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Logbuch eines Untergangs

WikiLeaks ist am Ende. Die letzten Tage belegen das. Wer aber das Ende verstehen will, muss sich den Anfang noch einmal vergegenwärtigen. Und der eigentliche Start dieser seltsamen Weltkarriere eines Netzportals ist nicht die Gründung vor Jahren. Der tatsächlich Aufstieg beginnt im Sommer 2010. In kurzer Zeit geht es dann steilstmöglich nach oben. WikiLeaks wird zum Globalplayer in Sachen Weltpolitik. WikiLeaks veröffentlicht gemeinsam mit zahlreichen Medienpartnern die Kriegstagebücher der US-Armee in Afghanistan. Eine nur Insidern bekannte Netzorganisation dominiert plötzlich weltweit die Nachrichtensendungen. Im Herbst 2010 legt die Wistleblowerplattform unerschrocken nach. Die Iraq War Logs erscheinen. Wieder wohl dosiert. Wieder von großen Medienpartnern aufwendig aufbereitet. Das Beben ist gewaltig. Weltweit. Es geht weiter Schlag auf Schlag. Winter 2010. Die Botschaftsdepeschen erscheinen. WikiLeaks ist längst zum Akteur auf der politischen Weltbühne geworden. Alle Prognosen erwarten von jetzt an regelmäßige digitale Beben von WikiLeaks.

Nichts scheint mehr so zu sein wie es war. Journalismus. Staatsgeheimnisse. Die Macht des anonymen Einzelnen. Die Revolution der Öffentlichkeit scheint vollendet. Nicht mehr investigativ arbeitende Redaktionen und Journalisten wühlen in den Geheimnissen der Regierungen und Unternehmen, sondern Insider. Mitarbeiter, Armeeangehörige und Beamte, die sich mit Vorgängen konfrontiert sehen, die sie kaum noch ertragen, von denn sie sich nichts sehnlicher Wünschen, als das die Öffentlichkeit, am besten die Weltöffentlichkeit von ihnen erfährt. Das Comeback des schlechten Gewissens, die asymmertrische Macht des Einzelnen, als Korrektiv bestimmter Degenerationen und Defekte demokratischer Gesellschaften.

Das ideale Werkzeug der vernetzten Gesellschaft für diese Zwecke ist eine Whistleblowerplattform im Internet. Größtmögliche Anonymität, prominente Medienpartner Veröffentlichung und sorgfältige redaktionelle Aufbereitung der Unterlagen. Eine perfekte Strategie. WikiLeaks wird in kurzer Zeit zum Prototypen dieses publizistischen Werkzeugs neuer Art. Aber der Absturz folgt. Umgehend.

Und es geht bei diesem Absturz nur am Rande um die kritische Einordnung der vermeintlichen sexuellen Praktiken Julian Assanges, der Führungsfigur von WikiLeaks. Es geht um die technische Integrität eines publizistischen Angebots, dessen Nutzung Whistleblower in existentielle Gefahr bringen kann. Es geht um die politische Nüchternheit und strategische Klarheit der Entscheider, die ihre Kompetenzen und Kenntnisse im Sinne ihrer Aufgabe einsetzen sollten. Es geht um Reputation und Glaubwürdigkeit, diese wohl kostbarste Währung der Publizistik im Netzzeitalter. Kurz gesagt: Es geht um Reife und Professionalität.

Mit Blick auf diese Faktoren sind die letzten Tage die letzten Belege für den (vorläufigen) Untergang eines grandiosen Konzepts. Wer das Logbuch des Niedergangs liest, fühlt sich an eine unheimlich anmutende Mischung aus Shakespeare, Dallas und Denver-Clan erinnert. Wenige Auszüge und Schlaglichter genügen, um zu sehen, dass dieser Bewegung kein Whistlebower in einem Ministerium, einem Weltkonzern oder einer global agierenden Bank mehr trauen wird.

Dienstag. 30. August. Früher Abend, New York Ortszeit. Nichts geht mehr. Es ist nur ein temporäres Problem. Aber es ist symptomatisch. Und selbstverschuldet. Die Netzseite der Whistleblower-Organisation WikiLeaks ist down. Nach dem tausende Depeschen unredigiert veröffentlicht wurden, sieht sich die Seite massiven Cyberattacken ausgesetzt.

