Hatten Sie schon die Grippe dieses Jahr? Wenn nicht, kann es bald soweit sein. Die Viren gehen derzeit besonders um. In solchen Zeiten wird das Netzwerk unserer sonst so geschätzten Freunde zu einem Problem. Es hat eine ziemlich komplizierte Struktur und faszinierende Eigenschaften. Eine davon ist das Freundschaftsparadoxon, das wir schon in einem früheren Beitrag angesprochen haben. Mit seiner Hilfe lässt sich die Entwicklung einer Grippe-Epidemie vorhersagen.
Das Netzwerk besteht aus Ihnen, Ihren Freunden, den Freunden Ihrer Freunde, den Freunden der Freunde Ihrer Freunde … Das ist im richtigen Leben so, aber auch in sozialen Netzwerken wie etwa Facebook. Die mittlere Zahl der Freunde von Facebook-Usern lag nach einer Studie aus dem Jahr 2011 bei 190. Gleichzeitig hatten deren Freunde im Schnitt aber 635 Freunde.
Diese Verzerrung rührt daher, weil es umso wahrscheinlicher ist mit einer Person befreundet zu sein, je mehr Freunde sie hat. Dieser Gedanke macht das Paradoxon plausibel. Wie aber kann man es mathematisch beweisen? Etwa so: Betrachten wir eine Gruppe von n Personen, wobei die i-te Person z(i) Freunde hat. Die durchschnittliche Anzahl von Freunden dieser Personen ist das arithmetische Mittel
A = [z(1) + … + z(n)]/n
Das ist die Gesamtzahl der Freunde geteilt durch die Gesamtzahl der Personen. Die mittlere Anzahl der Freunde von Freuden der n Personen ergibt sich nach demselben Prinzip. Es ist die Gesamtzahl der Freunde von Freunden geteilt durch die Gesamtzahl der Freunde. Der Nenner dieses Bruches ist einfach die Summe der Zahlen z(i). Um den Zähler zu bestimmen muss man berücksichtigen, dass die i-te Person z(i)-mal als Freund einer anderen Person im Netzwerk vertreten ist und auch selbst z(i) Freunde hat, also z(i) x z(i) Freunde von Freunden zur Summe beiträgt. Damit ergibt sich die mittlere Zahl der Freunde der Freunde der Personen als
E = [z(1) x z(1) + … + z(n) x z(n)]/[z(1) + … + z(n)]
Schaut man genau hin, erkennt man das als gewichtetes Mittel. Es heißt Eigengewichtsmittel. Größere Zahlen z(i) gehen mit einem größeren Gewicht in das Mittel E ein als in das Mittel A, bei dem alle Gewichte gleich 1/n sind. Also ist E größer als A (außer in dem Extremfall, wenn alle Personen gleich viele Freunde haben). Und das ist der Beweis.
Mehr Freunde = öfter krank
Nicht in jeder Hinsicht ist es gut, viele Freunde zu haben. Menschen mit mehr Freunden als andere sind im Schnitt auch öfter krank als andere, stecken sich zum Beispiel öfter mit Grippe an. Die Wissenschaftler Nicholas Christakis und James Fowler haben dazu eine interessante Studie durchgeführt. Ausgehend vom Freundschaftsparadoxon bestimmten sie eine repräsentative Stichprobe von Personen aus einer Population. Das ist die Gruppe A. Dann werden die Menschen in Gruppe A gebeten, jeweils mindestens einen Freund zu benennen. Die so benannten Personen bilden die Gruppe B der Freunde.
Diese beiden Gruppen unterscheiden sich in mancher Hinsicht: Bei der Untersuchung von Christakis und Fowler an insgesamt 744 amerikanischen Studenten, die entweder Mitglieder einer zufällig ausgewählten Stichprobe waren (Gruppe A) oder zu den von A-Mitgliedern benannten Freunden zählten (Gruppe B), zeigte sich, dass die Mitglieder der Freundesgruppe B im Schnitt zwei Wochen früher an Grippe erkrankten als die Personengruppe A (Christakis & Fowler, 2010).
Das ist ein extrem nützliches Resultat für die Prognose von Grippe-Epidemien. Es ist eine Art Frühwarnsystem, wenn es darum geht, zu prognostizieren, welche Region in Zukunft mit einer derartigen Epidemie zu rechnen hat. Andere Prognosemethoden wie die Befragung von Ärzten nach der aktuellen Zahl der Grippepatienten oder die Erhebung von Trends auf Google, etwa die Anzahl der Recherchen nach Suchbegriffen mit Grippesymptomen, können immer nur den aktuellen Zustand abbilden. Dagegen liefert die Untersuchung von Krankheitsverläufen in Freundesgruppen einen zweiwöchigen zeitlichen Vorlauf für die Gesamtpopulation. Der ist für Planungen extrem wichtig.