch sie werden auch größer, weil sie dieses Bedürfnis befeuern und schüren.

Dass sich Facebook dieses Mechanismus‘ und seiner Gefahren bewusst ist, zeigt ein anonymes Interview mit einem Angestellten des Netzwerks bei rumpus.net. Der darin erzählt, in welchem Umfang Daten der Nutzer gesammelt werden: „We track everything.“

Auch die Tatsache, dass Facebook vor einiger Zeit die Position eines Chief Privacy Officer geschaffen hat, zeigt, dass das Unternehmen weiß, was es tut. Inzwischen geradezu ein Standard im sogennnten Web 2.0, wie der Anonymus sagt: „Offensichtlich braucht es jemanden, der einen Schritt zurücktritt und sicherstellt, dass irgendein Datenschutz existiert, oder zumindest soviel davon, wie wir installieren können.“

Daher wäre wohl eher mehr Verantwortungsbewusstsein angebracht, nicht noch mehr Zuckerbergsche Versuche, sich dieser Verantwortung zu entziehen.

 

Grüne wollen Downloads erlauben

Die Grünen wollen den Tausch von Musikdateien legalisieren, jedenfalls bis zu einer bestimmten Grenze. Das hat jetzt der Hamburger Justizsenator und Grünen-Politiker Till Steffen bei der Konferenz der Justizminister von Bund und Ländern vorgeschlagen.

Schon früher sei der Austausch von Musik legal gewesen. Dafür sei auf den Verkauf von Leerkassetten eine Abgabe erhoben worden. „Ich halte nichts davon, mit der Staatsanwaltschaft in die Kinderzimmer einzumarschieren“, sagte Steffen. Er schlug daher vor, eine Bagatellgrenze einführen, unter der ein Dateientausch im Netz straffrei bleibe. Eine kommerzielle Nutzung von illegalen Kopien sowie ein gewerbliches Ausmaß der Aktivitäten sollen indes auch weiter juristisch verfolgt werden können.

Wenig verwunderlich: Die Musikindustrie lehnt diese Vorschläge ab. „Das ist etwa so, als ob jemand mit 3000 gestohlenen Singles aus einem Plattengeschäft gehen würde“, sagte Daniel Knöll, der Sprecher des Bundesverbands Musikindustrie.

Zwei kurze Bemerkungen dazu.

Wollen sich die Grünen da etwa mit einem Webthema profilieren? Immer zu! Die Netzgemeinde wird das freuen. Die Piratenpartei hat diese Themen nicht für sich gepachtet.

Auf der anderen Seite: Die Meinung, dass das Kopieren von Kassetten etwas qualitativ anderes ist als das massenhafte Tauschen von Musik im Netz, hat sich in den Köpfen inzwischen ziemlich festgesetzt. Wer auch immer daran rütteln will und ganz gleich aus welchen Motiven – er droht zu scheitern.

So muss jetzt eine Frau immerhin gut 2500 Euro an vier deutsche Musikkonzerne zahlen, wie ein Kölner Gericht urteilte. Und das, obwohl nicht sie selbst, sondern vermutlich ihre Kinder die fraglichen 964 Songs zum Herunterladen im Netz angeboten hatten.

Das tut weh, verglichen mit den Prozessen in anderen Ländern ist das aber immerhin noch verkraftbar. In den USA macht gerade ein Fall die Runde, in dem ein Downloader zu einer Strafe von 675.000 Dollar verurteilt wurde. Er hatte gerade einmal 30 Songs zum Download angeboten.

 

Imageproblem: Gamer als Spender unerwünscht

Ein Verein von Computerspielern wollte für einen guten Zweck spenden. Aber der Deutschen Krebshilfe war ihr Verein anscheinend zu dubios, wie predictition Gaming e.V. auf ihrer eigenen Website berichtet.

Nachdem eines ihrer Gründungsmitglieder mit 16 Jahren an Krebs gestorben war, wollte der Verein den Kampf gegen die Krankheit auch mit Spenden fördern. Die Unterstützung der Krebsforschung verankerten die Gamer sogar in ihrer Vereins-Satzung. Bei der Deutschen Krebshilfe wollte man ihr Gespartes auch gerne entgegen nehmen. Allerdings wurde den Spielern die Verwendung des Logos der Deutschen Krebshilfe untersagt. „Auf telefonische Nachfrage hin, welcher Umstand diesem Verbot zu Grunde lag, konnte man uns keine ausreichende Erklärung liefern und verwies stattdessen auf interne Regeln – auch ethischer Natur – für zu genehmigende Projekte und Vereine. Unser Verein entspreche nicht allen Regeln und demnach bleibt es bei einem Verbot der Logo-Nutzung“, schreibt prediction Gaming.