Freitag letzter Woche. Eine geheimnisumwitterte CD soll seit einiger Zeit im Netz zirkulieren. Cables.csv ist ihr entwaffnent schlichter Titel. Sie ist zwar verschlüsselt. Aber das Passwort soll ebenfalls im Netz zu finden sein, berichtet die Wochenzeitung Der Freitag. WikiLeaks reagiert mit Anschuldigungen Richtung Domscheit-berg. Kurze Zeit später aber publiziert die Leaking-Plattform tausende unbearbeitete Depeschen. Die CD könnte das von Domscheit-Berg mehrfach angesprochene Sicherheitsleck bei WikiLeaks belegen.

Montag, 21. August. Der WikiLeaks-Dissident gibt die endgültige Löschung zahlreicher Datensätze von WikiLeaks bekannt, die er aus Sicherheitsbedenken bei seinem Ausscheiden an sich genommen hatte.

Mittwoch, 31. August. WikiLeaks geht per Anwalt gegen OpenLeaks-Gründer Domscheit-Berg vor und legt ihm zum wiederholten Male „ein gesteigertes Maß an Niedertracht vor“. Unter anderem soll er der Wochenzeitung Der Freitag die Daten auf der omniösen Cables.csv CD zugänglich gemacht haben.

Vorangegangen sind diesen letzten Indizien für eine Agonie der ehedem noch strahlenden Leaking-Bewegung eine Reihen von Konflikten, Dramen und Ablenkungsmanövern, die sich mit allem beschäftigen, zerbrochenen Freundschaften, wettstreitende Alphatiere, Verschwörungstheorien finsterster Sorte, aber nicht mit der adäquaten Pflege der Leaking-Bewegung, dem angemessenen Umgang mit geleakten Dokumenten und ihrer entsprechenden Vermittlung an die Öffentlichkeit.

Vielleicht ist dieser Untergang der WikiLeaks-Idee kein rasanter Absturz, vielleicht ist es eher eine Agonie. Unter dem Strich aber spielt die Art des Siechtums keine Rolle. Unter dem Strich bleibt der Ruin einer anspruchsvollen Idee. Eine innovative Strömung hat sich selbst zu Grunde gerichtet. Historisch betrachtet ist das keine Neuigkeit. Schon immer fielen politische Erneuerer durch Streit, Spaltung und Egomanien auf. Da stellen Julian Assange und Domscheit-Berg keine Einzelfälle dar.

Für die Gegenwart und die nähere Zukunft jedoch ist dieser Untergang ein herber Verlust. Es wird Jahre dauern, bis Whistleblower wieder Vertrauen zum Konzept der anonymen Abgabe brisanter Materialien haben werden.  Und es bleibt abzuwarten, ob die erfolgreichen Leaking-Schnittstellen zwischen Öffentlichkeit und Whistleblower dann wieder auf oder zumindest wenigen Plattformen konzentriert sein werden oder ob sich die Prognosen aus dem Winter 2010 bewahrheiten, dass derartige Angebote zukünftig zum technischen Repertoire jedes größeren journalistischen Angebots im Netz sind. Pilotprojekte gibt es bereits viele. Hoffen wir, dass einige von Ihnen die momentane Krise der Leaking-Idee als Chance nutzen können.

 

Angerempelt! Nachlese eines erstaunlichen Eklats

Wochenlang schien das Thema WikiLeaks, OpenLeaks und Co. langsam aber sich zu versanden. Angekündigt Großleaks blieben aus (Stichwort Bank of America). Versprochene Portalstarts wurden von Monat zu Monat verschoben (Stichwort OpenLeaks – Wir machen alles besser). Und die vielfach beschworene Revolution des Journalismus durch Leaking-Portale war nach der ersten Hysterie um die Mega-Leaks des letzten Jahres auch bis auf Weiteres storniert worden.

Aber kaum ist man im Urlaub, geht es zumindest in der deutschen Netzszene zu wie in einer Berliner Eckkneipe alter Schule. Dabei von einem rustikalen Umgangston zu sprechen, wäre in diesem Kontext allerdings noch untertrieben. Hier war es eher handfest. Und wie nach jeder ordnungsgemäßen Kneipenschlägerei bleibt am Ende die Frage, wer hat wen eigentlich zuerst angerempelt? Und war der Rempler ein Versehen oder gezielte Provokation.

