Am Ostersonntag sprengte sich ein Selbstmordattentäter im pakistanischen Lahore in die Luft. Er hatte sich einen Spielplatz in dem populären Gulshan-e-Iqbal-Park ausgesucht. Im Park feierten viele Christen das Osterfest mit einem Picknick. Nur wenige Meter von den Schaukeln und Karussellen entfernt zündete der Angreifer eine 20-Kilo-Bombe. Mindestens 72 Menschen starben, darunter 35 Kinder. Mehr als 230 Menschen wurden verletzt. Der Attentäter war der 28-jährige Lehrer einer Koranschule. Die Organisation, die ihn geschickt hatte, ist eine Splittergruppe der pakistanischen Taliban. In einer Botschaft ließ sie keinen Zweifel über die Motive für den Anschlag: „Wir haben das Attentat begangen, weil wir Christen treffen wollten!“ Weiter„Ein Anschlag gegen Christen“
Die „Politik des „Durchwinkens“ hat eine Ende. Das erhöht den Druck auf Europa. Griechenland und Mazedonien bekommen ihn am deutlichsten zu spüren, weil Flüchtlinge und Migranten sich zu Tausenden an der Grenze zwischen beiden Ländern sammeln: Griechenland ist zum Staubecken für Menschenmassen geworden, Mazedonien zum Festungswall gegen sie. Beide haben sich diese Rolle nicht ausgesucht. Die EU hat sie ihnen zugeteilt.
Wie aber ist es um das Verhältnis der beiden Länder bestellt?
Woche für Woche ertrinken wir in einer Flut schlechter Nachrichten. Viele Menschen wenden sich von der Welt ab. Sie ertragen ihre Hässlichkeit nicht mehr. Sie fürchten sich vor ihren Gefahren. Medien tragen das Ihre dazu bei, das düstere Bild ins Unerträgliche zu steigern und das Gefährliche noch gefährlicher erscheinen zu lassen. Alles wird immerzu schlimmer. Das ist das Lebensgefühl, das sich breit macht.
Deswegen sollen an dieser Stellen gleich drei gute, relevante Nachrichten der vergangene Tage vermeldet werden.
Die Schweizer haben mit großer Mehrheit eine Initiative der Schweizer Volkspartei abgelehnt, wonach Ausländer auch bei Bagatelldelikten ausgewiesen werden sollten; die Iraner haben sehr zahlreich an den Parlamentswahlen teilgenommen und den Reformern den Rücken gestärkt; in Syrien ist die erste Waffenruhe seit in fünf Jahren eingetreten. Zugegeben, sie ist sehr wackelig, aber vielleicht ist es der Beginn des Endes der Schlächterei.
Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen den drei Ereignissen. Die Vernunft hat sich durchgesetzt.
Kaum aber ist dieser Satz hingeschrieben, zerbröselt einem regelrecht zwischen den Fingern. Nicht weil er falsch wäre, sondern weil er staubtrocken ist. Machen wir uns nichts vor. Wir können uns eine Welt ohne blutiges Drama nicht mehr recht vorstellen. Es ist, als sei sie von unserem Horizont verschwunden. Für das Gute fehlt uns die Vorstellungskraft.
Das hat seine guten Gründe. Die Utopien des zwanzigsten Jahrhunderts haben sich als Illusionen erwiesen. Wer sich heute noch eine ganz andere Welt entwerfen möchte, steht im Ruf, ein gefährlicher Naivling zu sein – ganz zu Recht. Die Welt neu erfinden zu wollen, das geht allzu oft mit Gewalt einher.
Aber wir sind schon so weit, dass wir das Wirken Vernunft für eine Utopie halten. Wir wollen ihr nicht mehr glauben, weil wir aller Illusionen beraubt sind. Deswegen geht es unter, wenn mal etwas Vernünftiges passiert, wie gerade eben in der Schweiz, im Iran und Syrien.
Seit Sommer 2015 redet ganz Europa von der Balkanroute – das wirft eine alte Frage auf: Wo beginnt eigentlich der Balkan?
Natürlich kann man dafür eine Landkarte bemühen. Die Geografie sollte doch eine Antwort geben. Doch auch sie ist nur eine Behauptung. Der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich (1773–1859), nach dem Ende Napoleons entscheidender Baumeister Europas, sagte etwa: „Der Balkan beginnt am Rennweg in Wien-Landstraße!“ – das ist ein Steinwurf von der Wiener Hofburg entfernt, wo österreichischen Kaiser und Kaiserinnen residierten. Weiter„Armer Balkan“
Eine grauer Himmel hängt über der serbischen Stadt Šid. Kalter Wind fegt über das flache Land. Die wenigen Passanten in den Straßen haben es eilig. Sie ziehen die Mantelkrägen hoch und laufen über die Bürgersteige, die an vielen Stellen aufgerissen sind. Šid wirkt wie eine sterbende Stadt. Im Bahnhof ist es feucht. Eine Gruppe junger Algerier harrt hier aus, wartet auf besseres Wetter und auf eine Chance, nach Kroatien zu kommen.
