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18. Juli 2024 – Ausgabe Nr. 31

 

Leserbriefe zu „Die falsche Sicherheit“ von Rainer Forst

Das ist so viel gequirlter, demokratietheoretischer Mist mit unzähligen substanzlosen Behauptungen, Rückversicherungen und Seitenschritten. Soldaten benutzen solchen Nebel für einen Rückzug nach verlorener Schlacht. Für den Professor hätte ich da noch etwas feste Nahrung. Wenn die Staaten ihre Kernaufgaben-Innere-und äußere Sicherheit, Investitionen in Infrastruktur und Bildung, freie Wirtschaft und Aufstiegschancen für die Mittelschicht auch nur annähernd erfüllten, wäre alles gut. Und wenn die Politik nationale Demokratie und Rechtsstaat respektierte, wäre alles gut. Und wenn die Politik die übernationalen Strukturen nicht missbrauchte, um der Verantwortung vor dem Wähler zu entfliehen, wäre alles gut. Wenn Sie glauben, Herr Professor, dass sich in Ihren nebelhaften, (anti)intellektuellen Ausführungen auch nur geringste Spuren von „Sicherheit“ und „Hoffnung“ finden ließe, dann behalten sie ruhig Ihren Glauben. Sie kommen ja offenbar zurecht. Oder muss ich mir Sorgen machen?
Fred Klemm

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ hat Brecht geschrieben – und so ist es bei den meisten Menschen wohl auch. Demokratie, individuelle Freiheit mit Verantwortungsbewusstsein, Akzeptanz und Gleichberechtigung von Minderheiten usw. lassen sich auf Dauer offenbar nur sichern, wenn es den Menschen entweder tatsächlich gut geht oder sie zumindest die Hoffnung haben, dass die demokratischen Parteien dafür sorgen, dass es den Menschen – und zwar nicht nur den sowieso schon wohlhabenden oder reichen Menschen – nach einer Zeit der Gefahr, der Unsicherheit und der Einschränkungen wieder besser gehen wird. Insofern tut der Bundeskanzler gut daran, genau dafür zu sorgen. Wenn er es nicht schafft, besteht längerfristig die Gefahr, dass die AfD mit Herrn Höcke übernimmt. Dann ist es mit gleichen Rechten für alle, mit individueller Freiheit auch für Minderheiten und absehbar auch mit der Demokratie vorbei. Man braucht nur nach Russland, Ungarn, Indien, Ägypten, die Türkei oder auf die USA zu schauen, um zu sehen, was passiert, wenn Menschen sich „starke“ Führer wünschen, die ihnen Sicherheit und Wohlstand versprechen. Ja, Fortschritt – auch gesellschaftlicher und politischer – ist möglich und nötig, aber erfahrungsgemäß geschieht er am ehesten und besten auf der Grundlage gesicherten Wohlstands und der Beherrschung von Zukunftsängsten. Ob der Kapitalismus – und sei es ein eingehegter – auf Dauer der richtige Weg ist, weiß ich nicht. Was ist die – real funktionierende – Alternative?
Ulrich Willmes

Ihre Meinung ist nicht die Lösung der aktuellen politischen Krise, sondern ihr Grund. Die Basisannahmen sind falsch:
1. Es sind nicht alle Menschen gleich, gleichheitsempfinden existiert allenfalls innerhalb von Gruppen.
2. Es gibt keine allgemeingültige Gerechtigkeit, sondern jede Gruppe empfindet ihre eigene Gerechtigkeit.
Viele Bürger haben keine hehren Werte, Moral oder Gerechtigkeitsempfinden. Ihr Leben findet innerhalb einer Gruppe statt, welche sie geschützt wissen wollen, und ansonsten wollen Sie vom Staat in Ruhe gelassen werden. Ihr Erlebnis staatlicher Ordnungssystem der letzten Jahrzehnte beschränkt sich darauf, dass Sie entweder durch Verbote oder zusätzliche Belastungen eingeschränkt wurden. Klassisch sind diese Menschen politisch nicht in Erscheinung getreten. Gewählt haben Sie gemäß Empfehlung des Pfarrers, des Opas oder eines Onkels, der in der Gewerkschaft war. Nach dem fortgesetzten negativen Erlebnis staatlicher Regulierung haben Sie jetzt die Nase voll. Sie wählen Hinz oder Kunz, aber nicht die Verantwortlichen der amtierenden Regierungen. Diese Menschen wollen Ihre Familie, Ihr Häuschen und Identifikation in Ihrer Gruppe. Sonst wollen Sie in Ruhe gelassen werden. Diese Menschen bilden eine Mehrheit, treten aber kaum in Erscheinung und äußern aufgrund von aggressiver woke-Rhetorik auch Ihre Meinung immer weniger. Selbst Meinungsumfragen werden zunehmend verweigert. Es sind aber genau diese Menschen, welche das Gemeinwesen funktionieren lassen.
Diese Menschen erzeugen Produkte, bauen Infrastruktur, zahlen Steuer, pflegen Kranke und sind auch noch bei der freiwilligen Feuerwehr. Es sind nicht die Menschen, welche sich auf die Straße kleben wegen denen das Gemeinwesen funktioniert. In der Politik ist Ihr Denken leider sehr verbreitet. In Parteien sind bevorzugt politische Aktivisten tätig nicht Durchschnittsbürger. Diese Aktivisten wählen Ihresgleichen in Ämter. In öffentlichen Wahlen bestehen dann die aal glattesten unter den Aktivisten. Reelle, pragmatische Kompetenzen befördert dieser Auswahlprozess nicht. Dieser Vertrauens-Schaden ist nicht leicht heilbar. Der erste Schritt wäre jedoch eine pragmatische, verständliche am Wohlstand der Durchschnittsbürger orientierte Politik gegen den woke-stream. Für viele der moralisch begründeten Maßnahmen wäre darin kein Platz. Staatliche Regulierung müsste sich wahrnehmbar aus vielen Bereichen zurückziehen und in den verbleibenden Bereichen konsequent Durchgreifen. Wenn Ihnen das zu abstrakt ist, fragen Sie Donald Trump. Wenn die politische Klasse im Elfenbeinturm das nicht versteht, werden die „Donald Trumps“ auch in Europa Erfolge feiern.
Michael Horbaschk

Was ist an einer gewissen kulturellen Homogenität fatal? Unser großartiger, geschichtlich einmaliger Sozialstaat lässt sich nach den heutigen Gegebenheiten nur im Nationalstaat verwirklichen. Die Sozialhaushalte schöpfen eine derart riesige Menge Leistung und Wohlstand zum Zweck einer evtl. erforderlichen Hilfe ab, dass man die Sicherheit benötigt, dass neu Hinzutretende das gleiche solidarische Wertegerüst haben. Und wenn das Solche sind, die z.B. weder lesen noch schreiben können, darf man diese Eignung bezweifeln; da nützt auch das penetrante Anbeten der Gleichheit nichts. (Korrekt müsste es ohnehin heißen: „biologische Gleichheit“, denn eine kulturelle ist gewiss nicht gegeben.) Wenn Europa irgendwann zusammenkommt, ist auch das ein Nationalstaat, denn es werden noch ganz viele Gleiche außerhalb stehen.
Werner Koetz

Sie haben mit der Überschrift schon weitgehend Recht, aber noch besser wäre es m.E. von einem falschen Sicherheitsanspruch oder einem falschen Sicherheitsversprechen zu reden. Natürlich ist Abschottung allein keine, vor allem keine ausreichende Antwort auf die rechtsextreme Gefahr, und es braucht eine neue Politik, aber nicht nur neue Politik, sondern auch bessere Informationen und Einsichten durch die Medien und letztlich alle. Aber eine Politik der „Gerechtigkeit“, des Fortschritts? Was sollte das sein? Versteht darunter nicht fast jeder etwas anderes und oft Gegensätzliches? Und gilt es nicht oft erst einmal unnötige und egoistisch motivierte Rückschritte zu verhindern oder zu bekämpfen, so wie auf einem schwer geschädigten untergangsbedrohten Schiff zuerst mal das Leck repariert und das Schiff gerettet werden muss, ehe man sich daran macht, über die Schaffung von gerechteren und fortschrittlicheren Verhältnissen an Bord nachzudenken und zu diskutieren? Angesichts nicht nur des Klimawandels erscheint der Planet und seine Bewohner tatsächlich wie ein sehr gefährdetes Schiff, sogar mit Kriminellen und Terroristen an Bord, so dass völlige Gerechtigkeit und Fortschritte des Bordlebens derzeit zumindest für viele an Bord eher Luxus und Wunschdenken oder Verkennung der Lage sind. Die von Ihnen beklagte „Realitätsverneinung“ nehme ich mehr oder weniger auf fast allen Seiten wahr, von ganz links über ganz grün bis ganz rechts. Auch die Menschenfeindlichkeit wurde auch schon von zumindest angeblichen Fortschrittskämpfern erlebt, nicht nur von rechtsaußen und nicht nur von Kapitalisten.
Natürlich kommt es sehr darauf an, vor einer Antwort die richtigen Fragen zu stellen und falsche Fragen zu entlarven. Aber es gibt oft viele mögliche Fragen und auch sehr falsche künstlich eingeengte Alternativen, wobei weitere Alternativen ausgeblendet, verschwiegen oder tabuisiert werden. Kulturelle Homogenität ist nicht nötig und Vielfalt oft bereichernd, aber bitte eine prosoziale Vielfalt und nicht eine Vielfalt der Egoismen, der Intoleranz, der Traumtänze, der Kriminalität, des Anspruchsdenkens, allein die Wahrheit und den Fortschritt gepachtet zu haben. Vertrauen kann meist nicht durch Erfüllung aller Erwartungen und Forderungen gewonnen werden, sondern durch Vertrauenswürdigkeit, also Ehrlichkeit, Realismus, Verzicht auf unerfüllbare Versprechungen und auf die Hybris, man selbst, die eigene Bewegung könne alle Probleme lösen, und dann noch allein durch „den Staat“, ohne Mitarbeit, Mitverantwortung oder „Belastungen“ irgendwelcher Bürger. Die „Würde des Menschen“, im Grundgesetz garantiert, ist absolut nicht nur durch den Staat gefährdet, sondern durch viele Gruppen und Individuen, in der Kriminalität, beim Mobbing, bei Gewalt auf Schulhöfen und im Unterricht, bei der Hetze und Drohungen im Internet etc. etc. Das alles kann nicht nur durch — soweit möglich — mehr Gerechtigkeit bekämpft werden, zumal es vielen Tätern gar nicht auf wirkliche Gerechtigkeit ankommt, sondern auf die eigene Macht, Überlegenheit und Vorteile, die aber oft als Gerechtigkeit verbrämt werden, bis hin zur berüchtigten Täter-Opfer-Umkehr.
Und genauso wie perfekte Gerechtigkeit kaum erreichbar ist, vor allem keine durch alle so erlebte, ist auch perfekte Sicherheit vor allem und jedem nicht erreichbar, schon gar nicht allein durch den Staat, denn sie hängt auch sehr ab von der Wahrnehmung der eigenen Verantwortungs- und Selbstwirksamkeits-Anteile, von Schicksal und von dritten, die nicht oder schwer der Kontrolle des Staates zu unterziehen sind. Natürlich müssen die Ursachen — nicht nur bei Unsicherheit — adressiert werden, die aber oft vielfältig und gut verteilt sind und teils auch in den sich unsicher fühlenden selbst mit bedingt sein können. Natürlich müssen „die Menschen“ — möglichst viel mitbestimmen, aber bitte nicht nach dem Prinzip „wünsch dir was“ oder „meine Interessen immer mit Vorrang“, sondern mit ausreichenden Informationen aufgeklärt wie bei guten Bürgerräten und mit Rücksichtnahmen auch auf andere betroffene, selbst wenn die noch kleine Kinder oder Enkel sind, sogar „nur“ die von anderen und nicht die eigenen, und nicht nur wenn es um gegenwärtiges Wohl geht, sondern auch um das Wohl in einigen Jahrzehnten. Es muss immer auch um das Maß der Mitbestimmung gehen, denn 100% bestimmen könnte nur einer, eine gerechte realistische Mitbestimmung kann bestenfalls nur dem eigenen kleinen Anteil an der Bevölkerung betreffen, ggf. vermehrt um den Grad der Expertise und der Vertrauenswürdigkeit, nicht nur die eigenen Interessen zu vertreten, was ja leider oft schiefläuft.
Sehr Recht haben Sie, dass es oft eine nur vermeintliche Progressivität gibt, die entweder egoistisch oder logisch oder faktisch fehlerhaft ist. Damit sind kritisches und innovatives Denken auch kein Selbstwert, sondern eher Sekundärtugenden, deren Wert sehr von der Zielrichtung, Verantwortlichkeit und dem Realismus abhängt, u.a. auch ob das kritische Denken auch Selbstkritik bei Bedarf beinhaltet. Respekt vor jedem Menschen ist sicher nicht nur wünschenswert, sondern auch eine Art Menschenrecht als Spielart der „Würde“. Aber heutzutage erlebe ich eine Art Inflation des Anspruchs auf Respekt, in der jede Nichterfüllung von Forderungen und Wünschen als „Respektlosigkeit“ verdreht oder diffamiert wird, egal was die wirklichen Möglichkeiten sind oder die Folgen für dann andere Betroffenen. Sehr Recht haben Sie auch mit der Klage, dass unter „Freiheit“ allzu oft die „Freiheit“ zur Rücksichtslosigkeit, zur Schädigung auf Kosten anderer, verstanden wird, und das nicht nur von ganz rechten oder von „Kapitalisten“, als habe Freiheit nichts mit Verantwortung oder Grenzen an der Freiheit oder dem Wohl anderer zu tun. einen „Platz an der Sonne“ in dessen Größe auf Kosten des Platzes von anderen beanspruchen auch viele, nicht nur bei Rechten und Kapitalisten. Dass diese Ansprüche nicht auf Kosten anderer, gar prekär lebender gehen sollen, wird dann gern allein der Verantwortung des Staates zugeschoben, als seien nicht irgendwo wir alle der Staat. Sehr Recht haben Sie auch mit der Klage, dass der Anspruch an „die POLITIK“ oft ist, dass Gerechtigkeit und Wohltaten und Fortschritte im nationalen Rahmen zu bleiben haben, und dass keine Ressourcen und Arbeitskraft für Menschen außerhalb der eigenen Region „verschwendet“ wird, als haben wir in den reichen Staaten nicht vielfach Nöte und prekäres Leben im globalen Süden mit verursacht. Aber auch dort wie bei allen prekären gibt es unrealistische und verantwortungslose Haltungen, etwa so, dass man allein gar keine Verantwortung habe und gar nichts selbst verbessern, lernen und einsehen müsse. Es ist nicht wirklich so, dass sich Opfer- und Täterrolle völlig gegenseitig ausschließen, weder individuell noch kollektiv. Alle müssen ihren fairen und möglichen Teil beitragen zur Lösung der mehrfachen fast schon unlösbaren Probleme, die nur noch von allen zusammen bewältigt werden können, erst recht, wenn das noch rechtzeitig kommen soll.
Peter Selmke

Adornos Praxis-Abstinenz – Rainer Forst lässt sie wiederauferstehen. Anstatt konstruktive und umsetzbare Wege aus der politischen Krise liberaler westlicher Gesellschaften aufzuzeigen, entwickelt der Philosoph die teils sattsam bekannten Überlegungen zu einer Politik der Gerechtigkeit. Die eigentliche und für die Welt überlebenswichtige Frage, wie man konkret von nationalen zu transnationalen (Macht)Strukturen gelangen könnte, um eine Ordnung der Gleichheit herzustellen, wird nicht ansatzweise reflektiert. Doch das wäre notwendig, um die ‚Agenda der Sicherheit‘ abzulösen. Adorno ist damals ausgepfiffen worden, Forst hört heute niemand zu, fürchte ich.
Willi Goldstein

Der Herr Professor Forst hat Recht den „Fortschritt“ der Gerechtigkeit zu fordern. Die wirksame Wirklichkeit erfordert raschen gesellschaftlich parlamentarischen Pragmatismus; Geld gibts genug für Gerechtigkeit d.h. für Kinder, Ges System, Justiz, Polizei & Militär, sozialer Wohnungsbau ,Infrastruktur wenn endlich Reichtum wieder in die Pflicht und die demokratische Mangel genommen wird :
1. organisierte Kriminalität (OK) endlich effektiv organisiert , zentral geleitet europäisch vernetzt leer saugen , FDP darf nicht mehr stören , in Italien lernen gehen :  Reichtum muss beweisen wo er herkommt ,Telefonat dürfen dafür abgehört werden
2. kriminell organisierte Wirtschaft ( KO ) : cum ex et ff, Steuern auf Multis , uvam Unsere Demokratie darf erwachsen werden und stärker , Wir dürfen alle von Marx  Analyse lernen ohne in Kommunismus zu verfallen .Die Linken sind völlig anästhesiert diesbzgl. , BSW ist lachhaft – wenns nicht so traurig wäre . Eine relativ unbekannte besondere Kategorie sind „die“ Reichen. Den Verantwortungsbewussten von ihnen ein Gesprächsangebot machen wäre der erste Schritt. Da sie scheu sind, könnte eine kleine europäische Allparteien Parlamentariergruppe diskret delegiert werden.
3 Mr & Mrs Moneyland haben Pässe diverser Länder, Immobilien, Yachten, Flugzeuge ,Aktien und wie nicht alles .Auf jedem Kontinent gibt es diese neue alte Menschenrasse in vielen Farben und Formen , zB ab 10 Mio. Dollar 30 Mio. ? 100 Mio? Finanzbehörden müssen Wissen Daten dazu endlich sammeln und bündeln und dem Parlament präsentieren Europa kann sich keine Kumpelhaftigkeit mehr leisten. Reichtum tropft nicht ab, sondern verschleiert sich und die Draufsicht. Aber Trump zeigt es, wie seinerzeit Berlusconi; ihre destruktive Obszönität schlägt um in offene Gewalt – spätestens seit dem Sturm aufs Kapitol vor Kurzem. es braucht Mut, Tapferkeit und Taten. Wir deutschen Märchenexperten könnten direkt   unsere Grimm Brüder daraufhin erneut lesen …und daraus lernen.
Michael Hermeling

Ja, in unserer komplexen Welt gibt es eine regressive Grundströmung mit einer Sehnsucht nach Einfachheit und Unmittelbarkeit. Das Regressive zeigt sich u.a. in der wachsenden Dominanz des Reiz-Reaktionsmusters, dem auch demokratische Politiker zunehmend verfallen, wenn Sie ihre Positionen mit der Einleitung „Die Menschen wollen…“ untermauern. Das Unmittelbare kann sich mit dem Charme des Authentischen gegen das Mittelbare mühelos durchsetzen. Wo das Mittelbare auf der Suche nach den richtigen Fragen und Antworten auf Differenzierung und Argumentation setzt, kann das Unmittelbare mit Emotionen und Bildern überzeugen. Das Komplexe und Vermittelte löst immer mehr Ängste und Abwehrreflexe aus. Diese nähren das wachsende Bedürfnis nach Sicherheit, das sich vor die Bedürfnisse nach Freiheit, Gleichheit und Solidarität schiebt und die Demokratie zu erdrücken droht. Regressive Politik bedient scheindemokratisch das Sicherheitsbedürfnis. Das Schüren von Ängsten und Abwehrreflexen berührt die Menschen unmittelbar (sie fühlen sich verstanden und gesehen). Es ist aber eine Herrschaftstechnik. Ja, wir brauchen eine progressive Politik, die sich auf der Höhe der Fragen unserer Zeit bewegt und die die Klugheit und den Mut hat, die Menschen mitzunehmen: auf dem Weg zu den richtigen Fragen und möglichen Antworten.
Reinhard Koine

darf man ihre Forderung nach einer „transformativen Politik der Gerechtigkeit“ – der bewusst ist, dass es keinen guten Grund dafür gibt, dass sich das Vermögen der einen beständig anreichert, während das Auskommen der anderen immer schwieriger wird – so verstehen, dass Sie den Aufbau der für unser Wirtschaftssystem gerne so hoch gepriesene Leistungsgesellschaft hinterfragen möchten? Inhaltlich wäre ich da auf ihrer Seite, aber in unserer Gesellschaft gerät ja allein schon der Begriff „systemrelevante Bereiche“, mit dem man in Pandemiezeiten versucht hatte, die echten Leistungsträger zu honorieren, schnell wieder in Vergessenheit. Sehen Sie die progressiven Zeitgenossen, an die ihr Appell gerichtet zu sein scheint, eher in der Politik oder im Journalismus?
Uwe Apel

„Der Fehler liegt aber in der Auffassung, dass die Ordnung, die nun gefährdet ist, genau die Demokratie ist, die angestrebt werden sollte.“ – Professor Forst hat es auf den Punkt gebracht. Manchmal braucht die praktische Politik tatsächlich einen politischen Philosophen.
Heide Richter-Airijoki

Die Forderungen nach Sanktionen mit Mutmaßungen und Vermutungen zu begründen ist ja nicht neu. Neu wäre es Sanktionen gegen Kriegsverbrecher zu fordern, davon gibt es auch im Westen genug! Es gibt auch verdächtig viele Stromausfälle, könnten nicht auch hier von Russland gelenkte Teilzeit-Terroristen dahinterstecken? Verschwörungstheorien in der ZEIT – bitte nicht! Richtig ist; Deutschland wurde in einen Konflikt hineingezogen, den die USA mit der NATO-Erweiterung gewollt haben. Russland muss eingedämmt werden – so hieß es schon vor dem Krieg. Die wirtschaftliche Macht Deutschlands ist trotz hohem BSP bei 2,5Billionen Schulden wohl eher als begrenzt einzustufen, aber auf Bodenschätze aus dem Ausland sind wir angewiesen. Und ja, Sanktionen wirken – vor allem bei uns! Die Energiepreise waren noch nie so hoch!

Sollte es unserem Geheimdienst auch erlaubt seine Pipelines zu sprengen und die Strom- sowie die Wasserversorgung für die Zivilbevölkerung zu zerstören? Das Vermögen russischer Eliten, die unter Jelzin reich geworden sind, würden mich, z.B.  im Vergleich mit dem englischen Königshaus, auch interessieren. Keine Fantasie brauche ich allerdings, um mir zu denken, was Fr. Nuland mit fuck the EU gemeint hat.
Manfred Stauss

M. E. bedarf der Artikel „Die falsche Sicherheit“ von Rainer Forst, der zur grundlegenden Verteidigung einer progressiven Politik aufruft, bei aller großen Zustimmung und verdientem Lob aber auch zumindest zweier kritischer Anmerkungen. Erstens sind die prinzipiell richtigen Überlegungen und Forderungen so allgemein gehalten, dass sie sich in erster Linie wohl nur an bereits überzeugte Demokratiefreunde richten bzw. dass sie nur bei diesen etwas zusätzlich Positives ausrichten sollen/können. Zweitens wird zwar darauf hingewiesen, dass progressive Politik „auch die strukturellen Ursachen für das spezifische Ressentiment beachten muss, das aus Ungleichheit und Perspektivlosigkeit rührt“ – das bezieht sich implizit aber wohl eher auf (anderweitig schon vielfach zitierte) „abstiegsbedrohte Alteingesessene“ und nicht auf jene (kaum thematisierte) Migranten, die ein völlig unangepasstes, letztlich nicht zu tolerierendes Verhalten an den Tag legen. Mit dem völligen Ausblenden dieses Sachverhalts verliert auch dieser Artikel, der doch umfassend die „eigentliche Krise der Zeit“ erörtern will, entscheidend an glaubwürdiger Argumentationskraft.
Norbert Albrecht

Rainer Forst, Professor für Politische Theorie und Philosophie an der Goethe Universität Frankfurt am Main beruft sich auf Immanuel Kant. Dies zu Recht. Die Menschheit muss den sanften Ausstieg aus dem exponentiellen Wachstum von Kopfzahl und Konsum bewerkstelligen. Folgende Interpretation des kategorischen Imperativs könnte helfen: Damit die Menschheit noch lange gut fortbestehen kann, sollte jeder nur so viele Kinder in die Welt setzten als die langfristig verfügbaren eigenen Ressourcen erlauben. Das wäre auch die Lösung für den wichtigsten Zielkonflikt innerhalb der Menschenrechte. Dies ist der Zielkonflikt zwischen dem Menschenrecht auf Eigentum und den Menschenrechten auf Lebensunterhalt. Denn aus einer aktuellen Interpretation ist aus den Menschenrechten ableitbar, dass du deinem Nachbarn den Lebensunterhalt sichern musst, auch wenn er diese Hilfe nutzt, um mehr Kinder in die Welt zu setzten als die verfügbaren Ressourcen zulassen. Dies auch wenn dieses Verhalten dazu führt, dass er immer mehr Hilfe benötigt, was schließlich dazu führen wird, dass in absehbarer Zeit folgende Situation entsteht: Um den wachsenden Bedarf an Hilfslieferungen zu decken, müssen so viele Mittel aufgewendet werden, dass das Recht auf Eigentum in den Ländern, aus denen die Hilfsmittel kommen, nicht mehr gewährleistet ist. Eine solche Einschränkung des Rechts auf Eigentum könnte zum Beispiel darin bestehen, dass Gemeinden Schwimmbäder schließen müssen, weil das Geld nicht mehr reicht. Leidtragend sind dann diejenigen Familien, die sich keine Ferienreisen ans Meer leisten können. Das Reagieren auf solche Situationen darf nicht populistischen Rechtsextremen überlassen werden. Das Sichern des Rechts auf Eigentum sollte nicht abgeleitet werden, durch Formulierungen wie „Alles für Deutschland“. Denn das Sichern dieses Rechts liegt im langfristigen Interesse aller Menschen. Das aktuelle Schlamassel der Menschheit beruht auf einer Art «Tragik der Allmend». Die Allmend ist dabei die Aufnahmekapazität der Erde für Kopfzahl und Konsum. Das Recht auf Eigentum, verantwortungsvoll interpretiert, ist ein bewährtes Mittel die nötige Eigenverantwortung einzufordern, die darin besteht mit den eigenen vorhandenen Ressourcen auszukommen.
Diese Forderung müsste auch geeignet sein, die demographischen und ökonomischen Gräben innerhalb der Menschheit zu schließen. Denn das exponentielle Wachstum von Kopfzahl und Konsum ist sehr ungleich verteilt. Zum Beispiel, was die Geburtenrate betrifft, so liegt sie etwa im Industriestaat Südkorea bei 0.7 und in einigen Ländern Afrikas über 6. Ähnliches gilt für die Verteilung des Wohlstands und des Konsums. Das liegt an den unterschiedlich verfügbaren Perspektiven. Die Unterschiede bei den Geburtenraten beruhen auf zwei Rückkoppelungen: Hohe Geburtenraten bewirken hohe Jugendarbeitslosigkeit, geringe Berufs-Perspektiven und daher das Nutzen von Ersatz-Perspektiven, die wiederum hohe Geburtenraten bewirken. Tiefe Geburtenraten hingegen bewirken gute Perspektiven in Beruf und beim Konsum, die aber Aufwand an Geld und Zeit benötigen, was die Geburtenraten weiter reduziert. Hohe Jugendarbeitslosigkeit führt aber auch zu Krisen, die dann zu einer unbegrenzten Nutzung des Asylrechts berechtigen. Ein Beispiel für die Wirksamkeit des Rechts auf Eigentum liefert der Vergleich zwischen dem Gazastreifen und dem Iran. Im Gazastreifen ist die Geburtenrate 3.5. Im Iran beträgt sie 1.68. Der Unterschied besteht darin, dass im Iran nur das eigene Eigentum verfügbar ist. Ein anderer Vergleich nämlich der zwischen dem Gazastreifen und Italien liefert ein ähnliches Bild. Italien hat bei 59 Millionen Einwohnern die Geburtenraten 1.25. Der Gazastreifen hat 2 Millionen Einwohner. Bei einer konstanten Fortsetzung gäbe es im Gazastreifen nach 4 Generationen 18.9 Millionen Einwohner und in Italien 9 Millionen. Der problematische Unterschied zwischen dem Wachstum von Kopfzahl und dem Wachstum von Konsum ist, dass der Konsum bei Bedarf sehr weit zurückgefahren werden kann, was bei der Kopfzahl nicht der Fall ist.
Gernot Gwehenberger

Ein brillanter Artikel: wenn man die falschen Fragen stellt, können nur falsche Antworten herauskommen. Der Fokus auf Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit hat mir sehr geholfen beim Sortieren meiner Werte. Nur eines möchte ich monieren: ich musste den Artikel dreimal lesen, bevor ich ihn (hoffentlich!) verstanden habe. Warum neigen Philosophen leider dazu, ihre wichtigen Überlegungen so zu verpacken, dass man sie erst beim dritten Anlauf versteht? NOCH brillanter wäre Herr Forst, wenn er ein bisschen weniger kompliziert getextet hätte. Dann wäre er vielleicht sogar gerechter gewesen. Denn ich gebe natürlich unumwunden zu, dass ich niemals in seiner semantischen Liga spielen werde, kulturell also niemals als Gleiche gelten kann (aber wahrscheinlich habe ich jetzt auch seinen Gerechtigkeitsbegriff missinterpretiert und einmal mehr meine Zugehörigkeit zur Kreisliga bewiesen…).
Patricia Klein

Aus meiner Sicht geht Forst von falschen Grundannahmen aus. Zunächst lernen wir, dass Demokratiegegner grundsätzlich rechts und menschenfeindlich sind; linke Demokratiegegner kommen in seinen Annahmen nicht vor. Weiter meint Forst, dass für eine Demokratie die wichtigsten Prinzipien Gerechtigkeit und Gleichheit seien. Dies gilt aber zumindest nicht für das Grundgesetz und da seine Ausführungen in Deutschland wirken sollen, haben sie dort eben nur wenig Nachhall. Im deutschen Grundgesetz nimmt die Gerechtigkeit keinen großen Stellenwert ein. Sie wird in Art. 1, Abs. 2 GG eher am Rande erwähnt. Die Gleichheit tritt dann in Art. 3 GG hinter die persönliche Freiheit aus Art. 2 GG zurück. Forst wertet das genau andersrum, für ihn ist die Gleichheit elementarer als die Freiheit. An erster Stelle steht für das Grundgesetz aber die Würde des Menschen, die wiederum in den Überlegungen von Forst keine Rolle spielt. Nicht Gerechtigkeits- oder Gleichheitserwägungen dürfen auschlaggebend für eine progressive Politik sein. Die soziale Marktwirtschaft ist nicht gerecht aber dennoch common sense in Deutschland, und es sind nicht alle Menschen gleich und haben auch nicht alle die gleichen Startvoraussetzungen. Beidem nachzueifern, ist zum Scheitern verurteilt. Maßstab einer progressiven Politik muss allein die Würde des Menschen sein; jeder Mensch muss in die Lage versetzt werden, ein würdevolles Leben zu führen – einschließlich eines würdevollen Sterbens; dabei müssen strukturelle Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten hingenommen werden. Alles andere läuft auf Kommunismus heraus, der sich als nicht tragfähig erwiesen hat.
Volker v. Moers

 


 

Leserbriefe zu „Der Familienauftrag“ von Stephan Lebert und Britta Stuff

Ihr Beitrag „Der Familienauftrag“ beginnt: „In fast jeder Familie in diesem Land…“ Diese Behauptung ist eine schwere Beleidigung alles Deutschen, die nie Hitler gewählt haben. Die Nazis hatten nie die absolute Mehrheit, sondern waren auf eine Koalition angewiesen.
Kurt Wolf