Es geht natürlich um den Rausschmiss des OpenLeaks-Gründers Domscheit-Berg aus dem CCC. Mit Blick auf die Ereignisse auf dem CCC-Camp des zurückliegenden Wochenendes bleibt man auch fünf Tage später erstaunt zurück und wird von dem Gefühl beschlichen, dass sich etablierte Netzakteure von infantilen Reflexen haben hinreißen lassen. Beschädigt sind sie heute alle. Wie auch eine kurze Nachlese der Reaktionen belegt.

Auf Zeit-Online hatte sich Kai Biermann, u.a. Leiter des Ressorts Digitales , irritiert gezeigt. Er fasst unter anderem diverse Reaktionen von führenden CCC-Mitgliedern zusammen und verweist auf wichtige Details, wie etwa die Tatsache, das Domscheit-Bergs Vorgehen schlecht geplant (unzulänglich Servertechnik) und mangelhaft abgestimmt war, zudem intransparent wirkte (keine Offenlegung der Sicherheitsspezifikatonen für den von OpenLeaks geplanten Test). Auch Domscheit-Bergs Weigerung, die von WikiLeaks aus Sicherheitsbedenken entwendeten Dokumente zurückzugeben, dürfte bei dem Eklat eine erhebliche Rolle gespielt haben.

„CCC-Mitglied Felix von Leitner bloggt dazu, der Club habe eigentlich die Rückgabe der Daten an WikiLeaks vermitteln wollen und Domscheit-Berg hätte zugesagt, die entsprechende Festplatte „innerhalb von zwei Wochen“ an den CCC zu übergeben. Von Leitner schreibt: „Das war vor 11 Monaten. Seitdem ist nichts passiert. Daher gibt Andy Müller-Maguhn jetzt auf und stellt offiziell das Angebot ein, die Daten übergeben zu wollen.““

Ebenfalls irritiert hatte sich Linus Neumann auf Netzpolitik.org geäußert. Anfangs mit der überraschten Feststellung, dass CCC-Vorstand Müller-Maguhn sich in einem Spiegel-Interview offenbar eindeutig und frühzeitig von OpenLeaks distanzierte, auch wenn Verstimmung zwischen einzelnen CCC-Mitgliedern und Domscheit-Berg laut Neumann hinlänglich bekannt waren, und dann über die fragwürdige Vorgehensweise beider Seiten auf dem CCC-Camp in Finowfurt. Aus dem auch der CCC nicht makellos hervorgehen dürfte.

„Ich habe schon gestern geschrieben, dass ich Andys Unmut nachvollziehen kann, und größtenteils auch teile. Dieser Rausschmiss jedoch ist verfrüht, unangemessen und zutiefst emotional statt wohlüberlegt rational. Er erinnert mich an Borderline-Persönlichkeiten, die häufig bei Kleinigkeiten Kurzschlussreaktionen mit reichlich Pathos und viel Überzeugung zum Extrem treiben, und dabei auch den Schaden, den sie sich selbst und ihren Interessen zufügen, billigend in Kauf nehmen. Was sollen denn die Medien denken?“

Nicht ohne Grund spricht auch Philip Banse im Deutschlandradio Kultur von einem eitlen Hahnenkampf auf dem CCC-Camp. Auf taz.de unterzog Meike Laaf den Domscheit-Berg Rausschmiss unter der Überschrift Chaos im Chaos Computer Club? einer kritischen Einschätzung. Zwar gebe es einerseits nach Angaben vieler CCC-Mitglieder gute Gründe für eine Trennung. Andererseits sei der Ausschluss stilistisch aber ein krasser Fehler. Der stellvertretende Chef-Redakteur der taz musst im Deutschlandfunk dann schließlich die Frage beantworten, ob im CCC jetzt tatsächlich das Chaos ausgebrochen ist. Ganz nebenbei: Die taz gehört übrigens mit dem Freitag zu den ersten Partnern bei OpenLeaks.

Und selbst die altehrwürdige Neue Zürcher Zeitung beschäftigte sich ausführlich mit dem Konflikt zwischen OpenLeaks-Gründer Domscheit-Berg und dem Vorstand des CCC. Am Ende des Artikels äußert sich ein ungenanntes CCC-Mitglied mit einem nachvollziehbaren Seufzer hinsichtlich der erwähnten entwendeten WikiLeaks-Dokumente.

