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Griechisches Drama in Bad Harzburg

Die Griechen bereiten dem Rest der Europäer ziemliche Kopfschmerzen. Zuerst schummeln sie sich mit Hilfe einer amerikanischen Bank in den Euro, dann häufen sie so viele  Schulden an, dass  eben dieser Euro vor den ungläubigen Augen der anderen Europäer zu zerbröseln beginnt wie ein mürber Kuchen. Die griechische Misere ist deshalb auch eine deutsche.

Wer das nicht glaubt, sollte einen Abstecher in die schöne, ruhige, stille, tief verschneite, bei Nacht dunkle, bei Tag grauhelle deutsche Stadt Bad Harzburg machen, die nach Auskunft des Tourismusbüros im Sommer geradezu mediterran sein soll, aber jetzt ist nicht Sommer, sondern tiefster, eisiger Winter. Der Bahnhof Bad Harzburgs ist klein und doch auf eine seltsame Weise prächtig, mit bemalten bunten Glasfenstern und einem ebenso bunten Kiosk, der alle Zeitungen dieser Welt zu verkaufen scheint, selbst die Goslarsche Zeitung, das Lokalblatt. Die Hauptstrasse führt vom Bahnhof leicht ansteigend an munteren Geschäften vorbei, die selbst in winterdunkler Nacht ihre strahlende Gelassenheit nicht verlieren. Und da waren sie, die Griechen. In weniger als zehn Minuten kam ich an vier griechischen Restaurants vorbei. Hellas, Artemis, Ilias, Olympia. ­Es kann auch sein, dass sie Artemis, Odysseus, Ilias und Kreta heißen. Daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Doch ich sah hinter den Fenstern viele griechische Statuen, bemalte Vasen, Säulen, Friese, Muscheln, Fischernetze, Anglerhaken und was sonst griechische Restaurantbesitzer für griechisch halten. Die gesamte griechische Klassik, unser zivilisatorisches Gen, war schamlos ausgestellt. Als ich mich an den Fenstern der Ilias vorbeugte, um eine halbnackte Griechin aus Gips zu betrachten, da schien mir, als ginge ein Schauer über ihren Rücken, sie zitterte und bebte. Sie fürchtete sich wohl vor der Kälte draußen, oder die Wut packte sie bei dem Gedanken an ihren griechischen Herren, der sie an dieses Fenster zwang, wo sie immerzu auf Bad Harzburg schauen muss und auf das gegenüberliegende Restaurant Hellas, wo ihr Widerpart hinter dem Fenster stand, eine ebenso schlanke, gipserne Griechin mit totenbleichen Gesicht.

 

Reisenotizen Kabul, neun

Garten2
Wärter im Garten Baburs@Ladurner Ulrich, Kabul, Oktober 2009

Als der erste Mogulherrscher Babur 1530 im indischen Agra starb, wünschte er sich nichts mehr als in Kabul begraben zu liegen, der Stadt, die er wegen seiner Schönheit über alles liebte. Die Leiche Baburs wurde 1544 aus Indien überführt und seither liegt sie hier begraben, unter einem schlichten Stein aus Marmor, in dem riesigen Garten, der sanft zur Stadt hin abfällt und den Babur selbst angelegt hatte, als ein Abbild des Paradieses. Es ist gut über Baburs Garten zu sprechen, wenn immerzu nur vom Krieg die Rede ist, von Bombenangriffen, Selbstmordattentaten und all dem anderen blutigen Geschäft. Baburs Garten schenkt den Afghanen das Gefühl, dass das Leben auch was anderes zu bieten hat als den Schrecken, den sie seit Jahrzehnten gewohnt sind. Er schenkt ihnen eine Form Sicherheit, die ihnen Waffen nie geben könnten. Auf diesem Gedanken fußt die Arbeit der Agha Khan Stiftung, die sich seit 2002 – unterstützt mit Geldern des Deutschen Außenministerium – um die Renovierung des arg in Mitleidenschaft gezogenen Gartens kümmert – erst vor kurzem ist er den Afghanen zur Verwaltung übergeben worden. Jetzt müssen sie sehen, dass sie dieses Juwel bewahren können. Wer nach Kabul kommt, hat Bilder im Kopf von kriegerischen, wilden Afghanen, den unbezähmbaren Stämmen, die sich wieder daran machen, den letzten Besatzer ihres Landes, die Nato, aus dem Land zu werfen. In Baburs Garten aber liegen die wilden Männer im Gras, lachen, tratschen, zwitschern wie die Vögel in den Bäumen, grüßen und wild an ihnen ist nur die Lust am Leben, und manchmal natürlich auch die Art wie sie ihren Müll entsorgen, nämlich gar nicht. Doch Wächter sind schnell zur Stelle, streng achten sie darauf, dass der Garten sauber bleibt. Der Ehrgeiz mit dem sie zu Werke gehen, ist nicht zu übersehen, selbst der Mann am Schalter, wirkt so feierlich ernst als würde er Karten für die Pariser Oper verkaufen. Baburs Garten ist ein Spiegel. Er vergibt den Afghanen keine Unzulänglichkeiten, und er beschenkt sie mit der Gewissheit, dass sie selbst in der Lage sind, sich das Schönste zu bewahren. Das macht sie sicher.

