So soll es sein: Ein Koch will kochen, andere Leute satt machen und dafür entlohnt werden. Ginge es nur um den Erlös, dann wäre er in einer Fabrik mit angenehmeren Arbeitsbedingungen besser aufgehoben. Nein, nicht nur der Lohn ist es, sondern der Beifall der Esser, die ihn vorantreiben. Schafft man es nicht, diese Hürde zu überwinden, dass nämlich ab und zu Anerkennung den Koch anhebt, dann ist Kochen ein elender Brotberuf.
So gesehen ist Anerkennung fast wichtiger als der Lohn. Leicht zu begreifen ist auch, warum gute Köche ohne gewisse Eitelkeit nicht dorthin gelangen, wo die Auszeichnungen angesiedelt sind.
Gastronomie und ihr Umfeld sind traditionell nicht gerade mit intellektuellem Grundrauschen gesegnet. Die Bundesagentur für Arbeit schickt hoffnungslose Fälle gerne mit dem tückischen Hinweis in die Welt: „Gehen Sie in die Gastronomie, da kann man jeden gebrauchen!“
Berufsschullehrer wissen ein Lied davon zu singen. Dementsprechend hat sich dort auch das „Gegenüber“, die Gastrokritik, mit zahlreichen ziemlich dürftigen „Kritikern“ angesiedelt. Der eitle „Ausgehschreiber“ und der von kurzlebigen Erfolgen selbstbesoffene Koch – beide Spezies befeuern die Demimode der Gastronomie bis heute. Es ist ein Kommen und Gehen und ein Elysium der Epigonen.
Beide sind Erfüllungsgehilfen der mehrheitlichen Erwartungen, und dass bei der Mehrheit nicht der kritische Geist angesiedelt ist, das beklagten schon die alten Griechen. Immer dem neuesten Trend hinterherrennen, immer in Mode und in den Schlagzeilen bleiben – so findet der Koch keinen eigenen Ankerpunkt. Er hat keine Zeit und Muse, um tiefere Überlegungen anzustellen, und so kann nichts Eigenständiges entstehen, sondern nur das, was gerade „angesagt“ ist, und was heute in Mode ist, ist es morgen schon nicht mehr. Um eine charaktervolle berufliche Handschrift zu bekommen, braucht es Ausdauer und nicht die Jagd nach Tageserfolgen. In der Gastronomie passiert das Gleiche wie in der Musik. Schallplattenfirmen geben vor, wie der Sound momentan zu klingen hat. Die Musiker sind perfekt ausgebildet und das Ergebnis kann nicht anders sein, als dass einer klingt wie der andere. Alle aus demselben Reagenzglas.
Nun scheint sich langsam das düstere Bild zu lichten. War früher der gastronomische Beruf oft der „last exit“ des Arbeitsamtes, so pochen heute ehrgeizige Eltern bei ihrer Brut nun nicht mehr ums Verrecken auf eine akademische Laufbahn, denn dort ist das Elend bald höher und das Abstellgleis der Geringverdiener bald schneller erreicht als bei den Malochern in der Fabrik. Tja, und mittlerweile lässt sich mit Kochen, Servieren, mit Hotel-Hauben und Restaurantarbeit das persönliche Ansehen besser heben als in vielen anderen Berufen.
Das alles lässt hoffen, aber das richtige Denken und Fühlen ist nach wie vor in der Gastronomie nicht so richtig angekommen. Wer dort arbeitet, es womöglich zu einer gewissen Bekanntheit bringt, wer am Firmament der Eitelkeiten wie ein Komet entlangstreift, ist oftmals nach kurzer Zeit farblos oder ganz erloschen.
Ehrgeiz, handwerkliches Können reichen nicht aus, um von der Lehre bis zur Rente die Nase über der Suppe zu halten. Reich wird man sowieso nicht, also müssen dringend einige ethische Stützstreben in den Hirnkasten verpflanzt werden. Ohne Sinn kann das Leben angenehm sein, aber es bleibt trotzdem sinnlos. Außer mit all dem handwerklich gastronomischen Können muss sich ein junger Koch, der sich ja von Berufs wegen mit einem Teil der schönen Dinge dieser Welt beschäftigt, auch mit den anderen schönen Dingen der Welt beschäftigen. Ein schön angerichteter Teller (einstürzende Foodbauten), glaubt das Köchlein, sei bereits Kunst.
Es ist keine Kunst, garantiert nicht, sondern nur schön und womöglich dekorativ. Kunst wird so etwas nur durch den Geist, der dahintersteckt. Da spielt es sogar eine Rolle, wie und wo man das Essen verspeist. Geschmack und Glücksgefühle finden nicht nur auf der Zunge statt. Bis sich ein Gourmet in einem Restaurant richtig wohlfühlt, müssen noch andere Kulturanstrengungen bewältigt werden. Schließlich soll sich der Gast dort nicht zu Hause fühlen, wie dummerweise in Gastronomiekreisen geglaubt und immer wieder verzapft wird. Das wäre nämlich furchtbar, denn nur wenige hausen so, dass man allgemeingültig daraus positive Lebensregeln ziehen könnte.
Egal, wie auch immer, ein guter Koch braucht zu allem Ehrgeiz und sonstigem paranoidem Antrieb einen guten Blick auf sich selbst, eine Einschätzung, wo er steht, wo er hinwill und ob er das richtige Maß seines Antriebs innehat oder eben schon im Pathologischen navigiert. Bei vielen ist das so und die Medien heizen kräftig durch Hitlisten mit an und rücken diesen schönen und beseelten Beruf immer mehr auf die Showrampe und in die Nähe des Spitzensports.
Das braucht der gute Koch nicht, sondern eine innere Überzeugung, sich selbst und damit auch seinen Gästen etwas Gutes zu tun. Nicht mehr und nicht weniger. Es geht also nicht nur darum, dass es gut schmeckt, sondern auch darum, warum es gut schmeckt. Hat man Glutamat nötig, Augenbetrug, Berieselungsmusik, Denaturierung der Lebensmittel, braucht es den ganzen elenden Schein, den man als Realitätsdesign beschreiben könnte?
Um in diesem Beruf lange glücklich zu bleiben, geht es nicht ohne das Hinterfragen: „Luxus ja, aber auf wessen Kosten?“ Wir leben in einer Welt der Denaturierung. Ein Koch hat die Verpflichtung, sich intensiv mit der Natur zu beschäftigen. Auf Dauer will der Gast, der Genießer, der Esser nicht zu einem Koch aufblicken, der große gastronomische Auszeichnungen hat, welche letztlich aus urbanem, oft pathologischem Umfeld kommen, sondern er sucht einen Koch, dem man glauben kann, der Orientierung bietet.
Der Koch ist nicht nur Fachmann für Lust und Gaumenfreuden. Er sollte viel mehr sein, nämlich ein Transformator der unmanipulierten Natur. Er ist der Wahrheit im Essen verpflichtet und nicht der Beschaffung und Vorhaltung von Lebenslügen. So gesehen bestürzt es mich, dass weltberühmte Köche wegen des Geldes Komplizen der Nahrungsmittelindustrie sind. Man kann mit Oberflächenpolitur schnelle Erfolge erzielen, glücklicher Koch ist man nur, wenn man nicht sich selbst und andere belügen muss.