«Ich wünschte, man könnte diese Daten in Anwesenheit eines Anwaltes löschen. Das Problem wäre weg, und beide Seiten könnten sich auf ihre Projekte konzentrieren, den Whistleblowern zu helfen.»

Wie auch immer sich diese Konfrontation weiterentwickeln wird. Eines kann man bereits zu diesem Zeitpunkt festhalten. Neben den beschädigten Protagonisten, gibt diese überflüssige Eskalation auch Hinweise auf eine veränderte Umgangsweise der Netzszene mit ihren Hauptdarstellern. Jahrelang gab es in Netzkreisen eine uneingestandene Heldenverehrung. Jetzt emanzipiert sich die Community zunehmend. Im Frühjahr musste sich bereits Markus Beckedahl auf seiner eigenen Konferenz einer mehr als unzufriedenen Crowd stellen, die den Start des Vereins Digitale Gesellschaft kritisch hinterfragte. Jetzt sehen sich ehemalige Szeneikonen wie der CCC und Domscheit-Berg mit unangehnenen Fragen konfrontiert.

Diese beginnende kritische Einordnung der eigenen Helden ist allerdings auch mehr als überfällig. Gerade die Netzszene und insbesondere die lautstarken Verfechter der Leaking-Kultur legen an den Rest der Gesellschaft sehr ambitionierte Maßstäbe an. Diese oft massiven und radikalen Forderungen nähren vielfach den Heldenstatus. Aber Helden haben noch jeder Bewegung geschadet.

UPDATE: Wie Steffen Kraft auf Freitag.de berichtet, wollen die OpenLeaks-Macher jetzt ihre Schlüssel zu den Geheimdokumenten von WikiLeaks vernichten (sieh auch Kommentare).

Weiteres UPDATE: Die Reaktion von WikiLeaks ließ nicht lange auf sich warten. Hier der Tweet von heute 15.45 Uhr…

DDB spits on every courageous whistleblower who leaked data if they destroy the keys and refuse to return it. This is not acceptable.



 

MurdochLeaks ans Netz gegangen

The Community strikes back. So könnte man das Motto des neuesten Leaking-Projekts in Großbritannien beschreiben. 
Anonyme Initiatoren starteten heute die Netzseite Murdochleaks als Whistleblowerportal, um weitere Informationen zum Abhörskandal rund um die britische Zeitung „News of the World“ zu sammeln. Nutzer werden aufgefordert, geheime Informationen und Hinweise auf unlautere Methoden und Fehlverhalten in Murdochs Medienkonzern bereitzustellen.


Ganz bescheiden heißt es auf MurdochLeaks, die vierte Gewalt, der Journalismus, habe versagt, deshalb müsse nun die fünfte Gewalt, die Gemeinschaft aller Netznutzer, als Korrektiv agieren.


With the recent phone hacking scandal surrounding Rupert Murdoch’s News of the World and other aspects of his empire, it’s become evident that the fourth estate has failed so it’s time to invoke the fifth estate. And what is that? – It is You!

Wir vertiefen diese elenden Pauschalisierungen jetzt nicht weiter, sondern verweisen nur darauf, dass 
glaubwürdige Hinweise auf Fehlverhalten nicht selbständig veröffentlicht, sondern direkt an Journalisten und Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden sollen.

 

Die große Verallgemeinerung

Auf der einen Seite operieren die Handlanger unlauterer Journalisten und Publizisten. Privatdetektive, Hacker, Informanten, Whistleblower. Sie besorgen mit allen erdenklichen Mitteln alle erdenklichen Informationen über alle erdenklichen Zielpersonen. Auf der anderen Seite stehen die publizistischen Organe, die aus diesen Informationen ihre Geschichten schaffen. Leakingportale, Zeitungen, Fernsehsender.

Mit dem kaum nennenwerten Unterschied, dass es auf der einen Seite um die tödlichen Kollateralschäden fragwürdiger Geo-Politik geht. Der schmutzige Alltag des Krieges, der alltägliche Wirtschaftsprotektionismus einer Weltmacht, die geheimdienstliche Erforschung neutraler Organisationen wie der UNO.  Auf der anderen Seite dagegen geht es um den täglichen Schmierstoff der Boulevardpresse. Abgründe von individuellen Verbrechen, private Geheimnisse etc. pp.

