Lesezeichen
 

Reisenotizen Kabul, vier

Ballon
@Ulrich Ladurner, Kabul, September 2009

Das ist eine Aufklärungsballon der US-Armee, der seit rund vier Wochen über dem Stadtzentrum von Kabul schwebt. Angeblich ist er mit vierzehn Kameras ausgestattet. Die US-Armee hat ein Auge darauf, dass die Menschen in Kabul auf keine falschen Gedanken kommen.

Wenn die Kameras richtig scharf gestellt sind, dann könnten sie nicht nur Taliban sehen, die in die Stadt einsickern, sondern auch wie die zehnjährige Fazila in Kabuler Sportzentrum Skateboard fährt:

Skatestan
@Ulrich Ladurner, Kabul, September 2009

oder der Mauer Basir eine Madrassa in der Altstadt von Kabul wieder in Stand setzt:

Arbeiter

Und die Frage, die sich stellt, ist ob der Arbeiter Basir und das Mädchen Fazila tun könnten, was sie tun, wenn es diesen Ballon nicht gäbe.

„Sicher nicht“, antworten bestimmt die US-Offiziere, die den Ballon in den Himmel über Kabul schweben lassen. Nur weil wir ein wachsames Auge haben, nur weil wir Soldaten im Land haben, die bereit sind zu kämpfen, können Fazila Skateboard fahren, und Basir seiner Arbeit nachgehen. Die Afghanen, das ist die Botschaft, brauchen uns und unsere militärischen Möglichkeiten.

Stimmt das, oder stimmt es nicht?

Im übrigen ist noch eines wichtig zu wissen: Solche Aufklärungsballons schweben schon seit geraumer Zeit über den Gazastreifen.

 

Reisenotizen Kabul, drei

Afghanfilm
@Ladurner Ulrich, Kabul, September 2009

Das ist Herr Sultan Istalifi. Er ist Laborchef bei den Filmstudios von Afghan-Films in Kabul. In den Studios wird seit Jahren nicht mehr gearbeitet, weil die Maschinen beschädigt sind. Im Prinzip aber könnten hier Schwarz-Weiß-Filme produziert werden.

Als ich Herrn Sultan Istalifi bitte, sich an die Filmdruckmaschine zu stellen, damit ich ein Foto machen kann, sagt er trocken: „Ich habe schon einmal genau hier für ein Foto posiert. Das war vor vierzig Jahren. Damals kamen die Maschinen gerade aus Amerika. Die Amerikaner wollten eine Erinnerung haben“

Vierzig Jahre später, dasselbe Erlebnnis. Die Maschine sieht tadellos aus, Herr Istalifi auch, nur ist er etwas grauer und schmächtiger geworden, und die Maschine wird, wenn man sie einschaltet, von einem Husten geschüttelt, aber ansonsten ist sie immer noch kräftig gebaut.

Afghanfilm2
@Ladurner Ulrich, Kabul, September 2009

 

Reisenotizen Kabul, zwei

Als das Goetheinstitut in Kabul eine Fotoaustellung organisierte suchte es nach einem Titel. Es gab eine lange und leidenschaftliche Diskussion zwischen den Fotografen und den Organisatoren. Heraus kam das:

Nichts, nirgendwo
Fotoaustellung im Goetheinstitut Kabul @Ladurner Ulrich, Kabul, September 2009

 

Reisenotizen aus Kabul, eins

Heute morgen bin ich in Kabul gelandet, mit Safi-Airways. Die Linie bietet eine Direktflug aus Frankfurt an. Es ist der dritte Tag des Eid-Festes, das den Fastenmonat Ramadan beschließt. Die Straßen sind „sonntäglich“ ruhig. Auf dem Weg in das Zentrum passieren wir die Stelle an der am Freitag vergangener Woche sich ein Attentäter in die Luft sprengte und sechs italienische Soldaten und zehn afghanischen Zivilisten tötete. Der Krater im Asphalt ist provisorisch mit Kies zugeschüttet. Ansonsten erinnert nichts mehr an die Tat, vielleicht noch die zahlreichen Uniformierten, die am Wegesrand ihre Waffen zeigen.
Vom Ort des Anschlags sind es nur wenige Meter zu dem Massud-Kreisel. Das ist ein Platz, dessen Geschichte der viel sagt über die politische Lage in Afghanistan. In der Mitte des Kreisels steht eine Säule, die einem Obelisk ähnelt. Sie ist Schah Achmad Massud gewidmet, dem tadschikischen Krieger aus dem Panschirtal. Achmad Massud galt als „unbesiegbar“. Weder die Rote Armee noch die Taliban konnten ihn besiegen und sein Panschirtal unter Kontrolle bringen. Dieses Tal liegt ungefähr eine Autostunde von Kabul entfernt. Man erreicht es nur über einen engen, schluchtartigen Zugang, durch den der Fluß Panschir braust.
Massud kam am 9. September 2011 durch eine Attentat ums Leben, wahrscheinlich hatte Al Kaida-Chef, Osama bin Laden, den Auftrag gegeben. Zwei Tage später krachten die Zwillingstürme des World Trade Center zusammen. Massud galt vielen im Westen, insbesondere in Frankreich, als der „gute“ Kriegsherr. Dabei waren seine Männer genauso grausam wie die der anderen Kriegsherren. Doch Massud diente als Projektionsfläche aller möglichen westlichen Sehnsüchte.