DANKE für Ihren Artikel. Dass Sie den Mur haben den Deckel zu heben, sehr kluge, literarische Impulse setzen, um aufzuzeigen, „so könnte das gehen“. Hinzuschauen, Fragen zu stellen, das Gespräch suchen, das Darüber-Sprechen lernen und sich in den Erkenntnisprozess hineinzubegeben, was war eigentlich in meiner Familie los? Wo genau komme ich her? Was haben Eltern, Großeltern erlebt, durchlitten, aber auch getan, verschuldet? Wie hat mich das geprägt? Meine Geschwister? Unsere Beziehungen zueinander? Was haben wir versäumt zu leben, weil wir kollektiv geschwiegen haben? Jedes Mal, wenn ich aus dem Ausland nach Deutschland zurückreise, besonders aus Frankreich, bin ich wiederholt verstört, über das zwischenmenschliche Klima in unserem Land. Es ist ein einfach ein Gefühl, wie es hier läuft. Auffällig: Kontrolle, Misstrauen, Sauberkeitsfanatismus, eine seltsame Erstarrtheit, Befangenheit in sich selbst, diese Autoverliebtheit, überhaupt die Bedeutung von „Sachen“. Spätestens seit ich Margarete und Alexander Mitscherlichs Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ gelesen habe, frage ich mich, was wird da kollektiv seit Jahrzehnten und Generationen ständig „weggeputzt“, versucht um jeden Preis „unter der Oberfläche“ zu halten und was ist der Preis, den wir als Gesellschaft für dieses kollektive Verdrängen bezahlen?
Gibt es einen Zusammenhang zwischen meinem subjektiven Empfinden nach der Rückkehr von Reisen und unserer Geschichte? Baerbocks Reaktion entspricht dem kollektiven Unschuldsgebaren des „Nichtwissens“, das ich in abgewandelter Form auch bei anderen Themen immer wieder höre. Dabei ist die Unterlassung des Wissen-Wollens, die intellektuelle Bequemlichkeit des Wegduckens und der kindlich-unreife Rückzug auf eine vermeintliche Nicht-Zuständigkeit, Verantwortungslosigkeit, das eigentlich Tragische. Der Preis dieser Verleugnung ist aus meiner Sicht ungeheuer hoch. Es gibt kein wirklich authentisches & zur seelischen Reife entwickeltes Leben, individuell und kollektiv, wenn man nur dem Licht & dem Leichten nachjagt, es aber versäumt sich mit dem Schatten & den Kellerkindern der eigenen Biographie, Familie, ja der eigenen Gesellschaft übend auseinanderzusetzen. Ich bin keine große Podcasthörerin, werde aber in diesem Fall aber definitiv reinhören. Dass Sie ausgerechnet Judith Hermanns Wir hätten uns alles gesagt aufgegriffen haben, hat mein Herz höherschlagen lassen. Es hat mich 2023 tief erschüttert in seiner Radikalität und Offenheit und gleichzeitig in seiner Kunstfertigkeit die Grenze zum Unsagbaren, das Unaussprechliche meisterhaft zu erkunden, zu erzählen. Danach habe ich alle ihre Bücher lesen müssen. Und die Autoren & Bücher, die sie in Wir hätten uns alles gesagt, erwähnt allen voran Carson McCullers und der großartige Raymond Carver.
Kinga Bogdain

Ja, es ist richtig, daran zu erinnern, was in Deutschland geschehen konnte, weil unsere Vorfahren genauso verirrt und verführt waren, wie heute die Menschen in Amerika, die es offenbar nicht stört, dass ein verurteilter Lügner und Betrüger Präsident werden kann. Hat die Menschheit etwas gelernt? Offenbar nicht. Doch es nervt, wenn ständig zu lesen ist, wie übel wir uns Deutsche damals verhalten haben. Das weiß inzwischen jeder und das spielt nur der AfD in die Hände, die wohl meint genug sei genug. Besser wäre, den nachkommenden Generationen zu zeigen, was damals falsch war, aber vor allem wie es anders gehen kann – tolerant demokratisch – statt ständig dieselbe Sauce umzurühren. Es reicht! Immer dieselbe Litanei. Artikel, deren Autoren nicht einmal genannt werden, möchte ich nicht mehr lesen. Ich gehöre auch zu der Generation, deren Vorfahren Schuld auf sich geladen haben, doch ich genieße die Gnade der späten Geburt und versuche, es den Nachfahren vorzuleben, wie es besser sein könnte.
Renate Wolf

Eine ganze Generation wollte die Juden ausrotten: Warum bemühte sich dann das System so intensiv, das Geschehen in den Vernichtungslagern geheim zu halten, anstatt es als Erfüllung des Volkswillens zu verkaufen? Dass die Deutschen glauben, in ihren Familien habe es viele Widerstandskämpfer gegeben, höre ich zum ersten Mal – und ich bin schon lange auf der Welt. Der Artikel braucht wohl eine solche Prämisse. Die geforderte hunderttausendfache Erzählung realisieren wir jetzt, indem wir uns abends, statt Fernsehen zu gucken, ständig die vielen Verbrechen unserer Vorfahren vorhalten und uns schämen (was sonst?). Dann wählt keiner mehr AfD!
Werner Koetz

Endlich, endlich, endlich! Danke, dass dieses Thema so viel Raum bekommt, bzw. überhaupt aufgegriffen wird. Ich kann Ihnen nur zustimmen, dass es um Verdrängung und Verharmlosung der Familiengeschichten geht. Wie bekannt, wächst Verdrängtes wie ein Geschwür unentdeckt weiter, bis es schmerzt und dann nur noch schwer zu behandeln ist. Meine Hypothese dazu ist, dass sich genau jetzt das Geschwür zeigt. Ich selber bin als Psychoanalytikerin für Kinder und Jugendliche und Eltern seit mehr als dreißig Jahren mit dieser Thematik beschäftigt. Ich frage immer nach den Erfahrungen von Großeltern, jetzt Urgroßeltern in der Nazi-Zeit. Drei Dinge sind dabei auffällig: häufig traumatische Fluchtgeschichten, kaum Kenntnis über die Täterseite bzw. Ablehnung sich damit zu beschäftigen und was mich am meisten beschäftigt, ist die Erziehung in der Nazi-Zeit, die geprägt ist von bewusster Verhinderung von Bindung, von bewusster Verweigerung emphatischen Eingehens auf das Kind und die Stilisierung von Helden, sprich Kriegshelden, also dem ideologischen Überbau. In meiner Praxis habe ich durchgängig die Erfahrung gemacht, dass die Bindungsentwicklung transgenerationell problematisch ist. Das ist verständlich, denn wenn Eltern dies selber nicht erlebt haben, erfordert es viel sich diese Fähigkeit freizulegen. Ich bin seit einiger Zeit dabei mich mit verschiedenen Aspekten der Nazi-Erziehung auseinander zu setzen. Und mit den Folgen von Verdrängung, Schuldabwehr und Projektion auf Andere, mit Beziehungsstörungen, die die Verarbeitung von Konflikten, seien es persönliche, gesellschaftliche oder politische, besonders schwer machen. Ich halte das Thema Erziehung im Nationalsozialismus für besonders wichtig. Es erklärt die Täterpersönlichkeit. Und es erklärt einige Entwicklungen in der deutschen Gesellschaft, mit denen wir uns gerade beschäftigen. Es gefällt mir, beinahe möchte ich sagen, es tut gut, dass sie das Thema fortsetzen werden.
Diana Reichhelm

Der Artikel spricht mir aus dem Herzen. Besser hätte man ihn nicht schreiben können. Ich habe mir auch gleich die 1. Folge vom Podcast angehört. Erst seit zwei Jahren weiß ich, wie meine Vorfahren getickt haben, nachdem ich 2022 über 100 Briefe meiner Großeltern aus der Zwischenkriegszeit durch Zufall erhalten habe. Mit dem Hinweis, aufheben oder wegwerfen, fasste ich den Mut, darüber ein Buch mit dem Titel „Im Nationalrausch – Wie Oma und Opa den Nazis auf den Leim gegangen sind“ im Selbstverlag zu veröffentlichen. Renommierte Verlage zeigten kein Interesse. Meine Familie gehörte zu den Heimatvertriebenen, aber für mich war meine Heimat Hessen, wo ich aufwuchs. Wie verstrickt meine Familie mit dem Nationalsozialismus war, erfuhr ich erst jetzt und konnte kaum glauben, was ich in den Briefen las. Ich nahm Kontakt zum Geschichtsverein Posen und zum Bund der Vertriebenen auf, um mein Buch auch dort bekannt zu machen. Keine Reaktion! Ich denke, dass es immer noch etwas mit „Nestbeschmutzung“ zu tun haben könnte. Das Ausmaß, wie auch die sog. Volksdeutschen für den Nationalsozialismus instrumentalisiert wurden, war mir so nicht bekannt und ich verschlang alle Bücher, die darüber mit Fakten berichteten. Durch Einladungen zu Lesungen erfuhr ich viel positives Feedback. Hinweise zu meinem Buch erfährt man über meine Webseite www.ingridrauner.de
Ingrid Rauner

Ich setze voraus, dass Sie mit Ihrem Vorschlag die Gesellschaft besser und die Demokratie stabiler machen wollen. Aber ich finde, dass Sie damit genau das Gegenteil erreichen würden. Gehen wir einmal zurück in die späten 40er und die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Heute wird diese Zeit oft abwertend als Adenauersche Restauration oder Postfaschismus bezeichnet. Das ist erst einmal eine schäbige Besserwisserei, aber weit wichtiger, es unterschlägt, dass es die Neubegründung der Demokratie in Westdeutschland war. Das war ja ein Unternehmen, dass mit den Menschen, die zum größten Teil in dem menschenverachtenden System mitgemacht oder es gefördert haben, um es milde auszudrücken, eine Demokratie aufzubauen, in der diese Menschen die Mehrheit haben. Und Demokratie ist nicht nur das Gute, Wahre, Schöne, sondern erst einmal die Herrschaft der Mehrheit. Und so war der einzige Weg in die Demokratie an das erhebliche Beschweigen der Verbrechen und der Verantwortlichkeit dafür gebunden. Solche Erfahrungen gibt es auch aus anderen Ländern. Ein Blick nach Ostdeutschland (wo ich herkomme) ist hier vielleicht hilfreich. Hier bestand die Führung aus Widerstandskämpfern und die Naziverbrechen waren ein wichtiges politisches Thema, das allerdings auch nach Opportunität benutzt wurde. Eine Voraussetzung dafür war, dass in der DDR eine Diktatur herrschte, die keine Mehrheit brauchte.
Was soll nun eine Neuaufnahme der 50er Jahre mit den Großvätern der heute Lebenden bringen. Wie auch damals ist es den meisten Menschen kein Bedürfnis ihre Missetaten oder die ihrer Vorfahren öffentlich zu machen. Um es auf den Punkt zu bringen, sollte Ihr Vorschlag von den demokratischen Parteien aufgegriffen werden, sage ich der AfD bei der nächsten Bundestagswahl die absolute Mehrheit voraus. Ihr Vorschlag ist vielleicht moralisch richtig, was ich nicht glaube, aber sicher politisch falsch. Diese Verwechselung von moralisch und politisch findet man heute (und vielleicht schon immer) in vielen gesellschaftlichen Stellungnahmen. Noch zwei Aspekte zu Ihrem Vorschlag.
– Ein wenig erinnert mich das an meine Vergangenheit als Ostdeutscher. Da war das Ziel die sozialistische und kommunistische Persönlichkeit – d.h ein neuer Mensch. Einen solchen neuen Menschen bräuchte es für Ihren Vorschlag auch.
– Es klingt alles ein wenig nach Psychoanalyse, was eine wenig evidenzbasierte Hypothese ist.
Reinhard Schulz

Schon Anfang der 90er Jahre, als aufgrund der Wiedervereinigung und des Endes der Sowjetunion Archive leichter zugänglich wurden, haben mein Mann und ich über unsere Familien während der Nazizeit geforscht. Wir sind zu deprimierenden Ergebnissen gekommen. In sämtlichen Herkunftsfamilien war niemand, der sich gegen die Diktatur gewandt hat. Außer Tante Thresi, unverheiratete Lehrerin in Aachen. Sie sagte während der Nazizeit: Ich geh nicht in die Partei. Der Hitler ist vom Teufel. Darauf wurde sie zu den Bergarbeiterkindern nach Herzogenrath versetzt. Die anderen Mitglieder unserer Familien waren alle bestenfalls Mitläufer, aber einige waren auch stramme Nazis. Das haben wir veröffentlicht. Was denken Sie, was das für einen Aufruhr gegen meinen Mann und mich in der Familie ausgelöst hat. Das war schwer auszuhalten. Fast der gesamten Verwandtschaft gelang es nicht, die dunklen Naziflecken an ihren geliebten Vätern, Müttern und Großvätern zu akzeptieren. Das war und ist wohl erstaunlicherweise heute noch das Problem: geliebte Menschen sind per se makellos, sie müssen es sein. Wenn nicht, gerät die heile Welt, in der wir uns geborgen fühlen, ins Wanken und auch das ist schwer auszuhalten.
Astrid Rühle

In dem Artikel appellieren die Autoren, dass es an der Zeit sei, dass sich alle Deutschen eine bestimmte Frage stellen sollten. Dem stimme ich vollumfänglich zu, hätte aber den Hinweis begrüßt, dass es aus dem Bundesarchiv auf Nachfrage häufig heißt: Im Bombenhagel unwiederbringlich verloren! Das zumindest war die Antwort auf meine dortigen Anfragen bzgl. der Akten meines Großvaters (1891-1966) und meines Vaters (1920-2012). Ganz so leicht wie der Text von Stuff und Lebert es suggeriert ist es also nicht, Genaueres über die eigene Familie in den Jahren 1933-45 zu erfahren. Dank anderweitiger Quellen ist es mir dennoch gelungen, die Geschichte der Familien meiner Mutter und meines Vaters nachzuzeichnen. Entstanden sind zwei Bücher mit rund 300 bzw. rund 350 Seiten, die an die Familie verteilt werden bzw. an lokale Archive gereicht wurden bzw. werden. Erstes Fazit: Keine NS-Belastung. Zweites Fazit: Obwohl nicht belastet, tut sich die Heimatgemeinde meines Großvaters schwer mit meinem Antrag, eine Straße oder einen Platz nach jenem Mann zu benennen, der vor 1933 und nach 1945 in der dortigen Lokal- und Landespolitik (Zentrum / CDU) aktiv gewesen ist. Obendrein hat er als Unternehmer über Jahrzehnte auch die wirtschaftliche Entwicklung seiner Heimat wie kaum ein anderer geprägt. Wo liegt das Problem? Im Juni 1938 kaufte mein Großvater der jüdischen Gemeinde des Ortes ein Gebäude ab, das als Wohn- und Bethaus genutzt wurde. 1950 kam es zu einem Vergleich mit den Rechtsnachfolgern der ehem. jüdischen Gemeinde. Mein Großvater hatte lange Jahre vor und auch Jahre nach dem Krieg einen engen beruflichen und nachbarschaftlichen Kontakt zu der kleinen Gruppe jüdischer Mitbürger in seiner Heimat. Diese Fakten sind bekannt und dokumentiert. Straßen oder Plätze, die nach Blumen und dergleichen benannt werden, sind unverfänglich. Und dennoch: Wie umgehen mit den (von niemandem angezweifelten) Verdiensten einer Person, die in ihrem persönlichen, gesellschaftlichen, politischen, religiösen und rechtlichen Umfeld aufrecht war, aber in jene Kategorie „Käufer jüdischen Eigentums nach 15. September 1935“ gehört? (K)ein Thema für DIE ZEIT?
Berthold Schmitt

Ein Bibelzitat: „Herr, wo ist ein Gott wie du? Du vergibst denen, die von deinem Volk übrig sind, und verzeihst ihnen ihre Schuld. Du bleibst nicht für immer zornig, denn du liebst es, gnädig zu sein! Ja, der Herr wird wieder Erbarmen mit uns haben und unsere Schuld auslöschen. Er wirft alle unsere Sünden ins tiefste Meer.“ Wo aber waren Gott und die Götter, als der Homo sapiens diese Nazi-Verbrechen beging, Millionen Menschen in den Konzentrationslagern vernichtete. Wo war da dieser Jehova, der christliche Gott, wo Allah – und wo waren da die gepriesenen und angebeteten Himmelsmächte…? Wann aber würde sich solch ein allmächtiger Gott (die Götter) aufzeigen und diese Vernichtungen, Kriege, Vertreibungen den Menschen insgesamt verbieten – nein: ihnen von der Veranlagung her, gar nicht erst diesen Wahnsinn zu ermöglichen… Das ist doch die Konsequenz aus all dem Religionserwarten: jeweiliger Gott wo warst Du als all dieses Furchtbare, Schreckliche, Grauenvolle geschah und geschieht zu allen Zeiten: seit es den Menschen, den Du erschaffen hast, seit es Deine Menschheit gibt… „Warum erzählen wir Deutsche uns nicht hunderttausendfach endlich die sehr persönlichen Geschichten von Täter-Biografien in den eigenen Familien – und was das alles mit uns angestellt hat, bis heute?“ – wird in DIE ZEIT als „Der Familienauftrag“ einfordernd nachgefragt und von Stephan Lebert sowie Britta Stuff fast als eine kollektive zentrale Aufarbeitung einer jeweiligen „verwandtschaftlichen“ Mitschuld der späteren Generationen so zentrifugiert… Und selbst das Entsetzen soll sich beim Großvater, Vater oder Onkel, einem Verwandtschaftsmitglied in der Familie (je nach Geburtsdatum) breitmachen, wenn da „nur“ eine Mitgliedschaft in der NSDAP aufzuspüren sei – allgegenwärtigen deren Mitschuld zu dem Gelingen zu diesem verbrecherischen Nazi-Regime und dem Werden von diesem: dies befehlenden Massenmörder Adolf Hitler… Fazit: Ohne das deutsche Volk in der Mehrheit – keine Naziherrschaft!
Der Außenminister und Vizekanzler Robert Habeck der Bundesrepublik Deutschland – kennt seine Familiengeschichte sicherlich bis ins Detail – nur weiß die deutsche Bevölkerung nichts über dessen Familienvergangenheit in der Nazizeit… DIE ZEIT schreibt nun darüber: „Robert Habeck hat nach dem 7. Oktober 2023 eine eindringliche Videobotschaft formuliert; er betonte, wie wichtig ihm die unbedingte Solidarität mit Israel sei. Und er sagte: „Es war die Generation meiner Großeltern, die jüdisches Leben in Deutschland und Europa vernichten wollte.“ Und des Weiteren verdeutlicht DIE ZEIT: „Wäre es besser gewesen, wenn Robert Habeck an dieser Stelle etwas persönlicher geworden wäre und von seinem Urgroßvater Walter Granzow berichtet hätte, der zum inneren Kreis Adolf Hitlers gehörte und ein enger Freund von Propagandaminister Joseph Goebbels war? Auch dessen Sohn Kurt, Robert Habecks Großvater, war ein strammer Nazi.“ Und wäre es besser gewesen, wenn Annalena Baerbock von ihrem Großvater erzählt hätte, einem Wehrmachtssoldaten, der noch kurz vor Kriegsende von den Nazis für seine Taten ausgezeichnet werden sollte?“ Beide – Habeck und Baerbock – scheinen relativ knapp sich geäußert zu haben zu dem zuerst (?) veröffentlichten BUNTE-Artikel über die Vergangenheit ihrer Familien… Und DIE ZEIT meint: „Es wäre besser gewesen, wenn sie selbst von den Verstrickungen erzählt hätten – und vor allem auch davon, wie damit in der eigenen Familie umgegangen wurde. Wurde darüber geredet? Wurde verdrängt und geschwiegen? Geleugnet oder gelogen?“ Tatsächlich war Walter Granzow mit Hitler gut bekannt, hatte ihn ab 1931 mehrfach als Gutsverwalter auf Gut Severin zu Gast (auch in den Übernachtungen) – außerdem heirateten Joseph Goebbels und Magda Quandt am 19. Dezember 1931 dort auf diesem Gut – dass der Industriellenfamilie Quandt gehörte… Bekannt ist, dass Magda Quandts Sohn aus erster Ehe mit Günther Quandt – als einziges nicht anwesendes Kind: die Giftmorde im Bunker unter der Reichskanzlei in Berlin an den sechs Goebbels-Kindern durch die Eltern Joseph und Magda Goebbels, somit überlebte… Auch die anschließende Selbsttötung des Joseph und der Maria Goebbels sind Nazi-Zeitgeschichte in solch schrecklichen Dimensionen zu den Ermordungen der unschuldigen Kinder der Familie. Wie entsetzlich schrecklich muss solch eine unvorstellbare Anhänglichkeit und Abhängigkeit an jenen Adolf Hitler und dessen Nazi-Ideologie gewesen sein: dass (vor allem auch die Mutter Magda) ihre Kinder persönlich mit Gift ermordete und dieser Joseph Goebbels als Vater: seine Kinder mit in den persönlichen Tod, vorab ebenso mitermordete…
Stephan Lebert und Britta Stuff echauffieren sich historisierend bedeutungsvoll hinein in die jetzige deutsche Gesellschaft: „In fast jeder Familie in diesem Land gibt es ein eisern verschlossenes Geheimnis. Es ist Zeit, dass alle Deutschen sich endlich eine ganz bestimmte Frage stellen…“ Vorab aber bezüglich des Großvaters von Annalena Baerbock hinterfragt, wenn da in DIE ZEIT von Stephan Lebert und Britta Stuff vermerkt wird: „Wäre es besser gewesen, wenn Annalena Baerbock von ihrem Großvater erzählt hätte, einem Wehrmachtssoldaten, der noch kurz vor Kriegsende von den Nazis für seine Taten ausgezeichnet werden sollte?“ Jawoll – nun muss endlich auch noch der letzte deutsche Wehrmachtssoldat in seiner Kriegszeit durchleuchtet werden – und was bedeutet dies als Vermerk zu diesem Artikel: „… noch kurz vor Kriegsende (er) als Wehrmachtssoldat von den Nazis für seine Taten ausgezeichnet werden sollte…? Damit sind wohl sicherlich (auszeichnende) Offiziere gemeint, die diesen Wehrmachtssoldaten mit einem Orden („für seine Taten“), also in den Abwehrkämpfen gegen die Rote Armee, er dieserhalb eine Tapferkeitsauszeichnung bekommen sollte… Was ist daran verwerflich (außer dass der Krieg grundsätzlich immer schon eine Abschlachterei ist), dass hier in DIE ZEIT also von Nazis geschrieben wird, die Taten auszeichnen… Ist das nicht in jedem Krieg so, dass Orden als Dekorationsmaterial herhalten sollen, um denjenigen Mann als möglichst vielfachen „Mörder“ entsprechend herauszuheben aus der Masse der vielen Männer mit den Waffen zum staatlichen sanktionieren Morden… Auch in der heutigen Bundeswehr würde es dafür Orden geben, sollte es zu einem Krieg mit einem Diktator kommen – oder sollen die Soldaten dann zuvor noch alle ihre Waffen ablegen und sich auf die Menschlichkeit sowie ihre innere und äußere Friedlichkeit berufen… Dann könnte der Feind bis an den Rhein durchmarschieren – vorbei an den spalierstehenden deutschen Bundeswehrsoldaten, die mit ihren Offizieren mit weißen Fähnchen wedelnd ihre Harmlosigkeit demonstrieren…
Warum aber wird solch eine (kollektive: „mea culpa –mea maxima culpa“) ambitionierte Kampagne der allgemeinen sogenannten Schuldbekenntnisse in DIE ZEIT abgedruckt, wenn da so eigenartig verlautbart wird: „So klingt das deutsche Lied seit Jahrzehnten: man beschwört die Schuld im Allgemeinen und schweigt über die Verstrickungen in den eigenen Familien. Die Aufarbeitung war Sache der offiziellen Politik und der Historiker. Innerhalb der Familie blieb sie meistens aus. Das Lied ist mitverantwortlich dafür, dass laut Umfragen die Deutschen heute glauben, in ihrer Familie habe es viele Widerstandskämpfer gegeben. Die Wahrheit ist: Historische Schätzungen gehen davon aus, dass nur drei von 1000 Deutschen damals aktiv möglichen NS-Opfern geholfen haben.“ Mal ganz deutlich erfragt – wie soll in einem zumeist schlichtgestrickten (heutigen) Volk, die Jugendlichen dazu aufgerufen werden, e n d l i c h ihre Familiengeschichte der Vergangenheit zu erforschen und zu rekonstruieren – wo die allermeisten doch noch nicht einmal wissen, wann der I. Weltkrieg stattfand und auch der II. Weltkrieg nicht mehr mit Daten nachvollzogen wird. Das Geschichtswissen ist bei den allermeisten Deutschen nicht vorhanden, genauso wenig: wie kaum etwas von Goethe und Schiller gelesen wird oder überhaupt Klassiker sowie moderne, bedeutende Literaturen in den Köpfen abrufbar sind… Irgendwie sind mir (als 75jährigem RvM-Leserbriefschreiber) diese Einforderungen von Stephan Lebert und Britta Stuff „an das deutsche Volk“ aus dem Rahmen der intellektuellen Verständlichkeit fallend – was eigentlich wird noch alles bedingungslos einverlangt und abverlangt bis in welche ewigen Zeiten hinein…? Da werden von Millionen Menschen die einfachsten und primitiven notwendigen Arbeiten abverlangt im täglichen Ritual der Schuftereien und des Malochens, da ist der Einzelkampf des Existierens beständig an der Tagesordnung und hierzu auch noch überall die Konkurrenz abzuwehren… Und dann fordert das Duo Lebert und Stuff nunmehr in DIE ZEIT nach so langer Zeit: den absoluten Familienauftrag – dass es nun an der Zeit sei: dass alle Deutschen sich endlich eine ganz bestimmte Frage stellen… Sollen doch die beiden ZEIT-Mitarbeiterinnen einen Gesamtdeutschen Fragebogen an alle Haushalte versenden und fast schon mit amtlicher Zusatzdrohung auffordern: dass allgemein pro Familie recherchiert werden muss und dann die entsprechenden Einsendungen zu erfolgen haben…
Der RvM kann dazu vermerken, dass sein Großvater mütterlicherseits als hoher Offizier – in Uniform auf dem Balkon stehend, auf der Straße sah, dass dort die SS: jüdische Frauen und Männer auf einen Lastwagen trieb… Mein Großvater in seiner hohen Offiziersuniform nach unten zu diesem SS-Offizier auf die Straße rief: „Was machen Sie dort als deutscher Offizier – lassen Sie sofort diese Menschen frei!“ Woraufhin dieser SS-Offizier seine Pistole zog, sie auf meinen Großvater richtete und ihn anschrie: „Verschwinden Sie sofort von dem Balkon oder ich erschieße Sie!“ Zwei der Adjutanten meines Großvaters drängten ihn vom Balkon hinein in das Büro und erklärten ihm: „Herr Oberst, was Sie hier getan haben ist lebensgefährlich für Sie. Bleiben Sie still, wenn Ihnen ihr Leben lieb ist!“ Das hat seinem 14jährigen Enkel sein Großvater erzählt – und er hat des Weiteren mir mitgeteilt, dass er zu seinen beiden Adjutanten kurz darauf geäußert habe: „Wenn das unser heutiges Deutschland sein soll, dann sind wir verloren!“ Mein Großvater sagte mir aber auch, dass er trotz seines hohen Ranges als Offizier, nichts von den massenhaften Morden an den Juden, Sinti und Roma und anderen Opfern jemals in dieser Zeit davon gehört habe… – ich musste und wollte ihm das glauben. Er war Humanist und Altsprachler – und ich bin mir sicher: dass in der Masse des deutschen Volkes niemand sich solch ein industrielles Massenmorden jemals hätte vorstellen können, geschweige denn konkret davon gewusst wurde… Auf irgendwelche Informationen seitens des KZ-Personals nach außen hin, stand die Todesstrafe – und niemand, der aus einem der Lager oder aus einem KZ entlassen wurde, durfte auch nur mit einem Wort von der Zeit darin, etwas erzählen – auch nicht ein Sterbenswörtchen in der Familie.
Er wäre sofort abgeholt und wahrscheinlich dann in einem dieser Lager getötet worden! Die Einforderungen der Aufklärungen über die persönliche Familiengeschichte aus der NS-Zeit seitens des Stephan Lebert und der Britta Stuff: sind sicherlich ehrenwert gedacht, aber als allgemeindeutscher „Familienauftrag“ und das in fast jeder Familie in diesem Land es eisern verschlossene Geheimnisse gäbe – so abwegig, als ob wir nun endlich zu erkennen hätten, dass uns die Evolution zu dem gemacht hat, was wir als homo sapiens nämlich sind: die gefährlichsten Raubtiere auf diesem Planeten. Damit müssten wir auch jedwede Gottes-Religionen ad absurdum stellen, erkennen mit welchen Illusionen wir Menschen überall manipuliert werden, und zudem auch unsere gesamte Kultur infrage stellen: denn was bedeutet hierzu Kultur, wenn wir uns zu solchen Lebewesen entwickelt haben, die in den Kriegen sich gegenseitig als Menschen abschlachten, die in den Konzentrationslagern die Menschen massenhaft vernichten – und nicht nur als Deutsche „den Teufel im Leibe“ haben, jederzeit in uns die Bestie sich zu erkennen geben könnte… Wollen wir das unseren Kindern und Jugendlichen erklären und beibringen – und so deren Zukunft mitgestalten…?
Stephan Lebert und Britta Stuff sollten das bedenken und des Weiteren den Abschluss ihres Artikels „der Familienauftrag“ überdenken, wenn da geschrieben steht: „Annalena Baerbock veröffentlichte im Jahr 2021 ihr Buch „Jetzt – Wie wir unser Land erneuern“ – es war das Buch zu ihrem Wahlkampf als Kanzlerkandidatin. Sie stellt eine Widmung vorweg, da heißt es: „Für meine Oma und all die Generationen, die so viel gelitten, gekämpft und geleistet haben und auf deren Schultern wir heute stehen.“ Und des Weiteren von Lebert und Stuff aufgeschrieben wurde: „Da fehlt etwas: die Generation, die die Juden ausrotten wollte und Millionen von Menschen umgebracht hat. Auf diesen Schultern stehen wir, leider, auch.“  Vor allem aber fehlt: dass es auch die vielen Frauen waren, die diesen Adolf Hitler gewählt haben, von ihm auch fasziniert worden sind… Wenn solch ein Mann eine derartige Ausstrahlung (auch) auf Frauen hatte, welche atavistischen Verhaltensstrukturen prägten dann: Ein Volk-ein Reich-ein Verführer – Ein Volk – ein Brei – ein Rührer! Wir sollten uns als Menschen tatsächlich diese ganz bestimmte (und entscheidende) Frage stellen… Oder sind das nicht alles Verstellungen und planbare Entstellungen… Marcel Reich-Ranicki hat zu diesem Manipulator anteilig jene Frage so beantwortet: „Hitler war der größte Redner deutschsprachiger Zunge!“ Und um hierbei jenen Hitler zu zitieren, der diabolisch vielleicht auch seinen eigenen Untergang mit einplante: „Sie irren sich alle. Sie unterschätzen mich. Weil ich von unten komme, aus der „Hefe des Volkes“, weil ich keine Bildung habe, weil ich mich nicht zu benehmen weiß, wie es in ihren Spatzenhirnen als richtig gilt. Wenn ich einer von ihnen wäre, dann wäre ich etwa der große Mann, heute schon.“
Axel Manfred Rvmpf von Mansfeld