Kaum nennenswert findet diesen Unterschied Bret Stephens in seinem Artikel: „News of the World vs. WikiLeaks – Only one placed at risk ‚the lives of countless innocent individuals.‘ Der Artikel erschien heute in der Online-Ausgabe des Wall Street Journal.

Ein mehr als fragwürdiger Artikel. Im Konkreten. Im Allgemeinen sieht das jedoch schon ganz anders aus. Denn im Grunde ist das richtig beschriebene Dilemma von News of the World vs. WikiLeaks eine der großen Herausforderung der Publizistik. Schon immer gewesen. Aber durch Technisierung und Digitalisierung unserer Kommunikation dramatisch verschärft. Wer soll entscheiden wann was öffentlich wird? Wann ist etwas von öffentlichem Interesse? Und was ist eigentlich dieses öffentliche Interesse? Eine Frage, die uns noch Jahre lang begleiten wird.

 

Die lieben Verwandten

Die Publikation der WarLogs des Afghanistan-Krieges durch WikiLeaks jährt sich in zwei Wochen zum ersten Mal. Das Beben im Juli 2010 war heftig. Und es sollte nicht das letzte bleiben. In kurzen Abständen veröffentlichte WikiLeaks auch noch die Kriegstagebücher aus dem Irak und die Botschaftsdepeschen weltweiter US-Vertretungen. Die politischen Folgen dauern bis heute an.

Auch das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten, schien beschlossene Sache. Doch die vorhergesehenen Großverschiebungen der Plattentektonik der Weltöffentlichkeit blieben aus. Vorerst. Stattdessen geht es seit Monaten um die Popfigur Julian Assange und seine Gerichtsprozesse, um unerfüllte Ankündigungen neuer Großleaks und neuer Plattformen wie OpenLeaks, die bis heute nicht aktiv sind. Auch zahlreiche neue Leakingportale sind entstanden. In der Schweiz, in Schweden, in Deutschland. Natürlich auch in den USA und im arabischen Raum. Die erhoffte oder befürchtete Wirkung jedoch blieb aus. Stattdessen machte die Onlineguerilla Anonymous von sich reden. Man konnte nach ersten Aktionen gegen Visa und Mastercard, die auf Druck der US-amerikanischen Regierung den Geldtransfer an WikiLeaks eingestellt hatten, den Eindruck gewinnen, bei Anonymous handele es sich um den bewaffneten Arm der Leakingszene.

Jetzt aber startete das Hackerkollektiv eine eigene Leakingplattform. Sensationellerweise heißt das Portal HackerLeaks und ist seit Kurzem im Netz erreichbar. Auf den Erfolg darf man gespannt sein. Ist doch HackerLeaks nicht der erste Versuch der Anonymous-Aktivisten ein Leakingportal zu starten. Vor Monaten ging bereits Anon-Leaks ans Netz und ward seit dem nicht mehr gehört.

Der Verdacht erhärtet sich, dass größere Verschiebungen in der Plattentektonik der Weltöffentlichkeit vorerst ausbleiben. Die digitale Revolutionen sind allem Anschein nach langsamer als sie von sich selbst behaupten. Unumkehrbar bleiben sie dennoch.

 

Six Months Later

Was wie die Überschrift eines neuen Kapitels in einem Kinofilms klingt, ist in Wahrheit Thema eines neuen Videos, das Julian Assanges Zeit im britischen Hausarrest zeigt. Assanges Hausarrest startete heute auf den Tag genau vor einem halben Jahr.

Veröffentlicht wurde das Video auf der Netzseite swedenversusassange.com, mit der WikiLeaks-Sympathisanten den umstrittenen WikiLeaks-Gründer Julian Assange im Kontext des drohenden Vergewaltigungsprozesses unterstützen wollen. Jeder mache sich sein eigenes Bild.

 

Keine Handvoll Dollar

61 Cent pro Stunde sind ein Hungerlohn. Ein Lohn, der die Frage nach globaler Gerechtigkeit klar beantwortet: Es gibt sie nicht. Auch wenn die Kaufkraft von 61 Cent in manchen Regionen der Erde stärker ist als in Deutschland, bleiben 61 Cent pro Stunde eine Demütigung für den, der davon leben soll. Diese 61 Cent pro Stunde sollten Näher in den haitianischen Fabriken der US-Textilhersteller Levi’s, Fruit of the Loom und Hanes erhalten. So jedenfalls die Absicht der dortigen Regierung.

