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Logbuch eines Untergangs

WikiLeaks ist am Ende. Die letzten Tage belegen das. Wer aber das Ende verstehen will, muss sich den Anfang noch einmal vergegenwärtigen. Und der eigentliche Start dieser seltsamen Weltkarriere eines Netzportals ist nicht die Gründung vor Jahren. Der tatsächlich Aufstieg beginnt im Sommer 2010. In kurzer Zeit geht es dann steilstmöglich nach oben. WikiLeaks wird zum Globalplayer in Sachen Weltpolitik. WikiLeaks veröffentlicht gemeinsam mit zahlreichen Medienpartnern die Kriegstagebücher der US-Armee in Afghanistan. Eine nur Insidern bekannte Netzorganisation dominiert plötzlich weltweit die Nachrichtensendungen. Im Herbst 2010 legt die Wistleblowerplattform unerschrocken nach. Die Iraq War Logs erscheinen. Wieder wohl dosiert. Wieder von großen Medienpartnern aufwendig aufbereitet. Das Beben ist gewaltig. Weltweit. Es geht weiter Schlag auf Schlag. Winter 2010. Die Botschaftsdepeschen erscheinen. WikiLeaks ist längst zum Akteur auf der politischen Weltbühne geworden. Alle Prognosen erwarten von jetzt an regelmäßige digitale Beben von WikiLeaks.

Nichts scheint mehr so zu sein wie es war. Journalismus. Staatsgeheimnisse. Die Macht des anonymen Einzelnen. Die Revolution der Öffentlichkeit scheint vollendet. Nicht mehr investigativ arbeitende Redaktionen und Journalisten wühlen in den Geheimnissen der Regierungen und Unternehmen, sondern Insider. Mitarbeiter, Armeeangehörige und Beamte, die sich mit Vorgängen konfrontiert sehen, die sie kaum noch ertragen, von denn sie sich nichts sehnlicher Wünschen, als das die Öffentlichkeit, am besten die Weltöffentlichkeit von ihnen erfährt. Das Comeback des schlechten Gewissens, die asymmertrische Macht des Einzelnen, als Korrektiv bestimmter Degenerationen und Defekte demokratischer Gesellschaften.

Das ideale Werkzeug der vernetzten Gesellschaft für diese Zwecke ist eine Whistleblowerplattform im Internet. Größtmögliche Anonymität, prominente Medienpartner Veröffentlichung und sorgfältige redaktionelle Aufbereitung der Unterlagen. Eine perfekte Strategie. WikiLeaks wird in kurzer Zeit zum Prototypen dieses publizistischen Werkzeugs neuer Art. Aber der Absturz folgt. Umgehend.

Und es geht bei diesem Absturz nur am Rande um die kritische Einordnung der vermeintlichen sexuellen Praktiken Julian Assanges, der Führungsfigur von WikiLeaks. Es geht um die technische Integrität eines publizistischen Angebots, dessen Nutzung Whistleblower in existentielle Gefahr bringen kann. Es geht um die politische Nüchternheit und strategische Klarheit der Entscheider, die ihre Kompetenzen und Kenntnisse im Sinne ihrer Aufgabe einsetzen sollten. Es geht um Reputation und Glaubwürdigkeit, diese wohl kostbarste Währung der Publizistik im Netzzeitalter. Kurz gesagt: Es geht um Reife und Professionalität.

Mit Blick auf diese Faktoren sind die letzten Tage die letzten Belege für den (vorläufigen) Untergang eines grandiosen Konzepts. Wer das Logbuch des Niedergangs liest, fühlt sich an eine unheimlich anmutende Mischung aus Shakespeare, Dallas und Denver-Clan erinnert. Wenige Auszüge und Schlaglichter genügen, um zu sehen, dass dieser Bewegung kein Whistlebower in einem Ministerium, einem Weltkonzern oder einer global agierenden Bank mehr trauen wird.