Vielen Dank für diesen mutigen und verdienstvollen Artikel. Gleichwohl einige Anmerkungen. Die Autoren schreiben, dass historische Schätzungen davon ausgehen, dass drei von 1000 Deutschen möglichen Nazi-Opfern geholfen haben. Wenn man annimmt, dass kaum alleine geholfen werden konnte, dass noch ein oder zwei Personen beteiligt waren, dann kommt man auf 6 oder 9 Promille oder sind in den drei Promille die ein oder zwei Personen schon eingerechnet? Dann käme man auf ein oder zwei Promille oder umgerechnet bei 65. Millionen Einwohner auf 65.000 bzw. 130.000 Personen, was mir zu wenig erscheint. Zumal die Deutsche Freiheitsbibliothek in Paris (Boulevard Arago 65) einige Tausend Belege für Widerstand (ich gehe mal davon aus, dass Menschen, die Widerstand leisten, auch anderen helfen) sammelte. Auch gibt es einen deutschen Exilanten in England (den Namen habe ich leider nicht parat), der dt. Zeitungen auf Hinweise auf widerständiges Verhalten durchsuchte und viele Zeugnisse fand. Die Autoren schreiben, dass Kaesler das Buchverfassen als Befreiung empfunden habe. Natürlich, Schweigen kostet psychische Energie, Freud spricht schon Ende des 19. Jahrhunderts von der entlastenden Wirkung der talking cure, von Katharsis. Was aber nur funktioniert, wenn man weiß, dass der Zuhörer nicht verurteilt. Wenn man aber Angst haben muss, als Nestbeschmutzer angesehen zu werden, schweig man vielleicht besser…Die Autoren geben die Meinung wieder, dass Judith Hermann eigentlich nichts zu erzählen hätte…wozu ich „nichts“ sagen kann, dazu muss ich schweigen (Wittgenstein).
Erinnert sei diesbezüglich an Sabine Bode (Nachkriegskinder u. a.), die von „Nebel“ spricht. Die Autoren rühren, und das ist mutig, an ein Tabu. Worin besteht dies? Das Tabu ist, dass es in einem Tätervolk keine Opfer geben kann. Diese Mär wurde vermutlich erfunden, um einer Relativierung vorzubeugen, helfen tut das nicht (s. wirkt über Generationen nach). Bei Nachkommen von Holocaust-Opfer ist nachgewiesen, dass deren Traumata durch die Generationen hindurchwirken. Warum sollte das bei Deutschen u. a. nicht auch so sein? Ach ja, das Tabu. Allerdings geht es nicht um Schuld und Scham, wie die Autoren bemerken, denn, wie kann jemand schuldig sein, der noch nicht geboren war, als es geschah (wenn, dann im Sinne der „zweiten Schuld“ R. Giordanos). Was nicht bedeutet, dass man diese Gefühle nicht empfindet. Aber sie sind „falsch“ und führen zu gefährlichen, weil falschen, Resultaten. Zur beklagten „eindruckslosen Formelhaftigkeit“ gehört eben auch der (ständige) Hinweis auf die deutsche Schuld. Conclusio: Der Diskurs (dazu gehört auch die Erinnerungskultur) muss dringend geändert werden, ohne Beschönigung, ohne Relativierung, ohne „Schuldzuweisung“, aber vor allem ohne Tabu.
Gerd-Rüdiger Erdmann

Der zunehmende Antisemitismus in unserem Land besorgt sehr, weil wir uns unserer historischen Schuld bewusst sein müssen und das “ Nie wieder “ auch stets verinnerlichen. Dem Antisemitismus entgegenzuwirken könnte eine Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte für Zweifler eine wichtige Rolle spielen, wenn nämlich dabei herauskommt, dass die Großväter/Mütter und Urgroßväter/Mütter hierbei sogar aktiv mitgewirkt haben. Aber was, wenn nicht, sind wir dann von der Schuld befreit. Bei weitem nicht, denn auch diejenigen, die weggeschaut, nicht hingehört und teilnahmslos alle Gräuel hingenommen haben sind mit Schuld an dem Verlauf, weil sie nicht aktiv eingegriffen haben. Das mag hart klingen, ist es auch, aber auch ein Grund für unsere historische Verantwortung. Es hat jedoch nichts mit dem jetzigen Konflikt in Israel/ Palästina zu tun. Der daraus resultierende Antisemitismus ist nicht Teil unserer Geschichte.
Herbert Büttner

Der Artikel ruft zu einem neuen Ahnenpass auf, wie ich ihn noch von meinen Eltern her kenne. Mein Vater musste den Nazis im Dritten Reich damit zeigen, dass er kein jüdisches Blut in seinen Adern hat. Annalena Baerbock und Robert Harbeck werden in der Einleitung des Artikels gefragt, ob sie sich nicht besser über ihre Großväter hätten informieren und über deren Schuld der Öffentlichkeit berichten sollen. Jeder Leser muss in diesen Anwürfen den Vorwurf erblicken, dass die beiden Politiker etwas der Öffentlichkeit bewusst vorenthalten haben, was sie zur Beurteilung der beiden Minister unbedingt wissen sollte. Ist es fair, die beiden Politiker auf diese Weise in die Nähe unserer Nazivergangenheit zu rücken? Aus dieser Erfahrung heraus sollte nach Meinung der ZEIT ein Familienauftrag an uns alle ergehen, bei unseren Ahnen nachzuforschen, wie weit diese in Verbrechen gegen Juden involviert waren. Also die Aufforderung für einen Bluttest in ideologischer Gegenrichtung zum Dritten Reich. Diese Durchleuchtung erinnert mich fatal an Methoden diktatorischer Systeme. Hinter meinem inhaltlichen Widerstand – ich unterstelle auch vieler anderer Mitbürger – steht ein völlig anderes Geschichtsbild. Unser menschliches Zusammenleben unterliegt zeitlichen Änderungen, und die Verhaltensweisen unserer Vorfahren und ihre etwaige Schuld setzen sich nicht einfach bei uns fort. Robert Harbeck und Annalena Baerbock können erst recht nicht für eine mangelhafte Information über ihre „schlimmen“ Großeltern verantwortlich gemacht werden. Man denke bei einem argumentativen Rückgriff auf historische Verhältnisse auch an Politiker wie Putin, der im Ukraine-Konflikt historische Besitzverhältnisse in der Sowjetzeit zur Begründung von kriegerischen Aggressionen heute benutzt. Es ist überhaupt keine Frage, dass jeder Deutsche den Opfern des Dritten Reiches die nötige Referenz und ggf. Hilfe gewähren muss, aber wir sollten das nicht mit plakativen Schuldzuweisungen tun, die um billigen Beifall heischen. Als Zeitgenosse und ZEIT-Leser bin ich auf eine vollständige und ausgewogene Darstellung der politischen Geschehnisse und ihrer Hintergründe angewiesen. Oberflächliche Stimmungsmache gerät zur Fehlinformation und behindert meine demokratischen Pflichten als Bürger.
Hans J. Schulz.

 


 

Leserbriefe zu „Allein zu Haus“ von Bernd Ulrich

Amerika auf dem Weg mit Trump die Rückkehr ins Weiße Haus vorzubereiten, das Schicksal kam Trump zur Hilfe, überlebt er das Attentat; Europa muss in allem für sich sorgen- militärisch- wirtschaftlich und die eigene staatliche Sicherheit. Das EU-Parlament hat Ursula von der Leyen als Präsidenten wiedergewählt. „Kevin“ – allein zu Hause – ohne “ Uncle Sam “ jetzt muss Europa der 27 Staaten endlich erwachsen werden.
Thomas Bartsch Hauschild

Puh, da wird im Artikel „Allein zu Haus“ aber ganz schön dick aufgetragen. Zum einen wird die EU wie ein weinerliches, pubertierendes Kind dargestellt, dem plötzlich seine Eltern abhandenkamen. Ist das wirklich eine Beschreibung der Stellung unseres Landes und Europas zu seiner vermeintlichen „Schutzmacht“? Zum anderen scheint ja auch vergessen zu werden, wie es zu dem Krieg in der Ukraine überhaupt kam, mit dem wir nun vielleicht alleine gelassen werden? Ging es da nicht überwiegend um den Beitritt der Ukraine in die Nato, vorgeschlagen 2008 von Bush jr, und damals verhindert von Merkel und Hollande? Leben wir tatsächlich in einer „transatlantischen Brüderlichkeit“? Gab es die je? Sind wir wirklich verbrüdert mit einem Land, das zum eigenen Nutzen einen Inflation-Reduction-Act auflegt, wohl wissend, dass dieser die Wirtschaft auch befreundeter Länder massiv schädigt? Oder in dem der Präsident locker flockig erklärt Mittel und Wege zu finden, die wichtigste Energieversorgung des Kontinents zu zerstören? Und wieso kennt offensichtlich niemand das Buch „Das große Schachbrett“ von Zbigniew Brzezinski (einem wichtigen Berater von Bush und Obama) zur Beherrschung des eurasischen Kontinents? Für Europa ist wohl höchste Zeit die pubertären Allüren abzulegen und eine ehrliche Analyse der Situation durchzuführen, damit Europa endlich erwachsen agiert.
B. Kosfeld

Wir Kinder sind schon lange wach und schaffen das! Vielleicht nicht immer ganz perfekt und zügig! Leider hat unsere Mutti den Haushalt ziemlich vernachlässigt und viel verschlafen und Traumpapi ist leider nicht da, aber ich bin zuversichtlich, dass wir das irgendwie auch hinbekommen. Habt ihr doch auch, oder?
Sabine Lellek

Im Tenor stimme ich dem zu, dass die „geschichtsschweren Deutschen“ und die „dekante Einstellung der EU“ nicht nur auf die Stärke der eigenen Hand hoffen sollten, sondern deswegen aktiv werden sollten, um selbständiger sich zu positionieren und zu agieren. Doch ist Ihre Einstiegsthese populistisch steil, dass Amerika sich verloren hat und dort die Demokratie auf dem Spiel steht. Nur weil Trump mit hoher Wahrscheinlichkeit Präsident wird, Orban – angeblich als Trumps Sonderbeauftragter – nach Kiew und Moskau reist und Vance sagt, „was geht mich die Ukraine an?!“!? Und noch steiler folgern Sie, dass Brüssel die „Hauptstadt des demokratischen Westens“ wird. Ich glaube, Sie unterliegen hier Ihrem Grün-Linken-Weltbild, anstatt Geschichtsschwere. Denn es „es war einmal“, als Die Zeit auf Seite1 zwar gefärbt war, aber doch fundiert und abwägend Fakten und Meinungen gegenüber gestellt hat. Und daher zur ergänzenden Abgrenzung, „wir“ in Deutschland sollten nicht über Demokratien „wertebasiert schreiben“ , solange
(1) die USA-Demokratie deutlich älter und stabiler ist als unsere Weimarer Republik-basierte Demokratie,
(2) „wir“ einen Kanzler haben, der Cum-ex belastet ist und Amnesie hat,
(3) die Bundesregierung ein neues Wahlrecht verabschiedet hat, das kleinere und regionale Parteien (CSU+Linke) benachteiligt; und deswegen sogar vor dem Bundesverfassungsgericht verklagt wird.
(4) die europäische Ratspräsidentin – zumindest vor 5Jahren – im Hinterzimmer ausgeklungelt wurde, ohne Legitimation des Populus!
Es würde mich freuen, wenn Die Zeit und Sie sich die Zeit nehmen, um wieder geschichtsschwerer und faktenbasierter zu kommentieren.
Jan-Peter Hazebrouck

Danke und Respekt für diesen so klaren, mutigen und schonungslos realistischen Artikel oder Kommentar! Sie halten vielen in Europa einen Spiegel vor um (wenigstens zu versuchen) sie auf den Boden der harten Tatsachen zurückzuholen. Eins allerdings würde ich gern anders formulieren: Wir müssen jetzt nicht oder weniger auf die Stärke der eigenen Hand „hoffen“, sondern diese Stärke erstmals seit langem herstellen durch Kraft-Proteine und teils schmerzhaftes Training dieser so abgeschlafften Hand. Und ob dafür die Einsichten, Anstrengungsbereitschaften, Risiko-Abwägungsbetrachtungen und Selbst-Disziplin ausreichen, ist leider durchaus fraglich, besonders angesichts der jüngsten EU-Wahl-Ergebnisse. Sehr viele werden erstmal lieber vorziehen zu hoffen und abzuwarten, ob die US-Wahl und/oder was durch ein dortiges Regime danach kommt, vielleicht doch besser ausgehen als derzeit zu befürchten, ob Herr Putin sich vielleicht doch durch einen „Deal“ beschwichtigen lässt, ob China nicht doch mehr Rücksichten auf die gegenseitigen Abhängigkeiten nimmt etc. etc. Hoffen ist immer noch bequemer als handeln und harten Fakten ins Auge zu schauen und schwere Entscheidungen zu treffen. Eine kleine Chance ist, dass als natürliche neue Bündnispartner und Freunde nicht nur die Mitglieder der EU in Frage kommen, sondern auch — besonders nach den dortigen jüngsten Wahlen — Großbritannien und andere Mitglieder der „europäischen politischen Gemeinschaft“, die sich gerade in England versammelt hat. Auch für diese wird es allerdings schwer, Mut fordernd und kostspielig genug, Putin und Co. nicht nur etwas, sondern ausreichend viel entgegenzusetzen, um ihn von weiteren Abenteuern abzuhalten.
Peter Selmke

Wenn die USA sich leider verlieren, muss Europa sich endlich finden. 50 Staaten und 341 Millionen Einwohner der USA sind politisch gespalten, wie seit dem Bürgerkrieg nicht mehr. Republikaner und Demokraten sind sich nicht grün (eher roter Elefant und blauer Esel). Da stehen nun zur Präsidentschaftswahl 2024 ein 81-jähriger „Sturkopf“ und ein 78-jähriger „Spaltpilz“. Die 27 EU-Staaten haben eine Einwohnerzahl von 452 Millionen. Aber es wird so getan, als ob es ohne den „großen Bruder“ nicht in der Lage sei sich zu verteidigen und selbständige Entscheidungen zu treffen. Die geschichtlichen Taten und Untaten der USA in Europa und dem Rest der Welt sollen nicht geschmälert oder unnötig aufgebauscht werden. Aber es ist an der Zeit, dass die Veränderungen der Machtverhältnisse in der Welt erkannt und in politische, ökonomische sowie neue Bündnisse münden die ergebnisoffen diskutiert werden sollten. China und Indien sind zwei neue „Player“. Das transatlantische Bündnis muss natürlich weiter gepflegt werden. Allerdings auf Augenhöhe. Der deutsche Bundeskanzler sollte der Wahrscheinlichkeit eines US-Präsidenten Trump jetzt schon Rechnung tragen und einen Plan entwerfen, wie der zu erwartende Umgang gestaltet werden muss. Das gleiche gilt für die EU. Herr Orban, ohne beauftragt und/oder ermächtigt zu sein, hat schon mal bei Trump den „Kotau“ geübt. Die viel beschworene „Zeitenwende“ ist in Reden benannt worden. Aber die politische und moralische Reaktion lässt in Deutschland und in der EU noch auf sich warten. Die bisherige Zeitrechnung ist seit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine von der Bildfläche verschwunden. Es ist nunmehr an der Zeit neu zu denken und neu zu handeln. In Deutschland und in der EU sind auch Politikerinnen und Politiker im Pension -und Rentenalter an den Schalthebeln der Macht. Nicht in jedem Fall ist das Alter ein Zeichen von Klugheit und/oder kreativer Gelassenheit, mahnt auch das Beispiel in den USA. Auf gar keinen Fall dürfen Deutschland und die EU den „Rechten“ die Initiative und/oder die Deutungshoheit überlassen. „Es gibt nichts Gutes; außer: man tut es!“ (Erich Kästner)
Felix Bicker

Eigentlich stimme ich dem Tenor des Artikels zu, finde aber die argumentative Herleitung der Hinterfragung würdig. Amerika hat uns verlassen. Heißt es nicht, Staaten haben keine Freunde, sondern Interessen? Wann haben die USA begonnen, ihren Interessenschwerpunkt Richtung pazifischer Raum zu verlegen? Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten die (Alarm-) Klingeln läuten müssen. Haben uns verlassen…wer, bitte, hat sie eingeladen? Die Deutschen (Verursacher des 1. und 2. Weltkriegs) und wer nölt jetzt rum? Die USA kümmern sich um die Belange der Europäer…Wer sollte sich um wessen Belange kümmern? Und die USA sind da ganz uneigennützig? Wann forderten US-Politiker erstmals höhere Verteidigungsausgaben der Europäer? Hier wurde Zeit verplempert ohne Ende. Der Bundeskanzler sollte über Konsequenzen reden…Hatte da nicht ein französischer Premier angeboten, die franz. Atomwaffen an die deutsche Ostgrenze zu verlegen? Was ist aus dem Vorschlag geworden? Lieber auf Big Brother in Washington und seine Raketen vertrauen? Brüssel ist gleich EU? Gegen diesen wenig transparenten Apparat in Brüssel darf man wohl etwas haben, aber die Europäische Union ist großartig (übrigens die Konsequenz der WK 1 und 2, s. o.). Die Rechten sind weiter…Warum? Weil sie vielleicht nicht so stumpfsinnig vasallentreu (für Deutschland: nibelungentreu) sind/denken, wie es in deutschen Politikerkreisen, zumindest nach außen hin, üblich ist (wie war das mit dem Vietnamkrieg, mit Rammstein? Wer hat da demonstriert, Rechte?)? Was ja nicht bedeuten muss, dass man sich dem nächsten (Putin u. a.) als Vasallen anbietet. Conclusio: „Deutschland“ muss seine Angst, die Führung (nicht der Führer zu sein) zu übernehmen (hatte Scholz nicht vor kurzem bekannt, dass Deutschland das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land der EU ist) überwinden und das geht am besten im Schulterschluss mit Frankreich. Aber man kann auch zu einem unpassenden Zeitpunkt zu Konsultationen nach Polen fahren.
Gerd-Rüdiger Erdmann

Die Dämonisierung von Trump sind vom linksliberalen Lager geschürte selbstreferentielle Emotionen. Im Grunde eine intellektuelle Kapitulation vor dem Wählerwillen, den zu entschlüsseln oder gar zu lenken immer weniger gelingen will. Auch und gerade in Deutschland. Ohne die mediale Übermacht der grünen Weggefährten in den Funkhäusern wäre die Bilanz womöglich noch ernüchternder. Immerhin schwindet auch in diesen Kreisen die Selbstzensur auf die Gefahr hin, an Einfluss zu verlieren. Die kritische Auseinandersetzung mit der Migrationsfrage steht pars pro toto dafür. Der Vormarsch der Rechtspopulisten zeigt eben Wirkung bis in die Medienwelt hinein.
Christoph Schönberger

auch wenn die Trumpisten die Europäer „nicht schützen wollen“ – die Amerikaner haben in der Geschichte zumindest immer ihre Interessen geschützt. Und die sind in Europa beträchtlich. Sie haben Hunderte Milliarden Dollar investiert und tun es noch heute, s. Intel in Magdeburg. Der halbe DAX gehört ihnen, Europa ist der größte Handelspartner der USA. Glauben Sie allen Ernstes, die Amerikaner würden das alles ohne Widerstand dem Erzfeind Russland in den Rachen werfen? Die Amerikaner wollen nur eins: Geld, dass die Europäer für den Schutz der gemeinsamen Interessen mehr Geld ausgeben und die Amerikaner entlasten. Es fehlt ein ganz entscheidender Faktor in Ihrer Argumentation. It’s the economy, stupid!
Günter Kirchhain

„Wir müssen auf die Stärke der eigenen Hand hoffen“, schreibt Bernd Ulrich. Lassen wir aber nicht den Kopf aus dem Spiel. Zuallererst müssen wir auf die Stärke des eigenen Verstandes setzen.  Gebraucht wird abgestimmtes Handeln auf der Basis nüchterner Abwägung von klaren Zielen, zu erwartenden weiteren Opfern, Erfolgschancen und Risiken. Militaristisch aufgeladene Kampfbegriffe wie „Siegfrieden“ (ob man ihn nun für die eigene Seite fordert oder bei Sondierungen über Friedensperspektiven für die andere Seite befürchtet) sollten nicht an die Stelle differenzierter Analyse treten.
Heide Richter-Airijoki

Tiefes Durchatmen! Mit Joe Bidens Verzicht auf seine Präsidentschaftskandidatur eröffnet er den Demokraten endlich eine reelle Chance, Donald Trump zu schlagen. Respekt dafür, auch wenn Bidens Einsicht hätte früher kommen können. Es ist schön, wenn man sich auf einen Partner verlassen kann, Europa hat jahrzehntelang von den USA profitiert, sich dadurch aber viel zu abhängig gemacht.  Nach dem zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg haben die USA nämlich immer auch ihre eigenen Interessen in Europa vertreten. Das ist vorbei. Die Welt verändert sich im Moment rasant und damit auch die Kräfteverhältnisse. Europa muss die Bequem-Zone verlassen und sich auf die eigenen Stärken konzentrieren. Ich bin sicher, dass es dazu in der Lage ist. Es gibt also keinen Grund, sich vor den USA oder auch Russland klein zu machen oder vor Furcht einer möglichen Präsidentschaft Trumps in Schockstarre zu verfallen. Vorbereitung ja, aber keine Panik bitte. Donald Trump spaltet sein Land weiter, er hetzt die Menschen gegeneinander auf und tatsächlich ist das Attentat auf ihn selbst die Folge dieser Hetze. Ich glaube, dass sich die meisten Menschen in den USA nach einer stabilen Demokratie sehnen und genug von Spaltung und Lügen haben. Die Demokraten haben die Wahl und ich hoffe, dass sie eine Kandidatin oder einen Kandidaten ins Rennen bringen, die/der deutlich jünger ist, auch als Trump. Die Macht gehört in jüngere Hände.
Regina Stock

It´s Europa, stupid! Aufwachen, mahnt Bernd Ulrich zu Recht. Während Amerika sich rasend zu verlieren droht, müssen wir uns in unserem europäischen Selbstverständnis viel schneller finden, als wir das gewohnt sind.  Wo die Brachialität der Egoismen in der Welt wächst, muss Europa die eigenen Interessen klarer definieren, rasch eigenständiger und stärker werden. Wir wollen nicht etwa dem Trend folgen und autritärer und autokratischer werden, sondern ein demokratisches und freies Europa sein, das in diesem Geiste zusammenhält und bereit ist, in die eigene Zukunft zu investieren. Auch, um ein respektabler Akteur in einer Welt zu werden, die von wachsender Instabilität und zunehmenden Interessengegensätzen geprägt ist. In sich überschlagenden Zeiten ist es allerdings nicht hilfreich, immer neue Zeitenwenden und Epochen auszurufen und sich an diese zu heften. Wir sehen doch, dass der Brexit nicht halten kann, was er seinen irregeleiteten Anhängern so epochal versprochen hat. Vielleicht wird ja der scheiternde Brexit auch in den USA wahrgenommen und dazu beitragen, das MAGA-Mantra als irrlichternden Wahn zu entlarven. Und es wird auch eine Zeit nach Putin geben. Wir sollten den eingeschlagenen Weg der europäischen Einigung weitergehen, nur beherzter, mit weniger Illusionen und wachsamer. Und wir sollten dabei alle Optionen im Auge behalten, auch die transatlantischen, die transärmelkanaligen und alle kontinentaleuropäischen Optionen.
Reinhard Koine

Chapeau. Danke für den guten Artikel. Anbei möchte ich Ihnen noch folgende Anregungen schreiben. Sehr vielfältig schildern Sie im 3. Absatz unsere Wahrnehmung der USA. Insbesondere als Schutzmacht waren Sie für uns seit Ende des 2. Weltkrieges wichtig. Die Deutsch-deutsche Teilung ist noch nicht so lange her. Aber an die Repressalien insbesondere in der damaligen DDR können sich nach Statistik nur noch etwa 15% der Deutschen erinnern. Wer aufmerksam verfolgt, was Putin verlauten lässt, und seinen Lebensweg insbesondere seine veröffentlichten Empfindungen zu den Vorgängen 1989, die er hautnah in Dresden erlebte, betrachtet, dem wird langsam mulmig. Es bleibt nur zu hoffen, dass wir erkennen, dass unsere Freiheit nicht selbstverständlich ist. Und dass wir dafür aktiv eintreten müssen. Hoffentlich findet Ihr Appell „…wacht auf…“ Gehör.
T. Gruber

Was nun USA; wie soll es in den Staaten weitergehen? Joe Biden hat fertig, trotzdem bleibt er in Amt und Würden und möchte einfach so weiter machen, eben bis zum nächsten größeren Patzer! Wenn ich an seiner Stelle wäre, dann würde ich kurz und knackig, aber sofort zurücktreten, da ist Donald Trump sogar mit mir einer Meinung! Lasst doch einfach mal Kamala Harris ran und machen. Vielleicht tut ihr das Schnuppern von etwas Präsidenten-Luft im Weißen Haus mal ganz gut. Ob Donald Trump nach den Wahlen in den Staaten durchs Weiße Haus in Washington D.C. poltern wird, das wird sich auch bald zeigen; warten wir´s einfach mal ganz genüsslich ab!
Klaus P. Jaworek

 


 

Leserbriefe zu „Um geografische Namen ist ein Kampf entbrannt. Sein Wesen ist der politische Verdacht“ von Jens Jessen

Sicherlich ist es interessant, den Lesern in Deutschland die politische Dimension der Verwendung geografischer Namen aufzuzeigen. Es ist allerdings nicht richtig (siehe zweite Spalte oben), dass Polen aus dem Großherzogtum Litauen hervorging. Die Wiege Polens liegt in Gniezno (Gnesen). Polen (das Königreich Polen) und Litauen (das Großfürstentum Litauen) waren über eine Union verbunden, die ca. 400 Jahre währte. In dieser Zeit entstand ein polnisch-litauischer Staat (1559), der damals eine Großmacht war. Dazu kommt – und auch das wird in Ihrem Artikel leider zu vereinfacht dargestellt -, dass, wenn der Begriff „Großherzogtum Litauen“ fällt, dieser in geographischer Hinsicht keineswegs identisch mit dem Staat Litauen heute ist. Der Begriff „Großherzogtum Litauen“ ist ein historischer, der wohl eher das Gebiet meint, dass heute in Weißrussland (Belarus) liegt. Vermutlich ist das die Region, an die Mickiewicz dachte, als er in seinem berühmten Werk „Pan Tadeusz“ Litauen als sein Vaterland besang. Natürlich gibt bzw. gab es Spannungen zwischen Polen und Litauen, die thematisiert werden können, vielleicht sogar müssen. Die historische Genauigkeit ist dabei jedoch wichtig.
Gerhild Bär

Der sehr aufschlussreiche und ausgewogene Artikel über den Gebrauch von Exonymen und den damit verbundenen politischen Verdacht beginnt leider mit einer lapidar formulierten Fehlinformation: Die italienischen Ortsnamen in Südtirol wären darin begründet „die neue Zweisprachigkeit innerhalb der Region klarzustellen“. Das klingt nach einer wertfreien Information, vielleicht für die vielen italienischsprachigen Urlaubsgäste. Das ist nicht nur historisch falsch, sondern wäre insbesondere auch für gegenständlichen Artikel ein interessanter Fall des politischen Missbrauchs von Ortsnamen gewesen. Tatsächlich wurden die italienischen Ortsnamen großteils schon vor dem ersten Weltkrieg vom italienischen Nationalisten Ettore Tolomei entweder frei erfunden oder abgeleitet, um den politischen Anspruch Italiens auf Südtirol zu manifestieren. Mit derart gefälschten Landkarten wurde versucht eine italienische Tradition im bis 1918 fast ausschließlich deutschsprachigen Südtirol zu konstruieren. Nach der Machtergreifung der Faschisten in Italien im Zuge gezielter Italienisierungsmaßnahmen zu den einzig erlaubten Ortbezeichnungen geworden, stellen sie bis heute die offiziell verbindlichen Ortsbezeichnungen dar. Die deutschen Ortsnamen sind auch heute nur geduldet. Eine Lösung dieser „Toponomastikfrage“ scheiterte bisher an der Bereitschaft des italienischen Staates diese historische Tatsache und die damit verbundene Unterdrückung der vorrangig deutschsprachigen Südtiroler anzuerkennen. So gesehen wäre Südtirol ein hervorragendes Beispiel für einen diesbezüglich begründeten Verdacht.
Armin Tschurtschenthaler

Wie heikel geographische Exonyme, vor allem von Ländern, sind, ist uns Historikern bewusst, und wir überlegen uns gut, bis wir einen hergebrachten Namen ändern. Der Fall Kiew/Kyjiw ist ein solches Beispiel. Kyjiw ist nicht einfach „eine phonetische Variante des russischen Kijew“, sondern der russische Name der ukrainischen Hauptstadt. Er hat sich im Deutschen eingebürgert, seit Russland am Ende des 18. Jahrhunderts den größten Teil der Ukraine beherrschte und die Ukraine im Westen als Teil Russlands wahrgenommen wurde. Kiew ist nicht „seit ältesten Zeiten unter diesem Namen im Westen bekannt“, sondern trug davor andere Namen. So stehen im Eintrag in Zedlers Universal-Lexicon (1732-1750) nebeneinander „Kiow, Kyow, Kioff, Kiov, Kiouf, Kyof, Kyoff, Kuiovia, Cjowia“, nicht aber Kiew. Diese Varianten lehnten sich übrigens teilweise an den polnischen Namen Kiów an, denn die Stadt gehörte lange zu Polen. In der Sowjetunion standen die ukrainische und russische Bezeichnung nebeneinander. Als die Ukraine 1991 unabhängig wurde, setzte sich der ukrainische Name durch. Im Westen blieb man aber bei der russischen Bezeichnung, und es dauerte bis zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, dass sich im Ausland die Einsicht durchsetze, dass man die Hauptstadt der Ukraine nicht mit deren russischem Namen bezeichnen darf. Der Name Kiew steht heute geradezu für den Anspruch Russlands auf Herrschaft über die Ukraine. Es ist deshalb höchste Zeit, von der „weisen Faustregel“ abzuweichen. Nebenbei: Weshalb Polen „aus dem ehemaligen Großherzogtum Litauen“ hervorgegangen sein soll, bleibt schleierhaft. Vielleicht steckt der erste Satz „Litauen, mein Vaterland!“ in Pan Tadeusz, dem polnischen Nationalepos von Adam Mickiewicz, dahinter? Das wäre ein anderes Beispiel für strittige Exonyme.
Andreas Kappeler

Belarus heißt wörtlich übersetzt Weiße Rus. Damit nicht der Eindruck entsteht, dass es sich um einen Teil Russlands handelt, wird in den meisten Sprachen der Welt der Name des Landes als Belarus geführt und keine Linearübersetzung vorgenommen. Selbst im Russischen heißt das Land Belarus! Rus bedeutet mitnichten Russland. Die historisch falsche Gleichsetzung von Rus mit Russland wird von den Machthabern in Russland als eine der Gründe für die russische Vollinvasion seit 2/2022 in der Ukraine herangezogen. Die veraltete und historisch belastete Bezeichnung Weißruthennien wäre näher an Belarus als die von Herrn Jessen vorgeschlagene Variante Weißrussland. Weiß bezieht sich etymologisch auf die Himmelsrichtung (in diesem Fall steht die Farbe, Farbe Weiß für Westen, eine wortwörtliche Übersetzung wäre deshalb ‚Westliche Rus‘). Auch das Auswärtige Amt hat die Änderung der Landesbezeichnung bereits 2019 vollzogen und die falsche und unglücklich gewählte Nebenvariante Weißrussland aus seinen Länderlisten gestrichen. Ich bitte Sie, Herrn Jessen darauf hinzuweisen und einen Faktencheck zu veröffentlichen.
Kai Franke