 

Reisenotizen Kabul, sechs

Wiederaufbau klingt nüchtern, langweilig und mühsam. Aber Wiederaufbau fördert mitunter ganz Wunderbares zu Tage Diese Holzfiguren aus der afghanischen Proviz Nuristan zum Beispiel. Sie stehen im afghanischen Nationalmuseum in Kabul

Holzfiguren, kabul
Holzfiguren aus Nuristan@Ulrich Ladurner, Kabul, Oktober 2009

 

Reisenotizen Kabul, vier

Ballon
@Ulrich Ladurner, Kabul, September 2009

Das ist eine Aufklärungsballon der US-Armee, der seit rund vier Wochen über dem Stadtzentrum von Kabul schwebt. Angeblich ist er mit vierzehn Kameras ausgestattet. Die US-Armee hat ein Auge darauf, dass die Menschen in Kabul auf keine falschen Gedanken kommen.

Wenn die Kameras richtig scharf gestellt sind, dann könnten sie nicht nur Taliban sehen, die in die Stadt einsickern, sondern auch wie die zehnjährige Fazila in Kabuler Sportzentrum Skateboard fährt:

Skatestan
@Ulrich Ladurner, Kabul, September 2009

oder der Mauer Basir eine Madrassa in der Altstadt von Kabul wieder in Stand setzt:

Arbeiter

Und die Frage, die sich stellt, ist ob der Arbeiter Basir und das Mädchen Fazila tun könnten, was sie tun, wenn es diesen Ballon nicht gäbe.

„Sicher nicht“, antworten bestimmt die US-Offiziere, die den Ballon in den Himmel über Kabul schweben lassen. Nur weil wir ein wachsames Auge haben, nur weil wir Soldaten im Land haben, die bereit sind zu kämpfen, können Fazila Skateboard fahren, und Basir seiner Arbeit nachgehen. Die Afghanen, das ist die Botschaft, brauchen uns und unsere militärischen Möglichkeiten.

Stimmt das, oder stimmt es nicht?

Im übrigen ist noch eines wichtig zu wissen: Solche Aufklärungsballons schweben schon seit geraumer Zeit über den Gazastreifen.

 

Reisenotizen Kabul, drei

Afghanfilm
@Ladurner Ulrich, Kabul, September 2009

Das ist Herr Sultan Istalifi. Er ist Laborchef bei den Filmstudios von Afghan-Films in Kabul. In den Studios wird seit Jahren nicht mehr gearbeitet, weil die Maschinen beschädigt sind. Im Prinzip aber könnten hier Schwarz-Weiß-Filme produziert werden.

Als ich Herrn Sultan Istalifi bitte, sich an die Filmdruckmaschine zu stellen, damit ich ein Foto machen kann, sagt er trocken: „Ich habe schon einmal genau hier für ein Foto posiert. Das war vor vierzig Jahren. Damals kamen die Maschinen gerade aus Amerika. Die Amerikaner wollten eine Erinnerung haben“

Vierzig Jahre später, dasselbe Erlebnnis. Die Maschine sieht tadellos aus, Herr Istalifi auch, nur ist er etwas grauer und schmächtiger geworden, und die Maschine wird, wenn man sie einschaltet, von einem Husten geschüttelt, aber ansonsten ist sie immer noch kräftig gebaut.