„Wohin wollt ihr?“
„Nach Frankreich!“, antwortet einer von ihnen.
„Aber warum geht ihr nicht direkt von Algerien nach Frankreich?“
„Das ist schwierig, hier ist es leichter“, sagt der junge Mann und denkt kurz nach. „Na, wir dachten, es sei leichter.“
Dann lacht er ein müdes Lachen.
„Und was wollt ihr in Frankreich machen?“
„Eine Frau heiraten!“, sagt der Mann und ruft dann laut in die leere, düstere Wartehalle des Bahnhofs hinein: „Une femme!“
Dann lachen alle zusammen. Ob sie es ernst meinen, das lässt sich in diesem Moment nicht sagen. Sie haben vielleicht von den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln gehört. Es ist also durchaus möglich, dass sie sich einen Scherz erlauben, indem sie laut ausrufen: „une femme!“. Vielleicht spielen sie mit den Ängsten der Nordeuropäer, vielleicht verspotten sie auf diese Art deren Angst. Es bleibt aber keine Zeit, sie zu fragen, ob sie über die Kölner Ereignisse überhaupt informiert sind und was sie darüber denken. Denn ganz plötzlich brechen sie auf, raffen ihre Habseligkeiten zusammen und laufen aus dem Bahnhof. Wohin? „Es gibt warmes Essen“, ruft einer, doch es ist schon später Nachmittag; vielleicht haben sie eine unerwartete Möglichkeit gefunden, weiterzufahren.
Dem Bahnhof gegenüber steht ein gründerzeitliches Gebäude, das von einem großen Gartengrundstück umgeben ist. Dort sind große, weiße Zelte errichtet worden, die Migranten und Flüchtlinge aufnehmen können. Die Zelte sind an diesem Tag halb leer. Am Vormittag soll ein Zug mit 2.000 Menschen den Bahnhof Richtung Kroatien verlassen haben. Das Haus hingegen ist voller Menschen. Viele von ihnen sind an der Grenze abgewiesen worden.
Ein serbischer Mitarbeiter der UNHCR geht durch die Flure des Hauses. Er ist ein großer, schlanker Mann, mit leicht vornübergebeugter Haltung. Seit zwanzig Jahren arbeitet der Mann, der seinen Namen nicht veröffentlicht wissen will, im Dienst des UNHCR. Er hat vieles gesehen, viel Leid und viel Hoffnung. Doch eine Massenwanderung dieser Art, „so viele Menschen in so kurzer Zeit“, hat er noch nie erlebt.
„Glauben sie, dass bald weniger Menschen kommen werden?“
„Das kann ich nicht sagen, es hängt von so vielen Faktoren ab, zu vielen. Es ist eine sehr komplexe Angelegenheit … .“
Er denkt kurz nach.
„Ich weiß aber, dass Europa sich zerlegen könnte. Das wäre eine große Katastrophe!“
Dann zieht er einen Vergleich zu dem Zerfall Jugoslawiens ins den neunziger Jahren.
„Ich bin in Jugoslawien aufgewachsen. Es war ein gutes Land. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es zerfällt. Niemals! Aber dann waren plötzlich die Nationalisten da und binnen kurzer Zeit brach alles zusammen!“
Das serbische Menschenrechtszentrum betreibt wenige Schritte vom Belgrader Bahnhof entfernt ein Büro. Flüchtlinge und Migranten erhalten hier Informationen über Schlafplätze, Essenausgaben, Transportmöglichkeiten und über andere Dinge, die ihnen helfen können. Vier Computer mit Internetverbindung stehen zur Verfügung. Meist bildet sich davor eine dichte Menschentraube. Die Migranten und Flüchtlinge werden hier unter anderem darüber aufgeklärt, dass sie in Serbien Asyl beantragen können. Das wollen aber die wenigsten. Deutschland bleibt das Ziel, auch wenn sich hier langsam herumspricht, dass es nicht mehr so einfach ist, dorthin zu kommen wie noch im vergangenen Sommer. Viele von ihnen sind hier stecken geblieben. Marokkaner und Algerier in erster Linie, aber es sind auch Pakistaner darunter und der eine oder andere Afghane, der nicht weiterkommt. Einige von ihnen haben schon versucht, nach Kroatien zu gelangen, sind aber gescheitert. Andere sind gerade erst in Belgrad angekommen und saugen begierig jede Information auf.
Am Rande der Europastraße E75, auf der griechischen Seite, kurz vor dem Grenzübergang Idomeni nach Mazedonien, steht ein mehrstöckiges Gebäude, das schon seit vielen Jahren leer steht. Die Fensterhöhlen sind schwarz, die Balkone zerbrochen, die Wände mit Löchern übersät, vor dem, was einmal der Haupteingang gewesen sein muss, wuchert dichtes Strauchwerk. Das Gebäude war gewiss mal ein Hotel, in dem Reisende übernachten konnten, bevor sie ihre Fahrt fortsetzten. Wenn sie nach Norden fuhren, ging es über Jugoslawien nach Westeuropa. Ja, sehr wahrscheinlich existierte Jugoslawien noch, als das Hotel in Betrieb war. Weiter„„Wir werden getötet und unsere Organe werden verkauft!““
Auf den Bahngeleisen am griechisch-mazedonischen Grenzübergang Idomeni lagerten bis vor wenigen Wochen noch Tausende Migranten. Sie warteten auf ihre Weiterreise in den Norden Europas, mitunter wochenlang. Mazedonien hatte einen vier Kilometer langen Stacheldrahtzaun errichtet und ließ nur Syrer, Afghanen und Iraker durch. Alle anderen blieben hier stecken. Es waren Tausende. Zelte, improvisierte Behausungen, frierende Menschen – die Bilder von Idomeni gingen um die Welt.