Wer keine Heimat hat, bleibt sich selbst fremd! Die Assoziationen zu dem auch psychisch überwältigenden Artikel des Jens Jessen zu den Endonymen und Exonymen bezüglich der eigenen (deutschen) Geschichte der verlorenen und veränderten Heimaten und ihren politischen deutschen Namensauslöschungen für die (enteignete) jeweilige somit verbleibende Gegenwart – sich dabei aber in dieser Selbstverständlichkeit der Rückbesinnungen keinesfalls jedoch unter politischem Verdacht zu fühlen zu der Herkunft dem menschlichen Wesen nach… Sollte zur vorgeblichen political correctness mit hinzu bedeuten, dass Deutschsein vom Deutschtum getrennt werden müsse – so wäre doch dennoch zu hinterfragen, welche Seiten jenseits und diesseits der Oder-Neiße dieser beiden Grenzen sich diskriminiert zu empfinden haben oder hätten… Es ist nicht nur die verbliebene Geographie und hierzu deren wesentlichen Namen der Weiler, Ortschaften und Städte – sondern auch die Deutlichkeiten, sich auf der einen Seite extrem national zu verhalten und auf der anderen Seite keinerlei rückschauenden Empfindungen mehr haben zu dürfen – ja wie selbstverständlich: diese deutschen Heimaten auch innerlich für immer als perdu abzuschreiben, im subjektiv übertragenen Sinne: wie, wenn man ein (am geographischen Körper) zu amputierendes Bein durch ein Holzbein zu ersetzen habe… Die Phantomschmerzen aber bleiben vorhanden! („Jeszcze Polska nie zginela/ Kiedy my zyjemy/ Co nam obca przemoc wziela/ Szabla odbierzemy“) Und im ursprünglichen Text der „Mazurek Dabrowskiego“ (als hierzu etwas veränderte Nationalhymne Polens) lautet dies in der Übersetzung: „Der Deutsche und der Moskauer werden sich nicht ansiedeln, denn wir nehmen unseren Pallasch (Säbel), die Devise von uns allen ist der Einklang sowie unser Vaterland…“). Wir Deutsche aber haben unsere Nationalhymne (geographisch) entkernt und uns demütig und devot der dritten Strophe zugewandt… – Danach lasst uns alle streben – auch schwesterlich sowie brüderlich mit Herz und Hand ohne das einstige verlorene Land…
Der RvM-Leserbriefschreiber hat in einem Interview mit einem amerikanischen Professor für Geschichte, dessen Überdenken/Bedenken sehr intensiv gelesen: dass die vorwiegende USA-Bevölkerung diesen Bewusstseinszustand vollkommen verdrängend, auf einem Kontinent lebt: der den indigenen Ureinwohnern durch Völkermord mit militärischer Energie und bewusst geplanten Ausrottungen jener Ur-Bevölkerungen: sich diese Dimensionen an Gebieten dadurch okkupierte und gewaltsam aneignete… Sich vorzustellen, dass ein Skalpjäger 32 Skalps von Männern, Frauen und Kindern an seinem Gürtel befestigt hatte und damit in ein Sheriff-Office ging, die Skalps auf den Tisch legte und offiziell für jeden „indianischen“ Skalp je einen Silberdollar ausgezahlt bekam, staatlich bezahltes Geld für solche Mordaktionen… Außerdem wurde als Vorwand der USA im Krieg von 1846 bis 1848 der USA gegen Mexico, bereits der künftige Landraub mit eingeplant um nach dem Sieg: riesige Gebiete vom militärisch unterlegenen Mexico abzutrennen: u.a.: Texas (Grenze der Rio Grande), Utah, Nevada, Arizona, Kalifornien, Teile von Colorado, New Mexico und Wyoming… Wir sollten nicht vergessen, dass diese Okkupanten, Eroberer und Vernichter der Ureinwohner dieses Kontinentes: ausschließlich eingewanderte Europäer waren, darunter auch viele Deutsche… Manche „indianischen“ Namen sind auch als Bezeichnungen für Bundesstaaten geblieben: Mississippi, Wyoming, Utah, Delaware, Massachusetts, Arkansas, South-North-Dakota… Diese Namensbenennungen fließen den US-Amerikanern geläufig über die Lippen, gleichwohl hierbei zumeist nicht an den indigenen Ursprung dieser Benennungen bedacht oder gedacht wird… „Right or wrong: my Country!“ Welch ein Wahnsinn in dieser Besichtigung von Nationalismus! Jens Jessen verkündet in der Überschrift zu seinem Artikel – „Um geografische Namen ist ein Kampf entbrannt. Sein Wesen ist der politische Verdacht“ – und mit wenigen Sätzen an die deutsche Vergangenheit der einstigen Ostgebiete, wenn er da aufschreibt: „Wie muss ein Ort oder Land benannt werden, damit Kränkung oder finstere Absichten auszuschließen sind? Darf man als Deutscher (Anmerkung – RvM.: und als Deutsche) Breslau sagen statt Wroclaw ohne Argwohn zu erregen, Schlesien wiederhaben zu wollen?“ Und an anderer Textstelle: „… ebenso wie bei Danzig (statt Gdansk).“ Des RvM-Leserbriefschreibers Großeltern mütterlicherseits, ebenso wie dessen Mutter (und viele nahe Verwandte) wurden aus Schlesien (Liegnitz, Goldberg, Hirschberg, Haynau, Kreibau) vertrieben, flohen vor der Roten Armee: die (nicht geflohenen) Urgroßeltern sind von sowjetischen Soldaten erschossen worden, weil in ihrem Jagdzimmer noch alte, historische Waffen als Wanddekoration angebracht waren…
Für die deutschen Vertriebenen hat sich der neue deutsche Staat kaum interessiert, wurden eine gewisse Zeit lang in den Schulatlanten diese deutschen Ostgebiete als „unter polnischer Verwaltung“ bezeichnet, bis dann der Kanzler Willy Brandt den Übereignungsvertrag dieser Gebiete der polnischen Regierung überreichte – ohne aber in einer Volksabstimmung die Deutschen befragt zu haben, ob sie auf diese deutschen Gebiete endgültig verzichten wollten… Die Volksabstimmung hätte sicherlich eine ganz andere Wirklichkeit aufgezeigt! Und es ist schon sehr erstaunlich, wenn zudem in Google dann geschichtliche deutsche Personen oder Künstlerbiografien zu den jeweiligen Geburtsorten nurmehr mit der polnischen Bezeichnung, vorzufinden sind… Und es ist doch wohl auch verständlich, wenn in Südtirol Bozen in Bolzano, Franzensfeste in Fortezza umgewandelt worden ist, überhaupt dort lange Zeit das deutschsprachige Südtirolertum quasi ins Abseits gedrängt werden sollte…
Nach dem verlorenen Krieg Frankreichs gegen Preußen (und deutsche Verbündete) des Jahres 1870/71 – und das wieder begründete deutsche Kaiserreich: sich Elsass-Lothringen im Friedensvertrag zurückverlangte, hatte der französische Politiker und Premierminister (1881-1882) Léon Michel Gambetta dem französischen Volk die Parole einprägend „zugeflüstert“: „Toujours y penser, jamais en parler“ – „Niemals davon sprechen, immer daran denken“. Auch das war ein französischer Hauptgrund mit für den I. Weltkriegs, dieses Elsass-Lothringen wieder rückzuerobern. Nach der Kapitulation des entkaiserlichten Deutschlands von 1918– war es den Elsässern und Lothringern von der französischen Politik verboten worden: öffentlich deutsch zu sprechen! Wir haben in der Geschichte der Menschheit endlose Varianten dieser Eroberungen und Rückeroberungen, der erzwungenen Völkerwanderungen, der Vertreibungen und heutigen Migrationen vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen bzw. aus der Armut der heimatlichen Länder. Nicht um geografische Namen ist ein Kampf entbrannt – und nicht sein Wesen ist der politische Verdacht! Sondern die modernen Völkerwanderungen aus der Armut heraus: sind die Vorhandenheiten der vielen Millionen Menschen, die ihre Heimat-Länder verlassen, um mit welchen Komplikationen (und auch unter Lebensgefahr) sich einen wirtschaftlich günstigen neuen Lebensbereich aufzufinden – dass hierbei dadurch zu diesen extremen Überfremdungen die heimatliche Bevölkerungen absolut überfordert sind, wird dann von der jetzigen deutschen Politik nicht wirklich wahrgenommen oder aber verdrängt… Jens Jessen kämpft sich mit Exonymen und Endonymen ab – erklärt und benennt es anteilig wie folgt: „Vollends absurd ist die Verwendung von Belarus für Weißrussland, die sich auch in deutschen Medien schon durchgesetzt hat, mit der wackligen Begründung, es solle dem Missverständnis vorgebeugt werden, es handle sich um einen Teil Russlands.
Tatsächlich heißt Belarus, wörtlich übersetzt: Weißrussland.“ Jedenfalls wird der RvM-Leserbriefschreiber weiterhin mit seiner 92jährigen Mutter aus Schlesien: ihre Heimatorte der Verwandtschaften nicht mit Jelenia Góra als Hirschberg oder Ziotoryja als Goldberg bezeichnen und auch nicht von Breslau als Wroclaw sprechen wollen… Man kann die Menschen aus ihren Heimaten vertreiben, nicht aber aus ihren Erinnerungen – und wie lange sich ein Volk selbst an diesen Erinnerungen festhält, entscheidet nicht die Namensumbenennung von Ortschaften und Städten, sondern die wechselhafte Geschichte: die einen sehr langen zeitlichen Erinnerungs-Atem hat und hoffentlich niemals sich in einer Revanche neu einzuordnen versucht. Wie schreibt der übersichtliche, weltkluge Jens Jessen in seinem verdeutlichenden Artikel sehr nahe an der Gefährlichkeit der menschlichen Unvernunft: „Die Frage, welche der verschiedensprachigen Endonyme zum international akzeptierten Exonym werden müssen oder dürfen, muss meistens nicht entschieden werden, solange kein Minderheitenstreit eskaliert. Man kann genauso entspannte damit umgehen wie die Deutschen mit den französischen Namen für Aachen oder Köln (Cologne), weil ein Anspruch Frankreichs auf das Rheinland unwahrscheinlich geworden ist. Die Franzosen fürchten ja auch nicht, dass die Deutschen, weil sie nicht von der Bourgogne, sondern vor Burgund reden, revanchistisch daran erinnern wollen, dass es einst zum Heiligen Römischen Reich gehörte. Man sieht daran, dass es im politischen Namensstreit in Wahrheit nie um Sprache geht, sondern nur und ausschließlich um Politik.“
Aber ein wenig bleibt doch der Verdacht, als ob ein Jens Jessen sich nicht gänzlich von der Geschichte der Grenzverschiebungen hat entfernen können (wollen)? Bei dem RvM-Leserbriefschreiber sind diese erzählten Erinnerungen der Heimaten seiner Großeltern, der Mutter und der nahen Verwandtschaften noch sehr einverbunden mit dem deutschen Fühlen für diese Verlorenheiten – aber als Enkel, Sohn und Verwandter: wäre diese absolute Abtrennung sicherlich nicht aus dem Empfinden heraus eingestanden, sondern ausschließlich durch die Vernunft des „Fait accompli…“ Aber ein politischer Verdacht ist dem Wesen nach noch in meiner deutschen Seele (oder wie auch immer wo noch) irgendwie vorhanden – daran muss ich noch wesentlich europäischer (an und in mir) arbeiten… Aber vielleicht sollte man als 75jähriger (RvM-Leserbriefschreiber) eher auf Enzyme als auf Endonyme und Exonyme achten – als nach Macht (in der eigentlich greisenhaften Ohnmacht) zu trachten: wie ein noch älterer Donald Trump oder ein fast schon seniler sehr alter Joe Biden dies uns hemmungslos vorführen zu deren unberechenbaren Altersschüben… Stop it now – to the latest News: Joe (himself) is no more involved for his Re-election! Mark Twain (1835-1910) über das Alter: „Das Greisenalter ist eine zweite Kindheit minus Lebertran.“
Axel Manfred Rvmpf von Mansfeld

Herr Jessen liefert durch seinen Artikel selbst ein Argument für die Relevanz der Debatte um die Verwendung der „richtigen“ Namen ausländischer Städte, gerade in Osteuropa. Es geht um Unwissen und Ignoranz, welche durch die (Weiter-)Verwendung der eingedeutschten Namen oftmals zum Ausdruck kommt und weitergetragen wird. So ist Weißrussland nicht die wörtliche Übersetzung von Belarus (wie vom Autor behauptet). Die Rus war ein Ostslawisches Reich im Mittelalter, das existierte lange bevor es Nationalstaaten und ihre Sprachen in diesem Gebiet gab – also auch lange vor Russland, in welchem zudem heute versucht wird, dessen Geschichte allein als Russlands Vorläufergeschichte zu deklarieren. Zurecht erfolgte also im Deutschen ein Umdenken bezüglich des Staatsnamens! Denn es handelt sich gerade nicht um eine wortwörtliche neutrale Übersetzung, die einfach ausgetauscht werden kann. Weißrussland enthält bereits eine politische Deutung, die – wie seit dem 24. Februar 2022 oftmals diskutiert – auch einen Bias der Deutschen offenlegt: Osteuropa war lange Zeit für die meisten eben doch nur Russland und ein paar daran angrenzende unbekannte Staaten. Sprache ist nicht nur Ausdruck unserer Gedanken, sie formt auch unsere Denkweisen. Selbst wenn, wie der Autor postuliert, die Verwendung der Namen nicht immer die politische Gesinnung widerspiegelt, so nimmt sie doch Einfluss auf diese.
Ariane Brachmann

Eine Pointe zu den Verhältnissen von Exonym und Endonym bietet die Stadt Český Krumlov in Tschechien: Im Deutschen ist die regelgerechte Schreibweise Krummau. In der deutschen Grammatik gilt (seit der Regulierung im 19. Jahrhundert): Nach einem kurzen Vokal wird ein Konsonant verdoppelt (k und z sind anders geregelt). Umgekehrt gilt: Vor einer Doppelung des Konsonanten wird der Vokal kurz gesprochen. Für das Tschechische gilt: Ein Konsonant ist kurz zu sprechen, wenn er nicht durch ein entsprechendes diakritisches Zeichen als dlouhé, also lang oder gedehnt, gekennzeichnet ist. Das u in Krumlov ist kurz zu sprechen, wie auch Krummau mit kurzem u gesprochen wird. Wenn die Tschechen Krumau, gesprochen Kruhmau oder Kruhmlov, sagen wollten, müssten sie es mit ů, mit dem die Dehnung anzeigenden kroužek auf dem u, schreiben. Die Verdoppelung von Konsonanten sieht das Tschechische nicht vor, deshalb haben nachgeordnete tschechische Behörden den Namen Krummau häufig als Krumau dem Namen Krumlov anverwandelt. Die Doppelung des m in Krummau entspricht also der deutschen Rechtschreibregel, die für deutsche Texte gilt. Seit dem fortgeschrittenen 19. Jh. wird deshalb Böhmisch Krummau durchwegs mit Doppel-m geschrieben. Analog werden die Ortsnamen Klatovy (Klattau), Pasov (Passau) und Kutná Hora (Kuttenberg) im Deutschen regelgerecht und auch gebräuchlich mit Doppelkonsonant geschrieben. D. h., die aktuell gepflegte Schreibung Krumau ist ein Kotau vor tschechischen Nationalisten, wenn sie denn nicht auf mangelnde Rechtschreibkunde zurückzuführen ist.
Martin Ortmeier

Sie haben in der letzten ZEIT anschaulich und gut recherchiert die heute verbreitete Neigung (vor der übrigens auch die ZEIT nicht gefeit ist) beschrieben, im deutschen Sprachgebrauch traditionell übliche deutschsprachige Ortsnamen vor allem im osteuropäischen Raum an den in der jeweiligen Nation gebräuchlichen Namen anzupassen. Diese oft ohne größere historische Kenntnisse praktizierte Übung fördert eine europäische Geschichtsvergessenheit. Diese Nationalisierung von Ortsnamen verdeckt oft das Herkommen dieser Städte, nicht selten multiethnisch und multikulturell sowie unter wechselhafter Herrschaft. An dem Beispiel Bratislava (deutsch Preßburg, ungarisch Poszorny), der heutigen Hauptstadt der Slowakei möchte ich dies verdeutlichen:  Preßburg wurde nach den Mongolenstürmen  neu gegründet und seither kontinuierlich bis nach dem 1. Weltkrieg mehrheitlich von Deutschen bevölkert . Zugleich war Preßburg nach dem Einfall der Osmanen über Jahrhunderte Haupt – und Krönungsstadt Ungarns. Nach dem Sieg Napoleons über Österreich und Russland bei Austerlitz wurde 1805 der Friede zu Preßburg geschlossen. Jüngere Generationen werden angesichts Nationalisierung des Ortsnamens Schwierigkeiten haben, dieses historische Ereignis geografisch zu verorten. Die heutzutage oft unbedacht, gelegentlich moralisch im Sinne einer politischen Korrektheit überhöhte Nationalisierung der Ortsnamen läuft Gefahr, die Erinnerung an die oft sehr wechselhafte demographische, kulturelle und politische Geschichte dieser Orte zu verdrängen .
Ulf Doepner

Vorbildlich sind unsere westlichen Nachbarn: die Luxemburger stören sich nicht daran, dass eine Provinz in Belgien denselben Namen trägt, und die Niederländer akzeptieren, dass man sie in Deutschland als Holländer bezeichnet.
Peter Pielmeier

Ihren Beitrag habe ich mit sehr großem Interesse gelesen. Insbesondere für Italien haben wir viele Exonyme: Turin, Mailand, Venedig, Florenz, Rom, Neapel sowie Sizilien und Sardinien. Gleiches gilt im Französischen, dort zusätzlich noch „Plaisance“ für Piacenza. Einem Franzosen am Bahnhof Offenburg – meiner Heimatgemeinde – dürfte es wenig hilfreich sein, wenn er nach dem Zug nach „Aix-la-Chapelle“ oder gar nach „Ratisbonne“ (Regensburg) fragt. Meinen Skiurlaub verbringe ich immer in Breuil Cervinia im Aostatal, auf der italienischen Seite des Matterhorns (Monte Cervino), und danach noch eine Woche in Torino im Piemonte. Auf die Frage, woher ich in Deutschland komme, antworte ich immer, dass ich eigentlich auch ein „piemontese“ sei, „ai piedi della Selva/Foresta Nera“ (am Fuße des Schwarzwaldes). Großes Lob an DIE ZEIT für die Verwendung der polnischen Sonderzeichen. Kleine Anmerkung zu „Burgund – Heiliges Römisches Reich“: Burgund gab es zweimal. Das Herzogtum Burgund (Duché de Bourgogne), Hauptstadt Dijon, war ein Lehen des französischen Königs und gehörte zum Königsreich Frankreich, nicht zum Heiligen Römischen Reich. Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches war die Freigrafschaft Burgund (Franche Comté de Bourgogne). Die Herrschaft wurde zeitweise zwar in Personalunion ausgeübt, sodass die Herrscher, insbesondere Karl der Kühne, „auf zwei Hochzeiten“ tanzten. Bei der Reichsteilung durch Kaiser Karl V. (1556) kam die Freigrafschaft Burgund zu den spanischen Habsburgern und unter Ludwig XIV nach einigen Kriegen zu Frankreich [Nachdem die Freigrafschaft Burgund wieder für Frankreich verloren gegangen war, musste der Festungsbaumeister Vauban, für die Festung Besançon, die er zuvor bereits ausgebaut hatte, die Angriffspläne erstellen!]. Lons-le-Saunier (Hauptort des Departements Jura) ist Partnerstadt von Offenburg. Bei einem Besuch in Frankreich sagte ein Gastgeber, dass die Franzosen die Freigrafschaft getötet hätten („Les Français ont tué la Franche Comté!“). Auffällig ist, dass im Französischen bei „Franche Comte“ der Zusatz „de Bourgogne“ nicht gebräuchlich ist. Die eigenständige Region Franche Comté wurde durch das Loi NOTRe (loi no 2015-991 du 7 août 2015 portant nouvelle organisation territoriale de la République) mit der Region Bourgogne zur neuen Großregion Bourgogne-Franche Comté vereint.
Walter Funk

 


 

Leserbriefe zu „Eine Zeitschrift ist keine Partei“ von Holger Stark

Ihre Einschätzung des Compact-Verbotes erscheint mir aus der Zeit gefallen. Der von Ihnen zu Recht verteidigte Artikel zur Pressefreiheit passte gut in die Zeit zwischen 1789 und 2000 n. Chr. Mit der Entstehung sozialer Medien und sozialer Netzwerke sind danach aber neue Zeiten angebrochen: Sie selbst erwähnen ja die Verstrickung von Compact in diese neue Welt voller radikaler Krakenarme. Zudem versteht sich Compact nach eigener Aussage als Parteiorgan und Sammelbecken eines rechten politischen Netzwerkes. Mit anderen Worten: Mit der Digitalisierung der sozialen Welt müssen längst völlig neue Regeln zum Schutz und zur Verteidigung der Demokratie erkämpft werden. Diesen Gedanken habe ich in Ihrem Artikel vermisst.
Thorsten Chr.Hansen

Warum so zaghaft mit dem verbieten von rechtsextremen Aktivitäten? Wenn unser Rechtsstaat funktioniert, woran ich (noch) nicht zweifele gibt es Gerichte, die dies prüfen und ggf. zurücknehmen können.
Michael Großmann

Und schon wieder! Sobald der Rechtsstaat sich –viel zu selten- mal wehrt, empören sich Presse, Politiker rechter Parteien und deren Follower in den sogenannten sozialen Medien über dessen Maßnahmen zur Eindämmung einer Zunahme demokratiefeindlicher Agitationen. Was muss noch passieren, damit den erklärten Feinden der Demokratie, die, öffentlich kaum widersprochen, eine islamistische Staatsordnung einfordern, die ohne Sanktionen befürchten zu müssen, auf dem Boden einer freiheitlich und demokratisch organisierten Gesellschaft, für deren Abschaffung plädieren und die rassistische und anti-semitische Parolen verbreiten. Ich war lange genug im Nahen Osten tätig. Die Freiheiten, die den Gegnern einer freiheitlichen Ordnung in Deutschland gewährt werden, hätten mir in den Ländern dort langjährige Freiheitsstrafen eingebracht. Ich rede hier keiner Verschärfung des grundgesetzlich garantierten Versammlungs- und Demonstrationsrechts das Wort, doch unter einer wehrhaften Demokratie verstehe ich doch u.a. das Verbot von rechtsextremen und islamistischen Einrichtungen, die durch Aufmärsche und Infiltrationen versuchte Indoktrination, vor allem junger Menschen, zu unterbinden.
Udo Iffländer

Herr Stark, Frau Faeser überdehnt nicht! Bereits vor ca. 2400 Jahren hat ein Grieche schon gewarnt: „Also auch die äußerste Freiheit wird wohl dem Einzelnen und dem Staat sich in nichts anderes umwandeln als in die äußerste Knechtschaft. (….) So kommt denn wahrscheinlich die Tyrannei aus keiner anderen Staatsverfassung zu Stande als aus der Demokratie, aus der übertriebensten Freiheit die strengste und wildeste Knechtschaft.“ Platon, Politeia XIII 4.1.5.1.2
Dieter Macek

Innenministerin Faeser hat das Magazin Compact verboten. Da wir in einem Rechtsstaat leben und es immer noch unabhängige Gerichte gibt, werden diese mit großer Wahrscheinlichkeit Faesers Verbot kippen. Und dann? Frau Faeser wird nicht mehr tragbar sein, aber eine üppige Pension erhalten. Zerstört hat sie aber Zukunftsaussichten von Compact-Mitarbeitern und deren Familien. Die sind dann wahrscheinlich an ihrem Schicksal selbst schuld.
Rolf Schikorr

„Das Verbot von Compact ist hochriskant“ … aber notwendig und alternativlos.
Rüdiger Weigel

Mit Nancy Faeser kehrt das obrigkeitsstaatliche Denken der 1950er Jahre in die deutsche Politik zurück. Die Bundesregierung war damals entschlossen, mit dem Argument der inneren und äußeren Sicherheit die Medien zur Räson zu bringen. Hierfür legte das Bundesinnenministerium 1951 den Entwurf eines Bundespressegesetzes vor. Nach § 42 dieses Entwurfs sollten Zeitungen oder Zeitschriften, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung in der Bundesrepublik richten, in Fällen besonderer Gefährdung der Staatssicherheit auf immer verboten werden können. Doch gegen Ende der Legislaturperiode verschwand der Entwurf 1953 wieder in der Versenkung. Dafür hatte nicht zuletzt der Spiegel gesorgt, indem er durch seine ebenso beharrliche wie minutiöse Berichterstattung die Öffentlichkeit gegen das „Maulkorb-Gesetz eines soliden Obrigkeitsstaates“ (Der Spiegel, Ausgabe 13/1952) mobilisierte. Doch nun kehrt dieses obrigkeitsstaatliche Denken zurück. Faeser verbietet die Zeitschrift „Compact“. Doch halt, das stimmt so nicht. Vermutlich weiß sie, dass das Bundesverfassungsgericht im „Spiegel-Urteil“ von 1966 eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse als ein Wesenselement des freiheitlichen Staates bezeichnet hat und es daher hohe Hürden für das Verbot eines Presseorgans gibt. Also hat sie nicht die „Compact“, sondern die das Magazin herausgehende COMPACT-Magazin GmbH verboten. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie Faeser erst mit pathetischen Worten den 75. Jahrestag unseres Grundgesetzes feiern kann, um nicht einmal zwei Monate später mit linken „Taschenspielertricks“ verfassungsrechtliche Regelungen zur Pressefreiheit zu umgehen. Sollte das Verbot – was ich für sehr wahrscheinlich halte – vor Gericht keinen Bestand haben, muss Faeser zurücktreten. Für ihre verfassungsfeindliche und obrigkeitsstaatliche Politik ist in unserem freiheitlichen Rechtsstaat kein Platz.
Michael Pfeiffer

Nancy Faeser führt einen heiligen Kampf gegen alles rechte Gedankengut. Das soll ihr unbenommen bleiben. Als Innenministerin und Verfassungshüterin sollte sie jedoch ihre persönlichen Ambitionen im Zaum halten. Sie hat schon mehrfach bewiesen, dass sie der Aufgabe nicht gewachsen ist, zuletzt mit ihrem bizarren Kommentar zur tödlichen Messerattacke. Man muss das verbotene Magazin nicht mögen, um ihr Vorpreschen für anfechtbar zu halten. Wenn sie mit gleicher Inbrunst zB Moscheevereine, oft Keimzellen islamistischer Strömungen, oder Kalifataufmärsche observieren würde, würde die große Mehrheit der Bevölkerung weniger besorgt durchs Leben gehen.  Compact dagegen ist für die meisten eine Randerscheinung. Es ist die Doppelmoral der Ministerin, ihre Besessenheit, die ihr im linksgrünen Milieu Punkte einbringt, jedoch an ihrer Glaubwürdigkeit zerrt.
Christoph Schönberger

Darf eine Nancy Faeser (Bundesministerin des Innern) überhaupt so auf dem Grundgesetz (GG) herum trampeln? Vielleicht, vielleicht auch nicht, aber sie macht es halt und lässt kurzerhand das Magazin „Compact“ verbieten. Das mit der Pressefreiheit nach Artikel 5 Absatz 1 GG, das hat anscheinend für „Compact“ bis dato noch gegolten, jetzt ist damit Schluss! Einen richterlichen Beschluss hat es für diese Nacht- und Nebelaktion vermutlich auch nicht geben, aber vielleicht war ja allerhöchste Gefahr im Verzug und daher musste sofort gehandelt werden. Mittlerweile hagelt es an Anzeigen gegen Frau Faeser & Co.!
Klaus P. Jaworek

 


 

Leserbriefe zu Titelthema „Und jetzt, Amerika?“ „Trump, der Versöhner?“ von Amrai Coen et al.

Sie fabulieren sich eine Wirklichkeit zusammen, die möglichst zu ihrer ratlosen Empörung passt. Es geht schlich darum, dass der links-grüne Zeitgeist an der Führung der westlichen Demokratien gescheitert ist. Antifreiheitlich, antikapitalistisch, antibürgerlich, mit arrogantem Desinteresse an den Aufstiegschancen der arbeitenden Mittelschicht, mit vollkommen falschem, eitlem Menschenbild, der Fehleinschätzung der internationalen Politik, mit dumpen Anspruch auf Fortschrittlichkeit und ewigen Machtanspruch. Das war eine Fehleinschätzung. Das ist Geschichte. Sie müssen runter vom Hohen Ross und sich bei den normalen Menschen anstellen. Sie haben viel Lebenszeit vergeigt. Die Demokratie verdient klügere Politiker und Journalisten. Drücken Sie mit mir die Daumen für Donald Trump. Die anderen müssen es ja nicht sehen. Alles wird gut!
Fred Klemm

Trump als Versöhner? Hier ein Tagtraum über das scheinbar Unmögliche: Im Vergleich zu seiner ersten Amtsperiode hat Trump diesmal einen Masterplan, vorbereitet von einem Heer von Beratern. Dieser Umstand verbreitet Angst und Schrecken. Es wird aber in meinem Tagtraum ganz anders kommen. Der Plan instrumentalisiert Trump, was er absolut nicht mag. Trump macht letztendlich nur, was er will (um sich zu spüren), nicht was andere wollen. Er ließ sich schon in der ersten Amtszeit nicht briefen. Die Entscheidung für Vance, der keine neuen Wähler gewinnen wird, zeigt sein erratisches instinktives Verhalten. Es zeigt ihn bereits auch als Heiler, indem er einen Verirrten wieder aufnimmt. Es kann aber letztendlich nur einen geben. Für sein anmaßend-kalkulierendes Überbieten wird Vance zu gegebener Zeit von Trump für immer in die Unterwelt verbannt werden. Jetzt, wo Trump ein Attentat überlebt hat, will er nicht mehr spalten, er ist gewandelt und gefällt sich nun in der Rolle des erleuchteten Versöhners. Er zieht damit beiläufig den Demokraten den Boden unter den Füßen weg und erzeugt für sich eine unschlagbare Alleinstellung. Jetzt, wo sich durch Spaltung in den USA und in der Welt nichts mehr gewinnen lässt, geht es um das Versöhnen. Als Versöhner will Trump in die Geschichte eingehen, indem er auch die von ihm selbst einst rüpelnd geschlagenen Wunden heilt. Vergebung für alle Sünden. So wird er der größte Präsident aller Zeiten, quasi ein Übermensch. Ohne Makel. Ach, ein Tagtraum.
Reinhard Koine

Zum Foto auf Seite 3: Ein ähnliches Bild drängt sich mir auf: Sportpalastrede 18.2.1943: Beseelte Gesichter, Massenphänomen, generationsübergreifend, rechter Arm in die Höhe! Gute Nacht USA – Europa / Deutschland erwache – a.s.a.p, besser gestern!
Joachim Meise

Das Fragezeichen in Ihrer Überschrift ist absolut berechtigt und hat inzwischen schon wieder der völligen Ernüchterung Platz gemacht, nachdem Herr Trump bei seiner Nominierungsrede die vorbereitete moderatere Version nach nicht einmal einer halben Stunde wieder verlassen hat und zu seinen alten bekannten Tönen zurückgekehrt ist. Ohnehin hatte er seinem Vize und anderen offensichtlich auch nicht „verboten“ extremistische oder gar hetzerische Worte an seiner Stelle zu verbreiten. Wichtiger waren Devotionalien und Ergebenheits- und Anbetungs-Adressen für sein Ego. Auch durfte sein Vize stolz verkünden, er hätte in einer Situation wie beim Kapitolsturm als Vizepräsident die Anerkennung des Wahlergebnisses verweigert oder verhindert. Damit braucht man ihm gar nicht mehr die entscheidende Frage zu stellen, ob Versöhnung nun auch bedeute, ein evtl. Wahlergebnis gegen ihn anzuerkennen und das auch seinen Anhängern vorzugeben. Nur damit hätte ein Versöhnungskurs überhaupt ein bisschen glaubwürdig sein können. So kann man die Entwicklung der republikanischen Partei und des Wahlkampfs nur noch mit Grausen betrachten, und mit einem Test, ob es wirklich die Realität ist oder nur ein schlimmer Alptraum: In Milwaukee wird ja gar nicht mehr ein Kandidat gewählt, sondern eher eine Heiligsprechung vollzogen, ein Erlöser ausgerufen, ein Messias, der gar keine Salbung mehr braucht, weil die ja schon durch die „göttliche Intervention“ und das Blut im Gesicht beim Attentat verklärt wurde, Beweis genug für alle gläubigen, für die es völlig offensichtlich ist, dass hier mehr als schlichtes Glück des oft chaotischen Schicksals im Spiel war. „In der Stunde des so nahen Todes dachte er nur an uns, an euch“; so oder so ähnlich sprach der neue Wendehals-Vizekandidat. Das Einzige, was noch fehlt ist eine Donnerstimme aus dem Himmel „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Auf ihn sollt ihr hören“. Aber vielleicht braucht der „Erlöser“ auch das gar nicht mehr, da er ja schon selbst ein Gott ist.
Steht MAGA wirklich für „Make America great again“ oder eher für „Make America Gaga again“ oder „. . . Gay-hating again“ oder “ .. . . gone for NATO and climate saving“, „. . . ghastly / gory again“ oder „. . . ghost-like again“ oder “ . . . godsent again“? Da ist es für europäische Politiker eine auch schon fast übermenschliche Aufgabe, sich vorzubereiten auf das allzu wahrscheinliche, statt nur passiv in Sorge und verzweifelter Hoffnung zu erstarren. Einige meinen ja, es sei überheblich sich mit irgendwelchen öffentlichen Meinungen in die Entscheidung der US-Wähler einzumischen und ihnen Ratschläge oder Argumente zu geben. Es heiße nun lt. Herrn Spahn, das „gemeinsame“ zu sehen und gute Kontakte aufzubauen. Man kann nur hoffen, dass Herr Biden endlich ein Einsehen hat und den Kampf gegen diesen „Halbgott“ und „Erlöser“ jemand jüngerem und schlagfertigerem überlässt, damit wenigstens noch eine mehr als mikroskopische Chance für die Abwendung des drohenden Schicksals besteht, so schwer es auch für jede andere Person an seiner Stelle sein dürfte. Immerhin ist noch mehr als 3 Monate Zeit für evtl. Selbstentlarvungen und Fehltritte von Trump und Vance, für neue Schicksals-Ereignisse, und vielleicht für nicht sobald mehr Angriffe gegen die Gegner, aber Fragen an sie und die Wähler, für Kurz-Videos, die Verhalten und Worte der beiden „Heilsbringer“ darstellen und in Kontrast mit anderen Worten und Fakten bringen, für ironischen Humor und schließlich vielleicht für ein Gegenmodell, das aber kaum so viel Kraft wie die beiderseitigen Emotionen haben kann. Mit den etwas gestiegenen Umfrage-ergebnissen hätte Kamala Harris vielleicht auch die Chance, abhanden gekommene Stimmer von farbigen Wählern und von Frauen wiederzugewinnen und von einigen, die sich gegen die Kriminalität jemand mit Erfahrung als energische Staatsanwältin wünschen. Sie könnte auch am ehesten die Quadratur der Kreise bewältigen, sowohl etwas kraftvolles Neues als auch die Bewahrung alles Guten im politischen Erbe von Biden zu verkörpern.
Peter Selmke