Die US-Textilhersteller konnten erfolgreich intervenieren. Mit tatkräftiger Unterstützung der US-Regierung, die massiven Druck auf die Regierung in Port-au-Prince ausübte. Das berichten das US-amerikanische Magazin The Nation und die Zeitung Haïti Liberté. Beide beziehen sich auf Depeschen der US-Botschaft, die WikiLeaks seit Beginn der Woche gemeinsam mit der haitianischen Zeitung und dem US-Magazin veröffentlicht. Neben dem Thema Mindestlohn, geht es in den Haiti-Files unter anderem auch um die Beziehungen Haitis zu Venezuela und die diversen Wahlen im Karibikstaat.

Die Haiti-Files sind ein weiterer Beleg für die Relvanz von WikiLeaks. Was alle immer wussten, findet sich in den von WikiLeaks veröffentlichten Botschaftsdepeschen schwarz auf weiß. Illegale Interventionen, Wirtschaftsprotektionismus und ein gnadenloser Kampf um Wettbewerbsvorteile.

P.S.: Der Mindestlohn wurde übrigens nicht erhöht und beträgt weiterhin 24 Cent pro Stunde.

 

The Ireland Cables

In der letzten Woche begann die Zeitung Irish Independent zahlreiche US-Botschaftsdepeschen zu veröffentlichen, die ihr durch WikiLeaks bereit gestellt worden waren. Das erste Zwischenergebnis ist verheerend. Die damalige irische Regierung war 2008 paralysiert, überfordert, ideen- und ratlos. Der massiven Wirtschaftskrise im Jahr 2008 hatte sie nur eines entgegen zu setzen: die eigene Hilflosigkeit.

In weiteren etwa 1900 vertraulichen Depeschen werden darüber hinaus diverse sensible Themen irischer Regierungstätigkeit der letzten Jahre öffentlich. Unter anderem geht es um die haarsträubende Fahrlässigkeit mit der irische Regierungsmitglieder und Dilpomaten vertrauliche Informationen mit amerikanischen Botschaftsmitglieder teilten, um Konfusion und Streit irischer Regierungsparteien, Verbindungen der IRA in die ganze Welt und umstrittene Verhandlungen mit dem politischen Arm der Terrororganisation, der Sinn Fein Partei.

In der Summe sind die Ireland Cables eine verherrender Blick in die Abgründe und Desaster irischer Regierungspolitik der letzten Jahre. Und noch längst sind nicht alle Depeschen ausgewertet.

 

Kurz und klein (9): Pakistan-Cables und Whistleblowerausstellung

+++Pakistan-Cables+++

Die in Pakistan erscheinende englischsprachige Zeitung Dawn gehört neuerdings zu den weltweiten Medienpartnern der Enthüllungsplattform WikiLeaks. Nachdem das Blatt kürzlich 4000 us-amerikanische Botschaftsberichte erhalten hatte, berichtete es umgehend über die äußerst umstrittene Rolle des amerikanischen Militärs in Pakistan. Die Meldungen gingen nach der Tötung Bin Ladens natürlich schnell um den Globus. Weniger Reaktionen erhielt eine weitere nicht minder interessante Veröffentlichung. Wie die NZZ berichtet, zeigen weitere US-Depeschen, dass radikal-islamische Schulen in Pakistan jährlich 100 Millionen Dollar erhalten. Das Geld stammt aus Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Für Nachwuchs wird also gesorgt. Und die US-Regierung wäre gut beraten, ihre guten Beziehungen zu der autokratischen Monarchie des vermeintlich Verbündeten Saudi Arabien endlich neu zu organisieren.

+++Whistleblowerausstellung+++

Im Berliner Kunsthaus Tacheles wurde vor wenigen Tagen eine Ausstellung zum Thema Whistleblowing eröffnet. Ausstellungsmacher,  Johannes Ludwig vom Dokumentationszentrum Ans Tageslicht, stellt allem fotografische Portraits der Menschen, also die Whistleblower, in den Mittelpunkt. Wie das Whistelblowing-Netzwerk berichtet, betonte Ludwig bei der Eröffnung vor allem

