Hannah Hart rückt die Baseballkappe zurecht und holt noch einmal tief Luft. Take 6, Klappe, Action! Die Kamera läuft. Zum sechsten Mal spricht die 27-Jährige mit ihrem Kollegen Chuey Martinez die Szene ein. Scheinwerfer, drei Kameras und Mikrofone sind auf sie gerichtet. Eine kleine Gruppe beobachtet das Geschehen aus dem Dunklen, darunter Fotografen, Visagisten, Produzenten und Techniker. Nach einer Minute ertönt das „Aaaand…cut!“ des Regisseurs. Wohlwollendes Nicken. Applaus. „Good job, everyone!„
Wer die Szenerie betritt, erkennt keinen Unterschied zu einem professionellen Filmstudio. Doch hier entsteht an diesem Oktobertag kein traditioneller Film, sondern eine Episode der neuen Webserie El Show. Und Hannah Hart ist keine Schauspielerin. Sie ist ein YouTube-Star und heute als Gast zu Dreharbeiten im YouTube Space Los Angeles: Nur wenige Minuten vom Flughafen und dem Pazifik entfernt, hat YouTube einen ehemaligen Flugzeughangar in eine moderne Produktionsstätte umgewandelt. Hier soll die nächste Generation von YouTube-Inhalten entstehen.
„Creators“ nennt YouTube die jungen Kreativen wie Hannah Hart, die sich mit Inhalten auf der Plattform längst ihren Lebensunterhalt verdienen. „Im YouTube Space möchten wir ihnen die Werkzeuge geben, um Dinge zu tun, die sie bisher nicht machen konnten“, sagt Liam Collins. Er leitet die Einrichtung seit der Eröffnung vergangenen November. Für ihn verheißt der Space vor allem Potenzial. „Wir wollten eine Einrichtung für Macher auf allen Stufen schaffen. Wer noch neu auf der Plattform ist, bekommt Workshops und Networking-Hilfe angeboten. Wer schon einen etablierten Kanal hat, kann an verschiedenen Programmen teilnehmen, in denen wir Ausrüstung, Crew und Expertise zur Verfügung stellen.“
Modernste Technik auf 4.000 Quadratmetern
Entsprechend viel los ist an diesem Tag. Im Foyer flackert ein Mosaik aus 36 einzelnen Bildschirmen mit YouTube-Videos. Junge Leute unterhalten sich über Laptops und Kaffee, Techniker wuseln mit Kabeln und Adaptern hin und her. Zahlreiche Film- und Soundtechniker stehen den YouTubern zur Seite. Im Bürotrakt des Hangars arbeiten noch etwa 50 Angestellte von YouTube. Im Zweiten Weltkrieg ließ der exzentrische Luftfahrtpionier Howard Hughes hier seine Fichtengans bauen. Heute erinnert bloß ein kleiner Helikopter aus Hughes‘ Privatsammlung vor der Tür an den früheren Besitzer, der von den YouTubern gern als Requisit benutzt wird.
Drei voll ausgestattete Sound-Stages gibt es in dem knapp 4.000 Quadratmeter großen Areal. Dazukommen drei Greenscreen-Studios, eine Anlage für Motion-Capturing, ein Kinosaal, ein Tanzstudio, ein Raum für Soundbearbeitung und noch ein gutes Dutzend Rechner für die Post-Produktion. Nur über die Kosten redet hier niemand. Es wird vermutet, dass die Google-Tochter mindestens 25 Millionen Dollar in die Anlage gesteckt hat.
Das ist viel Geld für ein Studio, das seine Nutzer nichts kostet. Doch YouTube denkt längerfristig. „Wir möchten den Machern auf der Plattform zeigen, dass ihr Erfolg auch unser Erfolg ist“, sagt Collins und erwähnt im gleichen Atemzug die Initiativen der Plattform: die Originalprogramme etwa, die YouTube vorfinanziert und Themenwochen wie die Comedy-Week, deren Inhalte zum Teil im Space entstanden. Das Ziel ist klar: Je professioneller die Inhalte auf der Plattform werden, desto besser lassen sie sich vermarkten. Da YouTube an jedem Video durch Werbung mitverdient, ist man nur allzu interessiert daran, dass die Qualität der Inhalte steigt.