Dienstag. 30. August. Früher Abend, New York Ortszeit. Nichts geht mehr. Es ist nur ein temporäres Problem. Aber es ist symptomatisch. Und selbstverschuldet. Die Netzseite der Whistleblower-Organisation WikiLeaks ist down. Nach dem tausende Depeschen unredigiert veröffentlicht wurden, sieht sich die Seite massiven Cyberattacken ausgesetzt.

Freitag letzter Woche. Eine geheimnisumwitterte CD soll seit einiger Zeit im Netz zirkulieren. Cables.csv ist ihr entwaffnent schlichter Titel. Sie ist zwar verschlüsselt. Aber das Passwort soll ebenfalls im Netz zu finden sein, berichtet die Wochenzeitung Der Freitag. WikiLeaks reagiert mit Anschuldigungen Richtung Domscheit-berg. Kurze Zeit später aber publiziert die Leaking-Plattform tausende unbearbeitete Depeschen. Die CD könnte das von Domscheit-Berg mehrfach angesprochene Sicherheitsleck bei WikiLeaks belegen.

Montag, 21. August. Der WikiLeaks-Dissident gibt die endgültige Löschung zahlreicher Datensätze von WikiLeaks bekannt, die er aus Sicherheitsbedenken bei seinem Ausscheiden an sich genommen hatte.

Mittwoch, 31. August. WikiLeaks geht per Anwalt gegen OpenLeaks-Gründer Domscheit-Berg vor und legt ihm zum wiederholten Male „ein gesteigertes Maß an Niedertracht vor“. Unter anderem soll er der Wochenzeitung Der Freitag die Daten auf der omniösen Cables.csv CD zugänglich gemacht haben.

Vorangegangen sind diesen letzten Indizien für eine Agonie der ehedem noch strahlenden Leaking-Bewegung eine Reihen von Konflikten, Dramen und Ablenkungsmanövern, die sich mit allem beschäftigen, zerbrochenen Freundschaften, wettstreitende Alphatiere, Verschwörungstheorien finsterster Sorte, aber nicht mit der adäquaten Pflege der Leaking-Bewegung, dem angemessenen Umgang mit geleakten Dokumenten und ihrer entsprechenden Vermittlung an die Öffentlichkeit.

Vielleicht ist dieser Untergang der WikiLeaks-Idee kein rasanter Absturz, vielleicht ist es eher eine Agonie. Unter dem Strich aber spielt die Art des Siechtums keine Rolle. Unter dem Strich bleibt der Ruin einer anspruchsvollen Idee. Eine innovative Strömung hat sich selbst zu Grunde gerichtet. Historisch betrachtet ist das keine Neuigkeit. Schon immer fielen politische Erneuerer durch Streit, Spaltung und Egomanien auf. Da stellen Julian Assange und Domscheit-Berg keine Einzelfälle dar.

Für die Gegenwart und die nähere Zukunft jedoch ist dieser Untergang ein herber Verlust. Es wird Jahre dauern, bis Whistleblower wieder Vertrauen zum Konzept der anonymen Abgabe brisanter Materialien haben werden.  Und es bleibt abzuwarten, ob die erfolgreichen Leaking-Schnittstellen zwischen Öffentlichkeit und Whistleblower dann wieder auf oder zumindest wenigen Plattformen konzentriert sein werden oder ob sich die Prognosen aus dem Winter 2010 bewahrheiten, dass derartige Angebote zukünftig zum technischen Repertoire jedes größeren journalistischen Angebots im Netz sind. Pilotprojekte gibt es bereits viele. Hoffen wir, dass einige von Ihnen die momentane Krise der Leaking-Idee als Chance nutzen können.