Bei der ganzen Diskussion, ob Trump die Wahlen gewinnt oder nicht, fehlt mir bisher ein Aspekt komplett: Wenn jemand wie Trump bei seinen Anhängern wie der neue Messias gefeiert wird. Jemand der von Gott auserwählt ist die USA zu „retten“ und sogar von Gott vor einem Attentat geschützt wurde, kann die Wahlen für seine Anhänger gar nicht verlieren! Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die Wahl (was sehr wahrscheinlich ist) sehr knapp ausgeht und der demokratische Kandidat (wer auch immer das sein wird) knapp vorne liegt. Glaubt tatsächlich jemand, dass Trump und seine „sektiererischen Jünger“ eine Wahlniederlage akzeptieren würden. Niemals! Es wäre abermals eine „gestohlene Wahl“. Dies könnte tatsächlich zu einem Bürgerkrieg ausarten. Vor allem wenn man bedenkt, wie viele Millionen Waffen in den USA in Privathänden sind.
Horst Weippert

Dieses Attentat auf Donald Trump ist das Ergebnis einer Entmenschlichung des politischen Gegners in der öffentlichen Debatte in den USA. Heute meinen Demokraten und Republikaner jeweils alleine im Besitz der ultimativen Wahrheit zu sein und für das „Gute“ zu stehen“. Dies bedeutet natürlich im Umkehrschluss, dass sie glauben, dass jeder mit einer anderen Meinung automatisch für Falschheit und das „Böse“ stehen müsse. Wenn jemand erst einmal diesem Wahn verfallen ist, ist es zu Gewalttaten nur noch ein kleiner Schritt. Diese Entwicklung in den Vereinigten Staaten sollte auch uns in Deutschland Sorge bereiten. Alle kulturellen und geistigen Trends aus den USA prägen über kurz oder lang auch uns. Früher gestanden Demokraten und Republikaner den Anhängern des anderen politischen Lagers noch zu, dass diese hehren Ziele verfolgen, aber aus einer anderen ideologischen Grundposition heraus zu falschen politischen Lösungen gelangen. Man bekämpfte sich dann respektvoll im „Wettstreit der Ideen“. Nehmen wir hierfür den US-Präsidentschaftswahlkampf 2008 zwischen Barack Obama und John McCain als Beispiel. Bei einer republikanischen Wahlkampfveranstaltung behaupteten Personen aus dem Publikum, Obama sei ein Araber und mache gemeinsame Sache mit inländischen Terroristen. Die Amerikaner müssten daher Angst vor einer Präsidentschaft des Demokraten haben. Statt diese Attacke auf seinen Gegner für seine Zwecke auszunutzen, antwortete McCain, Obama sei ein anständiger Staatsbürger und Familienvater, mit dem er zufällig in grundlegenden Punkten nicht übereinstimme. Es gebe keinen Grund sich zu fürchten, falls dieser ins Weiße Haus einzöge. Nur einen Tag später würdigte Obama auf einer Wahlkampfveranstaltung in Philadelphia das Verhalten seines Gegners. Ein derart respektvoller Umgang mit dem politischen Rivalen wirkt in den heutigen Vereinigten Staaten wie aus einer anderen Welt. Es ist höchste Zeit, dass die USA wieder zu einer zivilisierten Debattenkultur zurückkehren. Andernfalls war das Attentat auf Trump erst der Anfang.
Michael Pfeiffer

Die alten Männer in Amerika von 70 bis 80 Jahren wollen das Land in eine bessere Zukunft führen, dort wo ein „Trump- Messias“ das Attentat überlebt hat und ein stark körperlich-geistig angeschlagener Biden im Weißen Haus bleiben will. Amerika steht ein politisches „Erdbeben“ bevor, ein erneuter Bürgerkrieg in Amerika, der liegt mindestens 100 Jahre zurück.
Thomas Bartsch Hauschild

Vergesst Amerika, so schnell wie möglich und auf unbestimmte Zeit. Auf welcher Basis soll ein rational denkender und aufgeklärter Staatschef mit Trump verhandeln und ihm entgegentreten, wenn dieser von sich behauptet, Gott höchstpersönlich habe ihn für dieses Amt berufen? Diese Meinung wird von seinen konservativ und religiös geprägten Anhängern unwidersprochen innerhalb der eigenen Medien-Blase getragen. „Ich hatte Gott an meiner Seite“. Das war sein Statement zum Attentat auf ihn. Wie soll man mit einem verurteilten Straftäter umgehen, an dem alle belegten Lügen, Unwahrheiten und Vergehen abprallen, als habe er einen Persilschein? Welchen Wert hat ein Bündnis mit Amerika, wenn 22 Millionen Amerikaner es befürworten, notfalls mit Waffengewalt neue Fakten zu schaffen? Für Trumps Anhänger ist die Entscheidung völlig klar: Persil- da weiß man, was man hat. Darum noch einmal – vergesst Amerika, egal ob Trump die Wahlen gewinnt o- der auch nicht. Wer sich weiterhin auf Amerika verlässt, wird früher oder später sehr verlassen sein.
Andreas Löbbers

anbei meine Gedanken zur Situation, motiviert durch einen vor kurzer „Zeit“ bei Euch erschienenen Artikel über Trumps Mediale Fähigkeiten, der mittlerweile durch die Geschehnisse vielfach bestätigt wurde so wie den Rücktritt von Biden von seiner Kandidatschaft. (Bezugsartikel in der Zeit: Zeit Nr. 25 S.9 „Sie verstehen mich falsch, ich spreche über Trump Genialität“ sowie Zeit Nr. 31 Und jetzt Amerika S.1 sowie Trump, der Versöhner S.2) Und jetzt Amerika? „Trump versteht die Medien wie kein Zweiter!“ Wie Recht der amerikanische Bestsellerautor und Trump-Kenner Michael Wolff hat, zeigt sich in Trumps historisch martialischer Pose verbunden mit seiner Aufforderung zum Kampf bereits kurz nach dem Attentat. Wenn nicht dieses Bild die Präsidentschaftswahlen bereits entscheidet, dann Trumps gleichzeitige Versicherung, dass er im „Angesicht des Bösen standhaft bleibt“ und dafür sogar mit seinem Leben steht. Trump inszeniert sich als Märtyrer der Kategorie Kennedy und Martin Luther King, hat diesen jedoch voraus, dass „Gott allein das „Undenkbare“ verhindert hat. Fame ist eben Trumps Geschäftsmodell, sein Ruhm ist seine Macht, weil er den Medien nach dem Prinzip „Brot und Spiele“ Auflagen bzw. Einschaltquoten bringt und sich damit weitere Wähler sichert.  Obgleich das erschütternde Attentat Tot und Verletzungen gebracht hat könnte es nicht besser für Trumps Wahlkampagne laufen. Beim Nominierungsparteitag konnte Trump wenig falsch machen. Mit seiner hybriden Taktik, der latenten Fortsetzung seiner Wut- und Hetzkampagne boostet er einerseits die Wirkung des Moments. Gleichzeitig will er sich durch seine vorgeschobene Deeskalation, „der gottberufene Präsident aller Amerikaner sein zu wollen“ den Heiligenschein erwerben und sichert sich auch hierdurch Ruhm, mediale Macht und insbesondere klerikale Wähler.
Der späte, aber altersbedingt unausweichliche Rückzug Bidens (der seinen Job als Präsident bislang hervorragend gemacht hat) von der Kandidatur bringt nun Schwung in beide Kampagnen. Die Republikaner müssen ihre Kampagne neu ausrichten, worüber sie sich bereits mit Betrugsvorwürfen gegen die Demokraten beklagen. Die Demokraten sind gut beraten bei der Nominierung Ihres Kandidaten Einigkeit, Pragmatismus und Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Pamela Harris, die fachlich und persönlich auf solidem Fundament steht, würde die Republikaner als weibliche und farbige (besser dunkel pigmentierte?) Kandidatin vor die Herausforderung stellen, Ihre Kampagne der persönlichen Beleidigungen deutlich zu justieren. Auch könnte sie Trump aufgrund Ihres juristisch geprägten Werdegangs und Ihrer kämpferischen Persönlichkeit inhaltlich und rhetorisch mindestens Paroli bieten. Allerdings bleibt weiterhin schwer vorstellbar, dass sich das Blatt in einer Welt, in der Transparenz sowie Rationalität durch alternative Fakten erstickt und damit Emotionen zur entscheidenden Grundlage von Wahlentscheidungen werden, noch zu Gunsten der Demokraten wendet!
Dirk Petersmeier

 


 

Leserbriefe zu „Die neue Härte“ von Jana Hensel und Carla Neuhaus

Hartz IV ist tot. Es lebe Hartz V! Wenn die Einführung von Hartz IV die SPD gespalten und deren Wähler vertrieben hat, dann dürfte dies die „Reform“ des Bürgergeldes noch weiter beschleunigen. Seit der Bundestagswahl hat die SPD gemäß Umfragen rund 40% ihrer 2021 ohnehin schon geringen Wählerschaft verloren. Die Einführung von Hartz IV kostete vor fast 20 Jahren dem damaligen Kanzler Schröder letztlich die Wiederwahl, eben weil er damit der „alten Tante SPD“ einen Dolch zwischen die Schulterblätter rammte. Kanzler Scholz erweist sich mit seiner FDP-nahen Politik nun als Totengräber der SPD. Angemessene Sanktionen beim Bürgergeld sind sicherlich vertretbar, aber im Kontrast zu den geplant überzogenen (evtl. hat das Bundesverfassungsgericht noch ein Wörtchen mitzureden) und zudem bei der Lastenverteilung die FDP-Klientel gänzlich unberücksichtigt zu lassen (siehe bspw die Ausweitung der reduzierten Steuer für E-Dienstwagen oder der im Vergleich zum Arbeitslohn geringfügigere Steuersatz bei leistungslosen Kapitalerträgen) dürfte die einstmals treue Wählerschaft der SPD noch weiter reduzieren.
Reiner Gorning

Was heute Bürgergeld heißt, nannte man früher Arbeitslosengeld. Weil damit Arbeitslosen und Arbeitssuchenden über einen Zeitraum mit Geld geholfen wurde, bis sie oder er wieder eine Beschäftigung gefunden hatte. Man hat diese Bezeichnung irgendwann als diskriminierend empfunden und kurz das Bürgergeld daraus gemacht. Diese Wortschöpfung ist neutral, passt zu allen Bürgern und impliziert keinen „Makel“. So ähnlich verhält es sich mit der blumigen Formulierung Solidaritätszuschlag für eine schlichte Steuererhöhung. Leider mangelt es derartigen Erfindungen aber an Klarheit und Deutlichkeit. Das Wort Sondervermögen, ist nichts anderes als eine plumpe Umschreibung von Extra-Schulden. Das Bürgergeld ist eine Verschönerungs-Kreation, die das Falsche vermittelt. Es geht um eine staatliche Hilfe, die den Empfänger verpflichtet, sich schnellstmöglich unabhängig von dieser Unterstützung zu machen. Es geht nicht um Geld, dass der Bürger bekommt. Dass jetzt zurückgerudert wird, hat Gründe. Bei einer Befragung von 1894 Mitarbeitenden in Jobcentern von Nordrhein-Westfalen im Februar 2025 kam heraus, dass eine Mehrheit die Erhöhung des Bürgergeldes ablehnt und mildere Sanktionen von 73 Prozent der Beschäftigten als falsch bezeichnet wurden.
Dass außerdem 60 Prozent die Erhöhung des Bürgergeldes um ca. 12 Prozent für zu hoch halten, rundet das Bild ab. Zwischen 2021 und 2024 erhöhte sich das Bürgergeld um 26 Prozent, die Löhne im gleichen Zeitraum nur um 12 Prozent. Und schließlich: in der aktuellen Spiegel-Ausgabe (Nr.30) werden die einstigen Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Fran-Jürgen Weise und Heinrich Alt zitiert: „Es gibt in Deutschland 260.000 junge Männer, zwischen 25 und 45, die seit längerer Zeit nicht arbeiten, obwohl sie alle Kriterien für Erwerbsfähigkeit erfüllen.“ Um nicht in die falsche gestellt zu werden: Mein Schwiegersohn hat mit Hilfe des Jobcenters eine komplette Ausbildung absolviert. Ich fand die Unterstützung von staatlicher Seite großartig. Er hat die Chance genutzt, im Höchsttempo die Ausbildung und Prüfung absolviert, um jetzt eine Arbeitsstelle anzunehmen und Steuern zu bezahlen. Das ist praktischen Fördern und Fordern. Auch wenn es – wie Sie schreiben – nur eine kleine Gruppe von Totalverweigerern gebe, ist das kein Grund, darüber hinwegzusehen. Schließlich wird beim Atomausstieg (trug nur zu 6 Prozent der Stromerzeugung bei) oder beim Tempolimit (die wenigsten fahren deutlich schneller als 130 km/h) auch damit argumentiert, dass dies kein Grund sei, das Thema abzuhaken.
Thomas Meichle

Die Rolle rückwärts, die die SPD beim Bürgergeld hinlegt, ist für mich ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die SPD sich von der hetzerischen Stimmungsmache der Union gegen Bürgergeldempfänger hat unter Zugzwang setzen lassen. Ein Land, in dem nachgewiesenermaßen Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden, arbeitet sich eine sich selbst als abstiegsbedroht wähnende bürgerliche Mitte an einer kleinen marginalisierten Gruppe ab. Dies alles angetrieben von in der Regel finanziell bestens aufgestellten Unionsvertretern, die vorgeben, sich für die „hart Arbeitenden“ stark zu machen – wer auch immer das sein soll. Und wer nicht. Die SPD, inzwischen zu einer vollkommen profillosen Umfallerpartei degeneriert, hat dieser Stimmungsmache nichts entgegenzusetzen, sondern setzt sich stattdessen mit ihrer Rückabwicklung des Bürgergeldes auch noch an die Spitze dieser Bewegung! Für wen will diese Partei noch stehen? Ich habe in meinem Leben durchaus einige Male SPD gewählt. Aber inzwischen sehe ich keine Notwendigkeit mehr dafür. Umwelt, Klima und Verkehrswende finde ich besser bei den Grünen und soziale Gerechtigkeit machen die Grünen zumindest nicht schlechter als die SPD. In Hessen ist die SPD als Koalitionspartner der CDU vollkommen verblasst und kaum mehr wahrnehmbar. Mit ihrem Turbo-Umfaller beim Bürgergeld schießt sie den Vogel ab. Welch ein enttäuschender Niedergang einer dereinst großen Partei für soziale Gerechtigkeit!
Erika S. Becker

War die Reaktion der Politik durch das Bürgergeld ein Wunder? Harz IV war eine asoziale und ungerechte Regelung, zum Nachteil der heute so beschworenen fleißigen Arbeitnehmer, es war ein Sozialbetrug. Aus dieser Erfahrung wollten es alle besser machen und haben mehrheitlich das Bürgergeld beschlossen. Nachdem auch in diesem Gesetz Mängel sichtbar wurden, distanzierte sich die CDU/CSU und Teile der FDP mit populistischen Aussagen und hat zusammen mit dem Boulevard das Bürgergeld als bedingungsloses Grundeinkommen diskreditiert, anhand anekdotischer Beispiele alle Bürgergeld Empfänger als Sozialbetrüger verunglimpft. Valide Zahlen liegen über die marginale Gruppe der Totalverweigerer bis heute nicht vor. Auch wurde der Öffentlichkeit suggeriert, unser Haushalt könnte durch besonders strenge Sanktionen gegen vermeintliche Totalverwieger saniert werden. Die Politik ignoriert die Tatsache, dass es für psychisch Kranke und Häftlinge faktisch unmöglich ist mit dem Amt zu kommunizieren. Hoffnungslos verschuldete öffnen über Monate keine Post, was jeder Schuldenberater bestätigen kann. Das können nicht die Personengruppen sein, welche statt Unterstützung besonders strenge Sanktionen verdienen.
Gerhart Herzig

Ich habe den Artikel mit großem Interesse gelesen, da ich vor kurzem selbst in der Situation war und Bürgergeld beziehen musste. Hartz-IV habe ich nie bezogen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie vor der Bundestagswahl das Bürgergeld als eine Art Vorstufe für ein bedingungsloses Grundeinkommen galt. Eine unbürokratische, schnelle Hilfe für Jeden. Als ich es dann wirklich beantragte, war ich überrascht: Es ging sehr bürokratisch zu, die Sachbearbeiter waren selten zu erreichen. Ich bekam „Angebote“ für Hilfe oder für Jobs, von denen ich nicht wusste, ob ich sie annehmen muss oder nicht. Ich wollte eigentlich nur in Ruhe nach einem neuen Job suchen. Die Schulung, die ich dann wirklich machen wollte, wurde mir nicht genehmigt. Mit dem, was man unter Bürgergeld versteht oder verstand, hat das wenig zu tun. Es ist einfach eine Art Hartz-IV light. Das jetzt auch noch die harten Sanktionen wiederkommen ist wohl das Ende des Bürgergeldes, es ist fast genau wie vorher und ein Armutszeugnis für die SPD. Das Argument, es ginge um den geringen Prozentsatz an Totalverweigerern ergibt nicht wirklich Sinn: Lassen die sich wirklich von Sanktionen beeindrucken und fangen plötzlich an zu arbeiten? Sie bekämen einfach weniger Geld.
Es geht doch eher darum, ein Signal an die unzufriedenen Arbeitnehmer mit geringen Einkommen zu senden. Viele Menschen bemerken, dass am Ende des Monats weniger Geld da ist und finden es ungerechnet das Andere ohne zu arbeiten Geld bekommen. Die Mieten sind gerade in Städten sehr hoch und die Gehälter zu niedrig und sie werden auch nicht an die Inflation angepasst. Da wird es zu einer echten Alternative Bürgergeld zu beziehen, da man hier die Miete, Krankenversicherung und 563€ bezahlt bekommt. Eigentlich wären jetzt die Arbeitgeber gefragt die Löhne zu erhöhen, um zumindest ein besseres Angebot als das Bürgergeld zu schaffen. Die Politik müsste mehr gegen die immer weiter steigenden Mietpreise unternehmen. Stattdessen werden jetzt die Lobbylosen bestraft, um ein Signal zu senden, ausgerechnet von einer SPD-geführten Bundesregierung. Den Arbeitnehmern wird es im Grunde auch nicht wirklich nützen, da jetzt der Druck von ihren Arbeitgebern genommen wird die Löhne zu erhöhen. Aber vielleicht können sie ja als moralischen Sieg betrachten.
F. Schöpel

Der Artikel beweint die versuchte Eingrenzung von Sozialausgaben durch das Bürgergeld. Zwar ist noch auf der ersten Seite der ZEIT ein Leitartikel „Allein zu Haus“, der auf die Notwendigkeit von mehr Resilienz Europas allgemein und insbesondere bei einer Wiederwahl von Trump hinweist, aber diese Einsichten gehen insbesondere in dem Artikel auf Seite 19, aber auch in einigen anderen, in denen es z. B. um Arbeitszeit geht, verloren. Es ist eine Lebenslüge, dass die notwendige Steigerung von Rüstungsausgaben, die Umstellung unserer Energiebasis angesichts der Klimakrise, der Nachholbedarf in der deutschen Infrastruktur ohne Opfer abgingen, und da wird auch der Drittelanteil der Sozialausgaben an den Kassen des Bundes, der Länder, der Kommunen und Sozialversicherungen auf das wirklich Notwendige schrumpfen müssen. Konstruktiv wäre es, auszuloten, was tatsächlich an Sozialausgaben (und Subventionen) notwendig ist. Diese Diskussion würde die Gesellschaft auf notwendige Maßnahmen vorbereiten und sie vielleicht sogar einen und integrieren, jedenfalls mehr als die Aussage, dass der Staat schon alles richten werde, von der jeder weiß, dass sie falsch ist. Oder?
Helge Petersen

„Viele fragen sich, warum soll ich morgens um 7 Uhr schon arbeiten, wenn derjenige, der das Bürgergeld bezieht, fast das Gleiche bekommt“, diese Äußerung stammt vom deutschen Unternehmer Hans Peter Wollseifer (*1955). Der Politiker und Bundesminister der Finanzen der BRD und Bundesversitzender der FDP Christian Lindner (*1979) sagt folgendes zum Bürgergeld: „Im Zusammenspiel von Bürgergeld, Wohngeld, Kinderzuschlag und anderen Sozialtransfers stellen sich zu viele Menschen die Frage, ob Arbeit noch Sinn macht.“ Frage: Wer dieser beiden Herren, tickt hier wohl richtiger im Takt.
Riggi Schwarz

Bürgergeld für „alle“ – unabhängig davon, ob jemals etwas in die Sozialkassen eingezahlt wurde! Die Vergabe eines Premium – Flüchtlingsstatus! Frage: Wird auch bei den Ukrainern das vorhandene Vermögen überprüft? Viele Rentner können sich Vereinsbeiträge und Eintrittsgelder nicht leisten – gehen stattdessen Flaschen sammeln. Auch eine Art am öffentlichen Leben teilzunehmen, unter Leute zu kommen. Anschubfinanzierung für Langzeitarbeitslose! Steuererleichterungen für ausländische Fachkräfte! Das ist selbst sozialdemokratisch / links eingestellten Menschen schwer zu vermitteln. … und ich lasse mir mit mehr als 40 Jahren Vollzeitarbeit in der Krankenversorgung NEID (Sozialneid/Neiddebatte) vorwerfen?
M. Trampe

Man kann sicherlich die verschiedenen Maßnahmen, die Teil des Bürgergeldes sind, unterschiedlich bewerten, manche als gerechtfertigt, manche als milde ausgedrückt verbesserungswürdig, aber die schlechteste Entscheidung war sicherlich, Hartz IV in Bürgergeld umbenennen. „Fördern und fordern“, „auf Augenhöhe“, „Empathisch, unterstützend und bürgernah“, das klingt doch stark nach sozialer Hängematte oder gar nach bedingungslosem Grundeinkommen. Wer auch immer die Idee hatte, das Ganze „Bürgergeld“ zu nennen, mag zwar aus guter Absicht gehandelt haben, aber hat damit gänzlich das Ziel verfehlt. Damit wird es zur Zielscheibe oder auch wie ein Elfmeter ohne Torwart für all diejenigen, die die Neiddebatte anheizen, um von den eigentlichen Themen erfolgreich abzulenken. Dass etwaige Finanzierungslücken mit Verschärfungen beim Bürgergeld erfolgreich zu füllen wären, ist zwar schon rein rechnerisch illusorisch, lässt sich aber auf Stammtischniveau wunderbar breittreten. Und um dies in einer der vielen Talkshows zu tun, finden sich doch genügend gewissenlose Politiker, die ihre moralische Bankrotterklärung schon längst unterschreiben haben. Daher mein Aufruf: Lasst uns eine andere Bezeichnung für die Sozialleistungen finden, etwas, womit man nicht den leisesten Anschein von Menschenwürde verbinden kann.
Marcus Mittelholz

 


 

Leserbriefe zu „Im Gebet vereint“ Gespräch mit William Schweiker geführt von Evelyn Finger

Was viele in Europa und Deutschland nicht wissen:82 % der Amerikaner glauben an Gott. 62 % davon Glauben, dass Corona-Virus sei eine Botschaft und ermahne die Menschheit, sich zu ändern;55% glauben, Gott werde sie schützen. Wenn Politik zur „Ersatzreligion“ zur unversöhnlichen Kampfansage stilisiert wird, nur die Wahl bleibt zwischen den Guten und Bösen, ist Amerikas Demokratie in größter Gefahr das William Schweiker in seinen nachvollziehbaren Antworten deutlich gemacht.
Thomas Bartsch Hauschild

Beim Lesen des Interviews habe ich mich ertappt gefühlt: Ich fürchte, dass auch ich dazu neige, bei Menschen, die anderer Meinung sind, eigennützige und unehrenhafte Motive zu vermuten, also z. B. bei Menschen, welche die weitere militärische Unterstützung der Ukrainer*innen ablehnen, weniger Friedenssehnsucht als vielmehr den Wunsch nach Verringerung der finanziellen Lasten, welche die Unterstützung mit sich bringt, als Motiv zu vermuten. Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte nach wie vor die – auch – militärische Unterstützung der Ukrainer*innen sowohl im Interesse der Ukrainer*innen (damit sie nicht der Freiheit beraubt oder sogar wie in Butscha oder beim Holodomor ermordet werden) als auch im Interesse Deutschlands (damit Russland von Angriffen auf weitere Länder, u. a. NATO-Staaten, abgehalten wird) für geboten, aber ich möchte mich bemühen, in Zukunft bei Menschen, welche die Unterstützung der Ukrainer*innen ablehnen, aber nicht explizit finanzielle Motive dafür nennen, nicht sofort eigennützige Motive zu vermuten. Dass eine Kapitulation der Ukraine wegen der dann zu erwartenden Flüchtlingsströme und der – spätestens – dann notwendig werdenden sehr viel höheren Ausgaben für die Bundeswehr Deutschland wesentlich mehr kosten würde als die derzeitige militärische Unterstützung der Ukrainer*innen, ist eine andere Sache.
Ulrich Willmes

Das kollektiv-autosuggestive Beten dient vor allem dazu, die eigene Sichtweise auf die momentane Situation zu verabsolutieren. Natürlich erzeugt das Binnensolidarität, die ist aber exklusivistisch, also prinzipiell ausgrenzend und widerspricht damit der Offenheit echter religiöser Werte. Aber Trump kann diese Haltung für seine Kampagnen gut gebrauchen. Dass damit demokratische Grundwerte, die dem Nutzen aller Bürger dienen sollen und können, verlassen oder zumindest in Frage gestellt werden, scheint den Händefaltenden nicht bewusst zu sein. Zum Glück gibt es dann doch noch Leute wie den Theologen William Schweiker, die über standardisierte Muster hinaus denken und empfinden.
Christoph Müller-Luckwald

Ich bin tief beeindruckt von dem Interview mit Prof. William Schweiker, seiner Haltung und seinen Aussagen. Und beim Lesen und Reflektieren drängte sich mir der Gedanke auf: Gäbe es in Amerika in der jetzigen Situation keinen besseren Präsidenten als diesen Mann, der wirklich glaubhaft und überzeugend zu Vergebung und Versöhnung aufruft und einen Weg dorthin aufzeigt?
Günter Zöller

Der Gesprächspartner von Frau Evelyn Finger Prof. theol. W. Schweiker zeigt gut die Zerrissenheit des Landes auf, an der Christen dort ihren Anteil haben, nicht zuletzt durch die Selbstgerechtigkeit, die Tendenz, den politischen Gegner zu dämonisieren und sich selbst auf der Seite des Guten zu sehen. M.E. leiden die Christen generell an guter biblischer Lehre, um dem „Ungeist der Zeit“ zu widerstehen und nicht falschen Heilsversprechen auf den Leim zu gehen, wie sie Herr Trump formuliert hat, als ob er Amerika retten könnte. Ich sehe die Ursache mangelnden geistlichen Unterscheidungsvermögens auch in Gottesdiensten, in der musikalische Bands die Gläubigen emotional in Stimmung bringen, wobei es in den gesungenen Texten vorwiegend um eigene Befindlichkeiten geht. Legitim ist, für die Regierenden zu beten. Aber ich bin traurig darüber, wenn Christen sich auf Wahlkampfrhetorik einlassen, wir sind die Guten und der politische Gegner sind die Bösen. Mehr Selbstreflexion angesichts eigener Sündhaftigkeit kann man von Christen erwarten. Die könnten sie von den Männern der Reformation lernen und damit könnten sie eine qualifizierte Minderheit werden, die kompetent christliche Werte vertritt, z. B. bei den Kontroversen Gerechtigkeit für die Vielen, oder Bevorzugung der Reichen, Schutz des ungeborenen Lebens versus Selbstbestimmung der Frauen.
Dieter Loest

„In GOD we trust“ kann jeder amerikanische Bürger auf der 1 US-$ Banknote lesen. Der Missbrauch des Namen Gottes ist weltweit an der Tagesordnung. US-Präsident George Bush jr. hatte angeblich von Gott den Auftrag erhalten, im Frühjahr 2003 den Irak-Krieg zu führen. Der völlig ungläubige Ex Präsident Donald Trump betrachtet das jüngste missglückte Attentat als Rettung durch Gott. Die verlogenen pseudo-religiösen Selbstdarstellungen werden immer unerträglicher. Gott wird zur Bedeutungslosigkeit degradiert und seine Existenz in Frage gestellt.
Roland R. Ropers

Zum Thema Amerika, Trump und der Missbrauch der Religionen scheint hier der amerikanische Theologe und Pfarrer als Gesprächspartner besonders gut geeignet zu sein. Auf der ganzen Welt ist der Missbrauch der Religionen durch die Politik -und genauso umgekehrt, mit wachsenden katastrophalen Auswüchsen zu beobachten. In der Geschichte der Menschheit nichts neues aber bezogen auf die Aufklärung oder dem heutigen Stand der Wissenschaften doch erschreckend. Egal wie die Staatenlenker oder Diktatoren alle heißen, ob Kriegsverbrecher Putin, ob Trump, oder aus dem vorigen Jahrhundert die Diktatoren Franco und Salazar oder der Christdemokrat und Nachkriegskanzler Adenauer, sie alle bedienten sich der Religionen oder die Religionen dienten sich ihnen an. Hier insbesondere aktiv die katholische Kirche als Hüter des christlichen Abendlandes! Die muslimische Welt wird beherrscht von krebsartigem Wildwuchs des politischen Islam oder religiös begründetem Terror. Dabei gibt es doch nur einen einzigen gemeinsamen Gott in den abrahamitischen Religionen (Judentum eingeschlossen). Aber was hat das, was die Menschheit im Namen der Religionen alles an Verbrechen verüben, überhaupt mit der Bedeutung Gottes zu tun? Nichts, aber auch gar nichts! Die Religionen sind bekanntlich durch Menschen erfunden bzw. gegründet worden. Die Vorstellung von der Existenz Gottes wurde in den Rahmen einer Religion gepresst und damit der menschlichen Vorstellungskraft unterworfen und gleichzeitig dem Missbrauch preisgegeben. Aber dieses Problem bekommen die Menschen nicht in den Griff da auch die Politik aus Machtinteressen daraus gerne ihren Nutzen zieht.
In der Vorstellung der Menschen von Gott überragt der Glaube an seine absoluten Gaben wie Gerechtigkeit und Allwissen. Der Mensch wird erst nach seinem Ableben vor das Jüngsten Gericht gestellt, wie es Jesus sagt. Auch wenn in Glaubensfragen die Logik nur ein kümmerliches Dasein fristet sei hier doch darauf verwiesen, dass ein Leben des Menschen nur dann richtig bewertet werden kann, wenn der liebe Gott es sich verkneift da einzugreifen. Der Zufall bestimmt das Leben der Menschen und erst das Jüngste Gericht kann die Institution sein, um mit absoluter Gerechtigkeit sein Leben von Gott beurteilen zu lassen. Deswegen ist es fraglich, ob Gott überhaupt der Adressat für die Gebete der Menschen sein kann. Das kritisiert der amerikanische Pfarrer zu Recht, egal wer hier in das Gebet eingeschlossen oder für was man sonst betet. Man muss deswegen annehmen (siehe oben), dass Gott für das Weltgeschehen und damit die Menschen mit ihren ewigen Kriegen oder anderen Katastrophen aus Prinzip kein Interesse zeigt. Das ist bitter für Menschen, die in Not oder Verzweiflung leben. Aber da bleibt eben die Hoffnung auf das Jüngste Gericht. Und wenn Gott doch auf die Gebete der Menschen hören sollte, wenn auch nur sporadisch, dann bitte für die Schwächsten der Gesellschaft, wie es der Theologe und Pfarrer Schweiker sich wünscht.
Klaus Reisdorf

