Wochenlang schien das Thema WikiLeaks, OpenLeaks und Co. langsam aber sich zu versanden. Angekündigt Großleaks blieben aus (Stichwort Bank of America). Versprochene Portalstarts wurden von Monat zu Monat verschoben (Stichwort OpenLeaks – Wir machen alles besser). Und die vielfach beschworene Revolution des Journalismus durch Leaking-Portale war nach der ersten Hysterie um die Mega-Leaks des letzten Jahres auch bis auf Weiteres storniert worden.
Aber kaum ist man im Urlaub, geht es zumindest in der deutschen Netzszene zu wie in einer Berliner Eckkneipe alter Schule. Dabei von einem rustikalen Umgangston zu sprechen, wäre in diesem Kontext allerdings noch untertrieben. Hier war es eher handfest. Und wie nach jeder ordnungsgemäßen Kneipenschlägerei bleibt am Ende die Frage, wer hat wen eigentlich zuerst angerempelt? Und war der Rempler ein Versehen oder gezielte Provokation.
Es geht natürlich um den Rausschmiss des OpenLeaks-Gründers Domscheit-Berg aus dem CCC. Mit Blick auf die Ereignisse auf dem CCC-Camp des zurückliegenden Wochenendes bleibt man auch fünf Tage später erstaunt zurück und wird von dem Gefühl beschlichen, dass sich etablierte Netzakteure von infantilen Reflexen haben hinreißen lassen. Beschädigt sind sie heute alle. Wie auch eine kurze Nachlese der Reaktionen belegt.
Auf Zeit-Online hatte sich Kai Biermann, u.a. Leiter des Ressorts Digitales , irritiert gezeigt. Er fasst unter anderem diverse Reaktionen von führenden CCC-Mitgliedern zusammen und verweist auf wichtige Details, wie etwa die Tatsache, das Domscheit-Bergs Vorgehen schlecht geplant (unzulänglich Servertechnik) und mangelhaft abgestimmt war, zudem intransparent wirkte (keine Offenlegung der Sicherheitsspezifikatonen für den von OpenLeaks geplanten Test). Auch Domscheit-Bergs Weigerung, die von WikiLeaks aus Sicherheitsbedenken entwendeten Dokumente zurückzugeben, dürfte bei dem Eklat eine erhebliche Rolle gespielt haben.
„CCC-Mitglied Felix von Leitner bloggt dazu, der Club habe eigentlich die Rückgabe der Daten an WikiLeaks vermitteln wollen und Domscheit-Berg hätte zugesagt, die entsprechende Festplatte „innerhalb von zwei Wochen“ an den CCC zu übergeben. Von Leitner schreibt: „Das war vor 11 Monaten. Seitdem ist nichts passiert. Daher gibt Andy Müller-Maguhn jetzt auf und stellt offiziell das Angebot ein, die Daten übergeben zu wollen.““
Ebenfalls irritiert hatte sich Linus Neumann auf Netzpolitik.org geäußert. Anfangs mit der überraschten Feststellung, dass CCC-Vorstand Müller-Maguhn sich in einem Spiegel-Interview offenbar eindeutig und frühzeitig von OpenLeaks distanzierte, auch wenn Verstimmung zwischen einzelnen CCC-Mitgliedern und Domscheit-Berg laut Neumann hinlänglich bekannt waren, und dann über die fragwürdige Vorgehensweise beider Seiten auf dem CCC-Camp in Finowfurt. Aus dem auch der CCC nicht makellos hervorgehen dürfte.
„Ich habe schon gestern geschrieben, dass ich Andys Unmut nachvollziehen kann, und größtenteils auch teile. Dieser Rausschmiss jedoch ist verfrüht, unangemessen und zutiefst emotional statt wohlüberlegt rational. Er erinnert mich an Borderline-Persönlichkeiten, die häufig bei Kleinigkeiten Kurzschlussreaktionen mit reichlich Pathos und viel Überzeugung zum Extrem treiben, und dabei auch den Schaden, den sie sich selbst und ihren Interessen zufügen, billigend in Kauf nehmen. Was sollen denn die Medien denken?“
Nicht ohne Grund spricht auch Philip Banse im Deutschlandradio Kultur von einem eitlen Hahnenkampf auf dem CCC-Camp. Auf taz.de unterzog Meike Laaf den Domscheit-Berg Rausschmiss unter der Überschrift Chaos im Chaos Computer Club? einer kritischen Einschätzung. Zwar gebe es einerseits nach Angaben vieler CCC-Mitglieder gute Gründe für eine Trennung. Andererseits sei der Ausschluss stilistisch aber ein krasser Fehler. Der stellvertretende Chef-Redakteur der taz musst im Deutschlandfunk dann schließlich die Frage beantworten, ob im CCC jetzt tatsächlich das Chaos ausgebrochen ist. Ganz nebenbei: Die taz gehört übrigens mit dem Freitag zu den ersten Partnern bei OpenLeaks.
Und selbst die altehrwürdige Neue Zürcher Zeitung beschäftigte sich ausführlich mit dem Konflikt zwischen OpenLeaks-Gründer Domscheit-Berg und dem Vorstand des CCC. Am Ende des Artikels äußert sich ein ungenanntes CCC-Mitglied mit einem nachvollziehbaren Seufzer hinsichtlich der erwähnten entwendeten WikiLeaks-Dokumente.
«Ich wünschte, man könnte diese Daten in Anwesenheit eines Anwaltes löschen. Das Problem wäre weg, und beide Seiten könnten sich auf ihre Projekte konzentrieren, den Whistleblowern zu helfen.»
Wie auch immer sich diese Konfrontation weiterentwickeln wird. Eines kann man bereits zu diesem Zeitpunkt festhalten. Neben den beschädigten Protagonisten, gibt diese überflüssige Eskalation auch Hinweise auf eine veränderte Umgangsweise der Netzszene mit ihren Hauptdarstellern. Jahrelang gab es in Netzkreisen eine uneingestandene Heldenverehrung. Jetzt emanzipiert sich die Community zunehmend. Im Frühjahr musste sich bereits Markus Beckedahl auf seiner eigenen Konferenz einer mehr als unzufriedenen Crowd stellen, die den Start des Vereins Digitale Gesellschaft kritisch hinterfragte. Jetzt sehen sich ehemalige Szeneikonen wie der CCC und Domscheit-Berg mit unangehnenen Fragen konfrontiert.
Diese beginnende kritische Einordnung der eigenen Helden ist allerdings auch mehr als überfällig. Gerade die Netzszene und insbesondere die lautstarken Verfechter der Leaking-Kultur legen an den Rest der Gesellschaft sehr ambitionierte Maßstäbe an. Diese oft massiven und radikalen Forderungen nähren vielfach den Heldenstatus. Aber Helden haben noch jeder Bewegung geschadet.
UPDATE: Wie Steffen Kraft auf Freitag.de berichtet, wollen die OpenLeaks-Macher jetzt ihre Schlüssel zu den Geheimdokumenten von WikiLeaks vernichten (sieh auch Kommentare).
Weiteres UPDATE: Die Reaktion von WikiLeaks ließ nicht lange auf sich warten. Hier der Tweet von heute 15.45 Uhr…
DDB spits on every courageous whistleblower who leaked data if they destroy the keys and refuse to return it. This is not acceptable.