 

Die schlammigste Schlammschlacht aller Zeiten

J.R. Ewing und Cliff Barnes. Man hasste oder liebte sie. Ihr Konflikt war das Zentrum des TV-Serials Dallas. Und dieses Dallas ist auch heute noch die Mutter aller Soaps. Es ging um Liebe in allen Spielarten (glückliche, unglückliche, verschmähte) und Geld in allen Spielarten (krankhafter Reichtum, Neid, Schulden). Ganz nebenbei ging es auch um Öl. Aber das war nur eine Hilfskonstruktion der Drehbuchautoren, um systematisch die schmutzige Wäsche einer Großfamilie erzählen zu können.

Natürlich war Dallas durchweg Unfug, von der Realität Lichtjahre entfernt (andererseits ist das jedes gute Märchen ebenso). Aber in einem Aspekt ist Dallas bis heute ein Meilenstein. Dallas war große Fernsehunterhaltung. Zumindest war Dallas in jeglicher Hinsicht unterhaltsamer als die Schlammschlacht, die Daniel Domscheit-Berg und Julian Assange sich aktuell in der 743. Folge liefern.

Zu den Vorgängen der letzten Tage, Wochen und Monate ist bereits alles gesagt. Gegenseitige Bezichtigungen der Inkompetenz, der Illoyalität etc. wurden ausreichend thematisiert. Auch die neuen Vorgängen um ominöse Datensätze und zugehörige Datenschlüssel, die Domscheit-Berg bei seinem Weggang von WikiLeaks entwendet hatte und am zurückliegenden Wochenende offenbar zerstörte, wie Heise online berichtet, wurden von diversen Netzakteuren und Netzkennern umfangreich diskutiert und kommentiert. Man sollte dem Debakel nicht noch mehr Raum geben. Nur der Informationspflicht geschuldet seien hier stellvertretend die Kommentare von Markus Beckedahl auf Netzpolitik.org und Bettina Hammer auf Telepolis erwähnt. Ihrer Ratlosigkeit ist nichts hinzuzufügen.

Fast nichts. Denn eines möchte man dann doch noch loswerden in Richtung Domscheit-Berg, Assange und Co. Einen lautes und gut vernehmliches Endlich mal die Schnauze halten! Denn unabhängig von der tatsächlichen politischen Bewertung des Leakings als neuem Instrument in der digitalen Demokratie, ist eines bereits jetzt sehr klar geworden. Wenn die Protagonisten sich derart mit Schlamm bewerfen, schaden sie nicht nur sich, sondern der gesamten Bewegung. Und das ist in diesem Fall eine gewaltige Schweinerei, denn die Chancen dieses neuen Instruments werden nachhaltig beschädigt, wenn das Thema Whistleblowing nur noch das Substrat für den eigenen unappetitlichen Streit ist.

Und deshalb jetzt noch mal in aller Deutlichkeitkeit: Schnauze halten! Konzentration auf die Sache! Arbeiten!

P.S.: Ein weiterer Unterschied zwischen Dallas und den Leaking-Stars ist übrigens sehr bedauerlich; Dallas konnte man einfach absetzen, als es nicht mehr unterhielt

 

Julian Assanges Comeback auf Twitter

Gestern noch sprachen wir hier von den leeren Versprechungen der Protagonisten der Leakingszene. Gibt es doch bisher weder ein funktionierendes Angebot von OpenLeaks, noch die vielfach angekündigten Großleaks von WikiLeaks. Jetzt aber verspricht uns Julian Assange auf Twitter einen heftigen September in Sachen Leaking.

September will be a „bumper“ leaks month on http://t.co/Ev975Aw been busy…anyone say Murdoch?

Mit diesem Tweet und dem vorangehenden

Its time for me to get back to twitter…been swamped for what feels like months

gab der WikiLeaks-Gründer und Kopf der Whistelblowingplattform nach fast zwei Monaten sein Comeback auf Twitter. Im Tweet-Zeitalter eine Ewigkeit. Große Ankündigungen bleiben also beliebt. Und wir bleiben gespannt.

UPDATE: Ahhhh….gggrrrrrr…..bbbrrrrrüüülllll…… Bin wohl leider in eine Fakeaccount-Fallee getappt. Pardon!