Jetzt sind die Bahngeleise frei, ab und zu fährt sogar ein Zug mit Güterwagen vorbei. Es kommen immer noch Tausende Migranten, aber sie müssen an einer Autobahnraststätte weiter im Inneren Griechenlands warten, bis sie in Begleitung der Polizei an den Grenzübergang gebracht und relativ schnell abgefertigt werden. Ob die Zahl der Migranten gesunken ist, kann keiner mit Sicherheit sagen. Sicher ist nur, dass sie immer noch sehr hoch ist. Und dass die Verhältnisse am Grenzübergang Idomeni heute etwas geordneter wirken.
Zu der neuen Ordnung gehört, dass der mazedonische Grenzzaun inzwischen auf 30 Kilometer verlängert worden ist. Und dass griechische Polizisten Präsenz zeigen. Bis vor wenigen Wochen waren sie hier nicht zu sehen. Jetzt sind einige Beamte hier und weisen die Migranten an, sich in Reihen aufzustellen bevor sie die letzten Schritte zur Grenze machen können.
Ein griechischer Polizist schaut auf die lange Menschenschlange. Es kommt zu einem Gespräch.
Polizist: „Was ist das?“
Ich: „Wie? Was ist das?“
Polizist: „Was ist das, was soll das? So viele Menschen.“
Ich: „Sagen Sie es mir, sie arbeiten hier als Polizist. Sie sind wahrscheinlich länger hier als ich.“
Polizist: „Was soll das? All diese Leute? Ihr braucht Arbeiter in Deutschland? Dann nehmt Rumänen, Bulgaren, nehmt doch Griechen. Die brauchen alle Arbeit. Aber das? Was ist das?“
Wieder schaut er auf die lange Menschenschlange und schüttelt den Kopf
Polizist: „Was soll das? Wer ist dafür verantwortlich?“
Ich: „Ich weiß nicht, wissen Sie es?“
Polizist: „Merkel, Hollande, Draghi.“
Ich: „Sie meinen, die sind verantwortlich?“
Polizist: „Hinter Merkel ist jemand, hinter allen diesen Politiker steht jemand. Ich weiß es!“
Ich: „Aber wer denn?“
Er schaut mich lange an und lächelt.
Polizist: „Ich weiß, wer.“
Ich: „Sagen Sie es mir: Wer?“
Polizist: „Sie wissen es auch!“
Ich: „Nein, ich weiß es nicht!“
Er lächelt wieder.
Polizist: „Doch, doch Sie wissen es. Wir beide wissen es. Ich muss es ihnen gar nicht sagen. Wir wissen es.“
Dann wendet er sich wieder seiner Arbeit zu und ruft den Migranten zu.
Der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth ist zu Besuch in Skopje. An der Universität stellt sich der SPD-Politiker der Diskussion mit den Studenten. Der Hörsaal ist gerammelt voll. Viele im Publikum haben an den Protesten gegen die Regierung teilgenommen, die im Frühjahr 2015 für internationales Aufsehen sorgten. Tausende Mazedonier gingen auf die Straße, um gegen Korruption und Misswirtschaft der Regierung zu protestieren. Mazedonien sei, so hieß es, vom ukrainischen Virus erfasst. Man glaubte, dass die Regierung vor dem Sturz stehe. Sie stürzte nicht, musste aber auf Druck der EU neue, sogenannte technische Minister ernennen, sie musste tiefgreifenden Reformen und vorgezogenen Wahlen zustimmen. Sie sollen am 24. April stattfinden. Weiter„„Wir lassen Sie nicht alleine!““
Die Mazedonier hätten es sich wohl nie träumen lassen, dass ihr Land eines Tages die Außengrenze der Europäischen Union bilden wird. Doch genau das scheint in diesen Tagen zu geschehen. Die EU droht damit, Griechenland aus dem Schengen-Verbund auszuschließen, weil es angeblich seinen Pflichten bei der Grenzkontrolle nicht nachkommt. Die nächste Grenze Richtung Norden ist die mazedonische. Hunderttausende haben sie seit Sommer 2015 überquert. Bisher relativ ungehindert. Doch auf Druck der EU macht das Nicht–EU-Mitglied Mazedonien den Grenzübertritt für Migranten immer schwerer.
Was ist das eigentlich für ein Staat, der hier zu einer Art unfreiwilligem Bollwerk der EU gegen die Migration werden soll?