 


 

Leserbriefe zu „Was machen die Finnen denn da in der Migrationspolitik?“ von Ulrich Ladurner

Mit Interesse habe ich diese Betrachtung gelesen. Sie beschränkt sich leider allein auf die generelle Umsetzung in die Jahre gekommener internationaler Konventionen. Die inzwischen veränderte Wirklichkeit findet darin keine Beachtung. Meine Meinung: Die Gesetze bestimmen nicht die Aufgaben, sondern umgekehrt. Die Wirklichkeit muss die Gesetze und das Handeln bestimmen. Wer auf die Veränderungen der Wirklichkeit nicht reagiert, den bestraft letzten Endes das Leben. Das betrifft vor allem den Souverän, das Volk. Voraussetzung für Zuwanderung und Asyl sind ausreichende Ressourcen in der Aufnahmegesellschaft. Darüber hinaus sind In Europa die Errungenschaften der Aufklärung und die darauf beruhenden Regeln des Zusammenlebens zu akzeptieren. Das bedeutet Abkehr von Mythen und Legenden einerseits, Bekenntnis zu Freiheit und Gleichheit aller Menschen andererseits. Hierzu gehören persönliche Meinungsfreiheit, offene Kritik, Gewaltmonopol des Staates usw. Angesichts der bisherigen Migrationspolitik frage ich mich, ob die Demokratie den Islam für ihre Vorzüge öffnen kann, oder der Islam die Demokratie islamisieren wird, kann, muss jedoch nicht dem Zufall überlassen werden.
R. Reiger

Als gebürtige Finnländerin lese ich immer mit besonderem Interesse, was in der deutschen Presse über Finnland steht, und wenn ich dazu Leserbriefe schreibe, dann meist, weil irgendetwas falsch oder “eingefärbt” dargestellt ist. In diesem Fall NICHT! Für den Beitrag “Was machen die Finnen denn da in der Migrationspolitik?” möchte ich Ihnen danken. Obwohl Ihnen selber das, was die Finnen da machen, offenbar missfällt, stellen Sie den Sachverhalt vollkommen korrekt dar. Das finde ich bemerkenswert. Es kann nicht mehr sehr viele Menschen auf dieser Welt geben, die sich an den 30.11. 1939 erinnern. Ich war damals sieben Jahre alt und erinnere mich sehr genau: Es war der Tag, an dem der “Winterkrieg” mit einem Luftangriff auf Helsinki begann. Mir wie all meinen Landsleuten stecken unsere historischen Erfahrungen mit Russland in den Knochen. Ich finde das sogenannte Konversionsgesetz zwar schade, aber unvermeidlich. Aber ich verstehe, dass ein Deutscher das mit anderen Augen sieht.
Thelma von Freymann

Die Antwort auf die Titelfrage erfordert keinen halbseitigen Artikel, sondern einen Halbsatz: Sie widersetzen sich der hybriden Kriegsführung Wladimir Putins. Herr Ladurner jedoch arbeitet sich eine halbe Seite lang an dem Dilemma ab, dass das eigentlich nicht erlaubt ist, was die Finnen da machen. Die EU könnte sie mit einem Vertragsverletzungsverfahren bestrafen. Mir wird schlecht, wenn ich dergleichen lese. Während über Wochen hinweg die ZEIT das Thema Palästina totschweigt, einem Ort wo nachgewiesenermaßen tausende unschuldiger Kinder, Frauen und Männer kollaterale Opfer israelischen Rechts auf Selbstverteidigung geworden sind, widmen wir uns lieber dem moralischen Dilemma an der nordöstlicher Außengrenze der EU? Es geht im Klartext um Pushbacks. Dabei sterben keine Menschen, hier funktioniert einfach ein scheinbar niederschwelliger Zugang ins europäische Asylsystem nicht mehr. Und mit den fehlenden Erfolgsmeldungen trocknet dann hoffentlich auch endlich Putins Nachschub aus. Leider taucht der eigentlich interessante Gedankengang des Dilemmas im Artikel nicht auf: Setzt sich Finnland zur Wehr und drängt Migranten zurück, widerspricht es den Menschenrechten, zu denen es sich wie alle anderen EU-Staaten verpflichtet hat. Den Spiegel zu jenem hässlichen Detail hält einer vor, dem man dies als allerletztes zugestehen möchte: Der im Kreml residierende Erfinder jener perfiden Taktik. Und nun? Ich plädiere für das israelische Modell. Im Angriffsfalle muss zurückgeschossen werden. Der Rest ist kommunikative Orchestrierung. Man könnte es aber auch ganz anders machen: Alle jene mit offenen Armen aufnehmen, die von Russland aus kommen. Herr Ladurner merkt an, es könnte Menschen geben, die da etwas dagegen haben. Er spricht von „Wahlbürgern … die das Bedürfnis äußern, Migration unter Kontrolle zu bringen“. Das klingt sehr gewählt. Vor noch nicht allzu langer Zeit, war aus Poltikermund – wenngleich eher zum Thema Gasheizung – noch das Wort „Volksaufstände“ gefallen. Die Finnen jedenfalls haben sich mit breiter Mehrheit entschieden, nicht ausprobieren zu wollen, was es heißt „Grenzen auf, alle rein!“ Ob es ein Erfolg russischer hybrider Kriegsführung ist, die einem Großteil der westlichen Gesellschaften mit ihren Trollarmeen und ölfinanzierten Bestechungsgeldern heimlich eine rechtsextremistische Unterwanderung eingeimpft hat? Bedenkenswert, denn erst dann kann Migration als Waffe funktionieren.
Maximilian Trattenbach

Die finnische Regierung macht das einzig richtige, dass eigentlich jedes Land machen sollte. Finnland lässt keine Asyl-Suchenden mehr ins Land und diese Entscheidung hat man zu respektieren. Irgendwann ist einfach mal Schicht im Schacht und auch Schluss mit lustig. Die EU leidet irgendwie an einem pathologischen Morbus „Sanktionierungs-Wahn“, alles, was einer Frau von der Leyen nicht ins Konzept passt, das muss sofort sanktioniert werden, ganz ohne Rücksicht auf Verluste. Und falls am Ende das souveräne Finnland das Asylrecht abschaffen sollte, dann ist das eine rein finnische Angelegenheit, da haben sich die EU-Oberen nur eins, sich nämlich rauszuhalten.
Riggi Schwarz

«Asylsuchende dürfen künftig an der Landesgrenze abgewiesen werden. Das Gesetz widerspricht europäischem Recht. Wer seinen Fuß über die Grenzen eines Staates der Europäischen Union setzt, hat das Recht, Asyl zu beantragen.» Die so beschriebene aktuelle Asylpolitik und deren Missachtung durch die Finnen, gibt Anlass zu grundsätzlichen Überlegungen; etwa der folgenden Überlegung: In Bezug auf das Asylrecht kann man die Menschen in vier Gruppen unterteilen: Erstens, Menschen, die zu Recht Asyl erhalten. Zweitens, Menschen, die auf Grund der Fakten Asyl erhalten müssten, aber keine Möglichkeit haben, Asyl zu erhalten. Drittens, Menschen, die kein Recht auf Asyl haben, aber trotzdem Asyl bekommen oder bleiben dürfen. Schließlich viertens, Menschen, die das Asylrecht zu Recht nicht beanspruchen. Interessant sind die Zahlen zu diesen Gruppen zum aktuellen Zeitpunkt, aber auch zur Zeit der Deklaration der Menschenrechte und zu sagen wir mal prognostiziert auf Grund der aktuellen Entwicklung in 30 Jahren. Auf Grund der massiven Hindernisse, das Asylrecht in Anspruch zu nehmen, ist die Zahl der Menschen, die eigentlich ein Recht auf ein Asyl hätten, es aber nicht in Anspruch nehmen können, dramatisch hoch. Dramatisch sind auch die Änderungen seit der Zeit der Deklaration und die zu erwartenden Änderungen in der Zukunft. Interessant ist, dass sich niemand für die entsprechenden Zahlen zu interessieren scheint. Dies, obwohl sie entscheidend sind für die Rechtfertigung des Asylrechts. Schließlich gibt es ja auch einen Zielkonflikt zwischen diesem Recht und dem Menschenrecht auf Eigentum.
Gäbe es ähnlich massive Unterschiede bei derselben Überlegung in Bezug auf andere Rechte, etwa beim Recht auf Kindergeld, dann würden alle Alarmglocken läuten und man würde von einer menschenverachtenden, dramatischen Situation sprechen. Bei der Handhabung des Asylrechts muss somit überlegt werden, wie seine Interpretation zu ändern ist. Das gilt insbesondere für die Zielkonflikte zwischen den Menschenrechten, etwa dem genannten zwischen Recht auf Asyl und Recht auf Eigentum. Zielkonflikte müssen gelöst werden durch Anstreben eines übergeordneten Ziels, das im Interesse aller Beteiligten liegt. Dieses Ziel ist das gute Fortbestehen der Menschheit. Es geht dabei um den Ausstieg aus dem exponentiellen Wachstum von Kopfzahl und Konsum. Das Recht auf Eigentum spielt dabei eine wichtige Rolle, da es zu Eigenverantwortung verpflichtet, also dazu, bei den Geburtenraten und beim Konsum mit den langfristig verfügbaren eigenen Ressourcen auszukommen. Das ist nicht nur im Interesse der Menschen, die für die wachsenden Kosten aufkommen müssen, die in Zusammenhang mit dem Asylrecht entstehen. Es ist auch im Interesse der wachsenden Gruppe der Menschen, die ein Recht auf Asyl haben, es aber nicht in Anspruch nehmen können. Für deren Unterstützung fehlen die Mittel wegen der Überbeanspruchung des Asylrechts.
Gernot Gwehenberger

Die Wahren Finnen mögen sich allgemein über das Konversionsgesetz gefreut haben als einen Meilenstein gegen die in ihren Augen nicht geordnete Migration. Das Asylrecht von der EU ist ihnen zu liberal. Die Abgeordneten der übrigen Parteien haben es sich und der Innenministerin Mari Rantanen nicht leicht gemacht – das Gesetz musste mehrfach geändert werden, zuletzt zugunsten von vulnerablen Personen. Diese werden nicht abgewiesen! Das Gesetz, das bereits den 22. Juli in Kraft tritt, gilt zunächst für ein Jahr und kann nicht länger als einen Monat am Stück und nur in einer begrenzten Zahl der Grenzübergänge angewandt werden. Für das Gesetz selbst hätte eine Zweidrittelmehrheit genügt, um es dringlich zu erklären die erwähnte Fünf-Sechstel-Mehrheit. Es hat die finnische sozialdemokratische Partei gespalten, obwohl sie geschlossen während der Coronazeit weitergehenden Beschränkungen der Grundrechte zugestimmt hat. Erkki Tuomioja von der SDP, der mehrfach Außenminister gewesen ist sieht gar Finnland bereits in Gesellschaft von Lithauen, Polen und Ungarn. Während meines mehrwöchigen Urlaubs in meiner Heimat war das „Käännytyslaki“ das herrschende Thema in den Medien. Die Mehrheit der Bevölkerung begrüßte das Ergebnis der Abstimmung. Das dreiste Vorgehen von der FSB, die mit ihren Bussen die Flüchtlinge – zuletzt 1300 Menschen – zur finnischen Grenze karren, während Kreml sich verwundert darüber zeigt, was die Finnen wieder für Probleme erfinden, ist für sie nicht hinnehmbar. Trotzdem stellte die erfahrene Abgeordnete und ehemalige Ministerin für Gesundheit und Soziales, Eva Biaudet der schwedischsprachigen Partei (mit der konservativen Sammlungspartei und den wahren Finnen in der Regierungskoalition) die wichtigste Frage bei der kontroversen Diskussion im Reichstag: „Dient es der Sicherheit Finnlands, wenn es genau so mit den Flüchtlingen umgeht wie Putin?“ Das Gesetz ist in Russland kaum kommentiert worden, dort gibt es kein Asylrecht. Laut den Darstellungen der intrumentalisierten Flüchtlingen, wurde ihnen von den russischen Agenten ein sicherer Weg über Finnland in Europa versprochen – gegen viel Geld.
Armi Roth-Bernstein-Wiesner

 


 

Leserbriefe zu „Links gelaunt“ von Alard von Kittlitz im ZEIT Magazin

Die Frage müsste lauten, was trennt den Linken vom Visionär? Beide wollen Veränderung. Wer links ist, will vor allem gesellschaftlich progressiv sein. Er hat das Neue, Bessere im Visier, sieht sich aber mit der Tristesse des Alltags konfrontiert. Keine erbauliche Perspektive. Von anderem Format ist der Visionär. Er ist gefangen in seiner Utopie und brennt ebenfalls auf Veränderung. Doch sein Zeithorizont ist ein anderer. Er akzeptiert, dass der Fortschritt eine Schnecke ist und ist deshalb genügsamer. Der Unterschied liegt also in der Frustrationstoleranz.
Christoph Schönberger

Ihren Artikel habe ich mit (zuerst) Vergnügen und (dann zunehmend) tiefer werdendem Interesse und Mit-Nachdenken gelesen. Als sich nach wie vor „links“ (was auch immer das genau heißt) einordnender Mensch kann ich das, was Sie geschrieben haben, sehr gut nachvollziehen. Tatsächlich habe ich auch immer die „schlechte Laune“ meiner linken Freunde und Bekannten beobachtet (und mich oft gewundert). Auch ich bin im Ruhrgebiet (und zwar mittendrin) im Dreck und in Armut aufgewachsen, wir waren eine kinderreiche Familie (6 Kinder), mein Vater war nach dem Krieg bis zur Geburt des 6. Kindes (1956) und noch bis 1957 arbeitslos, erst dann fand er Arbeit. Wir hatten nichts, und ich habe mit nichts studiert (mein gesamtes Studium nebenher selbst gearbeitet und alles selbst verdient). – Ich war als Teenager depressiv (wahrscheinlich pubertäre Depression, sage ich im Nachhinein) und kann die „Melancholie“-Diagnose von Prof. Schul-Nieswandt gut nachvollziehen, das kann ich für mich auch in etwa so sagen, inkl. auch des gesamten ständigen Nachdenkens, der Reflexion, der Skepsis. Aber ich habe noch einen Zusatz, der sich daraus ergibt, wie ich selbst weniger melancholisch oder weniger depressiv wurde: Durch das eigene Handeln. – Jetzt müssen wir „Handeln“ definieren, Sie schreiben es am Ende.
Aber ist dieses „Handeln“ wirklich echtes Handeln, oder ist es weiterhin Formulieren, Fordern, Verlangen – und handeln tun nur die, die entscheiden an der Spitze von Unternehmen und Regierungen von der Kommune bis zur Staats- bzw. UNO-Spitze? Ich glaube, dass viel von der Melancholie (oder schlechten Laune) von daher kommt, dass wenig bis keine Selbstwirksamkeit erlebt wird. Und genau das habe ich geändert. Ich habe ja selbst dafür gesorgt (beginnend mit 16 … 17), dass ich mit eigener Arbeit wenigstens ein kleines bisschen Geld hatte, und es war schwere Arbeit für wenig Geld, bis zum Ende meiner Diplomarbeit (dann während der Promotion hatte ich eine halbe studentische Hilfskraftstelle, sehr wenig, aber einfacher verdient). Nach der Promotion fand ich keine Stelle, nahm eine unpassende Stelle in einer kleinen Unternehmensberatung an, und fand dort sofort wieder heraus: hier kann ich NICHT WIRKLICH etwas bewirken, ich kann nur analysieren und empfehlen; ich will etwas Handfestes schaffen können – und begann, nebenher ein neues Verfahren zu entwickeln. Daraus entwickelte sich, dass ich eine andere Stelle woanders antrat, wurde dort bald Geschäftsführer, nahm einen Riesenkredit auf (ohne Sicherheiten damals!) und kaufte 2 destruktive Gesellschafter heraus, wurde Unternehmer mit Anfang 30. Baute das Unternehmen von weniger als 50 auf bis zu 300 Mitarbeiter auf, entwickelte eine komplett neuartige Technologie, brachte diese in den Weltmarkt usw. usw. … Nebenher war ich seit Anfang der 1980er im natur- und Artenschutz tätig, wiederum nicht als Leserbrief- oder Petitionsautor, der Unterschriften sammelte, sondern indem ich dafür sorgte, dass wir mit unserer Gruppe teils offiziell beauftragt (also vorher viel diskutieren mit den Ämtern), teil heimlich Entwässerungsgräben dichtmachten und so Wiedervernässung eines großen Feuchtgebietes begannen.
Daraus hat sich (alles neben meinem Beruf, neben Forschung und Unternehmerdasein) ein Kranichverhaltensforschungsprojekt entwickelt, und ich wurde in ein riesiges Artenrettungsprojekt gerufen, in den USA / Kanada, um den Schreikranich (Whooping Crane) vor dem Aussterben zu retten – auch dort machte ich nicht mit, indem ich irgend etwas schrieb oder etwas von jemandem forderte, sondern ich lieferte selbst entscheidende Beiträge zum Projekt in Form von künstlicher Vokal-Kommunikation mit den auszuwildernden Jungkranichen, und die Hardware dazu, die ich in Deutschland mit einem bekannten baute und in die USA schickte, sie dort selbst an die Ultraleichtflugzeuge ranbastelte. Damit erlebt man Selbstwirksamkeit. Auch ich sehe ständig neue Probleme, aber ich denke: wenn man tatsächlich aktiv ist, was wirklich richtig mit eigenen Händen tut, und man kann sehen, was da rauskommt und muss nicht auf die Regierung warten – dann ist man auch besser gelaunt. Auch, fast vergessen: 2009 habe ich in einen maroden biolandwirtschaftlichen Betrieb investiert, denn als Unternehmer war ich dann aus der Armut herausgekommen nach etwa 15 Jahren ständiger Konkursgefahr, den entwickelten wir von einem 2-Familienbetrieb (marode, 130 ha Pachtland) zu einem nun an die 90 Mitarbeiter beschäftigenden mittelständischen Unternehmen mit nun 450 ha Pactland, 2 Standorten, 7 eigenen Hofläden, 100% Direktvermarktung …Selbstwirksamkeit gegen Melancholie.
B. Weßling

Was für eine wunderbare Passions- und Leidenserzählung! Die Linken als Heilands der modernen Welt, die all ihre Sünden erkennen und daran leiden. Und die mit ihrem Leiden, sprich ihrer schlechten Laune, den Guten der verderbten Menschheit Hoffnung geben und die Bösen beschämen. Wahrlich, mir kommen die Tränen ob solch schmerzhaften Edelmutes. Ach ja, die Welt könnte so schön sein, wenn – Vorsicht: böses Wortspiel – die Menschen endlich immer das Linke (Richtige) statt das Rechte (Falsche) täten… Leider vergisst der Autor in seiner Lobpreisung der Linken (übrigens eine ausschließlich und typisch westeuropäische Segmentierung politischer Ansichten) als eigentliche Fortschrittsmaschine der Welt, oder er weiß es nicht, dass es oft genug erst aufgeklärte Konservative waren, die aus linkem Perfektionsutopismus die heute weithin akzeptierten und funktionierenden Modelle formten, während alle Versuche der Linken, die gesellschaftliche Praxis im großen Stil selbst in  die Hand zu nehmen, ausnahmslos gescheitert sind.
Matthias Wagner

Gut gemachter Aufsatz zu einem Thema, das es bisher noch nicht in den Blickpunkt des Diskurses gebracht hat, aber durchaus das Zeug zum Nachdenken besitzt. Dennoch stellt sich die Frage, ob es dafür den ganz großen Rundumschlag und das Auffächern des gesamten politisch-philosophischen Überbaus gebraucht hätte. Schon die Abkehr von der eurozentrischen Perspektive bringt die Erkenntnis, dass mit den ungelösten globalen Krisen und Herausforderungen jede Menge Potenzial besteht, das nicht gerade zur guten Laune beiträgt: Historische Errungenschaften „linker“ Politik wie der Sozialstaat, des Wahlrechts, des Rechtsstaates, das Ende von Klassengesellschaft und Kinderarbeit sind auf einem Großteil dieses Planeten schlichtweg Utopie. Von der „linkesten Welt aller Zeiten“ trennt uns noch ein weiter Weg. Wer global denkt, den können in diesen Tagen daher schon einmal schlechte Laune und Unbehagen überkommen. Linkes Gewissen mit Moralinsäure, Spaßbremsertum und Melancholie gleichzusetzen, hilft hier vermutlich nicht weiter. Die vermeintlich gute Laune der Rechten besteht wohl darin, dass sie mit Moral und schlechtem Gewissen nur unzulänglich ausgestattet sind. Während die Linke unter den aktuellen Zuständen leidet, haben sich die harten Konservativen, Rechtspopulisten und Autoritären längst gegen die Schieflagen dieser globalisierten Welt gewappnet: mit dem Gift des Nationalismus, der Versuchung des Isolationismus, mit als individueller Freiheit verbrämten Egoismus und dem Moment der Lüge als rhetorischer Absicherung ihres Handelns.
Wenn das alles zu abstrakt erscheint, kann auch die direkte Empirie helfen: Ein Blick in die Gesichter der rechten Gallionsfiguren zeigt, dass dort statt Humor und gute Laune vor allem Verbissenheit herrschen. Bei Alice Weidel gibt es allerhöchstens mal ein spöttisch-herablassendes Grinsen, Beatrice von Storch performt mit reglosem Maskengesicht, wenn Victor Orban lacht, dann ist Selbstgefälligkeit der Grund, und bei Donald Trump gehen die Mundwinkel immer dann nach oben, wenn die großspurige Pose des Pöblers und Hetzers verstärkt werden soll. Dann vielleicht doch lieber linke Laune als rechte Agenda? Soziologe Schulz-Nies­wandt liefert in diesem Stück die Antwort: Linke sind für ihn Menschen, die angesichts der Weltläufte nicht die Hoffnung auf Besserung verlieren. „Menschen, die all das Elend sehen, anerkennen, aushalten, darüber aber eben nicht in Zynismus verfallen, nicht in Gleichgültigkeit, Apathie oder Geheul, sondern in ein Nachdenken kommen, ins Benennen, Formulieren – und vor allem ins Handeln.“
Michael Stürm

Vielleicht sind wir, die liberalen Linken, nicht nur sensibler, sondern auch besser informiert. Wir müssen wohl davon ausgehen, dass Menschen, die ein ins Positive verzerrtes Weltbild haben, in der Regel auch unbeschwerter sind. Unbekümmert und oberflächlich durch die Welt zu gehen, macht das persönliche Leben sicherlich leichter und verdirbt einem nicht so leicht die Laune. In der psychologischen Forschung ist das Phänomen schon sehr lange als „depressiver Realismus“ bekannt. „Freude ist nur ein Mangel an Information“ sagte auch unlängst der berufsdepressive Kabarettist Nico Semsrott. Wer sich gut informiert, muss sich mit den harten Fakten des politischen (Welt-)Geschehens auseinandersetzen und wer auch noch ein bisschen Mitgefühl besitzt, wird es (gerade heute) schwerer haben, bei guter Laune zu bleiben. Als Motive für eine linke Politik sehe ich, neben der Wahrnehmung der eigenen, unverschuldet prekären Situation, vor allem das Mitdenken für andere. Vergessen wird von vielen Menschen aber das durchaus legitime egoistische linke Motiv, in einer möglichst gerechten und konfliktfreien Gesellschaft ohne gesicherte Ghettos für Reiche leben zu wollen. Dabei bleibt in jedem Fall das wichtige Ziel, bei hoher Sensibilität für Ungerechtigkeiten und willkürliche Grausamkeiten dennoch psychisch stabil und optimistisch zu bleiben, denn dieser engagierte Optimismus von sensiblen und verantwortungsvollen Menschen war es, der unser Zusammenleben im Laufe der letzten Jahrhunderte unbestreitbar besser gemacht hat. Ich finde, das Glas ist nicht halbleer, sondern sogar etwas mehr als halbvoll!
Wolfram Dorrmann

Könnte die schlechte Laune der Linken nicht daher rühren, dass all ihre Bestrebungen, die Welt zu verbessern und die Menschheit zu beglücken, bei den meisten Bürgern nicht auf den fruchtbaren Boden fallen, den sie sich erhoffen? Immer wieder Skepsis bis Ablehnung zu erfahren, das führt zu Aggression oder Resignation; beides zu schlechter Laune! Alle linken Utopien sind bisher an der Wirklichkeit und an der Ideologieresistenz der Menschen gescheitert! Wie soll ein Linker da bloß ein fröhliches Gesicht bekommen?
Ulrich Pietsch

 


 

Leserbriefe zu „Dienstpflicht für alle?“ Streit von Roderich Kiesewetter und Agnieszka Brugger

Brugger hat ein bisschen Recht, weil niemand gezwungen werden will und die Selbstläuferverteilung der rüstigen Bürger und Bürgerinnen auf Schlachtfeld, Hochwassereinsatz und Seniorenstifte das Schönste wäre. Und Kiesewetter deshalb, weil Skepsis angebracht ist. Was mir bei Kiesewetter und Brugger zu einem ehrlichen Disput fehlt, ist der Demografieaspekt. Es geht ja nicht nur um Jüngere gegen Ältere, wie Brugger argumentiert. Man müsste anerkennen, dass beide immer weniger werden: Alte werden sterben und Junge bekommen weniger Kinder. Um die Hundertausenden Pflicht- oder Freiwilligendienstler zu finden, sollte man daher einen anderen Dienst am Vater*Mutter-Land in den Katalog des zu Leistenden aufnehmen: Kinderkriegen und Erziehungszeiten. Außerdem drängt sich dann die Frage auf, ob man angesichts realer Bedrohungen und Nachwuchsbedarfs wirklich Gebärfähige der Gefahr aussetzen sollte, erschossen zu werden. Dass Frauen den Pistorius-Fragebogen nicht ausfüllen müssen, ist vielleicht das uneingestandene Eingeständnis dieses Problems. Vielleicht müsste man darüber reden.
Peter Dahlhaus

Zuerst wollte ich aus Zeitmangel nur auf die große und kleine Überschrift eingehen, bin dann aber doch bei den Einzelaussagen gelandet, und muss erstaunliche — und erfreuliche — Übereinstimmungen feststellen. Leider aber nicht nur in den Forderungen und gesehenen Notwendigkeiten, sondern auch im ausgeklammerten, ausgeblendeten und den Tabus. Dazu gehören z.B. alle anderen Möglichkeiten und Alternativen der Finanzierung der nötigen Dienste nicht nur für und durch die Bundeswehr als einerseits Kürzungen bei auch wichtigen sonstigen Aufgaben, und andererseits neue Schulden, die bei dieser vielfachen Krisen- und Anspruchslage kaum realistisch jemals zurückgezahlt werden können, wozu die gegenwärtige Generation auch kaum bereit ist, denn für alle Möglichkeiten der größeren Einnahmen oder geringeren Ausgaben gibt es Vetos, angebliche Unzumutbarkeiten, angebliche Ungerechtigkeiten oder Respektlosigkeiten, angebliche dann resultierende Investitionskürzungen, angebliche Systemrelevanzen gerade für die jeweils betroffenen, Drohungen, dann Protestparteien zu wählen, Dienst nach Vorschrift oder Streiks zu machen oder als Steuerzahler dann das Land zu verlassen, wo ja auch etliche Steuerparasiten-Staaten und -kanzleien auf sie warten.
Was für eine Egozentrik, was für eine Entsolidarisierung, nicht zuletzt mit den künftigen Generationen, auf die mit Schulden, aber auch mit Vernachlässigungen von Klimaschutz, Bildung, Sicherheit und Infrastruktur die Rechnungen für alles nötige letztlich abgewälzt werden sollen oder logisch müssen, um noch schlimmeres zu vermeiden! Ja es gibt noch schlimmeres als einen noch viel größeren Schuldenberg, z.B. einen „toten Planeten“ oder kaputte Infrastruktur etc. Aber ist es fair oder eher zynisch, die junge und noch kleine Generation und ihre jetzigen Fürsprecher wie auch die Inflationsopfer nur zwischen diesen Übeln auswählen zu lassen?  Und das letztlich, damit alle weiter machen können wie bisher, die sich immer noch Luxus, Verschwendung, und sonstiges nicht gerade lebensnötige leisten können wie regelmäßige Fernflugreisen, SUVs, Fast Fashion und Millionen- bis Milliarden-Vererbungen oder auch bis 10 Stunden am Tag in Unterhaltungs-Internet-Surfen verbringen zu können leisten können. Damit Gewerkschaften, deren Arbeitgeber teils indirekt der Staat ist, Abschlüsse weit über der Inflationsrate erstreiken können, oder damit keinerlei Steuererhöhungen, auch nicht auf entbehrliche fossile Emissionen oder auf bessere Einkommen gemacht werden müssen oder „dürfen“.
Die junge Generation habe schon genügend Freiheit in der Coronazeit verloren, gemeint wohl so, dass ihr keinerlei neue Belastung zugemutet werden dürfe, nicht einmal für noch sso nötiges oder menschenrechtlich gebotenes: Was für ein Monopol-Anspruch auf die Opferrolle und auf Schonung von „Belastungen“! Waren sie denn allein die Opfer von Corona, oder vielleicht auch die Alten in Pflegeheimen, die keine Besuche mehr erhielten oder allein sterben mussten, oder alle Long-Covid-Betroffenen, die teils schon viele Jahre unter dem ME-CFS-Syndrom leiden, manchmal mehr als jemand rollstuhlpflichtiges. Und darf jemand, der einmal mehr als andere an Freiheiten oder sonstigen Bedürfnissen verloren hat, darf der/die nicht mehr irgendwie belastet werden zur Sicherung der gemeinsamen und großteils sogar eigenen Zukunft? Ich habe für mich selbst diesen Anspruch nicht so gestellt, obwohl ich auch an etlichen Ungerechtigkeiten und Nachteilen zu leider hatte, an denen ich aber auch in Eigenverantwortung und mit Mühen und Verzichten gearbeitet habe ohne mich von der Solidarität mit anderen zu verabschieden, auch jetzt mit 71 nicht von der Solidarität mit der Generation der Kinder und Enkel und ihrer Zukunft, egal wodurch sie bedroht ist, ob durch Schuldenberge, durch Klima-Erhitzung, durch Infrastruktur-Vernachlässigung oder durch Gefährdungen der inneren und äußeren Sicherheit. Deshalb wäre ich auch nicht auf den Barrikaden, wenn die Dienstpflicht auch für alle Altersgruppen incl. Rentner eingeführt würde, ausgenommen solche, die stichhaltige hinderungs- oder Entschuldigungsgründe haben, was aber auch für junge Leute zutrifft. Damit gebe ich Herrn Kiesewetter Recht, dass Hauptgegner der Grünen wie auch der Konservativen der Populismus — und wohl auch sonstige Zukunftsgefahren — sein sollte und nicht die jeweilige andere demokratische Partei, wozu Frau Brugger ja auch nicht widersprochen hat. Auch sie hat Recht, dass sich alle in der POLITIK, aber auch andere selbstkritische Fragen stellen müssen und sich nicht zu ideologisch an alten Parteiprogrammen festhalten dürften. Genauso wenig allerdings an alten Opferrollen und Ansprüchen, Egozentrik, Gruppenegoismen und Traumtänzereien auch außerhalb von Politik.
Peter Selmke