 

Die lieben Verwandten

Die Publikation der WarLogs des Afghanistan-Krieges durch WikiLeaks jährt sich in zwei Wochen zum ersten Mal. Das Beben im Juli 2010 war heftig. Und es sollte nicht das letzte bleiben. In kurzen Abständen veröffentlichte WikiLeaks auch noch die Kriegstagebücher aus dem Irak und die Botschaftsdepeschen weltweiter US-Vertretungen. Die politischen Folgen dauern bis heute an.

Auch das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten, schien beschlossene Sache. Doch die vorhergesehenen Großverschiebungen der Plattentektonik der Weltöffentlichkeit blieben aus. Vorerst. Stattdessen geht es seit Monaten um die Popfigur Julian Assange und seine Gerichtsprozesse, um unerfüllte Ankündigungen neuer Großleaks und neuer Plattformen wie OpenLeaks, die bis heute nicht aktiv sind. Auch zahlreiche neue Leakingportale sind entstanden. In der Schweiz, in Schweden, in Deutschland. Natürlich auch in den USA und im arabischen Raum. Die erhoffte oder befürchtete Wirkung jedoch blieb aus. Stattdessen machte die Onlineguerilla Anonymous von sich reden. Man konnte nach ersten Aktionen gegen Visa und Mastercard, die auf Druck der US-amerikanischen Regierung den Geldtransfer an WikiLeaks eingestellt hatten, den Eindruck gewinnen, bei Anonymous handele es sich um den bewaffneten Arm der Leakingszene.

Jetzt aber startete das Hackerkollektiv eine eigene Leakingplattform. Sensationellerweise heißt das Portal HackerLeaks und ist seit Kurzem im Netz erreichbar. Auf den Erfolg darf man gespannt sein. Ist doch HackerLeaks nicht der erste Versuch der Anonymous-Aktivisten ein Leakingportal zu starten. Vor Monaten ging bereits Anon-Leaks ans Netz und ward seit dem nicht mehr gehört.

Der Verdacht erhärtet sich, dass größere Verschiebungen in der Plattentektonik der Weltöffentlichkeit vorerst ausbleiben. Die digitale Revolutionen sind allem Anschein nach langsamer als sie von sich selbst behaupten. Unumkehrbar bleiben sie dennoch.

 

Bescheidenheit ist eine Zier…

…aber es geht auch ohne ihr. Dieses elegante Sprichwort kommt einem in den Sinn, wenn man das neue WikiLeaks-Werbevideo sieht. Es stellt mit allen Mitteln der smarten Reklamekunst Zahlen zusammen, die die aktuelle Situation bei WikiLeaks und insbesondere bei Julian Assange beschreiben. Da geht es um sichere Telefone, Server, die weltweit verteilt sind, die Kosten der laufenden Gerichtsverfahren und die entgangenen 15 Millionen Spenden-Dollar.

Bekanntermaßen hatten die beiden weltgrößten Kreditkartenunternehmen auf Druck der US-Regierung im letzten Herbst die Weiterleitung von Spenden an WikiLeaks unterbrochen. Den dadurch entstandenen Verlust beziffern die WikiLeaks-Macher in dem Werbespot auf 15 Millionen Dollar. Ganz offenbar handelt es sich also bei Haltung und Handlung der Kreditkartenunterhemen um eine Schweinerei. Da überrascht es nicht, dass die Leaking-Organisation gegen die „unrechtmäßige Finanzblockade“ klagen will. Was dagegen überrascht, ist die Pointe des Werbespots. In aller Bescheidenheit nimmt WikiLeaks für sich in Anspruch, der entscheidende Impulsgeber der arabischen Revolutionen gewesen zu sein. Die Verdienste der WikiLeaks-Veröffentlichungen im Zusammenhang mit den Umbrüchen insbesondere in Tunesien und Ägypten sind zwar offensichtlich.  Jedoch die Rolle des Impulsgebers zu beanspruchen ist einfach überflüssig, zeugt von Hybris und nimmt dem Werbespot die entscheidende Wirkung.