Die Videospieler fragen sich nun, ob sie dadurch diskrimiert werden sollten. Inzwischen haben sie zum Glück einen anderen Partner gefunden, der ihnen auch erlaubt, sich mit ihrem Logo und somit mit ihrem karitativen Einsatz für die Krebshilfe zu schmücken.

„Permanent werden Computerspieler als kaltherzig, unsozial und gedankenlos dargestellt“, kommentiert Annika Kremer auf der Webseite gulli:News. Wie jedoch sollen Spieler zeigen, dass diese Meinung unzutreffend ist, wenn ihnen ihre Mitmenschen keine entsprechende Chance geben?“

Vielleicht gab es einen anderen, sachlichen Grund für die Ablehnung. Zu hoffen wäre es. Denn alles andere lässt die Verantwortlichen bei der Deutschen Krebsfhilfe mehr als alt aussehen: Schließlich besteht die halbe Generation der heute 16-Jährigen aus Computerspielern. Die sind ja wohl kaum alle ethisch fragwürdig?

 

Döpfner will Öffentlich-Rechtliche abschaffen

Mathias Döpfner hat also was gegen die iPhone-App von tagesschau.de und spannt dafür seine Zeitungen und die Bundesregierung ein. Verstehen kann ich das schon, Konkurrenz ist Mist, noch dazu gute. Verlogen ist die Debatte trotzdem.

Denn was heißt es, wenn der Chef des Springer-Konzerns – der sich allein um den Shareholder Value sorgt und nicht um fundierte Informationen für eine kritische Öffentlichkeit – warnt, eine Tagesschau-App gefährde das neue Geschäftsmodell der Medien? Es heißt in der Konsequenz, dass Mathias Döpfner öffentlich-rechtliche Angebote abschaffen will. Nicht nur im Netz, auch im Radio und im Fernsehen. Es heißt, dass er wünscht, dass der Markt allein das Thema Information regeln solle und damit, zynisch gesagt, die Informationsfreiheit beschneidet.

Das kann man fordern. Aber dann sollte man es bitte auch mit diesen Worten tun. Und nicht mit der Keule „tausende Arbeitsplätze“ kommen, die dadurch in der Verlagsbranche verloren gingen. Um die geht es bei dem Thema nicht.

Europa hat sich als Erfahrung aus der Vergangenheit für einen Sonderweg entschieden und im 20. Jahrhundert durch Gebühren finanzierte öffentlich-rechtliche Medien geschaffen. Sie gelten bis heute als der einzige Weg, Informationen so unabhängig wie möglich von politischen und wirtschaftlichen Einflüssen zu verbreiten.

Gut möglich jedoch, dass es bald einen weiteren Weg geben wird – dank des Internets und seiner technischen Vorraussetzungen. In Zukunft könnten auch verteilte Netzangebote diese weitgehende Unabhängigkeit garantieren. Wikipedia ist ein Beispiel dafür. Viele Menschen, die an einer Sache arbeiten, können im Mittel ein ziemlich neutrales Ergebnis produzieren. Das ist, wie die Debatten um Wikipedia zeigen, nicht leicht, aber möglich.

In der Zukunft wäre es damit vorstellbar, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu beerdigen. Die Idee, sich irgendwo neutral informieren zu können, würde aber ganz bestimmt nicht sterben. Sie würde sich nur ein neues Werkzeug suchen. Wahrscheinlich ein kooperatives, das auf der Möglichkeit basiert, dass jeder mitmachen kann.

Ob Mathias Döpfner diese Konsequenz seiner Forderung gefällt? Ich bezweifle es. Könnte ein solches Werkzeug doch noch viel mächtiger werden, als der öffentlich-rechtliche Rundfunk es jemals war. An Döpfners Stelle würde ich nicht zu sehr darauf dringen, ARD und ZDF klein zu machen. Andere Begehrlichkeiten könnten dadurch erst groß werden.

 

Island zum Datenfreihafen machen

Auf dem 26. Chaos Communication Congress des Chaos Computer Club in Berlin hat gestern das Transparenz-Projekt Wikileaks.org eine Reformidee für Island präsentiert. Der Staat ist in Folge der Finanzkrise beinahe Pleite. Auf Wikileaks wurden im Sommer detaillierte Informationen publiziert, welche Staatsbürger Islands für die Pleite mitverantwortlich sind und mit Insiderinformationen kurz vor dem Zusammenbruch von isländischen Banken rund fünf Milliarden Dollar außer Landes geschafft haben. In dem kleinen Staat mit rund 300.000 Einwohnern, wo fast jeder jeden kennt, waren das brisante Informationen, die Transparenz geschaffen haben.

