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Auch Italien wankt in Afghanistan

Am Freitag tötete eine Selbstmordattentäter sechs italienische Soldaten. Das führt in Italien zu einer Abzugsdebatte. . Staatspräsident Napolitano sagt: „Es ändert sich nichts!“ Doch Ministerpräsident Silvio Berlusconi spricht von einer „transition strategy“ – Berlusconi sagt zwar, dass sei keine „exit strategy“, doch das dürfte nur ein kleiner semantischer Trick sein, um den Abzugswillen zu kaschieren.

 

Mission Creep als Geschäft

Mission Creep ist schwer zu übersetzen, aber heißt soviel wie: Man zieht mit einem Auftrag los und verliert sich im Gelände, man wird aufgesogen in eine fremdes Territorium, man bleibt stecken, man kommt nicht mehr vor und nicht mehr zurück, ganz egal, wieviel Kraft man aufwendet.

Mission Creep ist die Gefahr, die der Nato und ihrer Führungsmacht in Afghanistan droht.

Mission Creep lässt sich in Zahlen ausdrücken:

2002 gab es 500 US-Soldaten in Afghanistan, heute sind es 67.000;

2o02 gaben die USA 20 Milliarden Dollar im Jahr für den Krieg in Afghanistan aus, 2009 waren es mehr als 60 Milliarden

2002 starben 49 US-Soldaten in Afghanistan, im Jahr 2009 waren es 183 bis zum 1. September 18

Mission Creep ist allerdings auch ein riesiges Geschäft für private Sicherheitsfirmen ein. In Afghanistan gibt es heute mehr Angestellte privater Sicherheitsfirmen als US-Soldaten, nämlich  74.000 versus 58.000 Soldaten (Stand 30. Juni 2209)

 

Klientelstaat Afghanistan

Afghangardesoldaten
Fesche afghanische Soldaten@Ladurner Ulrich, Kabul, 2008

Außenminister und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hat einen Abzugsplan aus Afghanistan vorgeschlagen. Einer der zentralen Punkte darin ist der Aufbau eine schlagkräftigene Armee. Das ist ein teures Unterfangen. Der Plan der Nato sieht vor, dass die Afghan National Army bis zum Jahr 2014 aus 134.000 Soldaten bestehen soll. Die Ausbildung, Ausrüstung und Bezahlung dieser Soldaten soll zwischen 2010 und 2014 geschätze 17 Milliarden Dollar kosten. Die afghanische Regierung wird dieser Gelder mit Sicherheit nicht aufbringen können. Sie nahm im Jahr 2008 890 Millionen Dollar ein.

Mit anderen Worten: Ein sicheres Afghanistan wird ein Klientelstaat des Westens bleiben.

 

Achse Karzai-Taliban?

Die Wahlen in Afghanistan sind massiv gefälscht worden. Darüber besteht kein Zweifel mehr. Die Verantwortlichen dafür befinden sich im Lager des amtierenden Präsidenten Hamid Karzai.

Viele Wahlstationen, die von der Beschwerdekommission der UN beanstandet werden, befinden sich in Gebieten, die unter der Kontrolle der Taliban sind. Mit anderen Worten: Haben Karzais Leute nur „fälschen“ können, weil die Taliban eine Auge zudrückten? Und wenn das stimmt, ergibt sich die Frage:

Was erwarten sich die Taliban im Gegenzug dafür? Was wird Karzai ihnen geben können?

Hier eine kleines Gedankenexperiment:

Seit die USA sich von Karzai distanzieren, schlägt dieser immer stärker antiamerikanische Töne an.  Karzai behauptet, dass die USA ihn loshaben möchten, weil er immer wieder die zivilen Opfer des Krieges beklagte und gegen das Vorgehen der Nato protestierte.

Karzai übt sich ein in einen scharfen rethorischen Antiamerikanismus. Damit kann er unter Umständen in der eigenen  Bevölkerung punkten.  Die Taliban finden gewiss Gefallen an dieser Sprache – denn sie passt der Sprache an, die sie selber sprechen.

Was würde geschehen, wenn Karzai morgen plötzlich mit Blick auf die Nato nicht mehr von Befreiern sondern von Besatzer reden würde, weil er glaubt, er könne damit sein politisches Überleben sichern? Kann er sein, dass er irgendwann die xenophobe Sprache der Taliban übernimmt? Ist ihm das zuzutrauen? Die Frage muss man sich zumindest stellen.

 

Befreier? Besatzer?

Was ist die Nato eigentlich: Ein Besatzer oder ein Befreier?  