Mitmachen kann fast jeder YouTuber
Für die Nutzung des YouTube Space kann sich jeder YouTube-Partner mit mehr als 10.000 Abonnenten bewerben. Entweder für einen kurzen Dreh an maximal zwei Tagen. Oder als Teilnehmer eines sogenannten Labs: Jeweils einen Monat lang dürfen sich eine Handvoll Teilnehmer dann austoben. Das Thema gibt YouTube vor. Ein Musik-Lab gab es bereits, ein Parodie-Lab, und im Hinblick auf Halloween wurden die Requisiten für ein Scream-Lab errichtet. „Zusammenarbeit ist der Schlüssel zum Erfolg auf YouTube“, sagt Collins, „und indem wir den Teilnehmern der Labs ein gemeinsames Thema anbieten, ist der Grundstein bereits gelegt.“
Die Teilnahmebedingung von 10.000 Abonnenten, sagt Collins, wurde gewählt, weil YouTuber erst ab dieser Schwelle das Meiste aus den Möglichkeiten des Space machen könnten: Sie haben in der Regel schon erste Erfahrungen mit der Arbeit in einem Studio gesammelt, sind aber dennoch nicht mit allem vertraut. Machern mit weniger Abonnenten bietet YouTube Workshops und Lehrgänge an, wie man seinen Kanal zunächst aufbaut und Inhalte entwickelt.
Wer nicht in Tausenden, sondern schon in Millionen Abonnenten rechnet, hat es leichter. Freddie Wong etwa nahm im YouTube Space große Teile der erfolgreichen Webserie Video Game High School auf und brachte dazu eine Crew von fast 50 Leuten mit. Zurzeit gastieren die News-Talker von The Young Turks als sogenannte residents im kleinsten Studio des Space, nachdem sie ihr eigenes Studio kurzfristig räumen mussten.
Auch die Hollywood-Prominenz ließ sich bereits blicken. Die Schauspielerin Amy Poehler schaute schon vorbei, Matt Damon ebenfalls. Die Verantwortlichen von YouTube freut’s; man hofft auf Synergien mit „old media„, wie die Filmbranche gern bezeichnet wird. Deshalb fiel die Wahl des Standorts auf Los Angeles und nicht etwa auf San Francisco, wo Google sein Hauptquartier hat, erklärt Liam Collins: „Zum einen gibt es in Los Angeles diese Kreativszene, die versteht, wie man Inhalte produziert. Zum anderen aber haben sich viele YouTuber hier niedergelassen. Wir wollten deshalb dorthin, wo die Szene sich trifft.“
Dass YouTube sein Studio auch als Community-Zentrum versteht, zeigt sich am frühen Abend. Jeweils an einem Freitag im Monat lädt YouTube alle Mitarbeiter, Teilnehmer und Gäste zur Happy Hour ein, eine Mischung aus After-Work-Party und Fan-Event. Es gibt Bier und Softdrinks aufs Haus, Foodtrucks servieren Burritos auf dem Parkplatz und ein DJ beschallt das Foyer mit elektronischer Musik. Kichernde junge Frauen nippen an Pepsidosen und blicken verstohlen auf eine Gruppe YouTuber. Anzugträger mit Firmennamen aus der IT-Branche auf dem Namensschildchen unterhalten sich angeregt mit Mitarbeitern.
Der Einfluss der Internetfirmen auf die Filmindustrie wächst
Auch das ist kein Zufall: Wenn der YouTube Space etwas verdeutlicht, dann dass der Einfluss des Silicon Valley auf die klassische Filmindustrie wächst. Noch wurden die in diesem Jahr viel diskutierten Eigenproduktionen der Streaming-Portale von Netflix, Hulu und Amazon bei den etablierten Studios eingekauft. Doch das könnte sich bald ändern. Neben YouTube hat auch Microsoft in diesem Jahr ein Filmstudio in Los Angeles errichtet. Der Trend geht dahin, die gesamte Wertschöpfungskette zu kontrollieren, weg von der reinen Vertriebsplattform hin zur kompletten Filmproduktion.
Neben dem Flaggschiff in Los Angeles gibt es noch YouTube Spaces in London, Tokio und New York. Weitere sollen folgen. Vielleicht sogar bald in Deutschland? „Etwa 70 Prozent aller YouTube-Nutzer kommen von außerhalb der USA“, sagt Collins, „und wir wissen, dass talentierte Macher überall auf der Welt sitzen. Deutschland ist ein wichtiger und schnell wachsender Markt für YouTube. Es gibt da noch keine konkreten Überlegungen, wir planen statt eigenen Spaces auch Kooperationen mit bestehenden Einrichtungen. Ich kann nur so viel sagen: Wir haben Deutschland auf dem Schirm.“