Wikileaks.org erhielt daraufhin in Island eine Menge Aufmerksamkeit und die beiden Projekt-Mitarbeiter Daniel Schmidt und Julian Assange wurden vor wenigen Wochen in die bekannteste TV-Show des Landes eingeladen, um über ihr Projekt zu reden. Vorher kam ihnen eine Idee: Warum nutzt Island nicht die Krise des politischen Systems und erfindet sich neu? Die Idee eines Datenfreihafens entstand, eine Art „Schweiz für Bits“. Warum nicht die besten Gesetze aus verschiedenen Staaten zusammen mixen und eine neue gesetzliche Grundlage für ein digitales Island schaffen?

Aus Belgien könnte man Gesetze zum Schutz von Journalisten nehmen, aus Schweden die bewährten Gesetze, die Provider nicht für Inhalte verantwortlich machen und aus den USA den ersten Verfassungsgrundsatz, der die Meinungsfreiheit schützt. Diese Normen würden gute Vorlagen bieten und wären in der Praxis schon erprobt. Alles zusammen schüfe einen Rahmen, der Transparenz und Informationsfreiheit verbindet. Die reichhaltigen lokalen Energie-Ressourcen böten dazu die die Möglichkeit, einen solchen Datenfreihafen, der viele Rechenzentren braucht, auch noch ökologisch zu betreiben.

In der TV-Show präsentierten die beiden live ihre Idee, die viel mediale und politische Aufmerksamkeit nach sich zog. Mittlerweile arbeiten Juristen an einer Gesetzesvorlage, die schon Ende Januar präsentiert werden soll. Die Idee, Island zu einem weltweiten „data haven“ zu machen, ist nicht neu, auch die dortige Regierung hat entsprechende Überlegungen bereits angestellt. Das politische Klima könnte nun dafür sorgen, dass sie Realität wird, wie Wikileaks optimistisch analysiert. Zumindest aber sollte es genutzt werden, finden die Macher. Ihr Motto: „Never waste a crisis.“

 

Die Kehrtwende der SPD bei Zensursula

In der Zensursula-Debatte rund um die geeigneten Werkzeuge gegen Kinderpornographie kündigt sich bei der SPD-Fraktion eine Kehrtwende an.

Zum Hintergrund: Im Juni 2009 verabschiedeten Union und SPD im Bundestag gemeinsam das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz. Dies regelte unter anderem, dass zur Unterstützung der Bekämpfung von Kinderpornographie eine Netzzensur-Infrastruktur bei den Providern errichtet werden sollte.

Gegen die Netzzensur regte sich massiver Widerstand im Netz, der auch über die erfolgreichste Petition in der Geschichte des Online-Petitionssystems des Deutschen Bundestages artikuliert wurde. Sie fand mehr als 134.000 Mitzeichner. Es half alles nichts, die Große Koalition stimmte fast geschlossen für das Zugangserschwerungsgesetz, das auf „Löschen vor Sperren“ setzte.

Nun die überraschende Kehrtwende: Schon Anfang November kritisierte der neue Berichterstatter für neue Medien in der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil, in der SPD-Zeitung Vorwärts das Zugangserschwerungsgesetz und forderte: „Gesetz muss weg“. Das verwunderte noch nicht, wird Kingbeil, der neu im Bundestag ist, doch eher dem progressiven Flügel der SPD-Netzpolitik zugeschrieben. Im aktuellen Spiegel kamen dann kritische Worte vom stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Olaf Scholz, der in weiten Teilen die Kritik der Bürgerbewegung an dem Zugangserschwerungsgesetz wiederholte:

“Internetsperren sind ineffektiv, ungenau und ohne weiteres zu umgehen. Sie leisten keinen Beitrag zur Bekämpfung der Kinderpornografie und schaffen eine Infrastruktur, die von vielen zu Recht mit Sorge gesehen wird.” Die SPD bestehe auf dem Prinzip “Löschen vor Sperren”.

Hier klang noch das „Löschen vor Sperren“ heraus, das von der SPD in der Debatte als Leitlinie ausgegeben wurde. Dies wurde damals massiv kritisiert, weil trotzdem eine Netzzensur-Infrastruktur geschaffen werden sollte. In einer Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion wurde die Kritik diese Woche wiederholt.

Im Interview mit dem Schaltzentrale-Blog der Süddeutschen Zeitung verkündete dann Martin Dörmann, der Chefunterhändler der SPD-Fraktion während der Zensursula-Debatte, eine ganz neue Haltung:

Die Verträge zwischen BKA und Providern sind auf Eis gelegt, seit dagegen vor dem Verwaltungsgericht in Wiesbaden geklagt wurde. Das BKA hat dann erklärt, in den nächsten Jahren gar keine Sperrlisten anzulegen. Im Moment sind wir in einem rechtlichen Schwebezustand. Unser Grundsatz war auch immer: Löschen statt Sperren. Mittlerweile hat das auch die Union akzeptiert. Daher, und weil die Verträge zwischen BKA und Providern nicht in Vollzug sind, ist das Gesetz unnötig geworden.