Außenminister Steinmeier sagte: „Wir sind in Afghanistan nicht zum Selbstzweck und wir sind keine Besatzungsmacht“

Aber wer bestimmt darüber, wer Befreier ist oder Besatzer? Wer hat die Definitionsmacht? Die Nato oder die Afghanen? 

 

Bomber
F !6 Kampfbomber der Nato in der Militärbasis Kandahar @Ulrich Ladurner, Kandahar, 2008

 

 

Eine Lanze für die Bundeswehr

Sechs Jahre lange herrschte in der Region Kundus Ruhe. Dass der Norden Afghanistans nun unsicher wurde, ist auch die Schuld der Nato, die den Süden nicht befrieden konnte … mehr bei ZEIT online

Was ausländischen Truppen drohen kann, davon bekommt man im Bazar von Kabul eine Ahnung.

Haken
Fleischerhaken im Bazar von Kabul@Ulrich Ladurner, Kabul, 2008

 

Der Schwachpunkt

Der von der Bundeswehr befohlene Luftangriff in Kundus, offenbart einen Schwachpunkt der Kriegführung in Afghanistan: Die Nato ist äußerst abhängig von ihren Informanten. Und diese haben mitunter ganz eigene, ihren Auftraggebern zu wider handelnden Interessen.

In Kundus war es offenbar nicht der Fall, doch grundsätzlich können die Bomber der Nato manipuliert werden. Allein das macht ihren Einsatz schon sehr problematisch.

 

Schwere Zeiten

Die Ereignisse in Afghanistan überschlagen sich. Da ist es gut, einen Augenblick inne zu halten, und sich zu vergegenwärtigen, was allein in den vergangenen Tagen passiert ist. Am Donnerstag, den 3. September, wurden Bilder von einer „Sex-Party“ in der US-Botschaft in Kabul öffentlich und brachten die Regierung in Washington in Verlegenheit.  Am selben Tag schickte der Oberfehlshaber der  Natotruppen, General Stanley McChrystal, einen Bericht nach Washington. Darin wird offenbar eine neue Afghanistanstrategie entworfen, die noch mehr Truppen benötigt. Im Zentrum dieser Strategie steht der Schutz der afghanischen Bevölkerung, vor den Taliban aber auch vor Nato-Soldaten, insbesondere vor Luftangriffen. In der Nacht zum Freitag, den 5. September, forderte die deutsche Bundeswehr Luftunterstützung an. Zwischen 50 und 125 Menschen sollen gestorben sein, davon viele Zivilisten. Gleichzeitig werden immer noch die Wählerstimmen der Präsidentschaftswahlen vom 20. August ausgezählt – wobei immer massiver Wahlfälschungen zu erkennen sind.

 

Folter

Die Folter ist eine Thema, das uns noch lange begleiten wird. Einer der Journalisten, der sich damit ebenso umfassend wie brillant beschäftigt hat, ist Mark Danner. Ich empfehle seinen Essay , den er auf der Grundlage des IKRK Berichts über die Behandlung von 14 Häftlingen, die in dei Hände der CIA geraten waren, geschrieben hat. Darin steht zu lesen: „Unter der Führung des Präsidenten (George W. Bush Anm. d. A.) und seiner engsten Berater vollzogen die Vereinigten Staaten von Amerika die Wandlung von einem Land, das zumindest offiziell die Folter verurteilte zu einem Land, dass sie praktizierte. Und diese verhängnisvolle Entscheidung wird nicht verschwinden, so sehr wir uns das auch wünschen, genauso wie auch die vierzehn „besonders wertvollen Gefangenen,“ gefoltert und daher nicht gerichtlich verfolgbar, nicht verschwinden werden. Wie die grotesken Schilderungen im IKRK-Bericht liegt diese Entscheidung vor uns, als eine giftige Tatsache, die unser politisches und moralisches Leben verseucht.“

Danner hat recht: Das Problem wird nicht verschwinden, aber nicht nur wegen der Entscheidungen von George W. Bush.

Auch Barack Obama wird sich die Fragen stellen, wie man am besten gegen den Terror kämpft. Ein australischer Offizier David Kilcullen gilt derzeit als einer zentralen Strategen für den Kampf gegen den Terror. Sein Buch „Accidental Guerrilla“ ist die neue Bibel der Anti-Aufstands-Krieger. 2006 schrieb George Packer ein Portrait über Kilcullen. Darin sagt Kilcullen über den harten Kern Al Kaidas: “They’re so committed you’ve got to destroy them. But you’ve got to do it in such a way that you don’t create new terrorists“

Ich würde mich nicht wundern, wenn diese Männer „befragt“ werden, bevor sie – wie Kilcullen sagt – „zerstört“ werden. Und die Befragung dürfte nicht zimperlich sein.