Die Ereignisse in Afghanistan überschlagen sich. Da ist es gut, einen Augenblick inne zu halten, und sich zu vergegenwärtigen, was allein in den vergangenen Tagen passiert ist. Am Donnerstag, den 3. September, wurden Bilder von einer „Sex-Party“ in der US-Botschaft in Kabul öffentlich und brachten die Regierung in Washington in Verlegenheit. Am selben Tag schickte der Oberfehlshaber der Natotruppen, General Stanley McChrystal, einen Bericht nach Washington. Darin wird offenbar eine neue Afghanistanstrategie entworfen, die noch mehr Truppen benötigt. Im Zentrum dieser Strategie steht der Schutz der afghanischen Bevölkerung, vor den Taliban aber auch vor Nato-Soldaten, insbesondere vor Luftangriffen. In der Nacht zum Freitag, den 5. September, forderte die deutsche Bundeswehr Luftunterstützung an. Zwischen 50 und 125 Menschen sollen gestorben sein, davon viele Zivilisten. Gleichzeitig werden immer noch die Wählerstimmen der Präsidentschaftswahlen vom 20. August ausgezählt – wobei immer massiver Wahlfälschungen zu erkennen sind.
Die Folter ist eine Thema, das uns noch lange begleiten wird. Einer der Journalisten, der sich damit ebenso umfassend wie brillant beschäftigt hat, ist Mark Danner. Ich empfehle seinen Essay , den er auf der Grundlage des IKRK Berichts über die Behandlung von 14 Häftlingen, die in dei Hände der CIA geraten waren, geschrieben hat. Darin steht zu lesen: „Unter der Führung des Präsidenten (George W. Bush Anm. d. A.) und seiner engsten Berater vollzogen die Vereinigten Staaten von Amerika die Wandlung von einem Land, das zumindest offiziell die Folter verurteilte zu einem Land, dass sie praktizierte. Und diese verhängnisvolle Entscheidung wird nicht verschwinden, so sehr wir uns das auch wünschen, genauso wie auch die vierzehn „besonders wertvollen Gefangenen,“ gefoltert und daher nicht gerichtlich verfolgbar, nicht verschwinden werden. Wie die grotesken Schilderungen im IKRK-Bericht liegt diese Entscheidung vor uns, als eine giftige Tatsache, die unser politisches und moralisches Leben verseucht.“
Danner hat recht: Das Problem wird nicht verschwinden, aber nicht nur wegen der Entscheidungen von George W. Bush.
Auch Barack Obama wird sich die Fragen stellen, wie man am besten gegen den Terror kämpft. Ein australischer Offizier David Kilcullen gilt derzeit als einer zentralen Strategen für den Kampf gegen den Terror. Sein Buch „Accidental Guerrilla“ ist die neue Bibel der Anti-Aufstands-Krieger. 2006 schrieb George Packer ein Portrait über Kilcullen. Darin sagt Kilcullen über den harten Kern Al Kaidas: “They’re so committed you’ve got to destroy them. But you’ve got to do it in such a way that you don’t create new terrorists“
Ich würde mich nicht wundern, wenn diese Männer „befragt“ werden, bevor sie – wie Kilcullen sagt – „zerstört“ werden. Und die Befragung dürfte nicht zimperlich sein.
Us-Präsident Barack Obama hat den Afghanistankrieg zu seinem Krieg gemacht. Er nennt ihn einen „war of necessity“, im Gegensatz zu Irakkrieg, der für ihn ein „war of choice“ ist. Eine seiner ersten außenpolitischen Amtshandlungen bestand folgerichtig darin, 17.000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Das ist gerade mal drei Monate her. Jetzt fordert Admiral Mullen, der höchste Militär der USA, eine weitere Aufstockung der Truppen. Der Befehlshaber der Nato-Truppen in Afghanistan, Stanley McChristal, wird in wenigen Tagen einen neuen Bericht vorlegen. Es wird erwartet, dass er noch mal 17.000 Truppen für Afghanistan anfordert wird. Obama wird sie ihm nicht verwehren, zu sehr hat diesen Krieg zu seinem eigenen gemacht . Der US–Präsident wird sich also weiter in einen Sumpf hineinbegeben, in dem er zu versinken droht. Auch Zeitschriften, die den Krieg befürworten, sehen inzwischen Parallelen zum Vietnamkrieg.
Das betrifft auch die Deutschen. Die Forderung nach mehr Truppen soll Berlin schon erreicht haben – noch ist Wahlkampf, und wollen die Parteien nicht über Afghanistan reden. Doch nach geschlagener Wahl wird es ernst. Deutschland wird endlich darüber diskutieren müssen, was es in Afghanistan eigentlich erreichen will und kann.
Einen zentralen Baustein in der Afghanistanstrategie des Westens nimmt der Aufbau einer schlagkräftigen Armee (Afghan National Army; ANA) ein. Das gezeigte Bild stammt von einem Truppenübungsplatz der ANA im zentralen Hochland.