Hier taucht auf einmal ein „Löschen statt Sperren“ auf, was man bisher von offizieller Seite der SPD nicht gehört hat. Es überrascht ein wenig, wie schnell die SPD-Bundestagsfraktion innerhalb weniger Tage die Richtung geändert hat. Vor allem, weil man in der Großen Koalition die Möglichkeit hatte, das Gesetzesvorhaben und die Errichtung einer Netzzensur-Infrastruktur zu verhindern. Und es klingt wenig glaubwürdig, wenn Dörmann nun öffentlich verkündet, der Grundsatz der SPD sei schon immer „Löschen statt Sperren“ gewesen. Ein Blick in die Archive des Netzes zeigt deutlich, dass es einen offiziellen SPD-Parteitagsbeschluß gibt, der explizit „Löschen vor Sperren“ als Leitlinie vorgibt.

Aber wahrscheinlich ist man noch nicht so bewandert in der neuen Oppositions-Rhetorik, wie die Taz heute berichtet:

Am Donnerstag sagte Dörmann der taz, „Löschen statt Sperren“ sei ein Versprecher gewesen, er könne sich durchaus noch an die frühere Haltung seiner Partei erinnern.

Es ist erfreulich, dass sich die SPD besinnt und nun gegen die Errichtung einer Netzzensur-Infrastruktur argumentiert. Die Glaubwürdigkeit in der Netzpolitik hat aber in den letzten großen Schaden genommen, weil man vor einem halben Jahr noch das Gegenteil abgestimmt hat. Die Zensursula-Debatte wird für lange Zeit der schwarze Fleck in der Geschichte der sozialdemokratischen Netzpolitik bleiben. Es wird nicht leicht für die SPD werden, diese Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen.

 

Warum reden hier immer alle von Freundschaft?

William Deresiewicz kommt in einem langen Essay für den Chronicle zu dem Schluss, dass soziale Netzwerke wie Facebook das Ende von Freundschaften bedeuten. Weil ihre digitale Variante viel zu leicht zu pflegen sei, keiner Mühe gegenseitiger Versicherungen und Dienste bedürfe, verkäme sie im Netz schnell zu einem bloßen Zeitvertreib.

Diese These entbehre nicht der schönen Gedanken, wie Kate Harding auf Broadsheet bei Salon.com bemerkt. Doch die Schlussfolgerung von Deresiewicz Analyse, die bei Achillis und Patroclus anfängt, sei dann doch ziemlich kurz gedacht und spekulativ.

Ich kann es nicht mehr hören: Man sollte vorsichtig sein mit seinen Facebook-Freundschaften. Man sollte seine Nacktbilder nicht jedem zeigen, der im Netz unterwegs ist. Man sollte auch den Ex-Freund nicht auf Facebook stalken, wenn man auf der anderen Seite nicht verkraften kann, wenn er mit der Nächsten chattet. Und schon gar sollte man nicht im Vollrausch ein Posting darüber verfassen, dass der Chef der größte Trottel der Firma ist, nicht einmal aus Wahrheitsliebe.

Jede Menge kluger Analysen wurden schon verfasst darüber, wie soziale Netzwerke den Begriff „Freund“ entwerteten und dass man Menschen, die dort Harakiri mit ihrer Privatssphäre begingen, vor sich selbst besser schützen müsse. Das stimmt natürlich. Aber gibt es wirklich einen Menchen, der glaubt, dass das reine Anklicken der Frage „Willst du mein Freund sein“ schon dazu führt, dass da künftig jemand ist, auf den man sich verlassen kann, wenn es brennt, und der für einen da ist, wenn man jemanden an seiner Seite braucht?

Wer kümmert sich eigentlich im analogen Leben um all die armen Seelen, die Freundschaft nicht von Bekanntschaft unterscheiden können, die sich auf Weihnachtsfeiern zum Löffel machen oder bei geöffnetem Fenster so laut und peinlich streiten, bis sie endlich bemerken, dass das Kichern aus der Nachbarwohnung ihren Worten gilt? Auch wenn Kinder auf dem Schulhof gequält und die Handybilder im Netz gezeigt werden – wer glaubt, Quälen und Netz hätten ursächlich miteinander zu tun und seien nicht in Wirklichkeit ein gesellschaftliches Phänomen, er pflegt lediglich eine schlecht verholene Technikfeindschaft.

Man sollte digitale Systeme ernst nehmen, zumal wenn wie auf Facebook so viele Menschen sie benutzen. Aber zwischenmenschliche Beziehungen sind weitaus komplexer, als dass sie sich mit ein paar Einstellungen bei Facebook zerstören oder befördern ließen.