Nachdem die Taliban im Herbst 2001 überstürzt Kabul verließen, kamen die Panschiris, die Teil der siegreichen Nordallianz waren, in die Stadt und besetzten in Windeseile die Schaltstellen der Macht. Die Panschiris versuchten Massud als afghanischen Nationalhelden sowie als Helden im Kampf gegen den Al Kaida Terror zu stilisieren. Der Obelisk am Massud-Kreisel ist ein Produkt dieser Mythisierung – allerdings glaube ich nicht, dass sie viel Erfolg hatte. Die Afghanen – insbesondere die Bewohner Kabul – wissen nur zu genau um die Verbrechen, welcher sich die Männer Massud während des Bürgerkrieges der achtziger Jahre schuldig gemacht haben.

 

Auch Italien wankt in Afghanistan

Am Freitag tötete eine Selbstmordattentäter sechs italienische Soldaten. Das führt in Italien zu einer Abzugsdebatte. . Staatspräsident Napolitano sagt: „Es ändert sich nichts!“ Doch Ministerpräsident Silvio Berlusconi spricht von einer „transition strategy“ – Berlusconi sagt zwar, dass sei keine „exit strategy“, doch das dürfte nur ein kleiner semantischer Trick sein, um den Abzugswillen zu kaschieren.

 

Mission Creep als Geschäft

Mission Creep ist schwer zu übersetzen, aber heißt soviel wie: Man zieht mit einem Auftrag los und verliert sich im Gelände, man wird aufgesogen in eine fremdes Territorium, man bleibt stecken, man kommt nicht mehr vor und nicht mehr zurück, ganz egal, wieviel Kraft man aufwendet.

Mission Creep ist die Gefahr, die der Nato und ihrer Führungsmacht in Afghanistan droht.

Mission Creep lässt sich in Zahlen ausdrücken:

2002 gab es 500 US-Soldaten in Afghanistan, heute sind es 67.000;

2o02 gaben die USA 20 Milliarden Dollar im Jahr für den Krieg in Afghanistan aus, 2009 waren es mehr als 60 Milliarden

2002 starben 49 US-Soldaten in Afghanistan, im Jahr 2009 waren es 183 bis zum 1. September 18

Mission Creep ist allerdings auch ein riesiges Geschäft für private Sicherheitsfirmen ein. In Afghanistan gibt es heute mehr Angestellte privater Sicherheitsfirmen als US-Soldaten, nämlich  74.000 versus 58.000 Soldaten (Stand 30. Juni 2209)

 

Klientelstaat Afghanistan

Afghangardesoldaten
Fesche afghanische Soldaten@Ladurner Ulrich, Kabul, 2008

Außenminister und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hat einen Abzugsplan aus Afghanistan vorgeschlagen. Einer der zentralen Punkte darin ist der Aufbau eine schlagkräftigene Armee. Das ist ein teures Unterfangen. Der Plan der Nato sieht vor, dass die Afghan National Army bis zum Jahr 2014 aus 134.000 Soldaten bestehen soll. Die Ausbildung, Ausrüstung und Bezahlung dieser Soldaten soll zwischen 2010 und 2014 geschätze 17 Milliarden Dollar kosten. Die afghanische Regierung wird dieser Gelder mit Sicherheit nicht aufbringen können. Sie nahm im Jahr 2008 890 Millionen Dollar ein.

Mit anderen Worten: Ein sicheres Afghanistan wird ein Klientelstaat des Westens bleiben.

 

Wie viel Angst macht al Qaida?

Der Auslandseinsatz in Afghanistan wird mit der Gefahr begründet, die von Al Qaida ausgeht. Geht die Nato raus, kommt al Qaida rein, ist Al Qaida drin kommt eine zweiter 11. September und noch schlimmeres. Das ist die Domiontheorie.
Deswegen hat es mich erstaunt, dass anlässlich acht Jahre 11. September in der Presse so wenige Geschichten über al Qaida erschienen sind (Kann allerdings sein, dass ich sie überlesen habe) Die naheliegende Frage stellte dankenswerterweise die französische Tageszeitung Le Monde: „Macht Al Qaida acht Jahre nach dem 11. September immer noch Angst?“ Diese enquete von Le Monde ist absolut lesenswert.

 

Achse Karzai-Taliban?

Die Wahlen in Afghanistan sind massiv gefälscht worden. Darüber besteht kein Zweifel mehr. Die Verantwortlichen dafür befinden sich im Lager des amtierenden Präsidenten Hamid Karzai.

Viele Wahlstationen, die von der Beschwerdekommission der UN beanstandet werden, befinden sich in Gebieten, die unter der Kontrolle der Taliban sind. Mit anderen Worten: Haben Karzais Leute nur „fälschen“ können, weil die Taliban eine Auge zudrückten? Und wenn das stimmt, ergibt sich die Frage:

Was erwarten sich die Taliban im Gegenzug dafür? Was wird Karzai ihnen geben können?

Hier eine kleines Gedankenexperiment:

Seit die USA sich von Karzai distanzieren, schlägt dieser immer stärker antiamerikanische Töne an.  Karzai behauptet, dass die USA ihn loshaben möchten, weil er immer wieder die zivilen Opfer des Krieges beklagte und gegen das Vorgehen der Nato protestierte.

Karzai übt sich ein in einen scharfen rethorischen Antiamerikanismus. Damit kann er unter Umständen in der eigenen  Bevölkerung punkten.  Die Taliban finden gewiss Gefallen an dieser Sprache – denn sie passt der Sprache an, die sie selber sprechen.

Was würde geschehen, wenn Karzai morgen plötzlich mit Blick auf die Nato nicht mehr von Befreiern sondern von Besatzer reden würde, weil er glaubt, er könne damit sein politisches Überleben sichern? Kann er sein, dass er irgendwann die xenophobe Sprache der Taliban übernimmt? Ist ihm das zuzutrauen? Die Frage muss man sich zumindest stellen.