 

Wen Sie schon immer zum Mittagessen treffen wollten

Es gibt vermutlich Menschen, die würden sich gerne einmal mit Penélope Cruz oder Cameron Diaz zum Mittagessen verabreden. Andere würden vielleicht gerne einmal Jonathan Frentzen oder Jonathan Safran Foer auf einen Kaffee treffen. Vielleicht auch Winfried Kretschmann oder wenigstens Joschka Fischer. Wieder andere wünschen sich nichts mehr, als David Weinberger oder Jimmy Wales einmal persönlich zu sprechen. Es soll sogar Menschen geben, die den unbändigen Wunsch hegen, Heidi Klum oder David Beckham für zwei, drei Stunden zu beanspruchen. Wünsche, die in der Regel unerfüllt bleiben.

Allen, die schon immer die Sehnsucht umtrieb, Julian Assange und Slavoj Žižek im Doppelpack kennenzulernen, kann jetzt geholfen werden. Zumindest wenn die nötige Liquidität gegeben ist. WikiLeaks offeriert, originellerweise bei Ebay, einen Lunchtermin mit Assange und Žižek in einem Londoner Spitzenrestaurant. Das Ganze soll drei Stunden dauern und Anfang Juli stattfinden. Ob es danach eine tränenreich Reportage mit dem oder der Glücklichen gibt, die das ungeheure Glück hatte, mit beiden persönlich zu plauschen, ist nicht überliefert. Da das Vorgehen aber an das von Jugendzeitschriften erinnert, die einen Nachmittag mit Justin Bieber oder Lady Gaga ähnlich unters Volk bringen, würde dergleichen nicht wundern.

Jene, die WikiLeaks for Sale interessiert, können übrigens hier ihr Geld ausgeben. Aktuell steht das Gebot bei schlappen 5.300 € für eine gemeinsame Wurst, ein paar Kartoffeln und einen schnellen Kaffee. Wobei die Speisenfolge eine Vermutung ist, denn bisher ist darüber nichts bekannt. Aber sicher wird die Weltpresse auch in diesem Kontext ihrem aufklärerischen Auftrag folgen und umfangreich berichten.

 

Six Months Later

Was wie die Überschrift eines neuen Kapitels in einem Kinofilms klingt, ist in Wahrheit Thema eines neuen Videos, das Julian Assanges Zeit im britischen Hausarrest zeigt. Assanges Hausarrest startete heute auf den Tag genau vor einem halben Jahr.

Veröffentlicht wurde das Video auf der Netzseite swedenversusassange.com, mit der WikiLeaks-Sympathisanten den umstrittenen WikiLeaks-Gründer Julian Assange im Kontext des drohenden Vergewaltigungsprozesses unterstützen wollen. Jeder mache sich sein eigenes Bild.

 

The Ireland Cables

In der letzten Woche begann die Zeitung Irish Independent zahlreiche US-Botschaftsdepeschen zu veröffentlichen, die ihr durch WikiLeaks bereit gestellt worden waren. Das erste Zwischenergebnis ist verheerend. Die damalige irische Regierung war 2008 paralysiert, überfordert, ideen- und ratlos. Der massiven Wirtschaftskrise im Jahr 2008 hatte sie nur eines entgegen zu setzen: die eigene Hilflosigkeit.

In weiteren etwa 1900 vertraulichen Depeschen werden darüber hinaus diverse sensible Themen irischer Regierungstätigkeit der letzten Jahre öffentlich. Unter anderem geht es um die haarsträubende Fahrlässigkeit mit der irische Regierungsmitglieder und Dilpomaten vertrauliche Informationen mit amerikanischen Botschaftsmitglieder teilten, um Konfusion und Streit irischer Regierungsparteien, Verbindungen der IRA in die ganze Welt und umstrittene Verhandlungen mit dem politischen Arm der Terrororganisation, der Sinn Fein Partei.