Die Bundesregierung möchte über Afghanistan am liebsten gar nicht reden, doch das Thema kocht hoch. Immer offener wird über einer Rückzug der Nato aus Afghanistan debattiert. Dabei entbrennt eine Debatte über die Menschenrechte. Der Erfolgsautor David Maria Precht meint : „Der Kampf für die Menschenrechte ist die Blaue Blume der linken Romantik“die Blaue Blume der linken Romantik“. Die Schriftstellerin, Tanja Dückers, hält dagegen: „Menschenrechte sind keine Ansichtssache. Sie sind universell“
Über Menschenrechte und Afghanistan hat sich bereits Mortirmer Durand, der sich 1893 nach Kabul aufmachte, Gedanken machen müssen. Die britische Regierung gab ihm dem Auftrag, neben vielen anderen Dingen,mit dem Emir Abdurrahman auch über die Besorgnis erregende Lage der Menschenrechte in Afghanistan zu sprechen. Abdurrahman galt als ein ebenso erfolgreicher wie barbarischer Herrscher.
In seinem Abschlussbericht an die britischer Regierung schreibt Durand: „In the matter of his barbarities he is unapproachable. He says the Afghans are not Englishmen, which ist quite true, and that he must make examples or he will have disorder all over the country. He regards any remonstrance on this subject as an interference with his internal affairs, and resents them accordingly. Nevertheless, I find he has been more careful of late years (…) He knows what our views are, an probably pays some attention to them, but he will make no promises“
Immer wieder und immer drängender stellt sich die Frage, wie lange die Nato mit ihren Soldaten in Afghanistan bleiben sollen. 40 Jahre – das ist bisher der Rekord unter den vielen Schätzungen zur Dauer des Afghanistaneinsatzes. Keine deutscher Politiker will sich auf eine Jahreszahl einlassen. Die Kanzlerin spricht gebetsmühlenartig von selbstragender Sicherheit in Afghanistan. Mit anderen Worten: Wenn Afghanistan einmal über eine effiziente Polizei und eine schlagkräftige Armee verfügen wird, dann könnte man abziehen. Wann das sein wird? Darauf gibt es keine Antwort.
Über die Qualität afghanischer Soldaten schrieb Mortimer Durand 1893, der das Land besuchte: „It need hardly be said that, from an Englisch point of view, Afghan troops are not smart. If you speak to an officer, the men within hearing will freely join in the conversation. When escorting you along the road, men will fall out as they please to chat with a friend or to say their prayers. A guard, if taken by surprise, would often turn out and present arms with their rifles still in their covers. The sentries would fall into various easy and picturesque attitudes, putting down their rifles, if it was cold, to warm their hands over a fire, or, in the Jalalabad valley when the sun was hot, slinging rifles over their backs and opening an umbrealls. Nevertheless, the Afghan troops, so far as I could judge, seemed to be very good material: they are strong an healthy, and I should say capable of enduring great privations“ (zitiert aus. Sir H.M- Durand, to W. J. Cunningham, Foreign Departmenet, Calcutta, the 20th December 1893)
zur Illustration der vom imperialen Dukuts getragenen Beschreibung Durands:
Viel Zeit bleibt US–Präsident Barack Obama nicht, um den Krieg in Afghanistan einen Wende zu geben. Nach neuesten Umfragen ist zum ersten Mal eine Mehrheit der Amerikaner für einen Abzug der Truppen aus Afghanistan. Auch eine Mehrheit der Briten (52%) denkt inzwischen, man müsse sich aus Afghanistan zurückziehen. Die Briten sind die engsten Verbündeten der USA in Afghanistan. In Deutschland ist die öffentliche Meinung eindeutig für einen Rückzug. Und nach und nach bröckelt auch auf höchster politischer Ebene die bislang geschlossene Front der Befürworter des Krieges.
Ohne den Rückhalt in den Heimatländern ist der Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen. Und Barack Obama wird es noch bitter bereuen, dass er sich den Afghanistankrieg im Gegensatz zum Irakkrieg zu eigen gemacht hat.
Afghanistan wählt einen neuen Präsidenten. Das ist eine gute Nachricht, wenn man bedenkt, dass in diesem Land noch vor sieben Jahren die Taliban herrschten. Sie wollten weder von Menschenrechten noch vom Rechtsstaat oder Demokratie etwas wissen. Es gab unter der Herrschaft keine Wahl für die Afghanen. Nur Gehorsam oder den Tod. Insofern ist der heutige Tag ein Fortschritt.
Die schlechte Nachricht allerdings ist, dass diese Wahlen weder ganz fair noch ganz frei und auch nicht ganz geheim sein werden. Gut, sagen sich alle: Afghanistan ist eben Afghanistan und nicht Europa. Da dürfe man das nicht so streng sehen. Eine bisschen schummeln, das sei nicht schön, aber alles in allem eine lässliche Sünde.
Nun, das ist freilich eine Illusion… weiter geht es bei ZEIT online