… die Bedeutung von Whistleblowing für eine demokratische Gesellschaft und die Aufdeckung von Missständen. Die Ausstellung zeigt anhand von mittlerweile bereits 23 Fällen Frauen und Männern, die sich um unsere Gesellschaft verdient gemacht haben. Dabei wird ein breites Spektrum unterschiedlicher Branchen und aufgezeigten Missständen geboten. Von der Altenpflegerin bis zu einem ehemaligen Landesminister. Von der Investmentbankerin und dem Wissenschaftler über einen LKW-Fahrer bis hin zu mehreren Steuerfahndern. Sie alle haben hingeschaut, wo andere wegschauten, den Mund aufgemacht, wo andere schwiegen. Alle eindrücklich ins Bild gesetzt durch einfühlsame Portraits des Berliner Fotografen Petrov Ahner.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 29. Mai und ist täglich von 16 Uhr bis 20 Uhr geöffnet und wurde in Zusammenarbeit mit dem deutschen Whistleblower Netzwerk e.V. realisiert.

 

Das 12 Millionen Pfund Dilemma

Die einen sprechen von einer möglichen Fälschung. Die anderen von einer Falle. Viele aber von einem peinlichen Leak und einem Blick in einen unerwarteten Abgrund. In jedem Fall geht es um schlappe 12 Millionen Pfund. So hoch soll angeblich die Vertragsstrafe für WikiLeaks-Mitarbeiter sein, wenn sie Geheimnisse der Leakingplattform verraten. David Allen Green, Law-and-Poltics-Blogger beim Onlinemagazin New Statesman, veröffentlichte gestern ein Confidential Agreement das nach erstem Augenschein alle WikiLeaks-Mitarbeiter unterzeichnen mussten. Der Inhalt: Jede unautorisierte Weitergabe von WikiLeaks-Dokumenten wird mit der Zahlung einer Konventionalstrafe von 12 Millionen Pfund belegt. Was für jeden Julian-Assange-Mitstreiter der blanke Ruin sein dürfte. Die Begründung: Alle Dokumente sind Eigentum von WikiLeaks.

Das eigentliche Thema aber sind nicht die fragwürdige Vorgehensweise, der rüde Ton der Erklärung und der diskutable Besitzanspruch, sondern der Hinweis auf das zentrale Dilemma jeder Leaking-Plattform. Der Konflikt der geforderten Transparenz und der zwangsläufig praktizierten Intransparenz.

Um Informanten zu schützen, muss jede Leaking-Plattform mit einem gewissen Grad der Intransparenz arbeiten. Informationen über Whistleblower sind hochsensibel, ihre Aufdeckung können gravierende Folgen haben, wie der Fall Bradley Manning zeigt. Aber auch mögliche Hinweise auf Art und Umfang noch unveröffentlichter Dokumente oder Standorte von Servern und eingesetzter Technologien können die Arbeit der Leaking-Plattformen gefährden.

Um eine glaubwürdige Auswahl, ein nachvollziehbares Timing der Publikation und vor allem eine breite Veröffentlichung von Whistleblowerdokumenten zu ermöglichen – unabhängig von der Lukrativität ihrer Publikation oder der Gefälligkeit bestimmten Partnern gegenüber – wäre ein transparentes, nachvollziehbares Entscheidungsverfahren der Macher einer Leakingplattform wichtig. Idealerweise könnte ein solches Entscheidungsverfahren von einem pluralen Gremium durchgeführt werden. Was jedoch in der Praxis kaum realisierbar scheint. Wie sollte sich ein solches Gremium zusammensetzen? Etwa Vertreter von Zeitungen und Medienhäusern? Oder Funktionäre des Presserats? Noch besser wären vielleicht Emmissäre unterschiedlicher staatlicher Stellen in Kombination mit Deligierten der Kirchen, Krankenkassen und Gewerkschaften. Cablegate und die War-Logs hätte es nie gegeben. Eine Lösung ist also nicht in Sicht. Und wie schwierig allein die Aufrechterhaltung einer intakten Infrastruktur ist, demonstriert das Beispiel WikiLeaks. Der Upload liegt seit Monaten brach. Trotz aller Erfolge.

Dieses autoritär wirkende Dokument verweist auf eine strenge Hierarchie und ein Business das ziemlich humorfrei funktioniert. Äußerer Druck erzeugt inneren Druck. Es belegt aber vielleicht auch, mit welch harten Bandagen man in den Ring steigen muss, wenn man sich auf der Weltbühne behaupten will.

Update: Im Guardian wird gerade die Echtheit des Dokuments bestätigt.