Afghanfilm2
@Ladurner Ulrich, Kabul, September 2009

 

Reisenotizen Kabul, zwei

Als das Goetheinstitut in Kabul eine Fotoaustellung organisierte suchte es nach einem Titel. Es gab eine lange und leidenschaftliche Diskussion zwischen den Fotografen und den Organisatoren. Heraus kam das:

Nichts, nirgendwo
Fotoaustellung im Goetheinstitut Kabul @Ladurner Ulrich, Kabul, September 2009

 

Folter

Die Folter ist eine Thema, das uns noch lange begleiten wird. Einer der Journalisten, der sich damit ebenso umfassend wie brillant beschäftigt hat, ist Mark Danner. Ich empfehle seinen Essay , den er auf der Grundlage des IKRK Berichts über die Behandlung von 14 Häftlingen, die in dei Hände der CIA geraten waren, geschrieben hat. Darin steht zu lesen: „Unter der Führung des Präsidenten (George W. Bush Anm. d. A.) und seiner engsten Berater vollzogen die Vereinigten Staaten von Amerika die Wandlung von einem Land, das zumindest offiziell die Folter verurteilte zu einem Land, dass sie praktizierte. Und diese verhängnisvolle Entscheidung wird nicht verschwinden, so sehr wir uns das auch wünschen, genauso wie auch die vierzehn „besonders wertvollen Gefangenen,“ gefoltert und daher nicht gerichtlich verfolgbar, nicht verschwinden werden. Wie die grotesken Schilderungen im IKRK-Bericht liegt diese Entscheidung vor uns, als eine giftige Tatsache, die unser politisches und moralisches Leben verseucht.“

Danner hat recht: Das Problem wird nicht verschwinden, aber nicht nur wegen der Entscheidungen von George W. Bush.

Auch Barack Obama wird sich die Fragen stellen, wie man am besten gegen den Terror kämpft. Ein australischer Offizier David Kilcullen gilt derzeit als einer zentralen Strategen für den Kampf gegen den Terror. Sein Buch „Accidental Guerrilla“ ist die neue Bibel der Anti-Aufstands-Krieger. 2006 schrieb George Packer ein Portrait über Kilcullen. Darin sagt Kilcullen über den harten Kern Al Kaidas: “They’re so committed you’ve got to destroy them. But you’ve got to do it in such a way that you don’t create new terrorists“

Ich würde mich nicht wundern, wenn diese Männer „befragt“ werden, bevor sie – wie Kilcullen sagt – „zerstört“ werden. Und die Befragung dürfte nicht zimperlich sein.

 

Menschenrechte

Die Bundesregierung möchte über Afghanistan am liebsten gar nicht reden, doch das Thema kocht hoch. Immer offener wird über einer Rückzug der Nato aus Afghanistan debattiert. Dabei entbrennt eine Debatte über die Menschenrechte.  Der Erfolgsautor David Maria Precht meint : „Der Kampf für die Menschenrechte ist die Blaue Blume der linken Romantik“die Blaue Blume der linken Romantik“. Die Schriftstellerin, Tanja Dückers, hält dagegen:  Menschenrechte sind keine Ansichtssache. Sie sind universell“

Über Menschenrechte und Afghanistan hat sich bereits Mortirmer Durand, der sich 1893 nach Kabul aufmachte, Gedanken machen müssen. Die britische Regierung gab ihm dem Auftrag, neben vielen anderen Dingen,mit dem Emir Abdurrahman auch über die Besorgnis erregende Lage der Menschenrechte in Afghanistan zu sprechen. Abdurrahman galt als ein ebenso erfolgreicher wie barbarischer Herrscher.

In seinem Abschlussbericht an die britischer Regierung schreibt Durand: „In the matter of his barbarities he is unapproachable. He says the Afghans are not Englishmen, which ist quite true, and that he must make examples or he will have disorder all over the country. He regards any remonstrance on this subject as an interference with his internal affairs, and resents them accordingly. Nevertheless, I find he has been more careful of late years (…) He knows what our views are, an probably pays some attention to them, but he will make no promises“

Dazu eine afghanische Innenansicht:

Metzger Bamyian
Zwei Metzger in Bamiyan @Ladurner Ulrich, Bamiyan, 2007