In der Summe sind die Ireland Cables eine verherrender Blick in die Abgründe und Desaster irischer Regierungspolitik der letzten Jahre. Und noch längst sind nicht alle Depeschen ausgewertet.

 

Das 12 Millionen Pfund Dilemma

Die einen sprechen von einer möglichen Fälschung. Die anderen von einer Falle. Viele aber von einem peinlichen Leak und einem Blick in einen unerwarteten Abgrund. In jedem Fall geht es um schlappe 12 Millionen Pfund. So hoch soll angeblich die Vertragsstrafe für WikiLeaks-Mitarbeiter sein, wenn sie Geheimnisse der Leakingplattform verraten. David Allen Green, Law-and-Poltics-Blogger beim Onlinemagazin New Statesman, veröffentlichte gestern ein Confidential Agreement das nach erstem Augenschein alle WikiLeaks-Mitarbeiter unterzeichnen mussten. Der Inhalt: Jede unautorisierte Weitergabe von WikiLeaks-Dokumenten wird mit der Zahlung einer Konventionalstrafe von 12 Millionen Pfund belegt. Was für jeden Julian-Assange-Mitstreiter der blanke Ruin sein dürfte. Die Begründung: Alle Dokumente sind Eigentum von WikiLeaks.

Das eigentliche Thema aber sind nicht die fragwürdige Vorgehensweise, der rüde Ton der Erklärung und der diskutable Besitzanspruch, sondern der Hinweis auf das zentrale Dilemma jeder Leaking-Plattform. Der Konflikt der geforderten Transparenz und der zwangsläufig praktizierten Intransparenz.

Um Informanten zu schützen, muss jede Leaking-Plattform mit einem gewissen Grad der Intransparenz arbeiten. Informationen über Whistleblower sind hochsensibel, ihre Aufdeckung können gravierende Folgen haben, wie der Fall Bradley Manning zeigt. Aber auch mögliche Hinweise auf Art und Umfang noch unveröffentlichter Dokumente oder Standorte von Servern und eingesetzter Technologien können die Arbeit der Leaking-Plattformen gefährden.

Um eine glaubwürdige Auswahl, ein nachvollziehbares Timing der Publikation und vor allem eine breite Veröffentlichung von Whistleblowerdokumenten zu ermöglichen – unabhängig von der Lukrativität ihrer Publikation oder der Gefälligkeit bestimmten Partnern gegenüber – wäre ein transparentes, nachvollziehbares Entscheidungsverfahren der Macher einer Leakingplattform wichtig. Idealerweise könnte ein solches Entscheidungsverfahren von einem pluralen Gremium durchgeführt werden. Was jedoch in der Praxis kaum realisierbar scheint. Wie sollte sich ein solches Gremium zusammensetzen? Etwa Vertreter von Zeitungen und Medienhäusern? Oder Funktionäre des Presserats? Noch besser wären vielleicht Emmissäre unterschiedlicher staatlicher Stellen in Kombination mit Deligierten der Kirchen, Krankenkassen und Gewerkschaften. Cablegate und die War-Logs hätte es nie gegeben. Eine Lösung ist also nicht in Sicht. Und wie schwierig allein die Aufrechterhaltung einer intakten Infrastruktur ist, demonstriert das Beispiel WikiLeaks. Der Upload liegt seit Monaten brach. Trotz aller Erfolge.

Dieses autoritär wirkende Dokument verweist auf eine strenge Hierarchie und ein Business das ziemlich humorfrei funktioniert. Äußerer Druck erzeugt inneren Druck. Es belegt aber vielleicht auch, mit welch harten Bandagen man in den Ring steigen muss, wenn man sich auf der Weltbühne behaupten will.

Update: Im Guardian wird gerade die Echtheit des Dokuments bestätigt.