Es ist erfreulich, dass politisch immer wieder ein „verpflichtendes Gesellschaftsjahr“ ernsthaft diskutiert wird, wie in diesem Streitgespräch zwischen den zwei Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter/CDU und Agnieszka Brugger/Die Grünen. Kiesewetter betont vor allem als ersten Schritt die Erweiterung der sog. Freiwilligendienste (wie FSJ oder FÖJ), für die es bisher einen „Deckel von 80.000 Menschen pro Jahr gibt“. Wenn die neueste Studie der Bertelsmann-Stiftung feststellt, dass die Einsamkeit bei jungen Menschen zwischen 19 und 22 Jahren am stärksten ausgeprägt ist, von „stark einsam“ bis „moderat einsam“ ist das noch ein Grund mehr, diese Deckelung aufzuheben. Aber Bundesfamilienministerin Paus will nun insgesamt 70 Mio. € ausgeben, um die Ursachen und Folgen der Einsamkeit zu erforschen. Wie wäre es, wenn diese 70 Mio. € für den Ausbau der Freiwilligendienste ausgegeben werden? Denn auch diese würden der Einsamkeit entgegenwirken und jungen Menschen die Chance bieten, in den Bereichen Soziales oder Ökologie ihre Fähigkeiten zu zeigen.
Anneliese Mayer

Frei nach dem Motto, „ich bin da raus“, handelt die ältere Generation. Es ist ja so einfach für etwas zu stimmen, was mich nicht mehr betrifft. Super! Haben die alle keine Kinder und Enkel? Als Oma finde ich das übergriffig. Solange Männer keine Kinder bekommen können, sollten Frauen die freie Wahl haben! Nur das wäre in meinen Augen gerecht.
M. Kersten

Na, da haben sich mit Agnieszka Brugger (Grüne) und Roderich Kiesewetter (CDU) zwei gefunden, die auf Anhieb miteinander könn(t)en! Nein nicht so, wie man an dieser Stelle vermutlich denken könnte!? Beide wollen irgendwie den Krieg in der Ukraine nur mit weiteren Waffenlieferungen beenden; Frieden mit Waffen schaffen und deshalb sollte auch nach deren Meinung Deutschland bis zum Geht-nicht-mehr aufgerüstet werden. Na, dann mal hurtig ab an die Front in Richtung Ukraine, ihr beiden!
Klaus P. Jaworek

 


 

Leserbriefe zu „Mehr Sanktionen, bitte“ von Ingo Malcher

Sie sprechen/schreiben mir aus der Seele. Der freie Westen sollte seine wirtschaftliche Stärke gegenüber dem Putin-Regime und dessen Unterstützerstaaten endlich voll nutzen, jeden Handel mit Russland einstellen, die Beziehungen zu den Unterstützerstaaten überprüfen und auf die Kriegswirtschaft in Russland, die Desinformationskampagnen Russlands, die Sabotageakte und Mordvorhaben und eventuell bereits durchgeführten Morde mit adäquaten Maßnahmen reagieren, um den russischen Eroberungskrieg und Putins Treiben baldmöglichst zu beenden. Aber die AfD, die Wagenknecht-Partei, die Linke, die vermeintlichen Friedensfreund*innen und faktischen Putin-Unterstützer*innen in der SPD und sogar Teile der Ost-CDU möchten lieber wieder billiges Erdgas und -öl aus Russland beziehen und sind bereit, dafür die Ukrainer*innen zu opfern. Sie werden wohl auch jetzt wieder angemessene Reaktionen auf die russischen Aggressionen zu verhindern wissen. Übrigens bin ich der Ansicht, dass Medikamente eher in die Ukraine als nach Russland geliefert werden sollten und dass Deutschland Atomwaffen benötigt, um nicht von Russland erpresst werden zu können. Auf den Schutz durch die USA oder durch die Atommächte Frankreich oder England ist meines Erachtens kein Verlass.
Ulrich Willmes

Die Forderungen nach Sanktionen mit Mutmaßungen und Vermutungen zu begründen ist ja nicht neu. Neu wäre es Sanktionen gegen Kriegsverbrecher zu fordern, davon gibt es auch im Westen genug! Es gibt auch verdächtig viele Stromausfälle, könnten nicht auch hier von Russland gelenkte Teilzeit-Terroristen dahinterstecken? Verschwörungstheorien in der ZEIT – bitte nicht! Richtig ist; Deutschland wurde in einen Konflikt hineingezogen, den die USA mit der NATO-Erweiterung gewollt haben. Russland muss eingedämmt werden – so hieß es schon vor dem Krieg. Die wirtschaftliche Macht Deutschlands ist trotz hohem BSP bei 2,5Billionen Schulden wohl eher als begrenzt einzustufen, aber auf Bodenschätze aus dem Ausland sind wir angewiesen. Und ja, Sanktionen wirken – vor allem bei uns! Die Energiepreise waren noch nie so hoch! Sollte es unserem Geheimdienst auch erlaubt seine Pipelines zu sprengen und die Strom- sowie die Wasserversorgung für die Zivilbevölkerung zu zerstören? Das Vermögen russischer Eliten, die unter Jelzin reich geworden sind, würden mich, z.B. im Vergleich mit dem englischen Königshaus, auch interessieren. Keine Fantasie brauche ich allerdings um mir zu denken, was Fr. Nuland mit fuck the EU gemeint hat.
Manfred Stauss

Zum letzten Satz des 1. Abschnitts Ihres sehr interessanten Kommentars auf Seite 21 weise ich auf folgende Morde hin:
1. Im Jahr 2014 wurde ein Linienflugzeug der Malaysia Airlines von einer russischen Rakete über ukrainischem Gebiet abgeschossen und alle 298 Insassen – hauptsächlich Niederländer – getötet. Von einem niederländischen Gericht wurde 2022 ein früherer russischer Geheimdienstoberst mit zwei weiteren Angeklagten in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt.
2. Auf den Ex-Spion Skripal wurde 2018 in Großbritannien von Russland ein Giftanschlag versucht, danach wurde ein Ex-Russe stranguliert in London aufgefunden.
3. Im Berliner Tiergarten wurde 2021 ein Georgier von einem Russen erschossen.
4. In dem seit fast 2 1/2 Jahren geführten Angriffskrieg gegen die Ukraine werden laufend gezielt Zivilisten vom Säugling bis zum Greis getötet.
5. Kürzlich wurde in Lwiw die ukrainische Politikerin Iryna Farion erschossen – sehr wahrscheinlich in russischem Auftrag.
H. Brunotte

Jawoll, der Kreml bzw. Wladimir Putin selbst, müssen einfach für diesen (angeblichen) Anschlag auf Armin Papperger von Rheinmetall (größter deutscher Rüstungskonzern) verantwortlich sein! Wer käme dafür sonst in Frage, außer dieser megaböse russische Mann? Irgendwelche Beweise, wer die Schurken waren und sind, die gibt es bis dato nicht! Ich lehne mich erstmals zurück, warte ab und trinke eine Tasse vom Kräutertee, den habe ich jetzt sehr nötig, denn der wirkt äußerst beruhigend, und Beruhigung, die brauche ich jetzt sehr dringend! Wieso wurde eigentlich dieser merkwürdige Anschlag bzw. die Sprengung der Nord Stream 2 Gasleitung in der Ostsee, bis heute nicht aufgeklärt?
Riggi Schwarz

 


 

Leserbriefe zu „Da pfeift jemand ein Liedchen bei Windstärke elf“ von Katrin Hörnlein und Volker Weidermann

Vielen Dank für den interessanten Artikel.
Michael Scheppler

Der im Text zitierte Gedanke von Erich Kästner „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ steckt voller Erfahrung. Er ist zu meinem Lebensmotto geworden. Er hat mich häufig ermuntert, Dinge aktiv in die Hand zu nehmen. Und wenn auch nicht immer alles geglückt ist, so wurde ich doch häufig belohnt. Meine Anregungen wurden aufgegriffen. Ich konnte mich bewähren und bin positiv durchs Leben gelaufen.
Ernst-Peter Neugebauer

Erich Kästners Marschliedchen wurde 1932 in der Weltbühne unter dem Titel „Denn ihr seid dumm“ veröffentlicht. Ich habe versucht es zu aktualisieren- und war erstaunt, wie sehr Erich Kästner mit seinen Gedichten gegenwärtig ist. 1932 allerdings unterlag er leider – mit Blick, auf das, was da kam – einem fatalen Irrtum – das darf sich nicht wiederholen!
„Marschliedchen 2022
Die Dummheit zog in Viererreihen (so zieht sie immer noch),
Heut schämt die Dummheit sich der Dummen.
So dämlich wie ihr seid, mahnt sie euch zu verstummen,
Statt Idioten gleich nach deutschem Wesen heut zu schreien.
Ihr kommt daher und wärmt die schalen Suppen,
In euren Schädeln haust ein brauner Geist,
Der euch verwirrt und alles mit sich reißt –
Nur nicht von euren Augen alle Schuppen!
Marschiert ihr nun in Chemnitz und in Halle…,
Ihr findet doch nur als Parade statt,
Denn das, was jeder da von euch im Kopfe hat,
Man nennt es Dum(pf)mheit wohl in jedem Falle!
Weil wieder predigt ihr den Hass
Und wollt die Menschheit spalten –
Statt schlicht an Recht und Ordnung euch zu halten,
Wähnt ihr das Volk zu sein und träumt vom völkisch-deutschen Pass!
Ihr habt die Trümmerwelt im deutschen Wahn vergessen,
Von Schuld und Sühne ist die Rede nie,
Ihr brüllt nach deutscher Größe selbstvergessen;
Ich hoff ihr schießt euch nur ins eigne Knie!
Ihr wollt die Uhren rückwärts drehen
Und stemmt euch gegen die Vernunft.
Dreht an der Uhr und doch: die Zukunft
wird euch als ewig gestrig sehen!
Wie ihr’s erträumt, wird Deutschland nicht erwachen,
Denn ihr bleibt dumm, nicht auserwählt!
Die Zeit ist nah, da man erzählt:
Das war’s: ein Staat so halt nicht zu machen!“
Franz Josef Witsch-Rothmund

 


 

Leserbriefe zu „Ich schlag dich zusammen!“ von Arnfrid Schenk

Ich lese gerade den Artikel vom 18.7. Mir fällt auf das eine wichtige Komponente weggelassen wird. Nämlich, dass viele Kollegen nicht nur aus Scham die „harmloseren“ körperlichen Attacken nicht melden, sondern aus Schutz den Schülern gegenüber nicht sofort zur Anzeige bringen. Das nennt man pädagogisches Handeln. Oftmals werden diese Fälle intern gelöst und die Statistik bekommt das nicht mit.
L. Krahl

Erschütternd dieser Bericht, aber leider, leider nichts Neues. Es braucht keine Langzeitstudie, um zu Erkenntnissen zu kommen, warum das alles so jetzt passiert. Wir haben einfach eine eiapopeia Politik, besonders in den Schulen. Wenn man Schulnoten einklagen kann, wenn man viele Kids noch unter strafunmündig einstuft, und wenn Man dieses Thema viele Jahre tabuisiert hat, dann muss man sich nicht wundern, dass es solche Entwicklungen gibt. Allerdings glaube ich auch, dass alle Menschen, die irgendwie als staatlich vertretende Personen Ihren Beruf ausüben, hier die Zielscheibe dieser Auswüchse sind. Da muss Man keine Langzeitstudie mit viel Kosten machen, um zu erfahren, dass All diese Handlungen gegen Polizei, Lehrer, Rettungsdienste, Feuerwehr und Krankenschwestern und Pflege und Jugendamt im Grunde gegen die da oben Sind, auf die man wütend ist, die man aber nicht erreichen kann. Bleiben wir bei der Schule zum Schluss. Kultusminister kann ich nicht erreichen Und auch nicht belangen, aber Lehrer und Lehrerinnen. Wir sollten auch darüber Mal nachdenken.
Manfred Mengewein

Egal, wie stark die Zahlen bei tätlichen Übergriffen gegen Lehrkräfte denn nun wirklich gestiegen sein mögen: aus meiner Sicht wird dem Tatbestand zu viel Verständnis entgegengebracht. Alleine die Bezeichnung „herausfordernde Schüler“ zeigt das doch. Ein Klassenclown, der notorische Schulschwänzer, der Schüler, der sich dem Lehrer intellektuell überlegen fühlt (und es vielleicht auch ist) …das sind herausfordernde Schüler. Sobald bei Lehrern aber nicht mehr pädagogische Fähigkeiten, sondern eher physische Selbstverteidigungskünste gefordert sind, ist diese Bezeichnung völlig deplatziert und verharmlosend. Solche Personen haben an Regelschulen nichts zu suchen, zum Schutz der Lehrkräfte und der Schüler, auch der herausfordernden.
Jörg Schimmel

Der Autor verwendet im Artikel ohne Anführungszeichen und ohne Erklärung das Wort ‚Polenböller‘. Dass das ein diskriminierendes Wort ist, hätte vor der Veröffentlichung auffallen sollen! Über eine Aktualisierung zumindest in der Onlineausgabe und einen Hinweis an den Autor würde ich mich freuen.
Pauline Bobbert

 


 

Leserbriefe zu „Zwischen Machos und Motoren“ von Hannah Knuth

Die Autorin versucht, Menschen, die sich nicht sonderlich für das Sexualleben ihrer Mitbürger interessieren, in eine homophobe Ecke zu drängen, was man durchaus als einen Akt der Nötigung begreifen kann. Viele Menschen kämpfen einen ganz persönlichen Kampf gegen ihre eigene Lebenslüge, und das verdient in jedem Fall Respekt, Achtung und Unterstützung (eher durch Freunde als durch Medien). Um Herrn Schumachers Geschichte wirklich zu verstehen, bräuchte man allerdings zweierlei: ein gesteigertes Interesse an seiner Person und Informationen, die über die üblichen Allgemeinplätze hinausgehen. Beides geht mir ab. Und das ist gut so.
Christian Voll

Es sind genau solche Kommentare, die eben auch weiterhin im Jahr 2024 doch „ein Ding“ daraus machen, wenn sich jemand zu seiner Homosexualität bekennt. Warum muss sich überhaupt jemand zu seiner sexuellen Neigung äußern oder bekennen? Und warum muss man das auch noch kommentieren? Indem wir das eben nicht tun und es als völlig unwichtige Nebensächlichkeit behandeln, lassen wir es zur Normalität werden. Vielleicht waren da die angeprangerten Motorsportseiten schon weiter als DIE ZEIT. Deshalb hätte ich an Schumachers Stelle auch gar nichts groß verkündet, sondern den Freund ganz nebenbei und völlig selbstverständlich in der Szene vorgestellt. Denn es muss völlig wurscht sein, ob das im Fußball, Boxen, der Formel 1 oder sonstwo passiert. Warum Schumachers Offenheit übrigens diesem Sport geholfen haben soll, bleibt in meinen Augen unbeantwortet und deshalb auch ein Rätsel.
Thomas Klementz

Dass es in bewegten und beängstigenden Zeiten wie den gegenwärtigen die Nachricht, dass ein ehemaliger Formel-1-Fahrer sich als homosexuell geoutet hat, auf die Titelseite der Zeit schafft, macht mich ratlos. Nicht einmal ich als konservativer Knochen aus dem katholischen Münsterland interessiere mich noch für die sexuelle Orientierung meiner Mitmenschen, wer also tut es, wen wollen Sie aufrütteln? Dass die Formel 1-Welt ebenso surreal ist, wie die der Swifties in Swiftkirchen dürfte allgemein bekannt sein?
Thomas Wilke

Die Story „Zwischen Machos und Motoren – Wie Schumachers Offenheit der Formel 1 hilft“ für die Öffentlichkeit in DIE ZEIT, beginnt so: „Ralf Schumacher, der damalige deutsche Rennfahrer und Bruder von Michael Schumacher, liebt einen Mann. Das ist ein ganz normaler Satz!“ Warum aber machen die Boulevard-Illustrierten solch ein Theater um diese Veränderung eines Mannes zu seiner neuen Liebesbegierde im (nun ehrlichen) Wechsel von einer Frau zu einem Mann? Und selbst DIE ZEIT schreibt über diesen reifen „Reifenwechsel“ – nennt Ralfs neues sexuelles Er-LEBEN: „Ein Coming-out in einer benzingetränkten Welt, in der Homosexualität weitgehend tabuisiert wird, ist nicht leicht. Über Schumachers Bekenntnis findet man auch jetzt auf vielen einschlägigen Motorsportseiten: nichts.“ Und dann benennt DIE ZEIT den Fußballschiedsrichter Manuel Gräfe, der sich gemeldet habe und sein Coming-out-so zitiert wird: „Nein, Jahre zu spät und vorher unter falschen Voraussetzungen geheiratet. Ehrlichkeit von Anfang an wäre der richtige und aufrichtige Weg.“ Nun darf man(n) sich doch als scheinbar heterosexueller Mensch oder Mann hinterfragen, warum Männer überhaupt dann Frauen heiraten, wenn „unter falschen Voraussetzungen“ diese Ehen eigentlich stattfanden… – und wie die „falsche-unehrliche“ Sexualität mit diesen Frauen dann sich für jene Frauenmenschen auswirkte: da ja keine Ehrlichkeit seitens des Ehe-Mannes ihnen bewusst werden ließ, dass ER sich in dieser (sexuellen) Ehe-Beziehung nicht persönlich verinnerlicht wiederfand, (zumindest) nicht wohlfühl(t)e… Und wird hierbei nicht diejenige Frau als Mitmensch gedemütigt, ja geradezu missbraucht – wenn doch die Erkenntnis des Mannes dahintendiert(e), (lapidar ausgedrückt) auf eine/die Frau keinen Bock zu haben!?! Der RvM-Leserbriefschreiber kannte einen 55-jährigen Buchhändler, der nach über 25 Ehejahren sich zu einem Griechenlandurlaub in einen jungen Griechen verliebte – der später dann mit ihm in Deutschland zusammenlebte; der bärtige Buchhändler das Schürzchen in der Küche trug und auf weiblich umgepolt schien, auch eine andere, höhere Stimmlage sich aneignete… Dies nur zur Feststellung bei einem Besuch zu diesen beiden Verliebten – zu einer Essenseinladung mit viel Rezina und Ouzo… Der Buchhändler erklärte mir auch literarisch, wie seine Veränderungen in ihm allmählich stattfanden… Der Nationaltorhüter des Fußball Manuel Neuer hat sich ja auch kein Eigentor geschossen mit seinem Coming-out – und schlussendlich ist der Ball kein Wattebausch, sondern eine knallharte Lederkugel mit allem Machogehabe drum-und-dran in dieser Branche – die sicherlich keine „Schwuchteleien“ vorfinden wird… Die spanischen Frauen und Männer sagen über ihre Fußball-Europameister: „…die Jungs haben Huevos (Eier) in der Hose!“
Für den heterosexuellen Mann – der ja auch Freunde zumeist hat – wird doch kaum vorstellbar sein, sich in dieser engen Freundesverbindung nun auch körperlich zu „vereinen“ und damit oder somit „den homosexuellen Nagel auf den Kopf“ zu treffen… Obwohl der RvM-Leserbriefschreiber ein Mann ist, könnte er sich niemals vorstellen wollen, mit einem anderen Mann auch nur eine einzige sexuelle Handlung zu praktizieren: lieber ein halbes Jahrhundert lang zu onanieren als sich an solch einem zu ähnlichen Körper sexuell zu vergreifen! Letztlich aber ist es doch eine eigene private Zuständigkeit, in welcher sexuellen Konditionierung wir Menschen uns gegenseitig befriedigen wollen – und das ist doch die Grundvoraussetzung und Grundbedingung: die passende sexuelle Befriedigung aus dem natürlichen Zwang des sexuellen Begehrens heraus… Das ist doch zudem unsere jeweilige eigentliche Belohnung für all die Plackerei, für die Arbeitsausrichtungen, für all das Theater mit den anderen Menschen: dass wir „am Ende des Tages“ dann auch die sexuelle und psychische Befriedigung von der anderen Person erwarten dürfen – ja erwarten wollen: denn – offen gestanden -: ohne die Befriedigung der sexuellen Lust gäbe es doch keine fast gar religiöse Intimität, die dann auch in Ehen ausartet… Gar nicht so lange „viel Früher“ war die Ehefrau zur sexuellen Befriedigung ihres Ehemannes „gesetzlich“ verpflichtet – auch wenn ihrerseits keine Lust auf den geilen Ehe-Bock vorhanden war! Und weiterhin ist doch eine Ehe dazu mit eingeplant, dass diejenige weibliche oder männliche Person vom sexuellen Fleischmarkt weggeheiratet wurde, damit kein/e Andere/r sich sexuell an deren/ihrem Körper vergreift… Das ist doch eine der wahrhaftigen Realitäten in Bezug auf das Zweisamkeitsbild in derartiger ehelicher Anfesselung. Klar, gibt es dennoch jede Menge Sicherheitsrisiken – das liegt in der Natur von uns Menschen: wir sind geil und scharf auf sexuelle Abwechselungen und wollen doch nicht, dass der andere nahe Mensch dafür seinen eigenen Körper hergibt… Es könnte ja daraus auch die sogenannte nächste Liebe entstehen… Denn kein Bock oder Schaf verliebt sich ohne Beischlaf!
Und dann wird die Öffentlichkeit „konfrontiert“ mit den Liebesbeziehungen der Prominenten, werden die Klatschspalten sich weiterhin auffüllen – und eher scheinheilig heißt es in den Schlagzeilen: „Endlich hat Ralf Schumacher seine große Liebe gefunden!“ Wie geht eigentlich eine derartig unartig „verlassene“ Ehefrau mit solch weniger großen Eheliebe um – und wann entdeckt denn ein Ehe-MANN, dass er sich nicht zu dieser Ehe-FRAU bzw. einer Frau überhaupt, sexuell hingezogen und dann weggezogen fühlt…? Wir haben doch die verschiedenen „sexuellen“ Öffnungen in unseren Körpern, die auch jeweils vaginal, rektal, oral (und sonstwie) benutzt werden! Wir sollten doch nicht so tun, als ob hier alles an seinem Platz für die entsprechende gesellschaftliche Einordnung als „Männlein-Weiblein“ sich bereitfindet… – unsere sexuellen Batterien sind enorm schnell wieder aufgeladen nach einem Orgasmus und auch die polygame Variante geht eigentlich ganz sexuell gesund mit der Natur konform… Nur die gesellschaftlichen Zwänge verhindern (oder sollen) diese Vielseitigkeit in der Sexualität und mit anderen Personen gleichen oder des anderen Geschlechts, entschärfen… So what?! Warum entschuldigen sich also Leute, wenn sie mitteilen: „Der Ralf Schumacher solle sein Coming-out nicht „zelebrieren“ – denn, es ist doch so: dass diese Prominenten zumeist in der Öffentlichkeit präsent sein wollen, ansonsten wären es ja auch keine Prominenten (was sich ja sehr oft auch zudem monetär-finanziell auswirkt!). Und Hannah Knuth schreibt hierzu in DIE ZEIT ganz besonnen: „Man erkennt in solchen Reaktionen ein typisches Denkmuster. Es sagt: Stellt euch nicht so an! Spielt Euch nicht so auf! Homosexualität öffentlich zu machen, ist doch kein Ding mehr im Jahr 2024. Was natürlich Quatsch ist. Man sieht das gerade an Schumacher, der seit zwei Jahren mit einem Mann lebt und das geheim hielt. Er wird seine Gründe haben. Vielleicht weil es mehr Mut erfordert, als aus einem brennenden Auto zu steigen und immer weiterzufahren.“
Hanna Knuth sollte doch wissen, dass auch diese lebensgefährliche Formel 1-Raserei mit Prominenz zu tun hat – ansonsten sich keine Sau um diejenigen Männer kümmern würde hin zu einer Unöffentlichkeit… Vielleicht gälte dann noch das Brudersein des Ralf zu Michael als kleinere Prominenz-Variante – aber ansonsten: Null öffentliches Interesse! Kommen wir aber auf den Punkt: Wenn die Verheiratung von Ralf und Cora in den Medien und Klatschspalten endlos zelebriert wurde und überhaupt alles bis möglichst ins Kleinste von diesem LeserInnen-Publikum immer wieder goutiert wird – regt sich doch auch „kein Schwein“ auf. Überall ist der gleiche oder derselbe Quatsch zu lesen und in den Medien ausgebreitet. Wenn jemand von der Prominenz bisexuell daherkommt, wird das auch breitgetreten, warum wohl: weil es doch spannend ist, dass mann/frau so vielseitig unterwegs sein können – und der (möglicherweise) Couchpotato sich aufmacht, um das vielseitige (sexuelle) Leben auch auszuleben. Mir persönlich als RvM-Leserbriefschreiber ist es schon bedeutend: auf was ich Bock habe und wo ich mein „Böckchen“ hineinstecke… Und außerdem: auch ich laufe mit einem erigierten Schwanz herum. Und ich weiß, wie es ist, wenn man dann unbedingt gerne Sex haben wollte… Also: zwei Männer mit ihrer jeweiligen Erektion passen dann doch auch gut zusammen – die Hauptsache ist doch: es macht sexuellen Spaß und durch den Orgasmus ergibt dies dann die Befriedigung insgesamt…  Die ZEIT durch Hannah Knuth schreibt desweiteren: „Nun könnte man sagen: Wen oder was Ralf Schumacher liebt, ist doch nur Klatsch und Tratsch. Das stimmt. Einerseits. Andererseits ist diese Haltung borniert. Die Formel 1 ist der macholastigste Sport der Welt. Ein schamloser Ort von 360-Grad-Männlichkeit…“
Ach, wissen Sie, Frau Hanna Knuth: In der Homosexualität von Männern und Frauen gibt es sehr wohl auf beiden Seiten eine Menge Machos ebenso – und warum sollte unter den Rennfahrern auf ihren schnellen Eiern sitzend, nicht viel mehr Homosexualität vorhanden sein…. Ist doch normal in diesem Rennen der Lebenserwartungen allgemein betrachtet. Und da gibt es eine antike Komödie eines antiken Dichters (war es Aristophanes?): in diesem Stück meinen die Frauen, ihre Männer sexuell erpressen zu können, indem sie sich allesamt auf die Akropolis (Stadtburg) begeben und die Männer unten in der Stadt für sich lassen… Jene Frauen also glaubten, dass sie manche Verbesserung durch diese sexuelle „Erpressung“ gewinnen könnten… Pusteblume! Unten in der Stadt soffen und hurten die Männer untereinander, übereinander, hintereinander, nebeneinander was nur irgendwie machbar war… Übrigens nicht nur nebenbei eingeblendet: nennt mann in un/feinen? homosexuellen Kreisen die rektale Penetrationsmöglichkeit gegenüber dem Anderen: dessen Arschfotze). Die Frauen oben auf der Akropolis waren somit sexuell aus dem Spiel – auch das könnte man(n) als einen sexuellen Befreiungsschlag (der sowieso kulturell homophilen Männer) sich vorstellen! Somit, wie es Udo Lindenberg einmal sagte: „Wenn Du bisexuell bist: sind die Chancen doppelt so groß, dass Du am Wochenende nicht alleine in Deinem Bett aufwachst!“ Klare Kante ohne Panik – Udo! Und außerdem: Männer und Frauen – in welchen Konstellationen auch immer – wollen gegenseitig sich ständig an die Wäsche. Ohne all dieses Theater läuft in der Menschenwelt nichts auf der Bühne des Lebens. Wir „Menschen“ sind eben in unserer Evolution weiterhin ein Haufen geiler Affen und Äffinnen geblieben… Besonderen Dank an die Evolution dafür!
Axel Manfred Rvmpf von Mansfeld

 


 

Leserbriefe zu „Sie haben es in der Hand, ob dieser Krieg ein Ende findet“ von Frank Werner

„Der aufschlussreiche Artikel von Frank Werner lässt mich wieder einmal über das frappierende Ungleichgewicht in der öffentlichen Wahrnehmung des Widerstandes gegen Hitler und sein Regime stolpern. Sicher erforderte es grundsätzlich Mut und Entschlossenheit, um überhaupt in die Planung eines Attentats einzusteigen, und zwar gleichgültig, ob man zunächst ein Anhänger des Nationalsozialismus war oder nicht. Doch im Gegensatz zu Stauffenberg und seinen Mitstreitern, die Kontakte, Mittel und zahlreiche Möglichkeiten hatten, ihr Werk zu vollenden, war ein anderer Widerständler völlig auf sich allein gestellt: Johann Georg Elser. Er hatte lange Zeit vor den Offizieren erkannt, welche Gefahren vom nationalsozialistischen Regime ausgingen, er plante die Tat akribisch, konstruierte eine zuverlässige Bombe und setzte sein Werk an einem öffentlichen Ort (Bürgerbräukeller) über Monate hinweg um, ohne aufzufallen. Dennoch ist dieser mutige, intelligente und entschlossene Schreiner aus Königsbronn weitgehend in Vergessenheit geraten, weil an ihn eben nicht jährlich erinnert wird, sondern sich fast ausnahmslos auf Stauffenberg & Co. fokussiert wird, wenn regelmäßig um den 20. Juli sich eine Welle der Berichterstattung übers Land ergießt.“
Günter Pesler

Frank Werners umfangreiche Spurensuche zu den Widerstandskämpfern der Wehrmacht ist ein wichtiges Stück Dokumentation. Sein Artikel würdigt auch die oft übersehene Existenz eines weitverzweigten, verbundenen Netzwerks sowohl militärischer als auch ziviler Widerstandsgruppen. Vermisst habe ich eine aktuelle Auseinandersetzung mit der damaligen, distanzierten Rezeption des deutschen Widerstands und des Stauffenberg-Attentats bei den Alliierten. Lesenswert ist dazu eine Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom Februar 2004 („Erbe und Rezeption des 20. Juli 1944“). Das Bild von der „rein soldatischen Verzweiflungstat ohne ethischen Hintergrund“ war demnach mitgeprägt von Sorge um die Geschlossenheit des alliierten Bündnisses im Zusammenhang mit der Casablanca-Formel von der bedingungslosen Kapitulation. Die damalige Sicht hatte einen bleibenden Einfluss. Gleichzeitig hat sich der Blickwinkel schon in den 1950-er Jahren erweitert; nicht zuletzt durch eine Publikation des deutsch-jüdischen Historikers Hans Rothfels (der das Verhalten der Westmächte gegenüber dem deutschen Widerstand kritisch sah) und durch die internationale Würdigung Dietrich Bonhoeffers in kirchlichen Kreisen und darüber hinaus. Zudem war der militärische Widerstand ein wesentlicher Traditionsbezug für die 1955 gegründete Bundeswehr. Die Diskussion um den deutschen Widerstand bleibt ambivalent und kontrovers.
Heide Richter-Airijoki

Ich schreibe Ihnen heute, weil mir der Artikel „Sie haben es in der Hand, ob dieser Krieg ein Ende findet“ von Frank Werner in DIE ZEIT Nr. 31 vom 18. Juli 2024 sehr gefallen hat. Der Widerstand im Nationalsozialismus, besonders der militärische Widerstand um Stauffenberg und seine Mitverschwörer, fasziniert und beeindruckt immer wieder. Frank Werner hat treffend dargestellt, dass Widerstand in der Geschichtswissenschaft schwer zu definieren ist, da oft keine oder nur spärliche Dokumente darüber existieren. Wie Werner treffend geschildert hat, gab es mehrere vereitelte Attentatsversuche auf Hitler – wobei sich die mediale Aufmerksamkeit doch eher auf den 20. Juli 1944 beschränkt. Sein Beitrag ruft in Erinnerung, dass es verschiedene Versuche gab, Hitler zu liquidieren, wie etwa im März 1944. Was bedeutete Widerstand? Muss es immer die große Tat sein, wie das Attentat auf Hitler? Was ist mit kleineren Widerstandsaktionen wie Befehlsverweigerung oder Desertion? Sind diese auch als Widerstand zu betrachten? Forschungen zeigen, dass höhere Desertionsraten bei nicht-deutschen (Volksdeutschen) Soldaten in der Wehrmacht vorkamen. Ist das ein Zeichen des Widerstands gegen die Nazis? Ein weiteres Thema ist die Rezeption des Widerstands. Während Stauffenberg und sein Kreis anfangs als Verräter galten, wurden sie in der Bundesrepublik zu Helden stilisiert. Einige behaupten, im Widerstand gewesen zu sein, ohne Belege, während andere ihre Taten aus Bescheidenheit oder Angst verschwiegen. Werner hat auch die Herausforderung der Historiker hervorgehoben: Was stimmt wirklich? Was ist erfunden? Und was sind nur Legenden? Was ist wahr, auch wenn es keine Dokumente gibt? Der Abgleich verschiedener Quellen ist essenziell, sei es durch institutionelle Quellen oder Egodokumente wie das Tagebuch von Hermann Kaiser, der ein gescheitertes Attentat auf Hitler im März 1944 beschreibt. Der Widerstand wird je nach Perspektive gepriesen oder verteufelt und bleibt ein emotional aufgeladenes Thema. Wichtig ist, dass Historiker reflektiert vorgehen und nicht vorschnell Aussagen vermeintlicher Widerstandsakteure akzeptieren, ohne diese zu hinterfragen und mit anderen Quellen zu vergleichen. Der Fokus sollte nicht nur auf „spektakulären“ Aktionen (auch wenn diese gescheitert sind) wie Attentaten liegen, sondern auch die alltäglichen Akte des Widerstands kleiner Soldaten miteinbeziehen. Insgesamt ein sehr guter Artikel von Frank Werner, der zur Vorsicht in der Geschichtswissenschaft mahnt, besonders im Umgang mit dem Thema Widerstand.
Nina Janz

Der Grundton des Artikels ist durchaus kritisch mit den Widerstandskämpfern des Attentats vom 20. Juli 1944, ich möchte aber doch noch auf den verschobenen Maßstab im Vergleich zu dem Attentat von Georg Elser hinweisen. Elser, Autodidakt, bereitete sein Attentat akribisch vor und scheiterte nur durch einen Zufall. Die acht aufgeführten Offiziere, überwiegend anfangs Unterstützer des Naziregimes, außer vielleicht Fabian von Schlaberndorff und Eberhard von Breitenbuch, hatten bis 1944 militärische Dienstzeiten von 109 Jahren (Zahlen aus Wikipedia) zusammengesammelt und waren nicht in der Lage ein „professionelles“ Attentat durchzuführen.
Albert Stockmann

Selbst wenn die meisten unbelegten Attentatsversuche auf Hitler doch einen wahren Kern haben sollten, stellt sich doch die Frage, warum jene der Offiziere so spät geschahen? Bedurfte es erst der Bestätigung, dass der Krieg verloren war, wovon wohl zahlreiche Offiziere nach der Niederlage in der Schlacht um Stalingrad 1943 zunehmend überzeugt waren? Die Niederlage soll auch Stauffenberg zum Umdenken bewegt haben. Vorher allerdings waren er und zahlreiche Militärs, die erst spät Hitler beseitigen wollten, angepasste, systemtreue Angestellte des mörderischen Regimes. Im Gegensatz zu jenen positionierte sich der Attentäter Georg Elser bereits Anfang der 1930er Jahre gegen das NS-Regime. Sein fehlgeschlagenes Attentat erfolgte auch fast 5 Jahre vor dem berühmten 20. Juli 1944. Wollte er doch noch einen drohenden Krieg verhindern. Damit erscheint Elsers Werdegang deutlich ehrenvoller als der Stauffenbergs und der anderer Offiziere, die erst spät das Unrecht erkannten oder besser gesagt, es als solches bewerteten. Irritierend, dass Elser in den letzten Jahrzehnten nicht zumindest eine ähnliche mediale Aufmerksamkeit oder gar Würdigung zuteilwurde, wie den Akteuren vom 20. Juli. Hat er doch letztlich mehr verdient. Ehre, wem Ehre gebührt.
Reiner Gorning

 


 

Leserbriefe zu „Endspiel“ von Peter Kümmel

Allerhand erstaunlich; der Autor schlittert über Biden, Beckett, Trump, regelrecht in Kanzelworte.
Paul Zwirchmayr

Die Medizin hat zwar das Alter verschoben, so dass, wer heute 60 ist, früher schon mit 50 ähnlich verbraucht war, aber das familiäre Verhalten der Menschen, sich selbst, abhängig vom Alter, in den zwischenmenschlichen Zusammenhang einbinden zu wollen, ist wie es immer war: mit 40 klettert man nicht mehr auf Bäume, mit 50 regelt man, mehr oder weniger erfolgreich seinen Leibesumfang in der irrigen Annahme man wäre noch genauso attraktiv wie vor 10 Jahren, mit 60 stellt man das Flirten ein und, wenn möglich, auch das Kinderkriegen, der Bauch ist eh zu dick, mit 70 übergibt man die Firma und mit 80 wird man entmündigt oder entmündigt sich selbst. (Sehr, sehr wenige Ausnahmen bestätigen diese Regeln, von denen manch einer irrend glaubt, sie wären käuflich zu verschieben.) Das alles tut Otto Normalbiden um nicht von den Jüngeren ausgegrenzt zu werden, die halt einen flirtenden Opa, eine läufige Uhrgroßoma etc., nicht so prickelnd finden und durchaus gewillt sind, abweichendes Verhalten mit Sanktionen zu belegen. Sanktionen, wie sie Herr Biden gerade erfahren musste. Er hat die richtigen Schlüsse daraus gezogen, siehe oben. Chapeau Herr Biden. Danke. Ihre Familie, Ihr Volk, wir, die Welt, haben Sie wieder zurück von der eingebildet unverzichtbaren Macht… Das, wenigstens, haben wir den Russen und sonstigen Selfie – Denkern voraus: letztendlich menschliche Führer. Wir haben die Macht unsere Führer in ihre Normalrolle zurück zu mobben, bevor sie, altersmachtgeil…, siehe Putin.
Michael F. Maresch

Natürlich ist es stimmig, den mächtigen Herrscher der größten Militärmacht der Welt mit dem Stellvertreter Gottes auf Erden zu gleichzusetzen, wenn einem sein politischer Gegner in einem demokratischen Wahlkampf als Monster erscheint. Aber diese Hagiographie ist weder den Democrats noch der Demokratie dienlich. Sie unterscheidet sich nur im Vorzeichen von den MAGA-Käppi-Trägern, die nun Gottes Hand im Spiel sehen. Parteilichkeit macht die Vierte Macht unglaubwürdig. Schade.
Ingo Klamann

 


 

Leserbriefe zu „Stimmt’s? “ von Christoph Drösser

Deutschland könnte Mitglied im Commonwealth werden. Könnte? Warum denn? Das Commonwealth ist eine Verbindung der Briten mit ihren ehemaligen Kolonien. Was hat Deutschland damit zu tun? Eben da könnte ein Grund sein. Irgendein hochrangiger Vertreter des englischen Adels ist der Patron des Commonwealth. Vielleicht sogar die Queen oder der King persönlich. Und viele Deutsche hängen immer noch an etwas Royalen. Aber dafür muss man nicht gleich Mitglied werden. Lasst sie träumen vom Royalen. Die Bunten Blätter der Medien bieten genug Stoff.
Hans-Emil Schuster

Großbritannien und Deutschland verbindet weitaus mehr als die Episode der britischen Mitgliedschaft in der Europäischen Union. 1714 erbte Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg die britische Krone. Die letzte gebürtige Welfin auf dem britischen Thron war Queen Victoria, die Albert von Sachsen-Coburg und Gotha ehelichte. Die letzte gebürtige Wettinerin auf dem britischen Thron war Queen Elizabeth II., die Philipp von Battenberg – anglisiert Mountbatten – ehelichte. Das heutige Haus Battenberg darf nicht mit dem 1342 im Mannesstamm ausgestorbenen Haus verwechselt werden. Vielmehr führt eine morganatische Nebenlinie des Hauses Hessen seit 1851 den Namen. Summa summarum sitzen seit mehr als 300 Jahren Deutschstämmige auf dem Thron in London. Mitglied der Europäischen Union war Großbritannien dagegen keine 50 Jahre.
Torsten Berndt

 


 

Leserbriefe zu „Ein Staat zieht seine Mauern hoch“ von Xifang Yang

Ich nehme Bezug auf Ihren Beitrag „Ein Staat zieht die Mauern hoch“ von Xifan Yang, der am 17.07.24 auf zeit.de und am 18.07.24 in ZEIT Nr. 31/2024 erschienen ist. Darin wird das Meer zwischen Korea und Japan als „Japanisches Meer“ bezeichnet. Bei dieser Meeresbezeichnung handelt es sich um ein höchst sensibles Thema, das einen mittlerweile jahrzehntelang währenden Disput zwischen Korea und Japan nach sich zieht. Seit Jahrhunderten wird das Meer zwischen Korea und Japan von den Koreanern als „Donghae“ bezeichnet, was in der deutschen Übersetzung „Ostmeer“ heißt. In westlichen Atlanten wurde das Meer im Laufe der Geschichte meistens „Koreanisches Meer“ genannt, sehr viel seltener „Japanisches Meer“. Aufgrund der japanischen Expansionsbewegungen im späten 19. Jahrhundert und vor allem nach der Annexion Koreas durch Japan 1910 wurde die Bezeichnung „Japanisches Meer“ infolge des einseitigen japanischen Einflusses auf internationaler Ebene immer gebräuchlicher. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Korea unter der Kolonialherrschaft Japans stand, verschwand die Bezeichnung „Ostmeer“ vollkommen von den Landkarten. Auf der ersten Konferenz der Internationalen Hydrographischen Organisation (IHO) wurde eine Resolution verabschiedet, die die Grenzen der Ozeane und Meere festlegte und ihnen für eine sichere Navigation entsprechende Namen gab. Eine japanische Delegation war bei dieser Konferenz anwesend, jedoch keine koreanische. Entsprechend dieser Resolution wurde das Meer zwischen Korea und Japan 1923 als „Japanisches Meer“ registriert. Kein anderes Mitgliedsland erhob Einspruch. Korea wehrt sich gegen die willkürliche und ohne Konsultation erfolgte Änderung des geografischen Begriffes und schlägt vor, beide Bezeichnungen („Ostmeer“ und „Japanisches Meer“) parallel zu verwenden, solange keine offizielle Einigung vorliegt. Nur so kann den historischen Gegebenheiten Rechnung getragen werden. Dankenswerterweise haben sich zahlreiche renommierte Verlagshäuser dieses Themas mittlerweile angenommen und verwenden in ihren Publikationen konsequent „Ostmeer“ und „Japanisches Meer“ als Doppelbezeichnung. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass ich Sie für das Thema „Ostmeer” sensibilisieren konnte.
Yang Sangkeun, Gesandter-Botschaftsrat, Leiter des Koreanischen Kulturzentrums, Botschaft der Republik Korea

Ihr Artikel über ein Nordkorea, wie wir es seit 1950 kennen, war sehr verständlich aus den Handlungen dieses Landes, zu jeder Zeit und allen Umständen in den 75 Jahren. Dem widerspricht eine Notiz heute, 23.07. gegen 17 h in den MSC-Nachrichten: ‚BI Business Insider Deutschland, Verfasser Cameron Manley: „Ein Küstenwunderland, das in der Welt als das beste Touristenresort Nordkoreas bekannt sein wird. So wird Diktator Kim Jong-Un zitiert, als er das Wonsan Projekt besucht, welches im Mai 2025 eröffnet werden soll. Allerdings gibt es u.a. Engpässe bei der Beschaffung von Baumaterialien.“ Ob Touristen-Millionen die Mauern durchlässiger machen?
Hartmut Wagener

 


 

Leserbriefe zu „Zu viele Fabriken, zu wenig Autos“ von Max Hägler

Verdrängungen, Überkapazitäten, Kosten und Standortprobleme: sie stehen für einen bedeutenden Aderlass des europäischen Autobaus. Doch ein Phänomen kann an den Parkplätzen der Stahl- und Autoproduzenten erkannt werden, die eigene Skepsis von Belegschaften an den von Ihnen mitverantworteten Kosten. Es überwiegen dort – mehrfach selbst überprüft – asiatische Fahrzeuge. Wenn also Fabrikschließungen, wie im Artikel erwähnt, Anlässe zu gewalttätigen Streiks bieten, sollte doch zuerst das Anzünden von eigenen, nicht in den Fabriken hergestellten Fahrzeugen folgen.
Jürgen Dressler

Das Volkswagen nicht mithalten kann, liegt an China, der größte Absatzmarkt für PKW E-Autos werden aus China- Produktion und Amerika/ Tesla billiger produziert und verkauft. VW hat es bisher nicht geschafft – im internationalen Wettbewerb – ein Preisgünstiges E-Auto/ Hybrid in und für Europa zu produzieren. Der gute Ruf die Autos „Made in Germany“ wie VW, BMW, Daimler, Porsche in der Welt erworben haben, darf nicht verspielt werden, dann müssen auch keine Fabriken geschlossen werden und mehr Autos könnten verkauft werden. Wer zu spät kommt – der verliert Marktanteile und riskiert Umsatzverluste und weniger Gewinne.
Thomas Bartsch Hauschild

 


 

Leserbriefe zu „Das norwegische Paradox“ von Thomas Fischermann und Ricarda Richter

Nichts schmerzt einen Ingenieur mehr, als seine wichtigste Ausbildungsstätte, die Technischen Universitäten, zu „technischen Hochschulen“ – mit kleinem „t“ – verniedlicht zu sehen, wie in dem übrigens interessanten Beitrag über Norwegen. Was wie ein Lapsus aussieht, erinnert Ingenieure daran, dass im 19. Jahrhundert die deutschen Universitäten die Technischen Hochschulen als „Schmierölfakultäten“ und „Klempnerakademien“ denunzierten und ihnen – bis 1900 – das Promotionsrecht verweigerten. Ihre ansonsten gegenüber sprachlichen Diskriminierungen und Mikroaggressionen hypersensiblen Redakteure und „sensitive Reader“ haben das wohl nicht auf dem Schirm. Technische Hochschule mit kleinem „t“ erinnert an die unselige Zeit, als Ingenieure und ihre Hochschulen als zweitklassig gegenüber den Absolventen „richtiger“ Universitäten galten. (Quelle: Stefan Willeke: Die Technokratiebewegung…1995, S.114f). Damals war das ein regelrechter Kulturkampf zwischen neuen (Unternehmer, Naturwissenschaftler und Ingenieure) und alten (Adel, Beamte, Militär, Juristen und Philosophen) Eliten. Ingenieure sind da mindestens so sensibel wie andere Gruppen mit Diskriminierungserfahrungen, die sich bei vielen Texten „mitgemeint“ fühlen sollen. Immer wenn Ingenieure Technische Hochschule mit kleinem „t“ geschrieben lesen, wird ihnen bewusst, dass sie immer noch nicht richtig dazugehören. Wie andere Gruppen damit umgehen, wissen wir nur allzu gut.
Manfred Mai

Die norwegische Energiepolitik ist weitab davon, ein Paradox zu sein. Sie zeugt vielmehr von Weitsicht. Man betrachtet dabei nicht so sehr die eigenen Erfolge in der Umsetzung von Klimazielen, sondern sieht das Versagen der meisten Staaten in Europa und der übrigen Welt, und man fährt deshalb zweigleisig. Nicht nur Norwegen, sondern viele ernstzunehmende Experten erkennen, dass wir noch sehr lange. Öl und Gas brauchen werden. Selbst bei der Stromerzeugung, bei der die Energiewende die “größten Erfolge” feiert, die aber leider nur ca. 20% der Energieverbrauchs ausmacht, klafft noch eine Lücke von 30 bis 40%, die sich wegen “Unzuverlässigkeit” von Wind und Sonne nur durch nicht vorhandene Großspeicher und Stromleitungen schließen ließe (und nicht durch den Zubau von noch mehr Windkraftanlagen). Bis dahin müssen (bestehende und noch zu bauende) Gaskraftwerke einspringen (es sei denn Kohle wäre uns lieber). Dass wir bei den stagnierenden Zulassungszahlen von Elektroautos und der durchschnittlichen Lebensdauer von Benzin- und Dieselfahrzeugen noch weit mehr als 20 Jahre Kraftstoffe aus Rohöl brauchen werden, kann sich jeder selbst ausrechnen. Es ist doch völlig absurd, Ölproduzenten dafür verantwortlich zu machen, dass noch Verbrennerfahrzeuge auf den Straßen fahren und Ölheizungen betrieben werden. Die Verantwortung dafür liegt doch wohl allein bei den Regierungen, die es verbieten, und bei den Bürgern, die die Verbote akzeptieren müssten. Es ist die Nachfrage, die bestimmt, was unsere Autos und Heizungen verbrauchen und nicht das Angebot. Wir sollten den Firmen und Regierungen, die nach Öl und Gas bohren, dankbar sein, dass sie sich mit Rieseninvestitionen in ein hohes Risiko begeben, denn sie wissen nicht, wie lange Benzin- und Diesel-SUV noch ohne Tempolimit über unsere Autobahnen rasen. Ohne eine ausreichende und sichere Öl- und Gasversorgung würden bei uns irgendwann die Lichter ausgehen und der Verkehr stillstehen. Von der metallerzeugenden und petrochemischen Industrie, die Erdölerzeugnisse und Erdgas als Brenn- bzw. Rohstoff benötigen, haben wir noch gar nicht gesprochen. Nur so viel: Der viel besungene Grüne Wasserstoff ist keine bezahlbare Lösung. Er ist und bleibt zu teuer. Warum baut wohl niemand eine Elektrolyseanlage in industriellem Maßstab – trotz hoher Subventionen?
Sven Herfurth

 


 

Leserbriefe zu „Kommt jeder Mensch in die Midlife-Crisis, Frau Bleisch“. Gespräch mit Barbara Bleisch geführt von Johannes Ehrmann und Lisa Seelig

Man vergisst in der Wissenschaft und dem sie begleitenden Journalismus nur zu gerne, dass auch deren Meinungen mit ihren Veröffentlichungen als Angriff auf die menschliche Würde gelten können. Die Zielscheibe der Philosophie ist stets der menschliche Körper, die aktuelle Zeit und die erkennbaren Gesten, Tätigkeiten und Gewohnheiten. Als Ursprung einer Midlife-Crisis sollen nach Bleisch Körper und Seele nun als Objekte für eine philosophische „Entfesselung“ gelten. Diese Absurdität beruht auf einer beabsichtigten Manipulation des Individuums durch die heutige Philosophie.
Jürgen Dressler

Alles hat seine (auch imaginierte) Zeit – bis Verantwortung zur Leichtigkeit des Seins erweiterten Lebenssinn zugesellt. In diesem Prozess bauen wir uns zielstrebig in mentaler Stärke unser Haus und verbauen auch Steine, die uns Konkurrenten in den Weg legen. Der Architektur folgt in „Wir schaffen das!“-Modi Einrichten, Kinder, Karriere und Beziehungsgeflecht. In Verbindung mit Kosten/Nutzen-Rückversicherung stehen die Chancen günstig für Friede, Freude, Eierkuchen. Im Zuviel von allem wird die Bestandspflege zunehmend von Lust zur Last, weil auch risikobehaftete Überholvorgänge zugunsten Sicherheit und Verlässlichkeit an Reiz verlieren. Vor dem Spiegel verflüchtigen sich „Schön ist die Jugend“-Endorphine ebenso, wie der Göttergatte einem Couchpotato ähnlich wird. Es bedrücken statt entzücken Alltagsprobleme und Endlichkeits-Gedanken. Statt zu lachen, quacksalbern wir Medizin und Ersatzbefriedigung. Gefühlt dauer-überfordert treiben uns die Geister, die wir riefen, vor sich her. Machen wir in solchen Desillusionierungsphasen aus jeder Mücke einen Elefanten, zerschlägt der zuvorderst, kühl bis ans Herz hinan, edelstes Porzellan (u. a. Scheidungskinder). Die Krise ist hausgemacht und unnötig wie ein Kropf. Wir haben vor den von uns selbst geschaffenen Herausforderungen kapituliert, anstatt „zuhause zu essen“ und von den bestehenden Freuden und Errungenschaften zu zehren, aus Besonnenheit Kraft zu schöpfen und uns als meisterlich gereifte Erwachsene zu verhalten. Entgegen solcher Beziehungs-Bärendienste führt „jeden Tag eine gute Tat“ zu erfüllender Liebes-Partnerschaft zurück, die uns dazumal als eine der leichtesten Übungen galt – mit Aha-Erlebnissen ungeahnter Intensität glücklicher als je zuvor zu sein.
Andreas Weng

 


 

Leserbrief zu „Teure Bohnen“ von David Baldysiak

Es wird berichtet, dass der Preis für Rohkaffee auf Rekordniveau liegt und wohl weiter steigen wird. Zunächst mal, alles wird teurer. Das wissen doch die Verbraucher. Die Länder, wo Kaffee herkommt, wollen doch auch verdienen. Und der Rohkaffee ist ja so direkt nicht trinkbar. Da muss geröstet werden und dann die Mischung. Ein Geheimnis jeder Firma. Fein abgestimmt als mild bis tintenschwarz als Espresso a la Italia. Das sind teure Vorgänge und man braucht Experten dafür. Dann gibt es auch noch Blaue Bohnen. Aber das ist ein Gemüse. Und soviel ich weiß und nicht irre, in der Gaunersprache sind Blaue Bohnen die Kugeln aus einer Wumme. Aber das ist mehr ein Thema in Krimis. Die Verbraucher lieben Kaffee und werden bezahlen. Und um den Kummer über den Preis zu vergessen, einen Cognac in den Kaffee kippen.
Hans-Emi Schuster

 


 

Leserbrief zu „Willkommen zurück“ von Jochen Bittner

Woher kommt die Angabe: gewesen. Dieser Umschwung hat unter anderem damit zu tun, dass viele der 52 Prozent Wähler, die für den Brexit stimmten, überhaupt keine Meinung mehr haben, weil sie inzwischen tot sind. Auf welche Daten stützt sich die Zahl 52%?
Andreas Hölzer

 


 

Leserbrief zu „Womit keiner rechnet: Das Steuerrecht soll einfacher werden…“ von Marcus Rohwetter

Irgendwie kommt man sich schon ein wenig verarscht vor, wenn Politiker unterschiedlicher Couleur versprechen, etwas nun aber mal wirklich anzugehen, was schon seit 50 Jahren nicht angegangen worden ist. Unser Steuersystem ist intransparent, ungerecht und aufgebläht, damit viele daran verdienen, und damit nur die wirklich ihre Steuern bezahlen, die nicht zu den Vermögenden gehören. Es ist so eine Art chinesischer Mauer, um die Reichen vor den Barbaren zu schützen. Warum sollte man ausgerechnet Christian Lindner glauben, dass er daran etwas ändert? Mir fällt kein Grund ein.
Dieter Schöneborn

 


 

Leserbrief zu „Ein Bad in der Enge“ von Ragnhild Schweitzer

Ich hatte das große Glück, einmal in diesem Jellyfish-See zu schwimmen. Es ist atemraubend, wenn nur noch Quallenkörper um einen herum sind und man schnorchelnd weniger Wasser sieht als Tiere. Die Quallen haben übrigens ihre Stings verloren, weil es in diesem Binnensee keine natürlichen Fressfeinde mehr gibt. Da werden dann auch keine Abwehrwaffen benötigt. Als wir Palau mit dem Flieger verließen, sind wir zur Mittagszeit über diesen See geflogen. Wir konnten aus 3000 Meter Höhe die riesige Population braun-golden an der Oberfläche schwimmen sehen: Ein unvergessliches Erleben.
Ernst-Peter Neugebauer

 


 

Leserbrief zu „Sie kann im Wasser fliegen“ von Lars Spannagel

Es ist sehr erfreulich, dass einer Sportlerin wie der Weltmeister-Schwimmerin Angelina Köhler zweieinhalb Seiten gewidmet werden. Lars Spannagel schildert den harten Werdegang der Schwimmerin, ihre Persönlichkeit und die Torturen, denen sich Sport-Asse unterziehen müssen. Doch von der Aussage im Titel kein Wort. Fast nichts von der Technik und der Ästhetik des Schmetterling-Stils. „Schmetterling ist heute die Spitze der Schwimmkunst.“ (Swimsport news.de). Aus dem Brustschwimmen hervorgegangen, wurde anfangs noch der Grätsche-Beinschlag beibehalten. Doch in den 1950-er Jahren entwickelte sich die „Delfintechnik“, durch die Einführung des geschlossenen Beinschlags. So entsteht eine fischartige Ganzkörper-Wellenbewegung, die sich vom Brustkorb bis zu den Füßen fortsetzt. Faszinierend, auch durch den „Flügelschlag“ der Arme! In jenen Jahren wurde dann der Grätsche-Beinschlag verboten, auch weil von Sportärzten gesagt wurde, dass der im Verhältnis zum Brustschwimmen viel größere Kraftaufwand beim Grätsche-Schließen die Gesundheit der Schwimmerinnen gefährde. Heute werden selbst bei Freistil die ersten Meter nach dem Startsprung und nach der Wende unter Wasser und mit Delfin-Beinschlag geschwommen. Schauen Sie mal genau hin! Auch hätte gesagt werden können, dass die Zeiten, die heute geschwommen werden, vor wenigen Jahren noch unvorstellbar waren.
Georg Coulin

 


 

Leserbrief zu „Wie verkauft man einen Puff?“ von Christoph Heinemann

Der Artikel hat großen Unterhaltungswert. Ein Haus mit einer Pacht in Höhe 3.000 € pro Monat ist aber nie und nimmer 3 Mio. € wert. Die 3 Mio. € sind realistisch für 400 m2. Bei der Pacht fehlt wohl eine Stelle vor dem Komma.
Karlheinz Martin

 


 

Leserbrief zu „Wo geht’s hier lang?“ von Sibylle Anderl und Leonie Daumer

Die hier beschriebene Unzuverlässigkeit der Navigation mittels GPS betrifft auch die Marschflugkörper, die H. Scholz jetzt, in vorauseilendem Gehorsam, von den USA kaufen will. Gezieltes Stören resp. Manipulieren der GPS-Daten kann dazu führen, dass der Marschflugkörper nicht wie geplant die feindliche Militärbasis, sondern ein Wohngebiet mit Schulen, Krankenhäusern und Kindergärten trifft. Damit haben unsere Politiker aber offensichtlich kein Problem nach dem Motto „der Feind ist selber schuld, wenn er unsere Waffen nicht dahin fliegen lässt, wo wir sie hin haben wollen.“ Ein weiteres Thema wäre die generelle Zuverlässigkeit dieser Waffensysteme. Verglichen mit der Technik im Auto (Tempomat, Abstandsensor etc.) ist die Zuverlässigkeit der Marschflugkörper aufgrund der geringen Stückzahl und der größeren Komplexität wesentlich geringer. Die Wahrscheinlichkeit für den Ausbruch des 3. (und letzten?) Weltkriegs, ausgelöst durch einen Technischen- oder Bedienungsfehler, war noch nie größer!
Manfred Stauss

 


 

Leserbrief zu „Das unterschätzte Organ“ von Jan Schweitzer und Ragnhild Schweitzer

„Brauchen wir Vitamin D?“ Woher nehmen Sie bitte Ihr vernichtendes Urteil über V. D? Es hilft nachweißlich gegen Osteoporose, und ich habe es seit Jahren von meiner Ärztin empfohlen bekommen (sie ist nicht bestochen von der Pharmaindustrie). Bitte nennen Sie mir Quellenangaben, wonach Vitamin D nutzlos sein soll. Das würde mich sehr interessieren.
Freigang Müller

 


 

Leserbrief zu „Zu viel versprochen?“ von Jakob von Lindern und Nicolas Killian

Mit dem AI-Act hat die EU die Entwicklung und Forschung von ernsthaften AI-Modellen in Europa praktisch beendet. Da kommt es auch nicht mehr darauf an, ob Jonas Andrulis ein wenig viel versprochen hat.
Peter Pielmeier

 


 

Leserbrief zu „Sie verschenkt Milliarden“ von Rüdiger Jungbluth

Der Titel dieses Artikels ist korrekt, verbirgt aber mehr als er offenlegt. Ich bin gespannt und freue mich auf den Nachklapp, wenn klar ist, ob die Familie Klatten nicht nur verschenkt, sondern auch gönnt: Dem Staat und den Menschen, die sie reich gemacht haben, die Schenkungssteuer. Immerhin waren die Schenkungen eine willentliche, freie Entscheidung. Überhaupt kein Grund also, Steuern nicht zu bezahlen. Man muss ja nicht schenken…
Udo Reuther

 


 

Leserbrief zu „Anna Mayr entdeckt: Trennungsbedarf“

Vielen Dank für Ihre sehr nette Kolumne Wegen der vielen Autos trauen Sie sich nicht Fahrrad zu fahren. Anstatt sich als Mutter zum Schutz und Wohle Ihres Kindes für weniger Autos, mehr Verkehrsberuhigung und sichere Fahrradwege einzusetzen, wollen Sie sich selbst ein Auto kaufen?  Sie wollen also Öl in genau das Feuer gießen, das Ihnen zu heiß ist und an dem sich Ihr Kind verbrennen kann? 2022 verunglückten 25 800 Kinder im Straßenverkehr! https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2023/PD23_33_p002.html. Lassen Sie uns bitte daran arbeiten, dass Kinder, dank mehr Fahrräder und weniger Autos, sicherer im Verkehr werden und im eigenen Wohnviertel mehr Platz zum Spielen haben als die viel zu vielen privaten Autos, die 95% der Zeit nur rumstehen.
Klaus Siersch

 


 

Leserbrief zu „Ich lasse es einfach“ von Friederike Gräff

Ihre „Würdigung des Aufgebens“ ist sehr, sehr gut! Ich verleihe Ihnen hiermit das Diplom für ausgezeichnetes Aufgeben! Vielen Dank für die Freude beim Lesen Ihres Textes
Merret Ehlers

 


 

Leserbrief zu „Über die Frage, ob man den Hitlerkäfer umbenennen sollte“ von Harald Martenstein im ZEIT Magazin

Mit Verwunderung lasen wir Harald Martensteins Kolumne, in der er Kritik am Vorschlag äußert, Anophtalamus hitleri, dem Hitlerkäfer, einen neuen Namen zu verpassen. Unabhängig davon, auf welcher Seite der Käfernamendebatte man steht, es drängt sich doch der Eindruck auf, dass Martenstein übers Ziel hinausschießt, wenn er das Plädoyer für die Umbenennung als Forderung danach versteht, dass „wissenschaftliche Namen alle paar Jahrzehnte an die aktuelle Ethik angepasst werden“. Das klingt ja beinahe, als würde Hitler der Cancel Culture zum Opfer fallen.
L. Nordmann & O. Joffe

 


 

Leserbrief zum Wochenmarkt „Statt Kartoffelsalat Blaubeerkuchen mit weißer Schokolade“ von Elisabeth Raether im ZEIT Magazin

Auch meine schwäbische Schwiegermutter wäre nicht nur entsetzt über den Kartoffelsalat m. Tahini, sondern auch über den Blaubeerkuchen. Ich habe ihn unvoreingenommen nachgebacken und war enttäuscht vom Ergebnis sowohl von der Erscheinung als auch geschmacklich. Viel zu süß und zu fett. Die Schokolade ist absolut überflüssig. Man kann stattdessen Milch nehmen, um d. Teig geschmeidig zu machen. Nichts für ungut.
Sybille Lorenz-Becher

 


 

Leserbrief zu „Prüfers Töchter: Das macht mir nichts aus, wenn du weißt, wo ich bin“ von Tillmann Prüfer im ZEIT Magazin

Wie lange will uns Herr Prüfer noch mit Geschichten über seine Töchter beglücken? Sicherlich hat der größte Teil ihrer Leser Kinder und einen entsprechenden Erfahrungsschatz. Bitte, gibt es keine interessanteren Themen.
Brandt

 


 

Leserbrief zu „Da draußen: Im Juli, Wildblumenwiese“ von Heike Faller im ZEIT Magazin

Ihre Wiesenforscherin, Frau Faller irrt, wenn sie schreibt: „…, irgendwo ins Schwäbische… .“. Blaufelden liegt nicht in schwäbischen Gefilden, sondern auf der Hohenloher Ebene. Dort spricht man Fränkisch, allenfalls, wenn Sie so wollen, Hohenlohisch.
Herbert Schenk

 


 

Leserbrief allgemein zu ZEIT Magazin

Endlich eine gescheite Ausgabe! Juhu! Alle Texte interessant (abgesehen natürlich von der Produktwerbung auf S. 31, was aber zu verkraften ist). Bitte weiter so!
Brigitte Kasten-Ganser